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Data Disc Records im Test: Alte Musik auf altem Medium

So gut klang SEGA noch nie.

Ich gehe jetzt so richtig retro. Ich kaufe mir einen Plattenspieler. Einfach nur, weil es cool ist. Nicht für normale Musik, ich bin schließlich normal und habe dafür einen Walkman. Okay, der ist jetzt nicht mehr ganz das, was es mal war, spielt digitales Hi-Res und kostet so viel wie meine ersten beiden Stereoanlagen zusammen. Nein, der Plattenspieler ist für alte SEGA-Musik. Warum? Weil es einfach schön ist. Irrational, sicher. Dumm? Hm, (Schulterzucken) vielleicht. Aber nicht viel dümmer, als NES-Spiele für Irrsinnspreise zu kaufen, und da ich diesem Hobby dank der Preisexplosionen abgeschworen habe, muss man ja gucken, was man macht.

Meine Objekte der Begierde kamen diese Woche aus England an - und noch musste ich sie nicht beim Zoll gegen Aufpreis abholen, EU sei Dank -, geliefert ganz offensichtlich handverpackt vom kleinen Label Data-Discs. Zwei der Scheiben habe ich gekauft - support your not so local dealer -, die anderen beiden sind Pressemuster. Alle vier sind wundervoll. Hinreißend. Es ist etwas großartig Archaisches, diese Soundtracks - DIESE Soundtracks - in dieser Form in der Hand zu halten. Ich habe alle vier in deutlich umfangreicheren Fassungen in der Musiksammlung, aber darum geht es nicht. Es geht auch nicht nur darum, dass diese Platten besser klingen - was nicht (nur?) dem so oft beschworenen warmen Klang zuzuschreiben ist.

Um das zu erklären, sollte ich wohl dazusagen, dass ich bis heute noch immer wieder mal eine Laserdisc kaufe, oft von Filmen, die ich schon längst auf Blu-ray habe. Für alle Jüngeren, die nicht wissen, was eine Laserdisc ist... Irgendwo gibt es was, das Wikipedia heißt, guckt nach. Bei diesen Käufen geht es um das haptische und visuelle Vergnügen, diese nach heutigen Maßstäben absurden Datenträger zu handhaben, die großen Artworks, die Scheiben selbst. Es ist eine Art von seltsamer Handarbeit, die im Zeitalter von Netflix und Spotify ausgestorben ist. Nicht dass ich diese beiden missen möchte, weiß Gott nicht, aber das hier ist eine Art ursprünglicher Medienspaß, den man hat oder auch nicht. Und Data-Discs gibt sich alle Mühe, dass ich meinen Spaß damit habe.

Erst mal das Technische: Ihr findet Data-Discs hier. Die schlechte Nachricht ist, dass vieles ausverkauft ist, so ist das mit Kleinstauflagen bei Mini-Labels. Aber: Schickt den Jungs eine Mail und fragt. Einzelexemplare sind von einigen der Scheiben noch da. Nachpressungen sind wohl auch möglich, wenn man ein paar Interessenten zusammen hat. Der Versand war schnell - fünf Tage für meine reguläre Initialbestellung - und die Versandkosten mit knapp zehn Euro für zwei Scheiben okay. Die einzelnen Scheiben kosten 20 Pfund, also heute etwa 24 Euro (was sich ja aktuell relativ schnell ändern kann), die Streets-of-Rage-2-Doppel-LP kostet 25 Pfund. Verpackt wird das Ganze sichtbar von Hand, was es irgendwie schon wieder drollig macht. Die OutRun-LP war als einzige professionell eingeschweißt, die anderen steckten in stabilen Klarsichtschutzhüllen, die natürlich viel praktischer sind.

Jetzt zu kurz zu den Soundtracks, die ich hier teilweise bezahlen, allesamt testen und jetzt auch in meiner heimischen Höhle in das Regal der Legenden einsortieren konnte. Das wären Street of Rage 1 und 2, Shenmue und OutRun. Ich war sehr gespannt. Einfach den Soundtrack irgendwie aufnehmen, das haben wir schon damals gemacht. Das Ganze dann auf eine Platte pressen, das kann ich auch im Internet erledigen und direkt bestellen. Mindestmenge wären dann 15, zugegeben, aber trotzdem. Keine Kunst.

