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Metal Gear Solid 5: The Phantom Pain zeigt einen anderen Kojima

Ausgerechnet zwischen Hundewelpen, Basenmanagement und Open World entsteht sein konzentriertestes Spiel.

Dieser Artikel enthält Spoiler zu Metal Gear Solid V: Ground Zeroes, denn dessen Ende stellt den Ausgangspunkt für Phantom Pain dar. Zu Phantom Pain gibt es unterdessen keinerlei Handlungsdetails, die über die frühen Trailer hinausgingen. Versprochen. Hier geht es in erster Linie um die spielerische Seite und den allgemeinen Ablauf von MGS5.


Zu Hideo Kojima gibt es haargenau zwei Meinungen. Für seine stundenlangen Zwischensequenzen, Wagenladungen an Exposition und alles verschlingende Dialoglawinen hasst man ihn entweder oder man liebt ihn als einen der farbenfrohesten, zügellosesten Visionäre des Mediums. Dazwischen gibt es nichts oder zumindest nur sehr wenig, wenngleich seine Fürsprecher deutlich überwiegen. Es gibt eben keinen Zweiten wie ihn, was seinen bevorstehenden Abschied von Konami und der Marke, die wie nur eine andere - Final Fantasy - das Gesicht japanischer Blockbuster prägte, umso mehr zu einem bittersüßen "Ade!" macht.

Auch rein mechanisch waren seine Spiele schon immer einige der dichtesten. Viele Systeme waren um drei Ecken gedacht, manche nutzte man nie, anderen obskuren Kleinkram und verschwenderisch integrierte Interaktionen mit der Umgebung fand man häufig durch Zufall heraus. Wer hat Snake nicht schon mal ewig von einer Kante baumeln lassen und per "Hochziehen"-Feature Klimmzüge improvisiert, um seinen Grip-Level zu steigern? Diese Verspieltheit war nicht immer zielführend, aber sie vermittelte Charakter, Eigenständigkeit und das Gefühl, in diesen Spielen könnte wirklich alles passieren.

Seine eigene Basis zu bauen, ist in jedem Spiel ein Bonus.

Nach gut sieben Stunden bei Konami in Frankfurt zeigt sich Hideo Kojima in The Phantom Pain als ein Designer, der sein eigenes Schaffen gründlich hinterfragt hat und in den vergangenen Jahren als Spielemacher erwachsen geworden ist. MGS 5 ist wie sein scheidender Held, der im Zyklus des Metal-Gear-Universums stramm auf sein Dasein als Bösewicht zumarschiert, kein redseliges Spiel. Es zeigt mehr als es erzählt und richtet einen höchst konzentrierten Blick auf die interaktive Seite des Abenteuers. Rein spielerisch, da bin ich zuversichtlich, ist das hier der ausgereifteste Titel, den Kojima je geschaffen hat.

Noch immer sind die Systeme und Dinge, mit denen man herumspielen und experimentieren kann, sehr reichhaltig und ich bin mir sicher, an den Rändern dieses Abenteuers sind noch ganz andere Dinge verborgen. Aber - so ist zumindest das Gefühl nach meinem ausgedehnten Erstkontakt - die meisten Elemente stellen sich bereitwilliger in den Dienst der Mission, sind inniger mit einander verzahnt, anstatt nur nebeneinander oder "weil wir es konnten" zu existieren, bis der Spieler über sie stolpert. Gleichzeitig bedeutet diese Konzentration aufs Spielerische auch, dass sich Fans der filmischen Ader Metal Gear Solids darauf gefasst machen müssen, deutlich seltener den Controller aus der Hand zu legen, um sich von einem spannend und mit reichlich Kinoreferenzen in Szene gesetzten Spektakel massieren zu lassen.

Abgesehen von der ausgedehnten Eröffnung, die Krankenhausszene der ersten Ankündigungsmaterialien, war das hier ein strammer Zyklus aus "Basis, Mission, Basis, Mission", auf Wunsch auch "Basis, Mission, Mission, Mission" oder jegliche gewünschte Abwandlung davon, bis Snakes Stresslevel eine Erholung in der Mutterbasis notwendig macht. Hier und da ein Dialog mit Ocelot oder Miller, eine Einsatzbesprechung, die per Funk im Helikopter in eure Ohren dringt, oder optionale Tapes, denen man während des Spielens lauscht. Die Geschichte passiert um euch herum, auch wenn Konami versichert, dass die lieb gewonnenen Filmszenen natürlich weiter ein wichtiger Teil des Erlebnisses sein werden. Ich habe nach dem Auftakt nur noch selten das Gefühl gehabt, mich zurücklehnen zu können. Einige werden sich umgewöhnen müssen, vielleicht in Sachen Inszenierung sogar einen ganz persönlichen Phantomschmerz spüren.

