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Watch Dogs - Test

Hundstage.

Ganz große Ambitionen enden in einem doch nur 'soliden' Open-World-Spiel, das zu brav seine Wegpunkte und Ubitowers abarbeitet.

Keine Magie, nur gute Unterhaltung. Am Ende von Watch Dogs bleibt etwas, mit dem ich meine gemeinsam verbrachte Zeit nicht bereue - nicht eine Minute, keinen gehackten Geldautomaten -, das mit seinen angedeuteten Möglichkeiten in den ersten Stunden fasziniert, dann aber das Schicksal fast aller Open-World-Spiele teilt: Es versandet. Nicht auf die saudämliche Art, bei der man sich fragt, wieso man es nicht längst durch etwas Frisches, Unverbrauchtes ersetzte. Eher auf die vertraute und letztlich immer noch sehr kompetente Art, mit der die meisten offenen Welten heute gestaltet werden.

Das muss keine schlechte Sache sein. Wenn es hier und jetzt endlich Watch Dogs ist, das seine graduell davon abweichende Auffassung der reichlich und kunterbunt gedeckten Spielwiese präsentieren soll, war das ein wirklich gelungener Auftritt. Aber es sind eben auch nicht die große Freiheit und schon gar nicht der große Wurf, die am Horizont winken. Hauptcharakter Aiden Pearce, flüchtiger Hacker, Autodieb und waffenstarrender Psycho in einem, liefert letztlich ein fabelhaftes Template für alles, was Ubisoft in Zukunft damit anzustellen gedenkt.

Theoretisch sollte in diesem mühe- und sehr detailvoll gestalteten Chicago jeder Passant sein eigenes Leben führen. Vermute ich mal, sonst gäbe es nicht für jeden von ihnen eine Zeile mit mal witzigen, mal nicht so witzigen Details aus seinem Alltag - er sucht online oft nach „Hentai", sie leidet an Hepatitis C -, sein Einkommen und Beruf, wenn man ihre Smartphones hackt. Diese gewonnenen Informationen zu nutzen, indem man ihnen folgt, in ihr Zuhause einsteigt und solche Dinge, die im Vorfeld fantastisch klangen - nee, also wirklich, nee.

Praktisch jeden Passanten kann man scannen, um ein paar Informationen über ihn zu bekommen. Wichtig ist das Wenigste davon.

Man scannt sie eben, sieht, was dort steht, zapft ihnen einen MP3-Track ab, schaltet ein Auto frei (?) oder Bankverbindungsdaten, um sich später an einem Automaten bedienen zu können, und das war's. Sie sind in diesem Chicago nicht tief verwurzelt, sondern eingeklebt von Leveldesignern zum Füllen der Straßen, Parks und Plätze. Das haben sie geschafft. Man taumelt durch rappelvolle Fußgängerzonen, hört Leuten beim Reden zu, anderen beim Rappen, kann ihre Telefonate belauschen, ihren SMS-Verkehr lesen. Alles ganz nett, ich habe oft herzlich gelacht. Hin und wieder schaltet man damit kleine Nebenmissionen frei, zu verhindernde Verbrechen in den meisten Fällen.

Watch Dogs, die nächste Generation? Solange man die Grafik auf der PS4 sieht - die Animationen von Aiden, wenn er zentimeterknapp an einem bremsenden Auto entlangschrammt, die Lichteffekte, die dicht an dicht gedrängten Details der Stadtgestaltung - und bedenkt, dass sie noch am Anfang steht, dann vielleicht (sehr subjektiv, ich weiß, Digital Foundry wird das die Tage deutlich gewissenhafter erfassen - etwa hier). Leider nur dann.

Bekanntes Gestell, neue Stadt

Das drumherum gebaute Spielgerüst ist eines der Sorte „guter Kumpel". Kennt man, sieht man immer mal wieder, man hat eine spaßige Zeit zusammen und am Ende keine Probleme beim Abschied, wenn man sich die Hand reicht und lange nicht trifft. Dreidimensionale Open-World-Städte traten einst mit einem Salut der totalen Freiheit an. Inzwischen tun sie das Gegenteil mit ihrer weitestgehend identischen Systematik, je nachdem, wie gut sie die verstecken.

Egal ob zu Fuß oder im Fahrzeug - Chicago ist wunderschön anzuschauen.

