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Torchlight 2 - Test

High-Noon zwischen Blizzard und Runic! Siegen tolle Atmosphäre und Story über schnörkelloses Gameplay und Einfachheit?

Seit Stunden ballere ich Kanonenkugeln auf Monster. Warum? Weil sie da sind. Der restliche Plot ist wurscht. Irgend ein Bösewicht wird sich schon finden, der grad' den Globus einäschern will, ne Prinzessin entführt oder bei rot über die Straße latscht. Egal. Hauptsache ich kann klicken, Loot sammeln, noch mehr klicken.

Seit ich Torchlight 2 auf der Platte hab - das mit 1,3 Gigabyte geradezu obszön wenig Platz benötigt - schere ich mich nicht mehr um Kleinigkeiten wie eine spannende Story oder um zeitgemäße Grafik. Ich ärgere mich auch nicht länger über Onlinezwang oder die mickrige Beute nach Bosskämpfen. Stattdessen genieße ich intuitive Steuerung, Spieltempo, Interface, Komfort und Neuerungen wie einen Koop-Modus mit sechs Spielern gleichzeitig. Runic sollte "Die wahre Leichtigkeit des Seins" direkt als Untertitel auf die Packung drucken.

Diese steht freilich erst Ende Oktober als deutsche Retail-Fassung für 20 Euro in den Regalen (Steam-frei). Wollt ihr früher durchstarten, müsst ihr entweder über Steam zur englischen Fassung greifen und das Spiel auch dort aktivieren, oder ihr ladet die Torchlight-2-Demo direkt bei Runic Games oder Perfect World, die auch gleich den Online-Key für die Vollversion feilbieten, was euch Steam erspart. Dritte Möglichkeit wären alternative Download-Plattformen, die aber wiederum eine Aktivierung über Steam erfordern.

Nach dem Kauf könnt ihr das Hack & Slay dann Offline, im LAN oder Online zocken, wobei für Letzteres noch ein kostenloser Account bei Runic benötigt wird. Dabei nutzt ihr grundsätzlich eure Offline-Charaktere, was zwar Cheatern Tür und Tor öffnet, aber kaum jemanden stören sollte. Max Schäfer betonte schon in unserem Interview Ende Mai, dass man bewusst auf ein offenes System setzt, statt sich bis zur Hutkrempe abzuschotten. Dafür werden Modder herzlich dazu eingeladen, sich an dem Titel abzuarbeiten. Den Editor TorchED gibt's deshalb gratis in einer neuen Version.

Wie Eingangs erwähnt, scheint das Mantra bei Runic vor allem "Einfachheit" gewesen zu sein. Könnte man aber auch mit "konservativ" übersetzen, denn im Grunde gibt es bei Torchlight 2 nirgends Experimente oder herausragend innovative Ideen. Stellt man die Entwicklung der Diablo-Reihe neben die der Torchlight-Spiele, stellt man zudem bemerkenswerte Parallelen fest.

In beiden ersten Teilen ging es immer tiefer in monsterverseuchte Keller, beide boten nur drei - praktisch identische - Klassen, nämlich Krieger, Zauberer, Fernkämpferin. Für die Fortsetzungen gilt das nicht weniger. Diablo 2 wie Torchlight 2 führen euch aus den Dungeons hinaus in die Welt. Sogar der Verlauf eurer Reise ist ähnlich ("Schon wieder ne Wüste im zweiten Akt?!"). Schäfer führte das damals auf die natürliche Evolution dieser Spiele zurück. Im Grunde wäre es aber gar nicht mal so schlimm, wenn die Meister bei ihrem eigenen Werk abgeschaut hätten. Hauptsache sie wiederholen nicht die alten Fehler.

Torchlight 2 - Pets

In Runic's Hack & Slay gibt es nur vier Klassen statt der fünf aus Diablo 2. Aber wer braucht schon einen Totenbeschwörer, wenn er als Engineer Roboter-Pets herbeirufen kann und gleichzeitig schwer gepanzert mit Schild in der Flosse einen prima Tank abgibt? Der Embermage gehört eher in die Kategorie "Glaskanone für Magiefreunde", während der Berserker sich auf seine Klauen im Nahkampf verlässt und die Kraft von Totem-Bestien nutzt. Als Outlander jongliert ihr hingegen bevorzugt mit Knarren, Bögen, verzauberten Geschossen und eurem magischen Klingen-Bumerang.

In Sachen Fertigkeiten setzt Runic auf bewährte Kost. Jede Klasse hat drei Talentbäume, deren Skills mit steigender Stufe freigeschaltet werden und dann mit 15 Fertigkeitspunkten maximiert werden wollen. Daneben verteilt ihr die traditionellen fünf Punkte auf eure Statuswerte (Strength, Dexterity, Focus, Vitality) und sammelt Ruhm-Punkte, die immer mal wieder einen zusätzlichen Fertigkeitspunkt gewähren.

