Skip to main content
Wenn du auf einen Link klickst und etwas kaufst, können wir eine kleine Provision erhalten. Zu unseren Richtlinien.

Godfall Test: Es ist einfacher Pudding an die Wand zu nageln...

... als zu bestimmen, was der Charakter dieses Spiels ist.

Sieht gut aus, spielt sich ganz ordentlich, leidet aber darunter, dass Design und Handlung völlig frei jeglicher Identität daherkommen.

Godfall Test. Was für ein durch und durch seltsames Spiel! Ich nehme an, dass der Prozess der ersten Planung etwa so ablief: "Okay! Ich habe eine Vision. Ich will das optisch generischste Spiel aller Zeiten machen. Manchen Spielen passiert es einfach, dass sie etwas beliebig wirken, aber ich rede hier von so generisch, dass Spieler sich danach fragen, ob sie wirklich ein Spiel gespielt haben. Eines das keine Kosten und Mühen scheut, wirklich nicht den geringsten bewussten Eindruck zu hinterlassen. Und ich meine das so: Keine. Kosten. Und. Mühen! Ich rede hier von Full Guttenberg! Auf der Höhe seiner Macht, niemanden zu beeindrucken. Ich will das visuelle Gaming-Äquivalent zu Zeus & Roxanne! Und macht es schön und teuer und völlig unbestimmt!"

Und genau das taten sie. Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll Godfall zu definieren. Es ist vom Look her der charakterbefreiteste Asia-Grinder, den ihr euch vorstellen könnt. Alle rennen in monströsen Rüstungen herum, die mehr in der Sonne glänzen als ein goldlackierter Lambo. Körperpanzer, die komplett unpraktikabel von vorn bis hinten sind und von einem gasförmigen Alien entworfen wurden, dem man per Stille Post über drei Sprachen hinweg das Konzept einer mittelalterlichen Ritterrüstung näherbringen wollte. Es ist zu viel von allem und das Grundkonzept blieb auf der Strecke. Elfen-Schmuckrüstungen in High-Fantasy-Epen wirken dagegen praktisch wie ein Understatement.

Diese Rüstungen sind auch das, was das Team unter Charakterentwicklung verstand. Oder Storytelling. Im Grunde wirft euch das Spiel in den Raum als wäre es die hundertste Folge einer Anime-Serie und ihr seid ein neuer Zuschauer. Was ich über 20 oder so Stunden entnehmen konnte war, dass ihr ein Krieger seid, der Orin heißt. Da bin ich mir sehr sicher. Es gibt Makros, seinen Bruder, der leider wahnsinnig ist, mittels eines Rituals ein Gott werden möchte und es gibt eine gute Chance, dass er dabei das Universum auslöscht. Viel weiter will ich mich nicht festlegen, ich nehme an, dass ich das ab einem gewissen Punkt verhindert habe. Wahrscheinlich.

Godfall: Warum eine Hütte, wenn man einen goldenen Palast haben kann?

Meine einzigen beiden NPC-Freunde sind ein Orakel und ein Waffenschmied und beide tragen herzlich wenig dazu bei, die Lage zu erhellen. Es fühlt sich die ganze Zeit so an, als wäre das nur eine kurze Episode in einem weit größeren Epos, das dann alles erklärt, aber das Spiel hält sich nicht damit auf, mich weiter einzuweihen. Was soll es, ich habe auch nie in Frage gestellt, warum ich als italienischer Klempner im Königreich der Pilze einem Drachen drei Mal auf den Kopf springen soll. Also kann ich auch generische Feinde umholzen, kein Thema. Und ja, natürlich sind sie generisch, so generisch wie sie nur irgendwie sein können. Es ist praktisch ein Kunstwerk. Als wäre Godfall die Protosuppe, aus der dann die echten Videospiele geformt werden.

Sobald ich herausfinde, warum die PS5 sich weigert, meine Bilder rauszurücken, liefere ich noch richtige Shots nach, aber lustigerweise tue ich dem Spiel mit den generischen Bildern hier nicht mal einen Gefallen. In echt sieht es deutlich besser aus.

