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The Thaumaturge im Test: Ein polnisches Persona mit Charme und Herz

... aber auch Problemen bei Pacing, Buch und Inszenierung.

Schwächen in Erzählung, Tempo und Inszenierung bremsen das originelle und hübsche Rollenspiel ordentlich. Fans historischer Fantasy bekommen trotzdem einen angenehm schummrigen Warschau-Ausflug mit cleverem Kampfsystem.

Es wirkt ein Stück weit schizophren: Die Spieleindustrie scheint vor Massenentlassungen und Studioschließungen lichterloh in Flammen zu stehen und trotzdem kommen im Wochentakt starke, interessante Games auf den Markt. Die Sorgenfalten kriechen aktuell so tief Richtung Nase, dass es schwerfällt, sich über den ungebremst tollen Output an Titeln zu freuen. Und doch will ich versuchen, ein bisschen von dieser Freude an euch weiterzureichen, wenn mir ein Spiel wie The Thaumaturge unterkommt.

An den Sternen oben drüber habt ihr sicher schon erkannt, dass es nicht komplett ohne Probleme ist. Das bedeutet aber nicht, dass wir es nicht trotzdem mit einem der interessanteren Erlebnisse der letzten Zeit zu tun haben, was vor allem am aparten und detailverliebten Szenario und der geschickt slawische Mythologie, Historiendrama und eigenständige Fantasy vermengenden Handlung liegt.

Warschau, wie ihr es noch nie gesehen habt

In einem Rollenspiel aus der isometrischen Draufsicht gebt ihr Wiktor Szulski, der im Jahr 1905 nach dem Tod seines von ihm entfremdeten Vaters aus Paris nach Warschau zurückkehrt. Wie sein Vater ist auch Wiktor ein Thaumaturg und verfügt über eine Gabe, die ihn zu Beginn reichlich fertig macht. Wiktor kann sogenannte Salutoren sehen und in sich aufnehmen. Das sind Dämonen, die sich an ausgeprägten Makeln eines Menschen nähren und diese dabei auf die Spitze treiben können.

Zu Beginn schleppt Wiktor nur den Pelz-tragenden Skelettmann Upyr mit sich rum, der vom Stolz des verhinderten Dandys zehrt. Im Laufe der Handlung werden es immer mehr. Das erinnert thematisch nicht zu knapp an Atlus’ beliebte Persona-Reihe, kommen euch die Salutoren doch im Kampf prominent mit ihren Fähigkeiten zu Hilfe. Außerdem befähigt Wiktors Gabe ihn dazu, an Gegenständen und Orten haftende Spuren von Emotionen wahrzunehmen. So erschnüffelt er etwa aus einem zerbrochenen Teller, einer verbrannten Notiz und einem Tagebucheintrag einen Streit zwischen zwei alten Freunden samt seines Ausgangs und einer Spur zu einem neuen Zielort, der ihr nachgehen könnt, um die Quest voranzutreiben.

The Thaumaturge - Galerie

Die Jagd auf und der Kampf mit Salutoren, sowie das Abklopfen der Umgebung auf der Handlung sachdienliche Hinweise sind im Grunde der Kern dieser gut 30 Stunden RPG der ausschweifend erzählenden und doch recht kämpferischen Sorte. Das Spiel kommt dieser Ein-Satz-Beschreibung bisweilen geradezu erheiternd nahe, wenn selbst in feinster Gesellschaft der Warschauer Oberklasse ein Multiple-Choice-Gespräch noch erstaunlich häufig in ein mit Fäusten, Degen und Revolvern geführtes Rundengefecht ausartet. Das wirkt manchmal etwas hingebogen, aber dafür müssen wir keine Zufallskämpfe ertragen.

Behäbig, aber nicht uninteressant

Worüber man sich aber im Klaren sein muss: Die Geschichte hat über weite Teile der ersten Hälfte keinen rechten “Hook”, ist extrem ruhig und charaktergetrieben, wenn es um wenig mehr geht, als herauszufinden, warum euer Vater sein Ende fand und wo zur Hölle sein schwarzes Zauberbuch abgeblieben ist. Man stochert sehr lange im Dunkeln und muss schon Lust darauf haben, diesem MacGuffin eine erkaltende Fährte nach der anderen hinterher zu spazieren.

