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Live A Live Test - 1994 war Final Fantasy VI ein Meilenstein. Aber Live A Live ist besser

Das J-RPG, das sich traute alle Konventionen über Bord zu werfen.

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Besser späte Ehrungen als in der Zeit vergessen: Das vielleicht innovativste Square-RPG der Super-Nintendo-Ära wurde mit einem ausgezeichneten Remake geadelt.

Live A Live hat einen dezenten Legendenstatus in Super-Nintendo-Kreisen. Eines der großen Square-Spiele, die damals nie Japan verließen und lange Zeit für jeden Sprachunkundigen verschlossen blieben. Von dem wenigen, was man als normaler Mensch hier so am Rande mitbekam, sah das alles fantastisch aus, aber nun, es hat nicht sollen sein. Der berühmteste Titel der Kategorie ist Final Fantasy V. Der mit am wenigsten bekannte dürfte Bahamuth Lagoon sein, schon allein, weil er zu einer Zeit erschien, als sich kaum noch wer für das Super Nintendo interessierte, 1996. Und in der Mitte dazwischen liegt das 1994er Live A Live.

Einer der Gründe, warum Live A Live damals nur in Japan erschien war, ist, dass es grafisch nicht so gut wie zum Beispiel FF6 aussah. Nun, dieses Problem konnte gelöst werden.

Seit 2008 gibt es wohl eine sehr anständige Fan-Übersetzung für das ROM, aber das ist natürlich weit vom Mainstream-Gebrauch entfernt. Mainstream-Gebrauch? Ein altes J-RPG? Kann man das da nicht generell abschreiben? Ja, vielleicht. Aber dann wiederum hätte das auch jeder normale Mensch bei Elden Ring gesagt. Vielleicht ist jetzt die Zeit für ein in seinem Genre weitestgehend einzigartiges, in bildschönem 2,5D Pixelart gehaltenes J-RPG gekommen (aktuell leider nur für Nintendo Switch). Ich meine, für die Welt jenseits all der Fans von Octopath Traveller. Vielleicht. Schließlich ist Live A Live das bessere, wenn auch nicht ganz so schöne Spiel. Wahrscheinlich nicht.

Egal, wie auch das etwa ein Jahr später erschiene Chrono Trigger spielt Live A Live mit Zeitebenen, aber das sehr viel direkter und ohne Zeitreise. Ihr habt zum Start die freie Wahl aus sieben Stories, die alle in ihrer eigenen Zeit spielen. Ob es unsere Welt ist, das bleibt ein wenig unklar. Kann sein, muss nicht, sehr ähnlich ist das schon alles, aber es gibt auch übernatürliche Elemente, Dämonen und Geister, wer will das so genau sagen. Die Epochen sind Steinzeit, altes China und Japan, der Wilde Westen und die Gegenwart, dann die nahe und die ferne Zukunft. Habt ihr alle abgeschlossen, kommen noch mal zwei dazu, über die ich nichts groß erzähle, schließlich sind sie der Storytwist, auf den das alles hinausläuft.

Jedes Kapitel hat kleine Eigenheiten, so hat nicht jedes Szenario eine Oberwelt. Die nahe Zukunft aber schon.

Was diesen Twist angeht: Lasst es auf euch zukommen, aber am Ende des Tages ist es immer noch Mitt-90er Square. Erwartet jetzt keine Wunder. Dafür ist die Zusammenführung der Zeitlinien zum Schluss spielerisch interessant genug gelungen, dass ich auch dringend rate, einen Spielstand nach Kapitel 7 zu behalten und nicht anzufassen, um ein paar Varianten durchzuprobieren. Lohnt sich. Ein wenig zumindest.

In jeder Zeitebene spielt ihr einen eigenen Helden – Heldinnen sind hier rar gesät und mehr als NPCs zu finden. Dieser levelt für sich, lernt seine Welt für sich kennen, manchmal craftet er sogar für sich. Aber ihr arbeitet nicht dafür, um etwas direkt in die nächste Zeit mitzunehmen. Jedes der sieben Kapitel ist wie ein kleines, in sich geschlossenes Rollenspiel. Und jedes davon bringt seinen eigenen Twist mit.

Was damals nur angedeutet wurde, wuchs nun zu einem vollen Anime-Intro mit ultra-cheesy Themesong heran. Die nahe Zukunft punktet direkt vom Start weg. For great justice.