Wenn man jedoch weiß, wie diese Heimaufnahmen klingen oder auch die üblichen Tracks, die als MP3 im Internet herumfliegen, wenn man die über Kopfhörer mal in Ruhe hörte... dann weiß man wirklich, wirklich und ehrlich zu schätzen, dass Data-Discs sein Handwerk versteht. Klar, dass es klingt wie auf einem Mega-Drive, das ist nicht die Kunst. Dass es klingt, als wäre der Sound von Yuzo Koshiro persönlich noch mal geknuddelt und von alten Revox-DAs mit Schleife eingepackt worden, um dann von Segata Sanshiro direkt in euer Gehör transportiert zu werden... Es ist SEGA-Retro-Himmel. Ein perfektes Remaster.

Der Klang ist genauso, wie man sich in seinen Rosa-Brille-Erinnerungen vorstellte, dass es klingen würde, aber, egal welche Anlage man anschließt, niemals so klingen würde. Der Klang der Data-Disc-Platten ist viel dynamischer, er hat eine enorme Räumlichkeit, die den üblichen Direktaufnahmen komplett abgeht. Und das war kein beeindruckendes Setup, auf dem ich es hörte. Ein guter, alter Akai-Verstärker, ein paar kleine Tannoy-Boxen und Regas Einstiegsmodell für die nötigen Umdrehungen. Die Gegenprobe mit einem Mega Drive inklusive Street of Rage 2 und einer so "verfügbaren" Aufnahme sprach Bände. Die Soundtechniker bei Data-Disc verstehen ihr Werk.

OutRun war göttlich, Streets of Rage 2 sowieso, ich habe sogar die Tracks des Vorgängers schätzen gelernt. Lediglich Shenmue hat mich jetzt nicht so sehr umgehauen, aber das liegt auch daran, dass der Soundtrack eh schon sehr hochwertig produziert und eben nicht Chip-generiert ist. Ohne Frage sicher eine schöne Platte für die Fans, aber nicht der klangliche Quantensprung.

Für die Track-Liste schicke ich euch mal auf die Seite von Data-Discs, aber ich empfand Streets of Rage und auch Out Run als komplett genug und mit ein paar netten Extras abgerundet. Gerade von OutRun gibt es umfangreichere Sammlungen, aber hier geht es um den Aracde-Sound, und er ist, was Tracks angeht, vollständig. Shenmue ist eine Art Best-of-Auswahl und als solche in Ordnung. Was die Aufmachung angeht, ist OutRun mein Liebling. Ich mag das Sichtfenster mit dem Pixel-Screenshot dahinter. Ich kann verstehen, wenn das nicht gefällt, es könnte sicher aufwändiger sein, aber meinen Geschmack trifft es. Die Cover der anderen sind hochwertige Cover-Interpretationen der Spiele und sehen sehr gut aus. Beide Streets of Rages enthalten noch zwei Prints, Shenmue eine und bei OutRun findet ihr auf den Cover-Inlays ein paar warme Worte von Hiroshi Kawaguchi persönlich. Es sind die kleinen, netten Extra-Touches, die man bei einem solchen Produkt erwartet, und keine der Scheiben enttäuscht. Okay, Shenmue ein wenig, aber auch nur im Vergleich zu den anderen.

Es mag irrational sein, sich über dieses perfekte Remaster eines 30 Jahre alten Chiptunes zu freuen. Es mag schrullig sein. Ein wenig absonderlich. Wenn ihr zu den Leuten gehört, die das nicht verstehen können oder bis jetzt kein Interesse daran hatten... Geht weg. Ich bin nicht hier, um euch zu bekehren. Lasst euch woanders erzählen, dass es total wichtig für das Verständnis der Spielhistorie sei, diese Musik zu hören und zu wertschätzen. Ist es nicht, war es nie, wird es nie sein. Aber wenn ihr sie aufgeschnappt habt, sei es damals oder irgendwann dazwischen, irgendwo in diesen langen drei Jahrzehnten seit OutRun, 25 Jahren seit Streets of Rage oder 15 seit Shenmue, und sie bedeutet euch aus welchen Gründen auch immer etwas: Das sind die Versionen, die diese Musik verdient hat.