Ein Spektakel sieht jedenfalls anders aus. Viel eures Tagwerks findet auf den wunderhübsch rekonstruierten Straßen Warschaus statt, das sichtlich mit der Untertanenschaft für den russischen Zaren zu kämpfen hat. Auf dem Weg von A nach B und von Kontakt zu Kontakt könnt ihr bestens die einzigartige Atmosphäre dieser geschichtsträchtigen Metropole aufsaugen und das ist etwas, was Videospiele gern noch sehr viel häufiger versuchen dürften, so gut gefällt es mir hier.

Abseits der Kämpfe und Gespräche seid ihr hauptsächlich mit Erkundung beschäftigt. Gut die Hälfte eurer Erfahrungspunkteprogression fahrt ihr allein durch Abklopfen der Umgebung auf Hinweise, Lore und Notizen ein, oft an Orten, die ihr schon Dutzende Male besucht habt. Mit einem Fingerschnippen lokalisiert Thaumaturg Wiktor interaktive Punkte in seiner Umgebung — was in Klang und Visuellem irssinnig befriedigend umgesetzt ist — und zieht am Schluss für euch ein Fazit. Wirklich selbst „ermitteln“ müsst ihr hier nicht. Dafür trefft ihr auf Basis eurer Erkenntnisse in den Gesprächen jedoch eine Menge Entscheidungen, die hier und da die Handlung beeinflussen, vornehmlich aber Wiktor als Person genauer charakterisieren.

Hab’ ich was verpasst?

Das größte Problem von The Thaumaturge ist vermutlich, dass es wenig von Inszenierung versteht, weil das bisweilen sogar erschwert, der Handlung zu folgen. Es blendet Gespräche weg, noch bevor der schließende Satz zu Ende gesprochen ist. Seine Figuren sind mehr Augsburger Puppenkiste als Periodendrama und steif animiert, was es oft unfreiwillig komisch wirken lässt, wenn die Kamera für einen “reaction-shot” mittig auf steingesichtige, stille Charaktere hält.

Oft werden sogar die Höhepunkte einer Szene nicht wirklich gezeigt. Wenn eine mehrstufige Quest gegen eine Bedrohung auf ein klares Crescendo hinsteuert, das ich dann nicht sehen darf, oder mir Bildschirmtode wichtiger Figuren einfach nicht bewusst werden, weil die Kamera nicht wirklich zeigt, was passiert ist, ist das keine Kleinigkeit. Immer wieder hinterlassen Charakterentscheidungen auch Fragen, wo es eigentlich Antworten gebraucht hätte. Dazu ein seltsames Timing und Schwächen in der Übersetzung – im Resultat hat man einfach regelmäßig das Gefühl, es sei einem etwas entgangen. Viel von der Geschichte muss man mit der Kraft seiner Fantasie selbst ausmalen, und in diesem Fall ist das ausnahmsweise mal nicht wertfrei gemeint.

The Thaumaturge - Galerie

Kurzum: The Thaumaturge hat Probleme und zwar nicht gerade wenige. Trotzdem taugt es zum Geheimtipp, denn nicht nur ist es preislich mit nur 35 Euro mehr als fair angesetzt, neben dem einfallsreichen Szenario und der angenehm schummrigen Handlung gefällt mir auch sein Kampfystem und die Art, wie ich es mitformen durfte, ziemlich gut. Und ja, auch die unbeholfen auf den Bildschirm gebrachte Handlung hat so ihre Momente, in denen ich still in mich hinein grinsen musste. Substanz ist also da, vor allem, weil hier nichts beliebig wirkt. Tatsächlich kommt The Thaumaturge sehr aufs Wesentliche konzentriert rüber, wenn es auf alles verzichtet, was vom Wiktors Geschichte ablenken könnte.