In Watch Dogs markiert man genauso Symbole für Haupt- und Nebenmissionen auf einer Karte, weiß spätestens nach dem zweiten Mal ziemlich genau, was einen erwartet. Schaltet mit Funkantennen (= Aussichtspunkten) mehr Symbole frei, mehr Minispiele, mehr sofort verfügbaren Spaß, mehr von allem, damit man möglichst lange in dieser Welt verweilt. Man kauft Waffen, Teile für Störsender oder bewegungssensitive Sprengkörper, Medikamente, Hacking-Tools gegen Polizei-Scans, dies und das. Man tut vieles davon halbherzig, hat für den Moment Spaß, aber wenn man das Spiel liegen lässt und einen Monat später wieder aufnimmt, wer hat da abseits des Kleinkleins noch Erinnerungen an etwas Großes?

Watch Dogs ist ebenso schematisch, wie es wunderschön anzuschauen ist, genauso ungeniert unterteilt, wie es Spaß macht, dieser klaren Linie über viele Stunden zu folgen. Es ist Candyland mit Eimern voller Süßem und Fettigem. Jeder kann überall etwas unternehmen, etwas erleben, ein Hütchenspiel hier, ein Trinkspiel da. Es gibt keinen Leerlauf im wörtlichen Sinne, nicht für wen das Wort gleichbedeutend ist mit „40 Stunden Beschäftigung bis zur 100-Prozent-Marke". Im spielerischen Sinne dann doch irgendwann, wenn man das vierte CTOS-Kontrollzentrum auf nahezu identische Weise betritt und hackt. Erst danach könnt ihr in dem entsprechenden Viertel Passanten scannen oder Ampeln manipulieren, um flüchtige Verbrecher aufzuhalten. Vorher habt ihr keinen Zugriff auf dieses zentrale Computersystem, mit dem praktisch alles Elektronische gesteuert wird, von Kameras bis hin zu plötzlich hochschießenden und Kühlergrille verbeulenden Pollern.

Hinter diesem etappierten, spielerisch letztlich bedeutungslosen Fortschritt versteckt Watch Dogs das sklavisch an die offene Welt gekettete Drumherum. Macht die Karte auf und markiert Gang-Konvois, bei denen ihr einige Wagen irgendwo entlang ihrer Route abfangen und sprengen müsst, oder Checkpunkt-Rennen. Man kann digitale VR-Spiele ausprobieren und sich verlieren in Parkours-ähnlichen Münzsammeleien voller dicker, liebevoll in diesen Cyber-Trip eingeschleuster Retro-Pixel. Es gibt eine Carmageddon-inspirierte Highscore-Raserei durch ein apokalyptisches Chicago oder bodenständiges Schach, falls euch der Sinn danach steht. Ubisofts neue Marke ist ganz offensichtlich ein Produkt vieler um Ideen nicht verlegener Menschen, die in Hundertschaften dieses Monstrum fütterten. Der eine hinterlässt markantere Abdrücke im zerfurchten Asphalt Chicagos, der andere weniger, der dritte gar keine - so ist das wohl bei einem Projekt dieser Größenordnung.

Es gibt viele Minispiele und Gimmicks, etwa das Saufspielchen hier...

Es gibt Audiologs und Kisten und scanbare QR-Codes zum Sortieren und Anhören und Sammeln und Freischalten neuer Missionen, all die Dinge, die man hundertmal sah, tat und abhakte. Auch hier wieder: Das ist keineswegs schlecht, unterhaltsam in den meisten Fällen, eine Beschäftigung in jedem Fall, aber die neue Hardware-Generation... warum rüttelt sie nicht mal ein bisschen am Festgefahrenen? Es wäre der perfekte Startpunkt gewesen, vor allem mit diesem Spiel.

Soviel man tragen kann

"Wieso sollte man mit Minispielen Geld verdienen wollen, wenn man die Konten der Passanten plündern und bei jedem Tausende Dollar abzapfen kann?"

Ubisoft nimmt einigen Beschäftigungen einen sich aus dem natürlichen Spielgeschehen heraus ergebenden Sinn. Wer die 100% knacken will, klar, los, macht, passt! Es gibt mehr als genug zu tun. Aber wieso sollte man Hütchenspiele oder andere Dinge probieren wollen und damit Geld verdienen, wenn man die Bankkonten der Passanten plündern kann? Später, mit einem entsprechend verteilten Punkt im „Hacken"-Fertigkeitenbaum, sind pro Person ein paar tausend Dollar drin. Man könnte sich ja glatt schlecht fühlen beim Beklauen von jemandem, der laut Scan Antrag auf Insolvenz gestellt hat, aber es bleibt nur ein Moment unter vielen. Und letztlich bedeutungslos.