Im Rahmen des Ganzen kam ich ein wenig mit Jamie Crook, dem Gründer von Data Discs, ins Gespräch (auch, weil gerade Brexit war und wir beide nicht glauben konnten, was passierte) und wenn euch das kuriose Geschäft mit alter Musik auf alten Scheiben interessiert, dann hier ein paar tiefere Einblicke. Die erstaunlichste für mich dabei war: Man kann davon leben!


Eurogamer: Wie ist Data-Discs entstanden? Habt ihr euch ein paar MP3s angehört und diesen warmen Platten-Sound vermisst? Oder habt ihr ein wenig Streets of Rage 2 gespielt, das beste Spiel aller Zeiten, und dachtet, wie cool es wäre, diese Musik auch im Plattenspieler eures Morgan +4 zu hören, weil ihr eben richtig retro seid?

Jamie Crook: Ich kaufe schon seit 20 Jahren Platten, für mich war das nie retro oder was Besonderes. Es war einfach das Format meiner Wahl und Vinyl war ja auch nie wirklich weg. Ich erinnere mich, wie ich vor 10 Jahren zu meinem Bruder (der nun unser In-House-Audiotechniker ist), wie klasse es wäre, Streets of Rage 2 auf Platte zu hören und wie gut es zu diesem Format passen würde. Wir waren überrascht, dass es das nicht gab und keiner uns zuvorkam (und sind das bis heute!). Eine Dekade später wurde uns dann das Warten, dass sich mal jemand aufrafft, zu doof und wir machten es selbst. Als wir früh im Jahre 2015 gestartet sind, waren wir sogar die Einzigen, die bis dahin überhaupt Spiele-Soundtracks auf Platte veröffentlicht haben, es war also etwas ganz Eigenes.

Eurogamer: Warum nicht auf CD? CDs sind schick. Jeder mag CDs. Warum hasst ihr CDs?

Jamie: Ehrlich? Ich kenne niemanden, der CDs mag! Ich habe keine mehr seit den 90ern gekauft. Gib mir Vinyl plus Lossless Digital Audio und ich bin rundum glücklich.

Eurogamer: Zwischen dem Retro-Gaming und dem Platten-Boom der Post-Millenials habt ihr euch eine gute Nische gesucht. Ihr habt aber noch richtige Jobs, oder?

Jamie: Das ist gar nicht mal so sehr Nische, wie man denken würde. Wir haben Kunden aller Art und aus der ganzen Welt. Die meisten sind vor allem an der Musik interessiert, selbst wenn sie die Spiele nicht kennen. Wir versuchen auch, dass unsere Platten für sich selbst stehen und nur für ihre Musik genossen werden können, auch für Musikfans jenseits der Hardcore Gaming- und Sammlerszene. Unser Hauptziel ist es, die Arbeit von Spielekomponisten bekannter zu machen, weil wir glauben, dass ihre Arbeit oft zu kurz kommt. Deshalb versuchen wir, unsere Veröffentlichungen so zugänglich wie möglich zu halten, damit sie so viele Leute wie möglich ansprechen können.

Inzwischen arbeite ich Vollzeit an dem Label. Wir sind ein sehr kleines Team und es gibt viel Arbeit, vor allem da wir fast alles im eigenen Hause erledigen - angefangen von der Lizenzierung über das Mastering bis zur Produktentwicklung. Dazu kommen noch Kunden-Support und natürlich der Versand. Mein Partner hat zwar einen anderen Vollzeitjob, hilft aber an den Abenden und Wochenenden. Es ist ein 24/7-Angelegenheit und da bleibt nicht viel Schlaf übrig.

Eurogamer: Wow, es ist also wirklich mehr als "nur" reines Hobby. Ich will jetzt auch Vinyl pressen, zum Beispiel die gesammelten Songs aus Ashens "Terrible old games you probably never heard of". Wo fange ich an? Gibt es eine arkane Gilde, der ich beitreten muss? Wie viel muss ich da investieren und muss ich meine eigenen Opfertiere für mitternächtliche Rituale mitbringen?