Durch das konventionelle Talentsystem fällt ein Stufenanstieg im Vergleich zu Diablo 3 weit weniger spektakulär aus, wo jedes neue Level durch frische Zauber und Runen ein neues Highlight bot. Auch ist das System vergleichsweise unflexibel. Hier kann man nicht mal eben seinen Build umstellen, wenn es Party und Gegner erfordern. Wer nicht gründlich über seine Talentbäume nachdenkt, verzettelt sich gnadenlos - da hilft es nur wenig, dass man bei einem NPC in der Stadt die letzten drei Skill-Entscheidungen rückgängig machen kann. Andererseits hatte ich bei Diablo 3 gerade diese Planungs-Komponente vermisst, wie ich nach einigen Stunden mit Torchlight 2 feststellte.

Ja, ich sehe die Vorteile von Blizzards System, aber mir persönlich liegt das klassische Schema mit all seinen Stolpersteinen. Es macht mir einfach Spaß, eine Klasse am Reißbrett zu entwickeln. Wenn sich der Build dann später zur vollen Blüte entfaltet, lehne ich mich stolz zurück, nicke Hannibal auf meinem A-Team-Gedenkposter zu und knurre ein zufriedenes: "Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert!"

Torchlight 2 - Gameplay

Was ich an Torchlight 2 überdies schätzen gelernt habe, waren die unzähligen Komfort-Funktionen. Allen voran euer Haustier, das schon im ersten Teil mehr war, als ein schnöder Vierbeiner zur Dekoration. Die Viecher sammeln per Shift-Klick entfernt gelegenes Loot, verdoppeln faktisch den Platz eures Inventars, verkaufen den Ramsch eigenständig in der Stadt und bringen sogar Tränke oder Schriftrollen mit, wenn ihr das auf ihrer Einkaufsliste vermerkt. Sie kämpfen an eurer Seite und können sogar per Spruchrolle gelernte Zauber benutzen - ein Feature, das auch eurem Charakter zur Verfügung steht und neben Buffs auch Beschwörungen oder Feuerbälle erlaubt, selbst wenn eure Klasse solche Tricks eigentlich nicht im Repertoire hat. Wenn ihr an sporadisch verteilten Angelplätzen fischt, erhaltet ihr Futter, mir dem sich eure Schützlinge für kurze Zeit in diverse Monster verwandeln lassen - inklusive deren Angriffsmanöver.

Daneben gibt es noch eine weitere Reihe nützlicher Features, wie zum Beispiel zwei jederzeit umschaltbare Waffen-Konfigurationen, ein separates Inventar für Tränke, zwei riesige Schatztruhen in der Stadt (eine für den Helden, eine für all eure Charaktere), ein übertrieben umfangreiches Statistik-Fenster, Kurzwahltasten zum Gebrauch des besten Lebens- oder Manatranks für Charakter oder Haustier und so weiter und so fort. Nach ein paar Minuten möchte man nichts davon mehr missen. Crafting und Haltbarkeitsverlust sucht man zwar vergebens, dafür gibt es das übliche Arsenal an NPCs zum Verzaubern eurer Ausrüstung, zur Rückgewinnung von Edelsteinen aus Gegenständen oder zum Freiräumen von Slots. Ein Händler für Waffen und Rüstungen (inklusive Sets), einer für Tränke, Stadtportale und Identifikationsrollen, einer fürs Glücksspiel - alles alte Bekannte und alle sehr willkommen.

Die Spielwelt wird genretypisch per Zufallsgenerator erstellt, wobei die einmal erforschte Karte so lange bestehen bleibt, bis ihr eine neue Partie beginnt oder euch in jemandes Spiel einloggt. So müsst ihr nicht bei jedem Neustart die Gebiete wiederholt durchkämmen. Hin und wieder findet ihr kleine Rätsel-Einlagen in der Umgebung - meist von der Sorte "Setze Stein A auf Säule B" oder "Finde den Schlüssel zur goldenen Truhe," manchmal sogar mit einem witzigen Twist. Zum Beispiel gab es da eine putzige Anspielung auf "Das Schweigen der Lämmer", bei der ihr eine Lotion in einen Eimer legen sollt. Wenn ihr einem lila-transparenten Phase-Biest über den Weg lauft und es rechtzeitig über den Jordan schickt, öffnen sich zusätzliche Karten, auf denen etwas komplexere Aufgaben warten. Mal müsst ihr Monster unter Zeitdruck metzeln, mal eine von drei Türen wählen - alles nicht sehr anspruchsvoll, aber nett gemacht.

Apropos Anspruch: Die Schwierigkeitsgrade Casual und Normal sind lachhaft einfach. Das sind Modi für Zeitgenossen, die bereits das Schälen einer Banane an die Grenzen ihrer Hand-Auge-Koordination führt. Tut euch selbst einen Gefallen und beginnt mit Veteran. Elite wird dann angenehm knackig. Nach dem Tod des Endbosses könnt ihr zusätzliche Levels beim Händler kaufen und einen neuen Plus-Durchgang starten.