"Ist man erst einmal im Spiel, ringen so viele verschiedene Mechanismen um Aufmerksamkeit, dass man unmittelbar im Erlebnis versinkt."

Eine Basis vorher auszukundschaften, ist Pflicht. So markiert ihr die Feinde auf eurem HUD.

Die Chancen stehen aber nicht schlecht, dass sie sich dieses durchaus beachtlichen Paradigmenwechsels - zumindest sofern es bei diesem Ablauf bleibt - erst im Nachgang bewusst werden. Denn ist man erst einmal im Spiel, ringen so viele verschiedene interessante Mechanismen um Aufmerksamkeit und beeinflussen einander, dass man unmittelbar im Erlebnis versinkt. Wann immer ich auf der Basis, einer Plattform im Meer vor den Seychellen, meine salutierenden Soldaten musterte, zum höchsten Punkt kletterte und überlegte, wie sie sich im weiteren Verlauf verändern ließe, freute ich mich darauf, in die nächste Mission zu gehen. Hier wartete das schon in Ground Zeroes sehr ausgereifte und befriedigende Stealth darauf, dass ich mich ihm hingab. Wann immer ich zu Felde meinen nächsten Schritt plante, spürte ich unterdessen den unüberhörbaren Lockruf meiner Heimatbasis. Trotzdem konkurrieren diese beiden Spielebenen nicht, sie bedingen einander.

Also dröseln wir mal auf, was dieses Spiel offensichtlich so besonders macht. Nachdem in Ground Zeroes Snakes Armee ohne Nationen samt Basis von Cipher versenkt wurde, macht sich Snake ein paar komatöse Jahre später mit Ocelots Hilfe daran, sie wieder aufzubauen. Hier setzt sich im Grunde der Basenbau- und Management-Aspekt von Peace Walker fort: Ihr rekrutiert Soldaten, die haben einen Codenamen sowie Stärken und Schwächen in verschiedenen Kategorien in klassisch-japanischem Buchstaben-Ranking von "SS" bis "E". Sobald ein neuer Rekrut in der Basis ankommt, wird er je nach Talent den Abteilungen Forschung, Basenbau, Unterstützung oder Spionage zugeordnet. Es wird vermutlich noch mehr geben, aber dies sind die, die ich in den ersten sieben Stunden sah.

Euer Personalstand bestimmt den "Level" eurer Basis in diesem Bereich. Eine bessere Forschungsabteilung lässt euch schnell bessere Ausrüstung und Waffen herstellen, die ihr euch per Fallschirmabwurf auch direkt ins Feld abwerfen lassen könnt. Dafür ist neben einigem anderen wiederum die Unterstützungsabteilung verantwortlich, der derartige Dinge schneller und zuverlässiger gelingen, je besser sie ausgestattet ist. Die Jungs von der Spionage kundschaften unterdessen eure Zielgebiete für euch aus und füllen eure Karte mit Punkten, die von Interesse sein könnten. Ich kam leider nicht weit genug, um der Fertigstellung zusätzlicher FOBs ("vorgelagerter Einsatzbasen") durch meine Basenbau-Abteilung beizuwohnen, denn deren Bau erfolgt in Echtzeit. Ich wies zum Beispiel die Verbesserung meiner Forschungsabteilung an, die dann auch meine Basis auf stattlichere Ausmaße gebracht hätte, musste meinen Leuten aber 120 Spielminuten für den Bau zugestehen.

"Die Mutterbasis wächst von einer einsamen Ölplattform in der Südsee zu einem Netzwerk mehrerer künstlicher Inseln mit jeweils eigenen Aufgaben an."

Dieses Zielfernrohr analysiert bereits die Talente möglicher neuer Soldaten zum Shanghaien. Ich war leider nicht so weit, es zu erforschen.

Die Idee ist nicht nur, dass eure Mutterbasis euch immer mächtiger macht und eure Ausstattung verbessert, sie wächst auch von einer einsamen Ölplattform in der Südsee zu einem Netzwerk mehrerer künstlicher Inseln mit jeweils eigenen Aufgaben an. Wie genau das dann im asymmetrischen Mehrspielermodus, bei dem man in die Mutterbasen anderer Spieler eindringen muss, aussehen wird, das bleibt vorerst noch ein Geheimnis. Schon nach wenigen Stunden zerbrach ich mir recht lange den Kopf, wie ich nun vorgehen sollte, obwohl ich wusste, dass mit meiner Abreise aus Frankfurt auch der Spielstand gelöscht werden würde.