In der Steinzeit gibt es noch keine Sprache, also müsst ihr die kleinen Rätsel dieser Zeit anhand einer Art Bildersprache interpretieren. Im alten China trainiert ihr drei Kung-Fu-Schüler, um einen Boss zu erledigen. Wehe, euer bester Schüler ist nicht vorbereitet. Im Alten Japan infiltriert ihr eine Festung, bei der ihr entweder jeden umbringen dürft oder dank einer simplen "Versteck"-Mechanik komplett auf Stealth geht. Der Wilde Westen ist im Grunde die glorreichen Sieben, die Gegenwart Street Fighter. In der Zukunft gibt es X-Men-Mutationen und später Roboter.

Die kleinen Geschichten sind nicht nur für sich interessant, sie sind auch perfekt, um das Spiel in kürzeren Schüben und sogar Unterbrechungen zu genießen. Wenn ihr ein anderes großes J-RPG nach Wochen erneut anwerft, ist es nicht immer einfach, wieder hineinzufinden. Hier ist das kein Problem. Mal ein, zwei Abende ein Kapitel gespielt, später das nächste, es bleibt genug hängen, um jederzeit wieder direkt anzusetzen.

Und hier gibt die Gute sich noch zahm, der Ton im Wilden Westen war rau.

Jedes Kapitel ist nicht nur inhaltlich eigen, sondern schafft es auch spielerisch genug einzubringen, dass es sich im Gegensatz zu Octopath Traveller nie nach einer zu ähnlichen Extrarunde anfühlt. Ganz clevere Verzweigungen innerhalb der ersten Kapitel gibt es nur sehr wenige. Für Entscheidungen, die dann in das restliche Spiel übernommen werden, gleichzeitig bei einer frei wählbaren Levelstruktur… Für 1994 ist das etwas zu viel verlangt, ich wäre nicht mal sicher, ob das heute so einfach umsetzbar wäre, ohne jeden Rahmen zu sprengen.

Nein, ihr spielt einfach ein Kapitel, das in der Regel zwischen ein und drei Stunden maximal liegt. Es gibt praktisch kein Grinding und einige Abschnitte haben nicht mal ein echtes Leveln. Im Wilden Westen startet ihr mit dem Maximal-Level, in der Gegenwart bleibt ihr die ganze Zeit auf einem Level und habt eine ganz andere Progression. Ich weiß, dass ich in einer neuen Zeit etwas Neues erleben werde, und das macht die Struktur von Live A Live so großartig und bis heute eigentlich auch ziemlich einzigartig. Vor allem, weil fast jede dieser Ideen gut war und für die Zeitspanne, die der Stage umfasst, auch perfekt ausreicht.

Das Kampfsystem ist so gut, dass man sich fragt, warum Square damals nicht vom lahmen ATB auf so etwas umstieg. Weit dynamischer, mit mehr Taktik und schneller ist es auch noch.

Natürlich ist nicht alles ein Volltreffer. Die Idee hinter der Gegenwarts-Zone ist gut gedacht, aber am Ende wäre sie schon ausbaufähig gewesen. Aber andererseits, zu der Zeit damals repräsentierte sie exakt den Ablauf eines Prügelspiels, nur mit den Mitteln des Rundenkampfs. Hier und da ist der Weg nicht ganz einfach zu finden, selbst mit der nun etwas hilfreicheren Mini-Karte. Aber das ist ehrlich gesagt Kleinkram. Nichts davon stört wirklich, es ist alles Kleinkram aus der Kategorie "Dinge, die ich Klugsch… besser machen würde". Ich denke, eigentlich nervte mich nur das Alt-China-Szenario. Zum einen ist das Training der drei Schüler vorsichtig gesagt repetitiv und vor allem macht euch das Spiel nicht klar genug, dass ihr den Boss nur besiegen könnt, wenn ihr alle Zeit vom Start weg auf einen Schüler investiert und die anderen beiden ignoriert. Sonst nämlich dürft ihr das ganze Szenario noch mal spielen. Das dauert nicht so lange, schließlich lassen sich alle Dialoge wegdrücken und Szenen skippen, aber ideal ist das nicht gelöst.

Natürlich bleiben gewisse Kernelemente immer erhalten. Das Kampfsystem ist so viel besser als es noch die Final Fantasys dieser Zeit waren, dass man sich immer mehr fragt, warum am Ende diese Reihe und nicht ein Spiel wie Live A Live das Rennen machte. Ihr kämpft auf einem kleinen Schachbrettmuster in Runden, aber nicht wirklich. Unter jeder Figur ist ein Balken, wenn dieser voll ist, dürft ihr eine Aktion ausführen. Bis das der Fall ist, zieht ihr über das Feld und versucht euch in die beste Position zu manövrieren, bevor der Gegner an der Reihe ist. Idealerweise, um einem Angriff zuvorzukommen und ihn zu unterbrechen oder ein Feld zu erreichen, von dem man weiß, dass die gegnerischen Angriffe es nicht so leicht treffen können. Heilung ist je nach Szenario ein Faktor. In manchen habt ihr nur wenige Möglichkeiten euch zu heilen, in manchen gar keine Items. Nach jedem Kampf seid ihr aber wieder komplett geheilt, ihr müsst euch da keine Sorgen machen.

