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Wartales ist ein Mittelalter-XCOM mit Wohlfühlfaktor – und endlich aus dem Early Access raus

Battle Brothers’ kumpelhafter, verzeihender Bruder – wenn ihr möchtet.

Ich habe lange darauf gewartet, dass Wartales endlich erscheint. Sicher, das ist ein Satz, der bei mir auf so gut wie jedes rundenbasierte Taktikspiel zutrifft. Aber jetzt ist nun mal gerade Wartales aus dem Early Access raus und es ist eines der besten Spiele dieser Sorte, die ich in den vergangenen Jahren erleben durfte. Die Versuchung, es als "Mittelalter-XCOM" zu bezeichnen, ist groß (und als Einstiegshilfe für Leute, die noch nie hiervon hörten, sicher auch hilfreich), aber im Grunde trifft der Vergleich mit einem anderen Titel noch genauer ins Ziel: Battle Brothers.

Die Geschichte ist nicht allzu tiefschürfend oder involvierend - ihr sollt als Söldner immerhin euren eigenen Weg zwischen den Fraktionen wählen. Aber es ist immer stimmungsvoll.

Das Problem ist nur, dass die edle Taktiknummer von dem Hamburger Zwillingsstudio Overhype nicht ganz so viele Leute kennen dürften. Dennoch: Auf Steam ist die Söldner-Simulation durchaus eine Hausnummer, mit über 17.000 User-Bewertungen, die über die ausgereifte Qualität dieses Indie-Titels ziemlich deutlich werden. Zur Auffrischung (oder Einführung): In Battle Brothers zieht ihr mit einer Söldnertruppe durch eine finstere Fantasywelt, nehmt Aufträge an, kämpft knallharte Rundengefechte, haltet eure Leute am Leben, und werdet nach und nach zur potenten Privatarmee. Das ist ziemlich motivierend, aber auch bitterböse und in seiner taktischen Tiefe extrem knifflig.

Wartales, von den Northgard-Machern von Shiro Games, macht sich nun an das gleiche Konzept, nur in handgemachten anstatt prozeduralen Welten und mit zeitgemäßer und pittoresker 3D-Grafik. Es lehnt sich kreativ nicht allzu weit aus dem Fenster, sieht aber schick und halbwegs teuer aus. Außerdem ist es schon in der Standardeinstellung deutlich freundlicher als Battle Brothers. Wartales mag einem zwar noch zu Beginn die kalte Schulter zeigen, wenn Ressourcenknappheit, Verletzungssorgen und unzufriedene “Mitarbeiter” einem tiefe Sorgenfalten die Stirn hochtreiben. Aber sobald man sich ein wenig eingespielt hat, seine Wege optimiert und sich Impulskäufe verkneift, spürt man schnell entschieden seltener den Impuls, die Leichen getöteter Widersacher als Nahrungsnotreserve einzupacken (Kannibalismus ist tatsächlich eine Fähigkeit auf dem Fertigkeitenbaum!).

Schön, zwischen diesen beiden kontrovers diskutierten Wegen, ein Rollenspiel zu strukturieren, wählen zu können. Sollte Schule machen.

Battle Brothers habe ich da trotz ebenso großzügiger Möglichkeiten, Taktik und Sozialökonomie getrennt voneinander anzupassen, als entschieden hartherziger in Erinnerung. Nicht zuletzt, weil es auf seinen Schlachtfeldern schon kleinere Fehler zügiger, gemeiner und nachhaltiger bestraft. Zusätzlich dürft ihr in Wartales festlegen, ob die verschiedenen Regionen mit euch mitleveln und sich die Herausforderung so an euren Heldentrupp anpassen soll oder ob jedes neues Gebiet ein festes Andorderungsprofil vorschreibt. Auch die Entscheidung über das Speicherverfahren obliegt euch: Mögt ihr lieber freies Speichern, das auch schmerzfreies Mogeln zulässt, oder wollt ihr nur einen Spielstand plus Checkpunkte? Oder aber möchtet ihr gleich als “Iron-Man” einsteigen und über endgültig gefallene Kameraden echte und ehrliche Krieger- oder Kriegerinnentränen weinen? Ich habe Wartales als sehr willkommen heißend wahrgenommen.

Vor allem aber liebe ich Wartales für die Art, wie es das beschwerliche Leben meiner Truppe einfängt. Ich bin komplett vernarrt in die schaukastenartige Miniaturwelt, die die Oberweltkarte darstellt, denn sie steckt voller Leben. Obwohl ihr Low-Fantasy-Szenario nicht unbedingt ein Quell origineller Einfälle ist, weckt es einfach Reiselust und tut den Augen gut, den Blick über diese zerklüfteten Lande streifen zu lassen, stets mit einem Blick für herumliegende Ressourcen oder gut versteckte Höhleneingänge, in die es sich oft lohnt, hineinzulunzen.