Das ist vermutlich vor allem so motivierend, weil man sein Personal und auch die erforderlichen Rohstoffe in den Missionen selbst rekrutieren muss, anstatt sie einfach gegen Geld in einem Shop-Interface zu erstehen. In einer frühen Mission wies mich Ocelot auf einen Dolmetscher der Russen hin, die das Spiel-Afghanistan anno 1984 besetzt halten. Als ich ihn betäube und per immer wieder komischem Fulton-Luftballon entführe, bekomme ich wenig später die Nachricht, dass sich der Knabe sehr kooperativ zeige und gerne für uns übersetzen wollen würde. Fortan bot sich mir die Option, Feinde, die ich per CQC in den Schwitzkasten nahm, nach Geheimnissen und Missionszielen zu befragen, bevor ich sie unschädlich machte.

Auch Materialien, die zum Ausbau und zur Erforschung besserer Waffen und anderer Ausrüstung erforderlich ist, findet man in Koffern auf der Karte versteckt, die Konami als "rund 200 Mal so groß wie Ground Zeroes" bezeichnet. Man schaut wirklich gern in jede Hütte, wenn man weiß, dass nur 200 Einheiten Treibstoff für den verbesserten Transporthubschrauber fehlen. Weil die Anzahl der Fulton-Ballons pro Mission allerdings begrenzt ist, zumindest bis man sich per kostspieligem Nachschub-Abwurf erneut die Taschen voll macht, muss man auch abwägen, ob man nun Personal braucht, oder andere Dinge, wie etwa Geschütze oder Fahrzeuge (die jedoch erst nach einem saftigen Upgrade des Fulton-Systems stehlbar sind).

"Es ist ein interessantes Hin und Her zwischen Missionen und Basis."

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Es ist ein interessantes Hin und Her zwischen Missionen und Basis. Wer seinerzeit zur Ankündigung der offenen Welt befürchtete, Kojima würde Snake einfach auf eine Karte voller Assassin's-Creed-artiger Marker werfen, den kann ich beruhigen. Aber wer für eine bestimmte Mission in den Heli zum Einsatzgebiet steigt, befindet sich häufig nur auf einem eingeschränkten Ausschnitt der Karte. Das lässt gleichzeitig ausreichend Raum zur Erkundung, gibt aber zumindest auch ein wenig Richtung. Mir gefiel die Balance ausgezeichnet. Und wer einfach nur frei erkunden will, dem steht natürlich auch das offen, ohne künstliche Begrenzungen.

Ebenfalls bemerkenswert ist das Buddy-System. Vor jeder Mission wählt ihr nämlich nicht nur euer Loadout an Waffen und Werkzeugen, sondern auch euren "Kumpel". Den ersten kennt man bereits, ohne es zu wissen: Den Schimmel, der die Reise über die Karte deutlich erleichtert. Auch für ihn könnt ihr neue Ausrüstung erforschen. Und obwohl ich das in sieben Stunden nicht hinbekommen habe, so fand ich zumindest den zweiten "Buddy"-Kandidaten. Zu Beginn einer Mission lief mir ein Wildhund-Welpe zu, den ich betäubte und per Fulton zur Basis schickte. Hier wird er wohl zum Begleiter in Wolfsgröße anwachsen und mir dann mit speziellen Talenten in Missionen zur Seite stehen - wenn ich auf das Pferd verzichte. Lustiges Detail am Rande: Die abgebrühten Soldaten in der Basis unterhielten sich angeregt über den pelzigen Neuzugang.

Eine weitere Besonderheit dieses Ausrüstungsbildschirms, die in sieben Stunden nicht weiter zu ergründen war: Das Feld "Charakter" deutet an, dass Snake nicht die einzige spielbare Figur sein wird. Mein Tipp: Einige der zu Felde rekrutierten Soldaten sind Einzelkämpfer, die anstelle von Snake eine Mission angehen können. Vielleicht kann man sie sogar trainieren und ihre Werte aufbessern? Dann würde auch Sinn machen, dass Kiefer Sutherlands "Punished Snake" mit seinen Dialogzeilen während der Missionen so sehr haushaltet.

Auch als reiner Actioner gespielt, funktioniert dieses Metal Gear ausgezeichnet. Eine Entwicklung, die sich im vierten Teil schon andeutete.

Die bis zu einem gewissen Punkt immer frei auswählbaren Missionen selbst - fast immer konnte ich mich zwischen drei und fünf offenen Aufträgen entscheiden - gaben sich in der Mehrheit trotz der Fülle an Optionen als überaus straffes Spiel, ohne ein Gramm erzählerisches Fett. Mühelos changierten die Einsätze zwischen Stealth und moderner Action, wenn man denn will oder Mist baut und sich entdecken lässt. Ich ermittelte die Position von Gefangenen, schlich mich in die Festung, erledigte ihre Peiniger und evakuierte sie per Fulton. Ich schaltete gezielt feindliches Militärpersonal aus oder beschaffte experimentelle Ausrüstung zurück, die nicht in falsche Hände gelangen durfte. Ich machte mich sprintend und mit dem pfeifenden Wind in den Ohren auf die Suche nach Rohdiamanten, jagte einer Wache eine Waffe ab, die ich noch nicht selbst herstellen konnte und begab mich auf die Suche nach einer fantastischen Auswahl an Musikkassetten mit bekannten lizenzierten Stücken aus der Zeit.