Die Gegenwart ist ein Prügler, wir hatten es 1994 immer geahnt. Sogar mit Moral und so zum Schluss. Fast so tiefgründig wie Bloodsport. Nein, so tiefgründig wie Bloodsport ist nichts. Aber nah dran.

Das Ganze kommt dem Gedanken, dass es mehr um die Geschichten und nicht um Level-Grinding geht, sehr entgegen. Es geht um taktische Überlegungen, mit den Möglichkeiten dieses Abschnitts zu arbeiten und ein wenig zu experimentieren. Das erlaubt dem Spiel auch recht frei, euch mal allein loszuschicken, mal ein oder mehr NPCs an eure Seite zu stellen, die ihr dann im Kampf selbst steuert und diese auch wieder wegzunehmen, je nachdem wie die Story sich so entwickelt. All das sprengt geradezu die Ketten des FF/DQ-Korsetts der Zeit, mehr noch als es zum Beispiel Secret of Mana wagte, selbst wenn sich dieses spielerisch gut aus der Deckung traute.

Was die Umsetzung der Technik angeht, kann ich nur applaudieren. Sicher, ein Octopath ist noch mal eine andere Hausnummer, aber wie hier die alten Stages ein wenig in den Raum gekippt wurden, um schöne Bilder zu erzeugen, ist immer wieder brillant umgesetzt. Vor allem das alte Japan hat hier viel zu bieten, aber eigentlich hat jeder Stage seine Momente, die schlicht schön aussehen. Nichts davon sieht aus wie Super Nintendo, aber alles wirkt so. Live A Live sieht jetzt so aus, wie die verklärte und hochgradig idealisierte Vorstellung, die man davon 20 Jahre später im Kopf hat. Der visuelle Humor, mit dem auch das Original schon nicht geizte, wurde perfekt umgesetzt und auch die Übersetzung der Texte macht einen tadellosen Eindruck. Gute Güte, ein Square-Klassiker, in dem nach Herzenslust geflucht und geschimpft wird und das auch noch sehr umfangreich Englisch vertont wurde. Ich war erst sehr skeptisch, dass ein altes SNES-Game nun zum Vollpreis kommen soll. Jetzt kann ich sagen, dass das passt, hier ließ man keinen Pixel auf dem anderen, um die perfekte Version abzuliefern.

Es wird viel mit satten Farben und Tiefenunschärfe gespielt. Ab jetzt darf Square Enix alle 16-Bit-RPGs updaten. Sicher, 7th Saga war immer öde, aber mit der Optik würde ich sogar das noch mal spielen.

Es steht für mich außer Frage, dass Live A Live heute in einer Reihe mit Chrono Trigger und Secret of Mana stehen würde, hätte sich Square seinerzeit zu einer Übersetzung aufgerafft. Diesen Status wird das für seine Zeit ungewöhnlichste aller J-RPGs nie bekommen, aber das heißt nicht, dass man es deshalb geringer achten sollte. Dank der liebevollen Umsetzung, die den perfekten Spagat zwischen Retro-Look und Moderne hinlegt, ist es tadellos für fast jeden spielbar.

Live A live versöhnt mich praktisch wieder einmal mit dem Genre, dem ich fast abgeschworen habe. J-RPGs ziehen sich oft über 50 Stunden und viel von der Zeit ist oft nicht gut investiert. Zu viel Wiederholung, Grind, Story-Wendungen, die keine sind, nur um die Laufzeit zu erhöhen. Live A Live kippt all das über Bord, richtet sich dabei inhaltlich an ein erwachseneres Publikum, ohne diese Richtung zwanghaft zu einzuschlagen, sondern fühlt sich dabei natürlich an. Dabei kommt es sogar "erwachsenen" Spielgewohnheiten viel weiter entgehen als jedes andere Spiel in dem Genre. Mit seinen faszinierenden kleinen Geschichten und vielen, fast immer gelungenen spielerischen Ideen ist Live A Live das schlechteste Spiel, um zu zeigen, was ein J-RPG normalerweise ist. Aber das Beste, um zu zeigen, was das Genre leisten kann, wenn man ein wenig Mut mitbringt, die Dinge etwas anders anzugehen. Und für 1994? In diesem Jahr erschien auch Final Fantasy VI. Ich denke, dass Live A Live das bessere Spiel ist. Und ich liebe FF6…

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