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Cyberpunk: Von Blade Runner zur Human Revolution

Ein Blick auf die spielerische Seite des sanften Weltuntergangs

Burn Cycle (1994)

Das Besondere an Burn Cycle ist nicht die nette Geschichte um einen Datendieb, der das Falsche stahl und jetzt nur noch zwei Stunden hat, um in den Zukunftskonzern einzudringen und sein Leben zu retten. Es sind auch nicht der atmosphärische, treibende Soundtrack oder die netten FMV-Sequenzen, in denen die zwei Stunden in Echtzeit ablaufen. Es ist die Tastsache, dass dies ein richtig gutes Spiel auf dem CD-i ist! Es gab eines! Dieses! Und ja, es revolutionierte nichts, aber die schiere Tastsache eines Games auf dieser "Konsole" erschütterte schon zutiefst. Die PC-Version könnt ihr euch heute noch zu Gemüte führen, aber erwartet keinen Spaziergang dabei, das Ding unter DOS-Box zum Laufen zu bringen. FMV-Spiele sind die Hölle, was das angeht.

Hell: A Cyberpunk Thriller (1995) & Ripper (1996)

Über Hell: A Cyberpunk Thriller würde ich gerne was erzählen, es schien nämlich ein interessantes und ziemlich abgehobenes Setting zu haben, aber es lief bei mir schon damals nicht und auch mit DOS-Box bin ich erst kürzlich gescheitert. Also zum Ripper. Alle klassischen Elemente sind vorhanden, die Städte sind verwinkelt, die Polizei in privater und - noch schlimmer - Christopher Walkens Hand und der eigene Charakter ist der Marlow-Prototyp, diesmal als Reporter. Aus dem natürlich gut etablierten Cyberspace mit Websites mordetet ein mysteriöser Killer, was in einer traditionellen Wer-war-es-Story mündet. Ein gutes Adventure, teilweise extrem knifflig und mit einem Staraufgebot, das heute noch vieles in den Schatten stellt.

Deus Ex (2003) und Deus Ex: Invisible War (2003)

Ich gehe an dieser Stelle nicht in der Tiefe auf diese beiden Spiele ein, weil der Platz des Artikels allein dafür herhalten müsste. Deus Ex bot das Szenario einer Welt im Umbruch, in der eine Krankheit große Teile der Menschheit ausrottete. Die Suche nach dem Heilmittel entpuppt sich als Entdeckungsreise tief in die feinen Zahnräder der Welt, hinter die Kulissen und zur Frage der Identität des wahren Selbst von JC Denton.

Die Geschichte verbindet alle Elemente des Cyberpunk, erhebt sie aber nicht zum Hauptthema, sondern schafft in ihnen eine eigene Vision der Erzählweise von Science Fiction. Entscheidungen und Konsequenzen waren schon damals das große Motto von Warren Spector und in keinem Spiel davor oder seitdem kam er diesen Zielen so nah.

Es ist eine der tiefgehendsten, ausgearbeitetsten und überzeugendsten Erzählungen in dem Genre, die mit den Besten der anderen Medien wie Film oder Buch konkurrieren kann. Über keines dieser Spiele hier würde ich das sonst sagen. Und leider auch nicht über Invisible War, obwohl dessen Storyline die des Vorgängers durchaus spannend weiterführte. War Deus Ex jedoch nicht nur inhaltlich, sondern auch spielerisch ein stimmiges Gesamtkunstwerk, patzte Invisible War in diesem Feld leider ganz schön. Das von Anfang an auf Konsole und PC ausgelegte Spiel schien auf keiner Plattform so richtig zu Hause zu sein und so wurde der Nachfolger ein wenig zu Unrecht, aber nicht ganz ohne Grund arg verschmäht.

Metal Gear Solid (1998 - 2010)

Metal Gear Solid? Cyberpunk? Aber sicher. Die Zukunft, deren Wirtschaft nur noch von kontinuierlichen Kriegen aufrechterhalten wird, die mit immer mehr High-Tech und Cyberware von privaten Armeen geführt werden, kann man wohl durchaus als passende Stimmung bezeichnen. Die Figuren sind beinahe zerbrochene Randgestalten außerhalb der "normalen" Gesellschaft, Snake selbst der perfekte Loner mit mehr als genug futuristischem Spielzeug.

Der Aufbau der Handlung über die Spiele ist dabei besonders interessant, da es zurückgeht bis zu den Ursprüngen der gedanklichen Bewegung, auf denen der ursprüngliche Cyberpunk der 80er Jahre basiert. MGS3 und Snake Eater reichen bis in die 60er Jahre zurück, einer Zeit, in der die Counterculture-Bewegung der USA ihre Hochzeit feiert, um dann in teilweise mehr gefühlter Ohnmacht und Einzelaktionen zu erstarren. Der Weg durch die 70er und 80er führt immer mehr zu einer Vision von einer Zukunft, in der Nationen nur noch bedingt eine Rolle spielen und eine Art Mega-Kapitalismus diese Kontrolle in die Hände privaten und Konzern-Geldes legt. Der gedankliche Schritt aus der Reagan-Ära zu den Straßenschluchten von Chiba war dann nur ein kurzer.

Die Zukunft in den Metal Gears weicht vielleicht ein wenig von der ganz klassischen Lehre ab, Snake mag nicht der typische Film-Noir-Trenchcoat sein, aber gerade deswegen ist diese Serie eine große Bereicherung des Genres.

2003 - 2010: Die Jahre seit Deus Ex

Jenseits von Metal Gear Solid ist nix los im Genre, könnte man sagen. Anleihen finden sich häufiger, aber ein richtiges Cyberpunk-Spiel findet sich kaum. Schon gar kein gutes. Im weitesten Sinne könnte man die Handlung der Matrix dazuzählen, aber hier schmerzte einfach jedes der Games, egal wie hoch der Produktionsaufwand war.

Auch die MMOs Neocron und Neocron 2, die zwar den Kern den Genres ziemlich gut trafen, konnten als Spiele leider keinen hinter dem Ofen vorlocken. Lahme Cyberspace-Fights, noch drögere sonstige Kämpfe. Weitestgehende Zeitverschwendung. Da es das auch schon so ziemlich war, kann man verstehen, dass die Entwickler von Deus Ex: Human Revolution ihr Werk nicht als Cyberpunk sondern als Cyber-Renaissance betiteln. Ein Kunstwort, aber kein schlechtes, könnte das Spiel doch dem Setting wieder auf die Sprünge helfen und bedient sich dabei doch Themen der Renaissance. Wir haben einen Raymond-Chandler-Charakter in der Hauptrolle, eine Welt im gesellschaftlichen Umbruch, die eine gedankliche Weiterentwicklung aktueller Trends darstellt, und jede Menge Kämpfe mit Cyber-Tech. Sollte es jetzt noch gelingen, die vielschichtigen Qualitäten, seien es die Handlungstiefe oder die Entscheidungsfreiheit, des ersten Teils aufleben zu lassen, dann von mir aus: Möge die Cyber-Renaissance beginnen!

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