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Grand Ages: Medieval - Test

Wenn zwischen Gütersloh und Worms Leoparden angreifen.

Der schlanke Mix aus Handel und Strategie geht durchaus auf, bleibt aber auf Dauer etwas farblos und nutzt sich mit der Zeit spürbar ab.

Die Gütersloher von Gaming Minds legen ein gutes Tempo vor. Vier Spiele in fünf Jahren - von Patrizier 4 über Port Royale 3 und Rise of Venice nun also zu Grand Ages: Medieval. Wo es in den letzten drei Titeln aber in erster Linie um den Handel ging, das Steckenpferd der Entwickler um Ascaron-Urgestein Daniel Dumont, streckt Grand Ages nun die Fühler sachte in Richtung Strategie aus. Ganz Europa und sogar Nordafrika liegt euch zu Füßen und ihr siedelt, baut, handelt und kämpft um die Vorherrschaft. Das funktioniert und ist gerade zu Beginn und im Lauf der achtstündigen Kampagne motivierend genug, offenbart aber vor allem in Sachen Diplomatie und Militärischem nicht genügend Tiefgang um bis tief in den Herbst hinein zu fesseln.

Tatsächlich freut man sich zu Beginn noch über die vielen gelungenen Vereinfachungen, die bedeuten, dass man nach Port Royale 3 ein weiteres Spiel mit starkem Handelsfokus relativ problemlos auch mit einem Controller spielt (Grand Ages: Medieval erscheint auch auf der PS4). Ihr jongliert um das Jahr 1000 herum mit 20 Ressourcen und Waren, jede Stadt kann ohne Weiteres in etwa die Hälfte davon produzieren, so lange ihr nur genügend Zutaten dafür heranschafft beziehungsweise die entsprechende Technologie auf den sehr überschaubaren Fertigkeitenbäumen freischaltet. Dinge wie Leder, Eisen, Kohle, Honig und Wein können unterdessen nur an bestimmten Stellen gewonnen werden. Weiterhin muss sich jede Stadt auf fünf Güter spezialisieren. Mehr ist nicht drin. Auch das erleichtert die Übersicht, wo welches Rädchen in eurem kommerziellen Uhrwerk fehlt.

Anfängerfehler: In meiner ersten Partie wollte ich zu früh zu viel. Irgendwann ging es nicht mehr vor und nicht zurück.

Zu Beginn geht ihr Handelsallianzen mit euren Nachbarn ein, stimmt eure Produktion auf ihre Defizite ein und schickt Händler auf Routen entlang verschiedener Siedlungen. Auch das ist zu einem angenehmen Grad automatisiert, wer will, darf aber auch manuell feinjustieren. Wer sich nicht gleich zu Beginn übernimmt, kann schnell ein ordentliches finanzielles Wachstum und allgemeinen Wohlstand Einzug halten sehen. Dann ist die Zeit reif, einen Siedler loszuschicken, um an lukrativer Stelle die erste Partnerstadt eures persönlichen Weltzentrums zu errichten. Mit jeder neuen Stadt, die hinzukommt, steht man ein bisschen mehr auf eigenen Beinen. Nicht nur, weil es einfach gut ist, nicht länger auf die Konkurrenz angewiesen zu sein, sondern auch, weil natürlich auch eure Nachbarn von einem blühenden Handel profitieren. Und das ist nicht immer in eurem besten Sinne.

Je überlegener ihr einer anderen Stadt seid, desto einfacher könnt ihr sie den zu Anfang noch versprengten unabhängigen Bürgermeistern abspenstig machen, indem ihr sie bei gutem Verhältnis einfach schmiert. Später ist das nicht mehr so leicht, wenn die Orte erst einmal unter einer Führung vereint sind. Doch auch dann ist mit Geld noch viel zu regeln, was vielleicht die größte Krux dieses Spiels ist: an Geld zu kommen, ist allgemein deutlich zu einfach. Einmal etablierte, werfen gute Handelszyklen unglaubliche Beträge ab, wenn man mit neuen Städten erst mal eine Reihe kleiner "Handelsvierecke" gebildet hat, die untereinander alle 20 Warenarten abdecken. Wenn dann in der Diplomatie Bares als ewige Abkürzung herhalten muss, ist das - Vorsicht! Bissige Polit-Satire - vielleicht realistisch, aber nicht unbedingt eine besondere spielerische Herausforderung.

Das übersichtliche Routen-Tool ist euer bester Freund.

