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Beyond - Vorschau

Hinter dem Regen: Wie David Cage die Antwort auf die Frage nach dem Jenseits geben will.

Quantic Dreams Spiele polarisieren aus mehreren Gründen. So ist Kreativ-Chef David Cage zum Beispiel jemand, der gerne große Freiheit und Wahlmöglichkeiten in seinen Werken predigt, diese dann aber, zum Unmut Einiger, nur in kontrollierten Umgebungen zulässt. Dann wiederum verspricht er emotionale Erlebnisse wie nie zuvor, nur um dann einzelne Szenen, wie auch den kompletten Bogen seiner Handlung, mehr oder weniger aus einem Best-Of aller Psycho-Thriller der 90er zusammenzusuchen. Und dann ist da noch die Tatsache, dass man durchaus das Gefühl bekommen kann, ein Titel wie Heavy Rain wäre letzten Endes doch lieber ein Film.

Trotzdem ist mir diese Sorte Spiel, mit überlebensgroßen Visionen und Ideen, sehr viel lieber als der zwölfte Shooter, der mir eine spielergetriggerte Zeitlupe als Innovation verkaufen will. Niemand sonst rückt interaktives Geschichtenerzählen derart in den Fokus wie Quantic Dream. Und wenn es funktioniert, dann entlockt es einem tatsächlich eine Gefühlsregung, wie nur wenige andere Spiele es können. Bei aller Spieler-Manipulation und allen erzählerischen Taschenspielertricks, die einen bei der Suche nach dem Origami-Killer häufig ein bisschen unfair aufs Glatteis führten, schlug einem das Herz doch oft genug bis zum Hals, dass man Cage und Co. zugestehen muss, auch sehr viel richtig gemacht zu haben.

Was also wird Beyond? Eine Frage, die man sich so ähnlich schon damals nach dem "The-Casting"-Video zu Heavy Rain stellte, die heute aber deutlich einfacher zu beantworten ist. Ebenso wie Heavy Rain seinerzeit das Rezept von Fahrenheit fortführte, wird auch Beyond aller Voraussicht wieder ein Adventure mit weit dehnbarem Handlungsfaden und Gestaltungsspielraum für den Spieler sein. Statt wie in alten Lucas Arts Klassikern per Point-and-Click-Steuerung, wird die Hauptfigur erneut direkt gespielt. Viele Gesten dürften einmal mehr analog abgefragt werden, sodass etwa ein langsameres Türenschließen weniger verräterische Geräusche produziert, als wenn man sie unbedacht einfach hinter sich zuwirft. Im Grunde haben wir hier rein mechanisch gesehen vermutlich das dritte Spiel in einer Reihe Fortsetzungen, nur dass es sich Quantic Dream wie schon bei Heavy Rain nicht so einfach macht, Beyond werbewirksam als Teil einer Serie zu verkaufen.

In der General-Interest-Presse wird das Spiel sicherlich für seine Hauptdarstellerin die meiste Aufmerksamkeit bekommen: Ellen Page, bekannt aus Juno, Inception und Super, warf sich in den mit Tracking-Kugeln versehenen Motion-Capture-Anzug, um der Figur der Jodie Holmes Leben einzuhauchen. Im Vergleich zu Heavy Rain, dessen Schauspieler zusammen vermutlich nicht annähernd die Gage bekamen, wie sie Page für gewöhnlich auf ihre Rechnungen schreibt, ein ganz anderes Kaliber, das durch die verbesserte Technik wohl auch nötig wird. Wenn man das E3-Video einer Befragung der katatonischen Hauptfigur Jodie Holmes durch einen ehrlich besorgten Polizisten als Messlatte anlegt, gelingt es Quantic Dreams verbesserter Ausrüstung ganz ausgezeichnet, auch subtile Regungen einzufangen. Pages Charakter äußert in dieser Szene eine einzige Zeile und beschränkt sich in ihrer Darbietung ansonsten auf Gesichtsausdrücke, und doch kann man mühelos ein Wirrwarr ungefilterter Gefühle von ihr ablesen. Ihre künstliche Herkunft verraten die Figuren eher bei unfreiwilligeren Bewegungen, etwa wenn der Sheriff kurz den Mund offenstehen lässt und dabei ein lebloses Inneres entblößt. Ansonsten ist das hier aber gefühlt sogar noch etwas über der Kara-Demo, mit der Quantic Dream vor ein paar Monaten die Gänsehaut-Leitfähigkeit seiner neuen Mo-Cap-Einheit prüfte. Gerade die warme und zarte Darstellung der Haut der Figuren, aber auch die schön ausgeleuchtete Einrichtung des Sheriff-Büros stellen eine augenscheinliche Steigerung zu der vergleichsweise kargen Tech-Demo von Anfang März dar.