Schön hier.

Gehöfte, Kerker und Burgruinen werden indes samt ihrer Bewohner in einer näher gezoomten Totale von schräg oben gezeigt, die man ein wenig neigen und drehen darf, um etwa eine versteckte Truhe oder Kräuter zum Pflücken zu entdecken. Es ist ein Fenster in eine Welt, durch das man meint, den Kopf hineinstecken zu können, um auch sich selbst ein wenig Abenteuerluft um die Nase wehen zu lassen. Das geht so lange, bis man den zentralen Story-Konflikt einer Region aufgelöst hat (oder länger, falls ihr sie noch erkunden oder Aufträge erledigen wollt), und dann zur nächsten der insgesamt sechs Maps mit ihren eigenen Problemchen weiterreist.

Der Rundenkampf ist ebenfalls von der sehr gefälligen Sorte. Jede Figur hat eine Bewegungsreichweite in Metern, die er mit den meisten Aktionen auch unterbrechen und später weiter ausschöpfen darf. Das ist clever, denn je nach Charakter-Build verdient ihr durch andere Aktionen Mutpunkte. Etwa dadurch, wo und wie ihr euch am Ende einer Runde positioniert. Andere Söldner wiederum verdienen Mut durch das Töten eines Feindes oder dadurch, mehr als einen Gegner auf einmal zu treffen. Diese Mutpunkte wiederum sind die Währung, mit der ihr Spezialaktionen auslöst.

Zu Beginn einer Schlacht könnt ihr euche Leute ein wenig umgruppieren. Hier habe ich schon ein paar schwerwiegende Fehler gemacht.

Zu denen gehört neben bestimmten, besonders effektiven Angriffen oder Stärkungsaktionen für die Truppe auch so eine Kleinigkeit wie Heilung, die man immer nur auf andere anwenden kann. Das bedeutet, dass ihr ein wenig planen müsst, wie ihr in den Kampf geht, denn einen brennenden Kameraden nicht löschen zu können, weil es an Mut fehlt, ist dank Permadeath schon ärgerlich. Es ist kein besonders intuitives System, aber es lässt euch über Truppkomposition und -bewegung eingehender nachdenken. Giftwolken, sich ausbreitende Feuer, Insta-Death Blitzeinschläge am Ende einer Runde sorgen dafür, dass ihr das nicht im Vakuum tut und auch die Schlachtfeldbegebenheiten berücksichtigen müsst.

Dazwischen habt ihr mit reichlich Management-Elementen zu tun, wenn ihr aus dem Wenigen, das ihr habt, das zusammenbastelt, was ihr als Nächstes am Dringendsten braucht: Aktuell suche ich nach Möglichkeiten, genügend Material für bessere Rüstungen zu besorgen, und meine Messerexperten bräuchten auch mal ein Upgrade ihres Werkzeugs. Ihr müsst immer abwägen, wie viele Leute ihr eigentlich braucht, denn jeder will sich ausruhen, bezahlt, gefüttert und ausgestattet werden. Dafür bringt aber auch jeder einzelne von ihnen abseits des Kampfs Talente ein. Insgesamt zehn Jobs vom Schmied über den Bastler bis hin zu Dieb, Angler und Barde legen schon nahe, dass man mindestens ein zehnköpfiges Team haben sollte. Mehr als gewährt euch mehr Freiheiten, etwas zu rotieren, strapaziert aber auch die Ressourcen.

Danke Fergas, dass du dich dem Blitzgott opferst!

Ich mag diesen Mix aus rollenspielartiger Erkundung, Taktik und Simulation extrem gern und da es tonal auch meinen Geschmack trifft, hatte ich bisher eine Menge Spaß mit Wartales. Ein paar Probleme gibt es zwar auch, vor allem, wenn wichtige Verbündete, die auf keinen Fall sterben dürfen, auf dem Schlachtfeld reihenweise tödliche Gefahren ignorieren. Auch, dass die Wegfindung auf der Weltkarte gelegentlich an kleinen Hindernissen hakt oder schon mal ein Bug den Umzug in das nächste Gebiet verhindert, sollte nicht sein. Und mittlerweile gehört es wirklich zum guten Ton, zumindest Bewegungen einer Einheit seit ihrer letzten Aktion wieder rückgängig machen zu können. Aber im Großen und Ganzen gesehen, sind es Kleinigkeiten, die den Spaß nicht zu sehr trüben.

Wartales wird mich in diesem Jahr noch lange begleiten, da bin ich mir fast sicher.

In diesem artikel

Wartales

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Über den Autor
Alexander Bohn-Elias Avatar

Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.
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