Bevor ich zu dem eigentlichen Spiel komme, noch ein paar Worte zur Welt, oder vielmehr den Welten: Meine Güte, sieht das gut aus! Die Spielwelten strotzen nur so von Farben und Details und Eindrücken, es ist absurd. Diese Details verraten natürlich nichts und geben der Welt keinem Charakter. Es sind einfach nur Blätter, Steine, Ruinen, Schlösser. Wie es gelingen kann, eine so eigentlich atemberaubende Höhle mit einem Wasserfall zu gestalten und sie doch so zu formen, dass sie komplett eindrucksbefreit herumsteht, es ist schlicht brillant auf seine eigene Weise. Die ultimative Blaupause, um diesem Kunstwerk den eigenen Stempel aufzudrücken. Vielleicht ist Godfall auch nur eine Werbung für den Asset-Store zu enden alle Asset-Stores. Und ja, es sieht wirklich Next-Gen aus. Ich bin sicher, dass es das noch nicht wirklich ist, aber der Look, der sich ganz klar sagt "Ich bin ein Videospiel. Warum eine Hütte bauen, wenn ein goldener Palast genauso viel kostet?" ist stellenweise umwerfend schön. Wer unbedingt eine Art Tech-Demo für die PS5 braucht... sollte sich wahrscheinlich immer noch and Spider-Man halten, aber Godfall ist auch kein schlechter Kandidat. Das ist ein objektiv technisch hochwertiges, schönes Spiel.

Godfall: Seltsame Timings, aber generell ein solider Metzler

Spielt es sich aber auch schön und sei es nur generisch schön? Hier überrascht Godfall. Es ist im Grunde altes God of War gemischt mit viel, viel, VIEL Loot. Hack 'n' Slay mit Wucht und verschiedenen Waffentypen, von kleinen, beidhändig geführten Schwertern im Set hin zu absurd großen Kriegshämmern, die in ihrer Ausgestaltung allesamt eher an Zierwaffen aus feuchten LARPer-Träumen stammen und weniger einer effizienzbewussten Waffenschmiede.

Die Bosskämpfe haben es in sich und ihre Taktiken und die anderer Gegnergruppen zu studieren, ist ein Highlight von Godfall.

Was dabei verwirrt, selbst nach Stunden noch, sind die Timings der Angriffe. Ihr macht immer eine schnelle Vorwärtsbewegung, mal mehr, mal weniger und ich weiß nicht, wie oft ich auf einen Gegner direkt zustürmte, nur um die Angelegenheit einen Meter zu verpassen und ihm eine Gratis-Attacke von hinten einzuräumen. Dann habt ihr Kombos und Ketten-Angriffe, aber gleichzeitig hat Godfall keine Hemmungen, die Gegner selbst in schwere Treffer reinkontern zu lassen, wobei eure eigene Attacke natürlich unterbrochen wird. Es gibt einen Schild, aber die Zeit, diesen zu heben, ist manchmal länger als die Ankündigung eines gegnerischen Angriffs. Manchmal klappt es auch tadellos und ihr landet einen Schildkonter, der euch Zeit gibt.

All diese Timings lassen sich ein wenig anpassen, indem ihr im Hub neue Rüstungen freischaltet. Manche sind schneller, andere haben Buffs, manche bieten mehr Schutz. Alle sehen absolut dekadent bis an die Grenze der Lächerlichkeit aus. In manchen redet ihr plötzlich mit einer weiblichen Stimme. Wird schon einen Sinn geben. Aber so funktioniert, denke ich, das Klassensystem. Persönlich bevorzugte ich die leichteren, schnelleren Rüstungen und auch wenn Godfall nie in Sachen Präzision mit einem God of War oder gar einem Devil May Cry mithalten kann, muss ich doch sagen, dass ich mit der Zeit immer mehr Spaß am metzeln hatte.

Dafür mag ich das Spiel sogar, für diesen überbordenden Luxus. Als wenn jemand gesagt hätte, dass virtueller Luxus ja umsonst sei und danach alle Regler auf 11 drehte.

Das lag zum einen daran, dass ich mich doch zumindest etwas mit dem seltsamen Schlag-Timing arrangierte, aber auch an den Feinden. Ihre Taktiken waren jetzt nichts außerweltliches, aber immer wechselnde Gruppen aus Kämpfern, die abwarten, solchen die heranstürmen, Blockern, Heilern, Fernkämpfern und Magiern bedeuten, dass man flexibel sein muss. Und idealerweise zu zweit spielt, damit einem nicht ständig einer in den Rücken fällt. Die Übersicht leidet bei der Perspektive leider etwas und im Koop - nur online - ist das Problem deutlich kleiner. Trotzdem, das hat schon was, wie wuchtig die Schläge kommen und wie man mit einem Seelen-Schlag - einer Art Kombo-Folge durch einen Gegner durchwischt und ihn desintegriert. Ja, ich hatte eine Menge Spaß im Laufe der Zeit mit Godfall.

Godfall: Am Loot arbeiten wir noch.

