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Cryostasis

Eiszeit

Die stimmungsvolle Expedition durch den gigantischen Gefrierschrank verliert dadurch ein Stück ihrer Glaubwürdigkeit, weil man wie in einem Ego-Shooter von vor 20 Jahren regelmäßig einfach eine "bessere" Waffe findet, für die man den Rest stecken lässt. Zuerst stolpert man über ein schweres Ventil, das die Kette ersetzt, später eine Axt, die besser ist als das Ventil, und dann eine Leuchtpistole. Ab der Axt fallen zunächst die Schlagkombinationen weg und spätestens, wenn man ein richtiges Gewehr gefunden hat, benutzt man eigentlich nichts anderes mehr, es liegt ja auch genügend Munition herum.

Hier wird Cryostasis dann stellenweise urplötzlich zu einem über die Gebühr behäbigen Shooter mit schwachem Trefferfeedback. Nesterov bewegt sich ohnehin schon, als hätte er ein Paar randvolle Eimer Schneckenschleim als Stiefel, da soll man noch gezielt und behende mit dem Schießprügel hantieren? Besonders wenn man es mit ebenfalls mit Gewehren bewaffneten Feinden zu tun bekommt, sind die Fights nur noch spannend, weil die Bewegung so unnötig grobmotorisch ausfällt und die Deckungssuche so erschwert. Nicht etwa, weil die Gegner eine Herausforderung wären.

Nichts an Cryostasis geschieht mit der Leichtigkeit, mit der man sich durch vergleichbare Spiele bewegt. Man kommt sich ein bisschen plump vor, steif und aufgepumpt wie ein Michelin-Männchen. Das durch eine nur langsam wachsende Ausdaueranzeige auferlegte Sprint-Limit sorgt dafür, dass der Spieler bis zur Mitte des Spiels nicht einmal zehn Meter am Stück rennen kann, wenn ihm eine 150 Kilo schwere, achtbeinige Scheußlichkeit hinterherekelt. Jedenfalls nicht, ohne erst einmal ewig im lahmsten Schritttempo nach Luft zu ringen.

Wer Erklärungen sucht, ist beim kryptischen Cryostasis auf dem falschen Dampfer.

Das mag zwar aufgrund der – gelinde gesagt – ungünstigen Witterungsverhältnisse in der North Wind durchaus logisch und für den Adventure-Part des Games nicht wirklich schlimm sein, macht die Action aber zu einer mühsamen Angelegenheit. Die geringe Gegnerdichte sorgt aber zum Glück dafür, dass das Spiel nicht ganz zu Doom 3 mit Gefrierbrand vorkommt.

Am besten ist das Spiel immer, wenn Ihr bei Eurer Erkundungstour über den Leichnam eines Crewmitgliedes stolpert. Dann kann sich Nesterov in den Verblichenen hineinversetzen, um dessen letzte Augenblicke am eigenen Leib zu erfahren, nachträglich sein Leben zu retten und damit zugleich einen vorher verschlossenen Pfad öffnen. Mit schaurigen Filtern unterlegt, sind diese Reisen in die Vergangenheit die gruseligen Höhepunkte des Spiels. Hier wird immer etwas spärliches Licht in die mysteriösen Geschehnisse geworfen und der gefrorene Mikrokosmos der North Wind regelmäßig um interessante Perspektiven bereichert. An einer Stelle erledigt man zum Beispiel als Matrose einen schaurigen Tauchgang in bester Big Daddy-Aufmachung, nicht nur optisch einer der Höhepunkte des Spiels. Mehr will ich zu den Flashbacks aber nicht verraten.

Was sich bislang nach einem spannenden Adventure mit einem lieblos angetackertem Shooter-Part anhören mag, krankt aber leider auch ein wenig an seiner mangelnden Spielerführung. Manchmal ist nicht klar, durch welche Aktion eine vorher verschlossene Tür auf einmal offensteht, wo man hin soll oder was das Schiff gerade von einem will. Den Entwicklern war ganz offensichtlich wichtig, dass der Spieler sich eher durch die North Wind rätselt als schießt, so viel ist klar (und gut), aber viel zu oft wird ihm gar nicht gezeigt, was eigentlich die Problemstellung ist.

Ihr könntet ihn retten - Sinn und Zweck erschließen sich meistens aber erst hinterher.

Und wenn man das Ziel eines Rätsels nicht kennt, fängt man mit dem Raten doch gar nicht erst an. Man klappert einfach die stählernen Wände ein bisschen orientierungs- und planlos nach Schaltern, Knöpfen oder Ventilen ab, bis sich die rechte Hand des Hauptcharakters erlösend in Richtung eines interaktiven Elements ausstreckt - oder man einen Fehler macht und stirbt.

Letzteres passiert immer besonders oft, wenn eine Art Zeitlimit - etwa in Form eindringender Wassermassen oder dergleichen - hinzukommt, was häufig in den ansonsten so guten Flashbacks der Fall ist. Hier artet das hilflose Herumprobieren des Spielers gerne in ausgiebiges Trial & Error mit regelmäßigen unvorhergesehenen Todesfolgen aus, bis man die "richtige" Tür, die sichere Luke oder den einzigen Funktionstüchtigen Knopf gedrückt hat. Man gewöhnt sich irgendwann daran, dass das Spiel einen so alleine lässt, sollte aber in diesem Bereich eine gewisse Leidensfähigkeit mitbringen.

Und das ist eigentlich ein gutes Stichwort für das Fazit. Wer spielerische und technische Ungereimtheiten dieser Art – man muss es leider so sagen – ertragen kann, wird hier einen biestigen, tolpatischgen Yeti von einem Ego-Ausflug bestehen, der klüger ist, als er aussieht. Und einen, den die Wenigsten, die sich bis zum Ende durchbeißen, bereuen werden. Das liegt aber nicht so sehr an dem Spiel, das Cryostasis letzten Endes geworden ist, sondern an dem, das es hätte werden können. Das russische Bioshock eben.

Fast richtig, Herr PR-Mann!

Cryostasis (USK ab 16) Deutschlandtermin liegt bereits einen Monat zurück, dennoch ist das Spiel scheinbar immer noch im Publisher-Packeis gefangen. Interessenten importieren es derweil von der Insel.

6 / 10

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Alexander Bohn-Elias Avatar
Alexander Bohn-Elias: Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.

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