Langweilig wird auch der zweite Durchgang erstmal nicht. Dafür sorgen die zahlreichen Gegner, Zwischen- und Endbosse, die immer wieder aus Löchern und Gebüschen springen oder euch auf eigens gestalteten Karten-Abschnitten mit überraschenden Tricks einheizen. Das Gros der Monster verlegt sich dabei auf Kamikaze-Aktionen oder beharkt euch per Distanzattacken, andere haben aber auch gemeine Asse im Ärmel wie Energieschilde, Lähmangriffe oder die Fähigkeit, euch zu sich heran zu ziehen.

Das Design eurer Feinde und deren Umwelt ist zwar aufgrund der altbackenen Grafikengine reichlich kantig und von unscharfen Texturen dominiert, doch das tolle Steampunk-Flair, die bunten und leucht-intensiven Zauber, die Tag-Nacht-Wechsel oder die Wetter-Effekte machen eine Menge wieder wett. Natürlich muss man sich optisch mit dem Bonbon-Glücksbärchi-Flair arrangieren und ich persönlich bevorzuge hier ganz klar das düstere Design eines Diablo 3, doch nach ein paar Minuten konzentrierten Gameplays vergisst man die Micker-Grafik genauso schnell wie das Fehlen einer mitreißenden Story oder konsequent vertonter Dialoge.

Denn wenn es um das richtige Metzel-Beute-Verhältnis geht, ist Torchlight 2 ganz bei sich. Ich würde sogar sagen, dass es hier Diablo 3 aus dem Stand überflügelt. Die zufälligen Waffen- und Rüstungswerte, die verschiedenen Seltenheitsgrade, Sets und Uniques, die Sockel-Möglichkeiten, Verzauberungsoptionen und anderen Schmankerl sind genau so, wie man es sich vorstellt. Im Vergleich zu Blizzards Baby werde ich hier vom Loot geradezu begraben und muss am laufenden Band sortieren, vergleichen, sieben und verkaufen. Mein Haustier war im Dauereinsatz, um die unzähligen Gegenstände zu verkaufen. Manchen Spieler wird das nerven, aber mir ist es so herum lieber, als ein extrem hartes Bossmonster zu plätten und hinterher enttäuscht fluchend den erbeuteten Ramsch beim Schmied einzustampfen.

Torchlight 2 - Launch-Trailer

Was sich bei Torchlight 2 mit der Loot-Flut auf jeden Fall viel eher einstellte, war der altbekannte Flow - jener Sog, der einen so lange "nur noch diesen einen Dungeon" durchlaufen lässt, bis draußen vor dem Fenster die Sonne wieder aufgeht. Allen Diskussionen rund um Skinner-Boxen und einarmige Banditen zum Trotz packt mich dieses Prinzip noch immer. Bei Torchlight 2 sogar stärker als bei Diablo 3.

Umso schöner, wenn man den Spaß mit Freunden oder Fremden teilen kann. Ihr dürft das Spiel wahlweise mit bis zu fünf Mitstreitern im Koop durchmetzeln, wobei jeder von euch seine eigene Beute findet. Doch ausgerechnet beim Mehrspieler-Modus ist Runics Hack & Slay nicht so komfortabel wie Blizzards Titel, auch wenn es mehr Optionen bietet, wie zum Beispiel LAN-Partien. Dafür fehlte mir das Matchmaking aus Diablo 3, das ohne jede Lobby auskommt. Am positiven Gesamtbild rüttelte das für mich trotzdem nicht.

Hut ab, Runic. Torchlight 2 ist quasi das Destillat all dessen, was mir bei der Diablo-Reihe immer gefallen hat. Blizzards neuestes Werk erinnert an eine prächtig dekorierte Gourmet-Suppe mit Schaumkrone und Croutons, bei der man vor lauter Schi-Schi und Innovation am Ende die entscheidende Prise Salz vergessen hat. Sie schmeckt, aber das gewisse Etwas fehlt. Verglichen damit ist Torchlight 2 die ehrliche Kraftbrühe von Mutti. Reduziert, konservativ, ohne Schnörkel, aber ehrlich, lecker und sättigend. Da verzeihe ich auch gerne die mäßige Grafik, die uninspirierten Metzel-und-bring-Quests oder die total beliebige Story. Für Fans des zweiten Diablo könnte Torchlight 2 unter Umständen die bessere Wahl sein, denn die Neuerungen, die Blizzard mit der Fortsetzung eingeführt hat, schmecken nicht jedem. Auf alle Fälle solltet ihr euch die Torchlight-2-Demo zu Gemüte führen, wobei man mit einem Einstiegspreis von 20 Euro für die Vollversion sowieso kaum etwas falsch machen kann.

9 / 10

In unserer Test-Philosophie findest du mehr darüber, wie wir testen.

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Torchlight II

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Frank Erik Walter

Freier Redakteur

Tagsüber arbeitet Frank als freier Journalist. Nachts jagt er seit 2010 flüchtige MMOs für Eurogamer.de und die MMO PRO. Skittles und Tetris sind sein Kryptonit.

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