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Der Spiele-Pfarrer

„Kinder müssen ballern und sich prügeln!“

Eurogamer Der bayerische CSU-Innenminister Joachim Herrmann hat „Killerspiele“ gewissermaßen mit Pädophilie verglichen. Was empfinden Sie, wenn Sie so etwas hören?
Thomas Hartmann

Auch wenn er durch die Staatsanwaltschaft in Darmstadt quasi das Recht zugesprochen bekam, solche unglaublichen Vergleiche anzustellen: Ich finde es widerlich, unerhört. Und übrigens eine Verharmlosung von Kinderpornografie, die sicher nicht beabsichtigt ist, aber sich aufdrängt.

Eurogamer Mögliche negative Auswirkungen von gewaltigen Spielen, etwa auf psychisch angeschlagene Menschen, räumen Sie durchaus ein. Wären solche Einzelfälle nicht Grund genug für ein Verbot?
Thomas Hartmann

Niemand würde wegen der Möglichkeit, zum Beispiel Alkohol zu missbrauchen, diesen für alle verbieten. Allerdings ist der Zugang nur begrenzt möglich, wenn man an die Verkaufsfreigaben denkt. Das ist auch für Spiele das richtige Mittel: Altersfreigaben müssen strikter eingehalten werden, das ist auch eine Aufgabe der Eltern.

Allerdings: Menschen mit seelischen Problemen lassen sich durch Verbote, die man etwa durchs Internet leicht umgehen kann, bestimmt nicht von Spielen abhalten, die ihrer Gemütsverfassung nicht förderlich sind. Natürlich muss es Grenzen bei der Freigabe von Spielen geben, und diese existieren ja auch. Gewaltverherrlichende Spiele oder Videos etwa sind bereits verboten. Wo hier genau die Grenze verläuft, lässt sich aber diskutieren, wie man beim Spiel Der Pate gesehen hat.

Half-Life 2: „Hat neben der beeindruckenden Grafik sehr intelligente und herausfordernde Abschnitte.“
Eurogamer Sie sind Pfarrer, insofern scheinen Ihre Thesen über Actionspiele zumindest ungewöhnlich. Haben Sie deshalb schon negative Reaktionen erlebt?
Thomas Hartmann

Es gab von einem kirchlichen Gremium, einem Friedensausschuss, eine heftige Reaktion, weil man dort meine Thesen überhaupt nicht nachvollziehen konnte, unter anderem, weil ich ja auch die Friedenspädagogik für bestimmte Tendenzen kritisiere. Insgesamt aber verliefen die meisten Diskussionen erfreulich sachlich und wohlwollend, auch in der Gemeinde.

Eurogamer Sie haben, wie Sie es nennen, „Selbstversuche“ mit Ego-Shootern gemacht. Welche waren das? Waren welche darunter, die Sie begeistert haben? Welche empfanden Sie als abstoßend?
Thomas Hartmann

Von früher kannte ich bereits Titel wie Deus Ex oder Jedi Knight. Hinzu kamen für mein Buch insbesondere Half-Life 2, Prey, F.E.A.R. und Quake 4. Half-Life 2 enthält natürlich neben der beeindruckenden Grafik auch sehr intelligente und herausfordernde Abschnitte, fast wie in einem Adventure.

Vor allem Prey hatte Stellen, bei denen ich dachte: ekelhaft. Solche Szenen gehören absolut nicht in die Hände jüngerer Menschen, obwohl sie aus dem Spielgeschehen heraus, wegen der brutalen Aliens, erklärlich waren. Die Frage aber bleibt, ob die Gewalt tatsächlich derart drastisch und geschmacklos dargestellt werden muss wie auch in F.E.A.R, um den Spiel-„Spaß“ in diesem Fall zu fördern. Ich finde, weniger wäre hier mehr gewesen, Splatter-Effekte müssen nicht sein.

„Vor allem Prey hatte Stellen, bei denen ich dachte: ekelhaft.“
Eurogamer In Ihrem Buch zitieren Sie den Journalisten Thomas Feibel: „Findet Gewalt im Computerspiel statt, nennen wir es Schund. Findet Gewalt im Theater statt, nennen wir es Kunst.“ Sind Spiele Kunst?
Thomas Hartmann

„Kunst kommt von Können“, heißt es. Wenn man diesen Satz zugrunde legt, ist es klar, dass manche, besonders „gekonnte“ Spiele durchaus als Kunst zu betrachten sind. Ich denke, bei einem damals sensationellen, fotorealistischen und dennoch surrealen Adventure wie Myst und ähnlichen grafisch äußerst anspruchsvollen Games war das unumstritten.

Aber nicht nur die Grafik, auch der intelligente Spielaufbau, das Leveldesign und andere Details können zu dem Gefühl beitragen „Das ist jetzt aber wirklich Kunst“. Welche Spiele das im Detail sind, entscheidet letztlich – wie im Museum oder auf einer anderen Ausstellung - der Rezipient. Die Geschmäcker sind da halt sehr verschieden …

Eurogamer In Ihren Thesen stellen Sie eine Verbindung zwischen Computerspielen und der Bibel her. Ein paar Worte dazu?
Thomas Hartmann

Mir geht es ja um die Parallele der Gewaltaufträge und ihrer Darstellung, die sich hier wie dort finden. Natürlich sind Computerspiele etwas anderes als biblische Erzählungen. Aber in ihrer strukturellen Denkweise – zum Beispiel „Alles ausrotten, was im Wege steht. Take no prisoners“ – sind sie leider an manchen Stellen recht ähnlich. Zum Glück gibt es aber in der Bibel, die schließlich nicht der Unterhaltung dient wie Computerspiele, sondern dem wirklichen Leben, überwiegend die Botschaft von Liebe und Frieden. Das habe ich nie in Frage gestellt.