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Die Gilde 2

Mein Leben im Mittelalter

Bruce schimmelt im Amt

Abgesehen von der Rennerei nach Röcken und Rohstoffen artet "Die Gilde 2“ auch bei den Ämtergängen richtig in Klinkenputzen aus. Regelmäßige Besuche im Rathaus sind Pflicht. Mal, um sich einen Titel zu kaufen, dann um sich für ein städtisches Amt zu bewerben, das nicht nur zusätzliches Einkommen, sondern auch mehr Ansehen bei den Mitbürgern bringt. In schöner Regelmäßigkeit muss Bruce auch an drögen Amtssitzungen teilnehmen: Bürger werden angeklagt, neue Amtsträger gewählt und alte davongejagt. Die Verhandlungen sind monoton und laufen immer gleich ab – die Sprüche kennt man bald in- und auswendig. Nicht selten nickt man zusammen mit seiner Spielfigur dabei vor dem Rechner ein.

Bis auf kleine Überraschungen laufen Gerichtsverhandlungen immer nach demselben Schema ab.

Spannend wird es nur, wenn man selbst genügend Beweise gegen einen Konkurrenten gesammelt hat, um diesen der Bestechung oder eines schlimmeren Vergehens anzuklagen. Und auch Bruce ist stets bemüht, vor öffentlichen Entscheidungen die Einflussträger auf seine Seite zu ziehen. Er schleimt sich mit Komplimenten bei den weiblichen Sitzungsteilnehmern ein und erkauft sich das Wohlwollen mächtiger Ratsmitglieder mit großzügigen Zuwendungen. Während man dabei anfangs noch darauf bedacht ist, dass die Geldübergabe unbeobachtet vonstatten geht, wird man mit zunehmendem Reichtum immer dreister. Wird Bruce bei einer Bestechung gesehen, besticht man halt den Beobachter gleich mit! Das macht dann wirklich Spaß, wie ein Kind seine Grenzen auszutesten und immer mehr zu wagen!

Nur nicht zu brav

Für seine Karriere schreckt Bruce auch vor plumper Anmache nicht zurück.

Nun ja, aber Bruce ist halt doch irgendwie ein Abbild von mir. Auch ich kann nur selten wirklich durchtrieben sein. Während andere mit viel dreisteren Methoden Karriere machen, wird mein Held wegen einer läppischen Bestechung angeklagt und zu einer empfindlichen Geldbuße verurteilt. Karrieremäßig wirft ihn das natürlich zurück, und so rückt der Status eines Edelmanns erst einmal in weite Ferne. Auch als Bruce mal einen Kontrahenten so beleidigen will, dass dieser ihn zu einem Duell herausfordert, kommt er nicht zum Ziel – "Die Gilde 2“ verabschiedet sich und mein Held landet unverrichteter Dinge im 21. Jahrhundert auf dem Windows-Desktop. Erst nach dem Installieren des Patches darf Mr. Lilywhite beleidigen und sich duellieren, wie es ihm gefällt. Mittlerweile geht er auf die 70 zu und Edna gar auf die 80 – im Bett klappt es deshalb auch nicht mehr so, dass noch mal an Nachwuchs zu denken wäre. Tochter Rosalie gibt sich zwar mit ihrem Gatten redlich Mühe, aber auch bei ihr ist es mit der Fruchtbarkeit nicht so weit her. Wie soll es nur weiter gehen mit der Dynastie Lilywhite?

Viel gewollt, nicht alles erreicht

In die "Die Gilde 2“ bekommt man tatsächlich einen guten Eindruck vom täglichen Leben in einer mittelalterlichen Stadt. Geld, Berechnung, Korruption, Machtgier – das sind neben Wohltätigkeit Faktoren, die eine wichtige Rolle spielen. Nachdem man in "Die Gilde 2“ mal eine Dynastie gegründet hat, kann man sich gut in die Überlebensnöte einer Familie des 15. Jahrhunderts hineinversetzen. Auch ich habe beim Spielen gemerkt, wie ich mir im Umgang mit meinen virtuellen Mitbürgern Mittel zu Eigen machte, die in der mittelalterlichen Gesellschaft wohl Gang und Gäbe waren. In dieser Hinsicht ist "Die Gilde 2“ sicher besser als jedes akademische Lernprogramm.

Rosalie bedroht eine edle Dame, um sie vor der nächsten Ratssitzung ein wenig einzuschüchtern.

Die Vielfalt der Handlungsmöglichkeiten und dynastischen Verflechtungen erkauft 4Head mit einer Benutzerführung, die auf den ersten Blick nicht sehr intuitiv ist. Wer gleich ohne Handbuch und Tutorial drauflos spielen will, wird sich am Anfang wahrscheinlich etwas schwer tun. Man muss sich erst reinfinden in "Die Gilde 2“, erst entdecken, wie sich Aktionen am unkompliziertesten abwickeln lassen.

Auch nach dem bereits verfügbaren Patch muss die 4Head-Software-Bauhütte an "Die Gilde 2“ noch kräftig nachbessern. Zwar sind mittlerweile größere Fehler wie der "Heirats-Bug“ beseitigt. Dennoch bleiben genügend weitere Ungereimtheiten. So bekleidete Mr. Lilywhite in der gepatchten Version ein städtisches Amt, im Politikmenü wurde jedoch stets ein anderer Amtsinhaber angezeigt. Gerade bei den Amtssitzungen geht es auch mit der Sprachausgabe noch drunter und drüber – ein heilloses Durcheinander an Standardsprüchen, die einem beim Spielen nicht mehr wirklich weiterhelfen. Grafisch bietet "Die Gilde 2“ zwar hübsches Bilderbuch-Mittelalter, die Optik krankt jedoch an einer mangelhaften Kollisionsabfrage: Menschen laufen durcheinander hindurch und wenn sie bei einem Schwätzchen zu nahe beieinander stehen, entstehen "Missgeburten“ mit zwei Gesichtern und drei Armen – der Atmosphäre nicht unbedingt zuträglich. Richtig störend: Mit zunehmender Spieldauer wird "Die Gilde 2“ immer langsamer und artet zeitweise in ein fürchterliches, kaum mehr spielbares Geruckel aus.

Ja, trotz aller nach wie vor vorhandenen technischen Schwächen mag ich "Die Gilde 2“. Ich habe mitgefiebert, wenn mein Alter Ego Bruce versucht hat, karrieretechnisch einen Fuß auf den Boden zu bekommen oder wenn er wieder einmal wegen einer Lappalie vor Gericht zitiert wurde. Jede Nacht habe ich mit ihm gehofft, dass Edna noch mal schwanger wird. Das Mitgefühl reicht aber nur für eine gewisse Zeit. Dann beginnen sich die einzelnen Abläufe allzu oft schematisch zu wiederholen und bei der x-ten Amtswahl und dem x-ten Duell will sich keine rechte Spannung mehr einstellen. Die tolle Handlungsfreiheit in allen Ehren – aber ein paar zielgerichtete Aufgaben (Kampagne!) hätten vielleicht hie und da für noch mehr Aufregung gesorgt.

7 / 10

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