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Far Cry Classic - Test

Heute noch ganz nett. Und was habt ihr so in den letzten zehn Jahren getrieben?

Es ist erstaunlich, dass sich ein zehn Jahre alter Shooter so gut gehalten hat. Aber die Welt hat sich halt doch etwas weitergedreht.

Entschuldigt bitte diesen kleinen Ausbruch: Mann, 2004, was für ein Jahr in Sachen Computerspielgrafik! Während id Software bis in den Sommer hinein an seiner mondseitig gelagerten Grafikbombe bastelte, hatte das Frankfurter Studio Crytek mit seinem Debüt im April längst die Lunte runtergebrannt. Und wie dieses Far Cry aussah. Mit Ach-jas und Huiiis ging es durch bewegte, dichte Vegetation, satte, malerische Farben, die landschaftlichen Höhenunterschiede, das kristallklare Wasser und seine ans Ufer schwappenden Wellen.

All das ist heute Standard, aber vor zehn Jahren, da war es vergleichbar mit den leuchtenden Augen eines Sechsjährigen, der durch ein Spielzeugparadies tobt. "Boah, das kann ich alles anfassen und ausprobieren!? Alles so bunt. Alles da. Gib her!". Nur dass Kinder selten 400 Euro zur Verfügung haben, und wenn, dann fiele ihnen hundertmal Sinnvolleres ein, als damit eine Grafikkarte zu kaufen.

Das tat ich damals, keine Ahnung, wie sie hieß oder welches Modell es war. Jedenfalls stützte sie den Gang in diese neue Welt, von der man inzwischen so richtig sagen kann, wie weit sie an der reinen Oberfläche ihrer Zeit voraus war. Den groben Rahmen für Spielgrafik, wie wir sie heute kennen, bog Crytek seinerzeit so weit wie möglich. Fünf Jahre zuvor bestanden Spiel im Grunde aus einfach texturierten Polygonen mit simpler Beleuchtung, die abseits der Lichtgebung nicht mehr Zweck hatte, als Grafikelemente abzurunden. In der Inselwelt aus Frankfurt dagegen war jede Ecke mit einfach allem voll. Sämtliche Effekte und Gimmicks, die vorher schon existierten, fanden sich hier wieder. Niemand hatte es sich bis dato getraut, diese Fülle so weit zu optimieren, dass man alles in eine Szene stopfen konnte.

Die Konsolenversion sieht leider nicht so gut aus wie ihr zehn Jahre altes Gegenstück. Das Wasser erinnert zum Beispiel eher an das in Far Cry Instincts: Predator.

Rundungen, weiche Hügel, Tiefenwirkung in den Oberflächen und all die Sachen, die heute zum guten Ton gehören. In den Folgejahren und -spielen kamen besonders Filter dazu, Farb- und Kontrastkorrekturen, Level-of-Detail-Anpassungen, HDR und solches Zeugs, über das unsere englischen Kollegen von Digital Foundry deutlich besser referieren können als jeder Einzelne von uns. Sagen wir einfach, der Unterschied zum aktuellen Status quo ist nicht so bedeutend wie der zwischen Far Cry und dem ersten Call of Duty, das nur wenige Monate zuvor erschienen war.

Es ist also nicht wahnsinnig verwunderlich, dass ich letzte Woche - mit Far Cry Classic für Xbox 360 vor Augen - im ersten Moment so etwas wie "Gar nicht mal schlecht" vor mich hin murmelte. Ich wollte ihm zuerst am liebsten den bequemen Stuhl vorenthalten, den man gebrechlich gewordenen Bekannten anbietet, wenn man sie nach Jahren wiedersieht. „Hast du nicht nötig, Far Cry, falls ich dich in deinem Alter noch duzen darf", das wollte ich sagen. Aber meine Augen sind nicht sehr anspruchsvoll, was durch einen Blick auf PC-Version noch mal bestätigt wurde. Sucht ihr durchgehend weiche 60 Bilder pro Sekunde, habt ihr das zehn Euro teure Urlaubsticket für die Konsole umsonst gelöst. Sind vereinzelte Ruckler oder Pop-ups für euch ein Problem, dann bäh, lasst es, kramt lieber die PC-Version und einige Mods hervor. Sichtweite, Detaildichte der Pflanzen, Explosionseffekte und ähnliches - alles unterhalb der PC-Qualität. Ist das ein K.o.-Kriterium für euch, machen wir hier Schluss. Ab nach Hause.

Trotzdem: Ich konnte damit leben.

"Sind vereinzelte Ruckler oder Pop-ups für euch ein Problem, dann lasst es und spielt besser noch einmal die PC-Version."