Dieser endete leider schnell bei einem Punkt, der bei dieser Art Spiel nicht optional genannt werden kann. Die Loot-Verwaltung ist eine Katastrophe. Ich hatte selten so wenig Spaß, meine Beute zu sortieren und mir selten so sehr irgendeine Automatik gewünscht. Die Menüs sind unübersichtlich, langsam, Cursor springen zurück auf Anfang, wenn sie es nicht sollten, es wirkt alles wie ein erster Genre-Versuch, nur dummerweise war der erste Genre-Versuch Diablo und damit besser als das hier. Es hilft auch nicht, dass alle Waffen irgendwie gleich aussehen, Boni im unteren Prozentbereich Verbesserungen bei obskuren Element-Faktoren liegen und man sich die Hälfte der Zeit nicht besser oder stärker fühlt, obwohl man praktisch alles ausgetauscht und die Zahlen eigentlich nach oben getrieben hat.

Ein Loot-Grinder, bei dem das Loot eher nervt... Daran müssen sie noch mal arbeiten.

Hier steht sich Godfall oft selbst im Weg, nicht nur mit dem mäßigen Interface, sondern auch mit dem, Wunsch komplexer zu sein als es nötig wäre. Diese Seuche befällt viele Loot-Titel, Destiny 2 ist zum Beispiel auch so ein Fall, wo das Spiel mit jedem neuen Subsystem nicht wirklich komplexer, sondern nur komplizierter wird, ohne dass das Gameplay viel davon profitieren würde. Ich nehme an, dass Godfall jetzt schon damit plant, eines Tages so erfolgreich lange Spieler bei der Stange zu halten, dass sich im Super-High-Endgame írgendwann jemand dafür interessiert. Aber in diesen ersten paar Dutzend Stunden waren sie unnötig, hatten keinen sinnvollen Einfluss und fluten einfach nur ein Loot-System, dass nicht in der Lage ist, diese Massen sinnvoll zu handhaben.

Das "generisch durch und durch" zieht sich übrigens auch akustisch durch. Die haben es geschafft, absolut talentierte Sprecher mit guten Stimmen anzuheuern, gleichzeitig aber auch welche, die man sofort vergisst. Es hilft halt auch nicht, dass sie Zeilen sagen, die gefühlt keinen Inhalt haben, aber diese sagen sie mit aller Perfektion, die ihre Profession zulässt. Auch die Musik: Im ersten Stage gibt es nach jedem Kampf ein Inception-"Barumpf", der bei den ersten fünf Malen cool klingt, aber nach dem dreißigsten Mal war ich fest entschlossen ein "Finger weg" zu geben, wenn sich das durch das ganze Spiel zieht. So wie der Sound bei Inception cool war und ich ihn nun in jedem weiteren Film nur noch hasse. Aber gute Nachrichten, schon ab der nächsten Stage hatte sich das Problem gelöst und man wählte aus einer generischen Soundbibliothek einen Klang aus, der technisch einwandfrei daherkommt und nicht den geringsten Eindruck hinterlässt, weder beim ersten Hören, noch beim Hundertsten. Es ist ein seltsames Spiel.

Godfall Test Fazit

Godfall wäre ums Verrecken gerne eines dieser Langzeit-Loot-Monster, schaute sich alle möglichen Systeme ab und setzte sie auf ein ganz solides Gameplay-Gerüst, das in Form eines durchaus kompetenten, wenn auch nicht gerade vollendeten Hack 'n' Slash daherkommt. Das macht schon Laune, wenn man die gelegentlichen fünf Minuten Frust, in denen man das Loot sortiert, ausblendet. Die Welten sind traumhaft schön, selbst wenn sie so wenig Persönlichkeit haben wie alles andere hier. Die Gegnerformationen funktionieren gut, es gibt sogar ein paar Nebenmissionen mit kleinen Rätseln. Das ist alles niedlich, aber am Ende stelle ich mir trotz alledem die Frage, was das eigentlich genau für ein Spiel ist? Vielleicht ist es konsequent für den Asia-Markt entworfen und mein sozio-kultureller Hintergrund kann seine Brillanz nicht einsortieren? Entweder es ist das oder sie hatten bei der Prämisse, ein kompetentes, grafisch hochwertiges Spiel ohne jeden erkennbaren Charakter zu entwerfen, vollen Erfolg. Ich glaube ich mag Godfall, aber kann ich mir wirklich sicher sein, es gespielt zu haben? Ist es wirklich passiert oder war es nur ein Traum von schönen Welten, austauschbaren Monstern und bunten Rüstungen? Wer kann das schon so genau sagen?

In unserer Test-Philosophie findest du mehr darüber, wie wir testen.

Verwandte Themen
Über den Autor
Martin Woger Avatar

Martin Woger

Chefredakteur

Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.
Kommentare