Auch die Erkundung der Karte wirft häufig zu große Erträge ab. Die Zufallsevents von Schätzen über verlassene Ruinen hat man zwar recht schnell alle gesehen, aber das stört keinen. Etwas seltsamer ist da, wie viel Fracht NPC-Händler entlang der Wege ihrer Routen verlieren. Ein Ausritt entlang den Straßen von Gütersloh über Magdeburg, Pilsen nach Gdansk kann auch prinzipiell bankrotte Spieler mal eben monetär komplett sanieren. Aus einem planvollen Vorgehen wird regelmäßiges, einfaches Abgrasen der Karte.

Was ich ebenfalls wenig intuitiv fand, war die Tatsache, dass Städte ausschließlich dann wachsen, wenn ihr einen neuen Betrieb errichtet, und dann auch nur in 100er-Schritten. Ich kann ein florierendes, wohlhabendes Dorf meine Hauptstadt nennen, ohne dass sie sichtlich von selbst an Größe gewinnen würde. In Grand Ages' Welt ziehen die Leute offenbar nicht bereits zu, wenn sie hören, wie gut es den Stadtmenschen geht, sondern erst, wenn Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Im Grunde ist diese enge Verknüpfung von Produktion und Stadtentwicklung schon in Ordnung. In Grad Ages geht es eben doch mehr um Handel und darum, immer mehr Güter herzustellen, ohne die so gefürchtete und preisvernichtende Überproduktion einsetzen zu sehen. Denn das wäre wiederum ein Anzeichen dafür, dass eure Händler nicht die optimalen Routen abdecken. Es ist funktional, aber für Aufbauspieler definitiv gewöhnungsbedürftig, vor allem, da man später eine ganze Menge Produktionsstätten errichten muss, um noch Wachstum zu sehen.

Ihr wisst nicht, was los ist? Keine Sorge, ich auch nicht so recht. Viele Kämpfe werden von Vegetation verdeckt, die Tooltipps helfen, Übersicht zu gewinnen.

Wo Grand Ages also tendenziell immer eine Idee zu einfach ist, kann es gerade zu Beginn auch explosionsartig verdammt schwer werden. Denn diese Art der Stadtentwicklung bedeutet auch, dass es leider etwas kniffliger ist, sich aus einem Tief wieder herauszukämpfen. Die passenden Korrekturen trifft man leicht, wenn es nur darum geht, redundante Handelsrouten zu optimieren. Aber wenn es so dick kommt, dass man etwa die Produktion umstellen muss, geht das eigentlich immer zum einen mit einem Verlust an Bevölkerung (weil man Produktionsstätten einstampfen muss, um neue zu errichten) und beachtlichen Kosten für den Neubau anderer Werke einher. Wenn man ohnehin schon in den roten Zahlen steckt, wird das schwer. Wenn dann auch noch die Truppen streiken, weil die Moral wegen aussetzender Zahlungen zu niedrig ist, hat man ein Problem, auf das man gefühlt zu spät aufmerksam gemacht wurde und auf das man nur schwer eine Antwort findet.

Wo der eigentliche Handel abgesehen davon auf recht soliden Beinen steht, was bei diesem Entwickler nicht anders zu erwarten war, bleiben Gaming Minds Ausflüge in den militärischen Sektor bestenfalls zweckmäßig. Einheiten funktionieren streng nach Schere-Stein-Papier-Prinzip. Das ist altbekannt und genauso bewährt, aber bewegt man mehrere Einheiten zugleich und stolpern die Bogenschützen meines Kampfverbandes zufälligerweise als Erste in einen Gegner hinein, bekommen sie es am stärksten ab, anstatt die Nahkämpfer voranmarschieren zu lassen. Dann sind es meine Fernkämpfer, die langsam, aber sicher dezimiert werden. Oft verspürte ich den Impuls, sie zur nächsten meiner Städte fliehen zu lassen, damit meine Schwertkämpfer nach vorne rückten und nicht nur in der Mehrheit zögerlich danebenstanden. Aber danach muss man erst mühsam wieder erneut nachrücken, weil sich eine Flucht nicht abbrechen lässt.

"Bei Belagerungen hat man keine großartigen Optionen, was darin resultiert, dass sie eigentlich nur durch massenhafte Präsenz entschieden werden."

Von weit oben sieht das Spiel durchaus ordentlich aus...

Die taktischen Optionen halten sich ebenfalls in Grenzen, wenn man mal von den Schnick-Schnack-Schnuck-Anleihen absieht. Bei Belagerungen hat man sogar keine wirklichen Optionen, was darin resultiert, dass sie eigentlich nur durch massenhafte Präsenz entschieden werden. Und dann haben wir noch gar nicht darüber gesprochen, wie seltsam es aussieht, wenn meine Einheit erfahrener Schwertkämpfer mit einer Gruppe Bogenschützen im Rücken drei Spielmonate brauchen, um ein Rudel aus 50 Luchsen, Wölfen oder Leoparden (!) zwischen Worms und Gütersloh zu erlegen. Das Spiel rechnet in seinem eigenen Takt stur die Werte zweier kämpfender Einheiten gegeneinander auf, ohne dabei auf den Kalender zu schauen. Überhaupt: Um den letzten Streiter des feindlichen Verbands zu erlegen, brauchen 100 Soldaten ebenso lange, wie die den ersten, anstatt ihre Feinde mit wachsender Übermacht einfach zu überrollen, wie es eigentlich richtiger wäre.