Kluge Kämpfe für Planer

Die Kämpfe drehen sich vornehmlich darum, die Kampfreihenfolge zu beeinflussen und Buffs und Debuffs zu wirken oder von sich abzulenken oder den Willen eures Gegners durch Abtragen seines „Fokus“ zu dezimieren, bis der Feind offen für eine schwere Attacke ist. In jeder Runde dürfen sowohl Wiktor als auch einer seiner Salutoren eine Aktion ausführen. Und das so auf der Zeitleiste abzupassen, dass ihr möglichst wenig oder keinen Schaden nehmt, ist ziemlich motivierend. Einfach so durchklicken ist jedenfalls nicht. Auch weil die Moves der Kategorien Schnell, Langsam, Schaden über Zeit und Einfluss nach einmaligem Gebrauch ihre nächst stärkere Variante freischalten. Aber nur, bis ihr eine andere Angriffsart benutzt. Ihr sollt also planen und wenn ihr meint, dass den Fights dadurch ein wenig die situative Flexibilität abgeht, dann habt ihr in gewisser Weise recht.

Ich mochte es dennoch, mich mit dem System auseinanderzusetzen, denn es ist schon ziemlich originell. Was auch daran liegt, dass ihr jede einzelne Aktion auch noch mit Upgrades versehen könnt. Genauer gesagt sind es eigentlich Perks, denn während ihr Level aufsteigt und entlang eurer Charakterdimensionen Herz, Wort, Geist und Tat linear weitere Skills freischaltet, erhaltet ihr unterschiedlich mächtige Zusatzeffekte, die ihr euren Moves mit auf den Weg geben könnt. Sie verändern eure den Kampfablauf und eure Strategie bisweilen drastisch und das Einzige, was ich dagegen sagen kann, ist dass ich irgendwann meine fand und dabei blieb. Man kann das mit einem Kartenspiel vergleichen, bei dem man es irgendwann nicht mehr übers Herz bringt, sein Deck anzupassen. Trotzdem: Mir gefällt das System sehr.

The Thaumaturge läuft auch auf dem Steam Deck

Technisch ist das Spiel ein zweischneidiges Schwert. Die Spielumgebung sieht aus der normalen Perspektive himmlisch detailverliebt aus. In den Gesprächen merkt man dann, dass das Spiel von einem kleinen Studio stammt. Gerade, wenn generische NPCs im Bild sind, wirken die doch arg puppenhaft und zusammengewürfelt.

Oft luden Texturen nur wahnsinnig langsam ins Bild und ich erreichte selbst auf meinem gut motorisierten PC und einem High-End Laptop keine wahnsinnig hohen Bildraten, für stabile 60 fps hat es aber zu jeder Zeit gereicht. Ich gehe davon aus, dass sie auch auf schwächeren Systemen gut zu erreichen sind. Dafür spricht, dass The Thaumaturge auf seinen dedizierten „Steam Deck“ Einstellungen mit sehr ordentlichen 30 fps auf Valves Handheld läuft. Ansonsten trüben nur vereinzelte Stotterer in Kampfanimationen den ansonsten guten Eindruck.

The Thaumaturge Fazit:

Wie gesagt: The Thaumaturge hat Probleme. Die meisten davon sind allerdings eher auf das schmale Budget des Titels als auf Unvermögen der Entwickler zurückzuführen. Es hat einen unverkennbaren Stil in Bild und Ton (über die fantastische Musik, von der es ruhig etwas mehr hätte geben dürfen, habe ich noch nicht einmal erwähnt), coole Szenarioideen und ein durchdachtes Kampfsystem und dürfte damit einige Freunde finden, die ob seiner Schwächen ein Auge zudrücken. Irgendwie treffend, bei einem Spiel über Makel und wie man sie sich zu eigen macht. Lernen wir von The Thaumaturge – und geben ihm eine Chance!

The Thaumaturge
PROCONTRA
  • Hübsche, authentische Annäherung an eine spannende historische Epoche
  • Gutes Kampfsystem, das ihr selbst mitformen dürft
  • Coole Geister-Designs
  • Originelle Geschichte und Mythologie
  • Amateurhafte Inszenierung sabotiert die Handlung
  • Braucht lange, um in Fahrt zu kommen
  • Viel hin und her und Absuchen der Umgebung nach Hinweisen...
  • ... und trotzdem wird euch die Ermittlungsarbeit abgenommen

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