Das eigentliche Spiel dahinter zeichnet eine Wanderung, die nie richtig stattfinden durfte, sieht man von Ubisofts Fortsetzungen oder dem ersten Crysis ab. Wo viele Shooter heutzutage ihren Blick verengen auf Gänge, in denen man über seine eigenen Füße stolpert, ließ Far Cry euch die Wahl, wie man zum Ziel kommen wollte. Nicht überall, nicht immer so, wie man es sich gewünscht hätte, aber oft genug, und das sorgt selbst heute noch für einen weitgehend angenehmen Spielrhythmus. Den meisten Arealen kann man sich von mehreren Seiten nähern, nachdem man mit dem Fernglas die Lage sondiert, sich versichert, wie viele Gegner im Camp verweilen und welcher Punkt der beste für einen Angriff ist. Es ist eine halbwegs offene Spielweise und -wiese, zumindest soweit sich das in unserer historisch verzerrten Perspektive beurteilen lässt. Ich hatte letzte Woche jedenfalls meinen Spaß mit der Xbox-360-Version, und davon mehr, als ich geglaubt hätte.

Wirklich mies ist aber auch was anderes. Kann man sich heute durchaus noch ansehen.

Cryteks Interpretation der Insel des Monsterdoktors schleppte nach dem ersten Drittel nicht nur gefräßige Mutanten an, sondern auch Söldner mit Röntgenaugen. Es ist schön, dass sie nicht immer hinter demselben Baum hervorschnellen und ihre Bewegungsabläufe variieren, mal von der einen Seite aus angreifen, mal von der anderen. Aber dass sie euch selbst im hüfthohen Gras liegend sehen, aus hundert Metern Entfernung, in finsterster Nacht, das ist... befremdlich. Der Schlag in den Nacken sitzt, wenn man nicht aufpasst. Oft genug kassierte ich direkt nach dem Neuladen (nur Speicherpunkte, keine manuelle Funktion) einen Treffer, weil das Spiel den ungünstigsten Augenblick zum Sichern wählte.

"Das Spiel holt euch öfter mit aller Härte zurück ins Jahr 2004."

Es holt euch hier mit aller Härte und scharfen Kanten ins Jahr 2004 zurück, und das können entmutigende Momente sein. Damals konnte man sich nicht mal eben hinterm Busch selbst den Defibrillator ansetzen und die Kugeln aus dem Pelz schütteln. Heilpakete und Rüstung sind der klassischste Weg in Richtung der Wurzeln. Eine raue Umarmung für jeden, der dieses einst so schimmernde Genre vielleicht erst mit Activisions wuchtiger Massenklatsche kennenlernte.

Früher war alles besser? Kommt auf eure Vorlieben an, und Far Cry ist auf gewisse Weise ein Gradmesser, ob es heute noch dieselben sind wie damals. Wir sind verweichlicht, seien wir ganz ehrlich. Das Spiel kann dafür nur bedingt etwas. Auch für den Zeitzahn, der an ihm nagte, kann es nichts. Passiert. Es bleibt eben bei einem zehn Jahre alten, stellenweise sehr holzköpfigen Shooter.

Das Spiel wechselt öfter zwischen Tag- und Nachtabschnitten, Innenräumen und weitläufigen Außengebieten.

Die Geschichte? Im besten Fall eine nette Hommage an Monsterinselfilme mit Urzeitechsen und Experimenten, aber auch ideenlose Verschleppung - wenn es nur nicht so schön ausgesehen hätte. Kreative Kante zeigt das Teil zu keiner Zeit, bleibt stattdessen beliebig und plump in seiner Charakterisierung der handelnden Figuren. Wofür man wie lange und wie stark irgendwo herumballert, ist egal. Ist einfach nicht wichtig, denn... nun ja... die Grafik ist es halt. Die eingeschobenen Bunker und Labore, sie sind langweilig und durchzogen mit den simpelsten Sicherheitskartenspielereien, die das Genre seit Ewigkeiten mit sich herumschleppt. Auch Far Cry hatte das, was im kollektiven Gamer-Gedächtnis inzwischen unter „Schläuche" abgeheftet ist - nur sehen diese heutzutage deutlich besser aus.

Es war nicht alles nur schön und offen und toll, auch wenn man das damals ein wenig unter den Teppich gekehrt hat - heute merkt man es diesem mit Abstrichen spielenswerten Shooter umso mehr an.

Und dennoch, wir sprechen hier nicht von Half-Life 2, das weit über zeitliche Trends hinaus Bestand hat. Cryteks ballastfreier Erstentwurf des offenen Shooters verheizt nicht alle seine Gegner wie in der Schießbude. Stattdessen lässt er euch in den meisten Abschnitten machen und versuchen. Danach beobachten und ausrasten, wenn euch mal wieder ein Söldner auf hundert Meter Entfernung hinter dichtem Gebüsch zwischen die Augen schießt. War schon seinerzeit nicht immer gut. Ist es heute noch viel weniger. Zusammen mit der nicht optimalen technischen Qualität dieses späten Konsolenports bleibt die Erinnerung an eine rückblickend doch sehr einfältige Diva, die damals Wörter wie "Bump-Mapping" buchstabierte, bevor andere Spiel-Engines das Lesen erlernten. Erstaunlich, dass das Wiedersehen mit ihr unter den gegebenen Bedingungen im Jahre 2014 noch irgendwie und mitunter ganz schön viel Laune macht.

6 / 10

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