Another Code: Recollection im Test - Das schönste Mystery-Buch des Winters findet ihr auf der Switch
Entschleunigtes Rätseln.
Ashley Mizuki Robins macht sich nach rund 20 Jahren wieder einmal auf die Suche nach ihrem Vater. Dieses Mal gleich doppelt auf der Switch. Überraschenderweise legt Nintendo morgen die Spiele in der Another Code: Recollection auf, denn das erste Another Code wurde 2005 für den Nintendo DS und das zweite Another Code: R 2009 für die Wii von dem kleinen Team "CiNG" entwickelt, das heute nicht mehr existiert. Noch erstaunlicher ist, dass beide Spiele von Grund auf neu überarbeitet wurden. Nicht nur 3D-Modelle, Umgebungen, Rätsel und Zeichnungen, sondern auch die Kameraperspektive hat sich verändert.
Allein über die Blood Edward Insel, gemeinsam am Lake Juliet
Am beeindruckendsten dürften die Rätsel sein, die ihr zwar thematisch aus dem Original wiedererkennen werdet, die allerdings vollständig auf die neue Hardware angepasst wurden. Egal, ob ihr mit den Joycon Klavier spielt, euch durch ein kleines Schachtel-Labyrinth manövriert oder die Switch dazu nutzt, um einen festhängenden Gegenstand aufzurütteln. Die Hardware beim Rätseln aktiv zu nutzen, macht einfach Spaß – und einen guten Eindruck, denn trotz Neuerungen behält die mitreißende Geschichte eine dichte Atmosphäre und ihre vielen emotionalen Augenblicke. Auch die Schauplätze und der ruhige Soundtrack tragen zwar unterschwellig, doch sehr effektiv dazu bei, die Atmosphäre beider Spiele richtig zu untermalen.
Nicht so gelungen ist hingegen die neue Kamera, die sich beim ersten Spiel in kleinen Räumen und engen Passagen gerne mal verhaspelt. Sie wechseln unerwartet von dritter Person in die erste. Da wir Ashley durch einige Gänge navigieren müssen, zieht sich das durch lange Teile des ersten Spiels. Dass die Kamera aber von der Top-Down-Perspektive der DS-Version in wahlweise die dritte Person wechselt, die der Protagonistin heimlich über die Schulter schaut oder eben in die erste Person, befürworte ich aber generell schon sehr. Im zweiten Spiel ist die Kamera kein Problem mehr und das ist ja auch deutlich länger.
Deshalb war die Perspektive zum Glück nur ein kleines Ärgernis, das eine so sympathische Hauptfigur wie diese schnell wieder vergessen macht. Ashley beweist durchgängig einen ganz besonderen Charm, der mich an die Popkultur meiner eigenen Jugend erinnert: Bands, eine komplizierte Familienstruktur, Coming of Age, Liebesgeschichten und immer eine leichte Melancholie in Ashleys Stimme. Das alles erinnert an die Subkulturen der 2000er und ja, man könnte Ashley schon das 'Emo'-Label zuordnen. So eine Hauptfigur empfinde ich als einzigartig und gleichzeitg konnte ich mich gut im ihr identifizieren. Erinnert von der Beschreibung zwar an Max Caulfield aus Life is Strange, aber zeigt schon einen anderen Charakter. Zum Beispiel bieten auch ihre binationale Erfahrungen eine besonders seltene Projektionsfläche für Spielerinnen und Spieler.
Übrigens: Falls ihr euch jetzt noch kein richtiges Bild zur Atmosphäre machen könnt, oder noch nicht wisst ob euch die Dialoge in der Form wirklich stören oder nicht - dann schaut doch gerne mal ins obige Video! Dort seht ihr nicht nur das vielfältige Gameplay oder hört auch mal, wie das Spiel klingt, sondern könnt euch selbst ein Bild davon machen, ob euch die Grafik und Technik gefällt.
Während der erste Teil euch vier bis fünf Stunden zu unterhalten weiß, obwohl er am Ende etwas in Erklärungen abschweift, kämpft der zweite Titel wegen des neuen Gebiets etwas mehr mit dem Tempo. Die nun 16-jährige Ashley Mizuki Robins findet am Lake Juliet weiterhin eine Menge Mysterien, darf dabei aber nicht mehr so viel rätseln. Das passt zu ihrer Pubertät, in der sie sich lieber mit Erkundungen, ihren Gefühlen und neuen Figuren beschäftigt. Leider bietet das recht große, neue Gebiet nicht so viele Erkundungsmöglichkeiten, wie erwartet und kommt daher nicht so ausgewogen, die der erste Teil daher.