Bei einem Autoklau plündert Aiden fast jedes Mal das Handschuhfach und schnappt sich die Scheine. Das ist Pflücken der Kohle wie reife Früchte, ein sechsstelliger Kontostand in einer halben Stunde. Wohin damit? Watch Dogs enttarnt und entwertet sich hiermit ein Stück weit selbst. Ich hatte nach dem Finale eine Viertelmillion auf der hohen Kante und nach dem ersten Drittel nie wieder den Gedanken, irgendwas kaufen zu wollen. Autos vielleicht, oder Waffen... hmm, kriegt man alles auch so.

... oder diesen Carmageddon-Verschnitt, der sehr viel Spaß macht.

Zusammen mit den knapp 40 Hauptmissionen ist das schierer, lange ans Pad bindender Content, so verteilt, dass immer etwas „um die Ecke" ist. Und damit zieht dieses Chicago an seiner Oberfläche deutlich konservativere Bahnen, als man es sich mit der neuen Hardware gewünscht hätte. All die Arkhams und Prototypes, Assassin's Creeds und inFamous' waren hierin mal besser oder mal schlechter.

Watch Dogs will dort unbedingt hinein in die Jahrmarktkette voller Brüllbuden, und das einfach nur, weil sich diese Art von Spiel leichter verkauft. Es steht ihm gut zu Gesicht, wenn man entlangfährt vor imposanten gläsernen Wolkenkratzern, Curtis Mayfield im Radio, oder in der Provinz Chicagos schiefe Anglerstege betritt, an denen sich die Wellen brechen. Es sind diese Eindrücke, die man nach dem spätabendlichen Abschalten der Konsole zum Schafezählen mitnimmt. Was die Gestalter der Spielwelt hier in Handarbeit leisteten, lässt sich kaum in Gold aufwiegen.

Welcher Weg darf's sein?

Die Prämisse des Spiels - „Nutze die Welt, wie du willst" oder „Hacken ist deine größte Waffe" - funktioniert. Es sind im Endeffekt zwar nur einfache Mausklicks und das Hacken von Routern gestaltet sich als schlichtes Minispiel wie in Bioshock. Ihr müsst bloß Knotenpunkte so hindrehen, dass ein Datenfluss von A nach B gewährleistet ist, was mit ein wenig Probieren immer zu schaffen ist - so richtig nach brisantem High-Tech-Vandalismus fühlt sich das nicht an.

Fast jeden Abschnitt kann man auf mehrere Arten spielen: schleichend oder ballernd zum Beispiel.

Doch man bekommt ein angemessenes Gefühl für die Möglichkeiten des interkonnektiven CTOS-Systems. So gut wie jeder Schauplatz lässt sich von zwei Seiten betreten, etwa mit einem Lift übers Dach oder über die Stelle im Zaun, an der der Stacheldraht weggebrochen ist. Woanders springt man von einer Kamera zur nächsten und beschafft sich Informationen aus einer Basis ohne eigene physische Präsenz. Getränkeautomaten rattern zur Ablenkung, geworfene Köder ebenso.

Mitsamt des beeindruckenden Waffenarsenals und des Fertigkeitenbaums entstehen kleinere Parcours, in denen sich nach Herzenslust auszutoben richtig Spaß macht. Hier die Granate einer Wache scharfstellen und beim distanzierten Blick durch die Kameralinse loskichern, dort eine Funkübertragung stören und hinter die Kiste schnellen. Seltener darf man mal einen Container auf zwei Ahnungslose fallen lassen, ansonsten gibt es eine reichhaltige Bestückung der Level mit Gabelstaplern, Solarmodulen und anderen Objekten, die Ablenkung oder Deckung spenden. In beliebiger Reihenfolge, wenn man es clever angeht.

Und welches Auto?

Die Fahrzeuge steuern sich recht locker und intuitiv, nicht wie eine Kuh auf Glatteis. Ich mag das gern und hab dagegen keine großen Abneigungen, also wieso nicht? Merkwürdig ist das Physikmodell, wenn ein kleiner Rempler den im Weg stehenden Wagen mehrere Meter weit zurückwirft. Aber gut, bei der Polizei nimmt man auch das billigend in Kauf. Watch Dogs folgt einem mehrstufigen Verfolgungssystem wie GTA, mit gegen Ende der Skala dermaßen aufdringlichen Cops, dass Wutanfälle zu sehr verlässlich auftauchenden Begleitern werden.

Das Verkehrssystem lässt sich gegen Verfolger richten, die dann solche Unfälle bauen, während die Kamera zurückfährt.

"Die Cops sind wahnsinnige Bluthunde, die euch rammen und widerlich aggressiv von der Strecke drängen, ohne einen Gedanken an ihre eigene Gesundheit zu verschwenden."