Wo andere Open-World-Spiele ihre Welten mit sinnlosem Tand befüllen, um die Spielzeit zu strecken, fühlt man sich hier wirklich belohnt, weil man sich momentweise entweder als Teil einer popkulturellen Zeitkapsel fühlt oder Dinge ausfindig macht, die die Situation in der Mutterbasis verbessern. Es ist nicht so sehr World-Building, das Kojima hier betreibt. Afghanistans Steppen mit ihren langen Wegen und flachen Hütten drängen sich bis hierhin nicht unbedingt für Sightseeing auf und werden vermutlich nicht dieselben Liebeslieder provozieren, wie man sie über Los Santos hört. Aber es ist ein von jeder Seite aus angehbarer Spielplatz für die beachtlichen Talente dieses Helden. Dazu kommt natürlich, dass viele heiß geliebte Serienfeatures weiterhin mit von der Partie sind: Bewertungen nach Missionen, die man immer mehrfach spielen kann (Peace Walker), optionaler Verzicht auf tödliche Gewalt, überraschen von Wachen mit gezogener Waffe. Diese sieben Stunden waren schon rein spielerisch eine wahre Wonne.

Allein, die Regie der Eröffnung ließ mich ein wenig kalt. Alles sah spitze aus, und im Nachgang die Geschehnisse zu sezieren und mit späteren Erkenntnissen abzugleichen, wird mir noch einiges Kopfzerbrechen bereiten. Im einen oder anderen Moment jedoch vergriff sich Kojimas sonst so sichere inszenatorische Hand. In der Krankenhausszene gab es Situationen, die mir unplausibel oder ungeschickt erschienen. Dinge der Marke "wie in Gottes Namen wurde Snake hier nicht entdeckt!?" oder "warum nimmt er jetzt nicht die Beine in die Hand!?". In einer anderen Situation vergisst Kojima Productions die letzten 15 Jahre Entwicklung in Sachen Spielerführung, als gleich zwei hell erleuchtete Exit-Türen nicht den Ausgang aus einer Szene darstellen, in der einzig die Flucht möglich ist.

Es könnte Liebe sein.

Immer noch fordern NPCs dazu auf, "Taste X auf dem Controller" zu drücken. Das steht vielleicht in bester Serientradition, in einem Kampf ums Überleben vor fotorealistischer Kulisse bricht es aber unnötig die Immersion, wenn das geforderte Kommando gleichzeitig auch unten eingeblendet wird. Über Sutherlands wortkargen Ansatz, Snake zu verkörpern, wurde ja schon genügend gesagt, was vor allem dann auffällt, wenn er einen brennenden Blauwal aus dem Erdreich springen und einen Helikopter verschlingen sieht (Szene aus dem Debüt-Trailer bekannt) und anschließend keine Silbe darüber verliert. Hier muss man abwarten, ob die Handlung von The Phantom Pain nicht doch noch einen guten Grund liefert, oder sich Snakes Zunge im späteren Verlauf noch lockert.

Mit dem Ende der Ära Kojima steht uns rein spielerisch das interessanteste und konzentrierteste Metal Gear Solid ins Haus. Jetzt bleibt nur zu prüfen, ob die vielfältigen Systeme auch über die komplette Länge hinweg ihre Zugkraft behalten und die Entscheidungen des Spielers in Bezug auf die Mutterbasis das Erlebnis zu etwas prägen, das für jeden einzigartig bleibt. Ich vermag es nicht zu sagen, wähnte ich mich doch nach sieben Stunden noch immer ganz am Anfang.

Bis hierhin ist dieser spezielle Abschied jedenfalls einer voller Stärken, die man einer 17 Jahre alten Spieleserie (27, wenn man die MSX-Episoden mitzählt) nicht zugetraut hätte. Selbst wenn das bedeutet, dass Aspekte wie die Inszenierung zumindest für den Moment und den gesehenen Ausschnitt nicht ganz die Güte erreichen, die man gewohnt ist. Ich für meinen Teil weiß, was ich wichtiger finde: Den Willen, sich nach all der Zeit noch zu verändern, offen für Neues zu sein, ohne sich selbst zu verlieren. Erwartungen auf den Kopf zu stellen und so hier und da seinen Fans vor selbigen zu stoßen. Das ist etwas, das nur Leuten wie Kojima dürfen und können. Und Spiele wie diese, auf die man gerne sieben Jahre wartet.

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