Jamie: Vor allem musst Du ein Interesse an Vinyl mitbringen, das ist das Wichtigste. Einfach nur Spiele und Spielmusik zu mögen reicht nicht. Es ist wichtig, weil du dich dann mit dem Plattenmarkt auskennst und schon Kontakt zu kleinen Labels hast. Das ist es, so glaube ich, was uns von anderen Vinyl-Gamesoundtrack-Produzenten unterscheidet: Wir sehen alles zuerst aus der Perspektive von Plattenliebhabern. Um dieses Konzept ist unsere Firma entstanden, und das kann man hoffentlich auch sehen. Wenn ein Label keinen Enthusiasmus mitbringt und einfach anfängt, Sachen zu veröffentlichen, weil "es gerade in ist", dann ist das meist offensichtlich und führt oft zu einem etwas enttäuschenden Produkt. Darüber hinaus solltest du dich mit Lizenzierung, Audioproduktion, den Möglichkeiten und Limitierungen von Vinyl auskennen und dich auch in Verträgen zurechtfinden. Ach ja, du musst auch bereit sein, dich von deinem Sozialleben für ein paar Jahre zu verabschieden.

Eurogamer: Warum SEGA? Die offensichtliche Antwort ist natürlich "SEGA does, what Nintendon't" aber was ist eure?

Jamie: Mit SEGA kann man einfach gut zusammenarbeiten. Wir haben mit ihnen eine extrem produktive Geschäftsbeziehung aufgebaut. Was die Musik angeht, haben sie einfach eine der interessantesten und abwechslungsreichsten Back-Kataloge, da gibt es für uns natürlich viel zu erkunden.

Eurogamer: Erzähl ein wenig über den Mastering-Prozess, insbesondere OutRun, das vom Aracde Sound gemastert wurde. Wie transferiert man einen 80s-Arcade-Automaten auf eine Schallplatte?

Jamie: Der Prozess unterscheidet sich von Release zu Release. Für den 16-Bit-Sound haben wir zwei unterschiedliche japanische Mega-Drive-Konsolen, in einigen Fällen auch die Original-Soundfiles des Komponisten. Im Falle des Streets-of-Rage-1- und -2-Soundtracks hat uns Yuzo Koshira die Original-PC-88-Files geschickt. Das restaurieren und mastern wir hier im Haus bei uns. Mein Bruder ist der Sound-Engineer und wir sind beide Perfektionisten, die gut zusammenarbeiten. Die Aufnahmen und das Mastering dauern dann etwa zwei Monate für einen Release, bevor wir zwei oder drei Testpressungen in Auftrag geben. Das dauert dann wiederum zwei Monate, bevor alles so weit ist, dass wir die finale Pressung anlaufen lassen können. Dieser Prozess ist für die Arcade-Soundtracks - Super Hang On war unser erstes Arcade-Projekt -, nur dass wir dort den Sound direkt vom Board der Arcade als unser Quellmaterial abgreifen.

Eurogamer: Was hat Hiro Kawaguchi gesagt, als ihr ihn gebeten habt, 50 Schallplatten zu signieren? Etwas in der Richtung von "Wie bitte, was wollt ihr? Es gibt keine OutRun-Schallplatte!"?

Jamie: Nein, Hiro-San war sogar vom Start weg in das Projekt involviert. Er schrieb ein paar schöne Zeilen für den Release, in denen er ein wenig über das Schreiben von Spielmusik spricht und seinen Fans, die die Musik über 30 Jahre am Leben hielten, dankt.

Eurogamer: Das meiste in eurem Shop steht aktuell auf "ausverkauft". Sind die Pressungen strikt limitierte Editionen oder werden sie in Zukunft wieder verfügbar sein?

Jamie: Wir möchten mit unseren Veröffentlichungen sowohl Sammler wie auch normale Käufer zufrieden stellen. Deshalb haben wir normalerweise drei Editionen. Eine wirklich strikt limitierte mit besonderen Vinylfarben, die auch wirklich nie wieder veröffentlicht wird, und zwei weitere, einmal mit einer besonderen Farbe und eine in klassischem Schwarz. Die beiden letzteren gehen in den US- und EU-Vertrieb und werden bei Nachfrage auch neu aufgelegt. Abgesehen von der Vinylfarbe sind die Editionen identisch, sodass hoffentlich jeder zufrieden sein sollte.

Eurogamer: Was kommt als Nächstes? Afterburner? Eher etwas Obskures? Mal kein SEGA?

Jamie: Wir haben aktuell drei Projekte laufen, aber nur eines angekündigt. Und das ist wieder SEGA: Yoshitaka Azumas 1995er-Score zu Panzer Dragoon.

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Martin Woger

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Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.

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