Diese Typen sind wahnsinnige Bluthunde, die euch rammen und widerlich aggressiv von der Strecke drängen, ohne einen Gedanken an ihre eigene Gesundheit zu verschwenden. Ihr könnt Tools benutzen, um ihre Scans im Keim zu ersticken, falls es denn klappt, oder euch - ziemlich cool - in einer abgelegenen Gasse verstecken, den Motor abschalten und hoffen, dass sie vorbeifahren. Aus dem Auto zu schießen, das geht nicht, was besonders die Verfolgungen mühselig machen kann, wenn man sich recht bald an Ampelchaos und explodierenden Rohrleitungen sattgesehen hat. Eine Möglichkeit wäre, den Flüchtenden zu überholen, 200 Meter zu fahren, auszusteigen und mit dem Granatwerfer zu warten. Aber einige von denen sind gebunden an ihre Programmierung, die euch nie näher als 30 Meter an sie herankommen lassen, also war es das mit der riesigen Freiheit.

Überhaupt, die Missionen. Ich kann mich zwar nur an wenige ganz große Momente erinnern, aber sie sind gelungen und niemals langweilig. Dennoch teilt Ubisoft die Auffassung, sie müssten brisant sein, gefährlich, es müsse immer um etwas gehen. Ausnahmen wie die Geburtstagsparty von Aidens kleinem Neffen bleiben aus diesem Grund genau das - warum nicht mehr davon? Meist sind die Versatzstücke „Hinkommen", „Eindringen", „Irgendwas hacken oder klauen", „Irgendwen finden", „Verfolgen", „Entkommen". Das ist schon nicht so wenig und die Mischung letztlich eine gute, fragt mich allerdings nicht in einigen Monaten nach etwas Speziellem.

GTA 5 etwa hatte genug Zeit fürs Alltägliche, kleine, banale Missionen, die dazu dienten, Michael näher an seine Familie heranzurücken - oder sie zu zerfasern. Diese Geduld bringt Watch Dogs in Maßen leider nur für seine Statisten auf, Drogen einschmeißende Bauarbeiter, die sich in der Ecke neben einem Dixiklo übergeben, oder das dumme Geschwätz seiner Kollegen. Nehmt euch beim Spazieren Zeit und ihr hört, wie viel Mühe in den Audioaufnahmen der Umgebungen steckt.

Zur Not ballert man halt. Watch Dogs ist auch ein sehr solider Third-Person-Deckungs-Shooter.

Und irgendwo darunter stecken ganz persönliche Highlights, dieses „Ach, es hätte alles so wunderbar werden können". Etwa wenn man in einer Schießerei aus Versehen einen Verteilerkasten zerfetzt, die nahen Straßenzüge in Dunkelheit hüllt, im Hintergrund Reifen quietschen und Autos unter funkensprühenden Ampeln ineinanderkrachen, während der umkämpfte Parkplatz zur Nebensache wird inmitten dieser Naturgewalt. Oder wenn man vor den Cops zum Treppenaufgang einer S-Bahn flieht, sich oben noch einmal kurz umdreht, den Helikopter mit einer Granate vom Himmel holt und in letzter Sekunde in Waggon verschwindet. Da spürt man einen Funken Magie, der Rest ist gute Unterhaltung.

Am Ende sind es solche Momente, für die man Watch Dogs mag, ein so ambitioniertes Spiel, das trotz aller Mühe nie vollends da ankommt, wohin es wollte. Das seinen gut gestalteten Missionen nur wenige komplett verachtenswerte untermischt und sonst kaum etwas halsbrecherisch falsch macht. Eines, das aber auch zu bequem ist, zu Beginn der neuen Generation nur einen müden Finger zu rühren und zu zeigen: Dort, dort geht es lang mit offenen Welten. Was Ubisoft hier mit millionenschwer beladenem Buckel präsentiert, ist mehr ein Best-of thematisch verwandter Spiele, eine über alle Maßen unterhaltsame, hochwertig produzierte, quer durch die letzten Jahre „Open-World" pflügende Diashow. Ich kann nicht behaupten, dabei nicht ein paar Mal sehr zufrieden und glücklich geseufzt zu haben. Doch manchmal ist das eben nicht genug.

7 / 10

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In diesem artikel

Watch Dogs

PS4, Xbox One, PS3, Xbox 360, Nintendo Wii U, PC

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Sebastian Thor

Freier Redakteur - Eurogamer.de

Steht auf Bier und Bloodsport. Mag weiche Sofas und verliert sich gern in Gedanken an dies und das. Seit 2014 bei Eurogamer dabei, aktuell als freier Redakteur.

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