Die KI macht ihren Job in Sachen Wachstum und Handel ganz passabel, hält es aber nicht übermäßig für nötig, den Spieler unter Druck zu setzen, was darin resultiert, dass man sich die ganze Zeit am Drücker wähnt. Das einzige was mich regelmäßig in Konflikte hineinzog, waren militärische Bündnisse mit NPC-Parteien, weshalb ich irgendwann davon absah - nicht nur ist der Unterhalt von Truppen einfach gewaltig teuer, weshalb man seine Streitmacht immer sehr übersichtlich hält, meine selbst ernannten Verbündeten halfen im Gegenzug herzlich selten, wenn mal wieder eine meiner Städte belagert wurde, nur, weil ich mit ihnen befreundet war. Die sparsamen Diplomatieoptionen und die feindliche KI lassen hier einfach keine befriedigende Lösung zu, die über das teure Erkaufen eines Friedens hinausginge.

... auch wenn bei genauerer Betrachtung nicht allzu viel Leben herrscht und in Nahaufnahmen einige Modelle nicht überzeugen können.

Da der Fokus aber auf der friedlichen Lösung beziehungsweise Frieden durch Abschreckung beruht, funktioniert Grand Ages: Medieval als leichtfüßiges Handelsspiel immer noch gut genug, um im Verlauf der fähig in Szene gesetzten und gut geschriebenen Kampagne zu keinem Zeitpunkt zu langweilen und auch die eine oder andere Partie im offenen Spiel zu wagen. Das wäre auf lange Sicht natürlich fordernder, flexibler und schlicht langlebiger, wenn unter den Waren auch wirklich exotische oder wertvolle Dinge dabei wären, die es nur an wirtschaftsstrategisch wichtigen Orten gäbe. Stattdessen sind Schmuck und Kleidung in Sachen Herstellungskomplexität das höchste der Gefühle und können allesamt mit den üblichen herkömmlichen Rohstoffen gefertigt werden, die fast in jeglichen Breitengraden erhältlich sind. Mit dem Ende, dass es mir fast egal ist, ob ich um den Bosporus herum Metallwaren, Brot und Werkzeugen handele oder am westlichen Alpenrand.

Online kommt direkt mehr Leben rein, wenn man sich mit bis zu sieben Freunden auf der gigantischen Karte misst. Hier wird jede Stadt automatisch zum neuen Poker, eine freundliche Allianz irgendwann vielleicht ein zähneknirschend brüchiges Zweckbündnis und dann eine erbitterte Feindschaft. Es ist ein ewiges Tauziehen zwischen Selbstversorgertum und Symbiose in sich stetig erweiternden Warenwirtschaftssystemen und mit Leichtigkeit das Herzstück des Spieles für mich. Weil man vor allem auch den Zeitpunkt bestimmen kann, wann die Partie enden soll, kommt es nicht zu dem Stillstand, der unter diesem überschaubaren Regelwerk am Ende einer Solo-Partie häufig einkehrt, oder in Online-Spielen, wenn zwei oder mehr Teilnehmer ihr Handwerk verstehen und sich gegenseitig die Butter vom Brot nehmen. Ein wirklich guter Modus, der im Miteinander das meiste aus den Möglichkeiten des Spiels herausholt. Technisch ist es unterdessen tadellos, wenngleich ziemlich generisch und schmucklos in der Aufmachung.

Grand Ages: Medieval gibt man sich für ein paar Abende bei einem gemütlichen Getränk, am besten mit zwei oder drei Freunden - und dann hat man alles gesehen. Bis dahin zieht man aus dem ordentlich umgesetzten Handel und den eher zweckmäßigen Begleitsystemen durchaus einige beschauliche Grübel- und Tüftelunterhaltung, bevor man zugeben muss, hier steckt doch nicht viel mehr dahinter als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Gaming Minds' "Grand Strategy" Ambitionen können auf der einen Seite in Sachen Tiefe nicht mit einschlägigen Konkurrenzprodukten mithalten, ziehen auf der anderen aber nicht genügend Schwung aus den Vereinfachungen, um bis in hohe zweistellige Stundenzahlen zu fesseln. Dieses "Große Zeitalter", so muss man am Ende gestehen, ist doch eher ein erstaunlich gewöhnliches.

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