Es gibt sammelbare Kraniche, die in ihren gut gewählten Verstecken kleine Anekdoten oder Hintergründe zur Welt erzählen und versuchen gegehn diese Leere zu arbeiten. Aber auch sie können die langen Wege, die Ashley im zweiten Spiel in über zehn Stunden zurücklegt, nicht ausgiebig füllen.
Das zweite Spiel, das hierzulande unter dem vollständigen Titel "Another Code R: Die Suche nach der verborgenen Erinnerung" für die Wii erschien, konzentriert sich also mehr auf die Figuren, als auf die Rätsel. Dass es dabei die Haupthandlung vernachlässigt, würde ich nicht sagen, allerdings tritt diese durch die gestreckte Spielzeit in den Hintergrund. Die Spielelemente untermalen eher die langen Dialoge und weitläufigen Erkundungen. Diese wären in einer detaillierteren Grafik und befüllteren Welt vielleicht positiver herausgestochen. So wirkt das zweite Spiel doch ziemlich veraltet.
Das muss aber nicht zwingend schlecht sein. Gerade wenn man auf entspannte Spiele steht, die bei inneren Monologen auch gerne mal ausholen dürfen, erzeugt der Stil eine passende Erfahrung. Melancholie spielt eine große Rolle und die kann in diesen Schauplätzen besonders gut wirken. Etwas schneller und schockierender wird es am Ende dann übrigens auch nochmal. Die Auflösung des zweiten Teils schließt diese Kollektion auf der Nintendo Switch für mich außerdem zufriedenstellend ab. Die geschliffenen Figuren und der Soundtrack, welcher die Stimmung stetig gekonnt untermalt, sonst allerdings nicht weiter auffällt, wissen ebenfalls zu überzeugen.
Und auch sonst ist das Gameplay gut gelungen: Zwar sind die Rätsel nicht sonderlich schwer, aber wenn ihr mal den Faden verliert, dürft ihr auf Orientierungshilfen im handgezeichneten Menü zurückgreifen. Insgesamt spielt sich die Recollection, weil der zweite Teil so lang ist, wie ein interaktiver Roman mit spannenden Mysterien, mit denen man selbst gerne interagiert. Darauf muss man gefasst sein. Die Entschleunigung hat mir beim ersten Test des Jahres ziemlich gutgetan. Gerade die Längen des zweiten Spiels habe ich manchmal sogar genossen.
Another Code: Recollection - Fazit
Die zwei Another Code Spiele sind ein gutes Beispiel für eine gelungene Modernisierung. Die Hardware wird nicht nur genutzt, um das Visuelle aufzufrischen, die Rätsel binden die Funktionen der Switch ebenfalls gekonnt ein. Diese sind schlau gestaltet und machen Spaß, sind allerdings nicht besonders schwer. Der Fokus liegt eben auf der Geschichte, die sowohl durch die Schauplätze, als auch durch zahlreiche Gespräche erzählt wird. Jede neue Entdeckung wirkt maßgeschneidert und spannend. Dass Ashley Mizuki Robins eine sympathische Protagonistin ist, hilft dem gesamten Erlebnis ungemein. Gerade das erste Spiel verbindet alle Elemente zu einem beinahe perfekten Mystery-Adventure.
Die zweite Geschichte lässt nach, weil sich die Perspektive von einer isolierenden Atmosphäre mit vielen Rätseln zu einer offeneren Welt mit einigen Erkundungsmöglichkeiten verschiebt. Das wäre eigentlich nicht schlimm, denn die nun pubertierende Ashley, der größere Cast an Figuren und das Mysterium am Campingplatz sind eine spannende Vorlage. Leider funktioniert die Mischung der einzelnen Elemente aber nicht mehr so gut, weshalb sich einige lange Passagen einschleichen. Wenn man weiß, dass sich die Spiele eher wie interaktive Bücher anfühlen, bereichert Ashley Mizuki Robbins mit ihrer Kollektion insgesamt den sich seinem Ende nähernden Lebenszyklus der Nintendo Switch trotzdem. Insbesondere Fans der alten Spiele werden dank der zahlreichen Neuerungen auf ihre Kosten kommen.
Another Code: Recollection | |
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