Mit dem drückend düsteren Heavy Rain kehrte Cage dem in Fahrenheit noch etwas zu beliebig einsetzenden übernatürlichen Hokuspokus den Rücken. In Beyond geht er nun wieder einen Schritt zurück. Dass er von vorneherein damit rausrückt, dass Jodie Holmes "soweit ihre Erinnerung zurückreicht" eine Verbindung mit einer unsichtbaren Wesenheit spürt, lässt zumindest den gebotenen Fokus vermuten, der hoffentlich sicherstellt, dass die Handlung im weiteren Verlauf nicht ganz so - 'tschuldigung - dämlich über Bord geht. Wer sich an Fahrenheit erinnert, weiß noch gut, wie es als vielversprechende Murder-Mystery startete und im letzten Drittel als Weltverschwörungs-, Alien-, Matrix-Geschwurbel auch seine flammendsten Verehrer noch abschüttelte und mit schmerzenden Hinterteilen in den Staub warf.

Erzählerisch ist vor allem interessant, dass wir Jodies Geschichte über 15 Jahre ihres Lebens miterleben und formen dürfen. Ein Gedanke, der schon für Dragon Age 2 tolle Szenarien versprach, dann aber sträflich unterentwickelt blieb. Klingt in jedem Fall nach einer gewaltigen Herausforderung für Cage, der erneut das ganze Spiel alleine schreiben will. In Heavy Rain gelang es ihm nicht, jeden Erzählstrang zu einem befriedigenden Ende zu führen und die Entscheidung, die komplette Erklärung für Ethans Blackouts mal eben aus dem Spiel zu schneiden, nehme ich ihm heute noch persönlich übel. Zudem: Oft entlarven Cages Dialoge, dass der Gute kein "Native Speaker" ist. David De Gruttola, so der bürgerliche Name des Quantic-Dream-Gründers, ist Franzose und hätte hier und da gut jemanden wie Harrison Ford vertragen können, um ihm zu sagen: "George, you can type this shit, but you sure as hell can't say it!"

Beyond - Trailer

Die wohl interessanteste inhaltliche Frage dürfte sein, wie Quantic Dream die schmalere Protagonistenriege zu kompensieren gedenkt, die damals dafür sorgte, dass es in Heavy Rain im Grunde kein Game Over gab. In dem Thriller konnte man problemlos bei der Rettung des Kindes versagen und der Geschichte damit nur ein sehr, sehr bitteres Ende verpassen. Zwei der Figuren konnten noch vor dem großen Twist sterben, eine weitere in den Knast wandern, wenn man besonders schlecht war. Wie geht Beyond mit dem Versagen des Spielers um, seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen? Die Möglichkeit trotz einer nach allen klassischen Bewertungskriterien vermackelten Spielszene weitermachen zu können und mit den Konsequenzen zu leben, war eine tragende Säule der dehnbaren Handlung des Vorgängers. Hoffentlich findet Quantic ein ansprechendes Äquivalent, denn sonst werden die Spieler in Beyond wieder nach dem "optimalen Weg" durch die Geschichte suchen, den es in einer wahrhaft interaktiven Erzählung eigentlich nicht geben sollte.

Ein neues Quantic-Dream-Spiel ist immer Grund zur Freude. Als neue Darreichungsform des Adventures, als Narrative zum mitmachen und hoffentlich auch dieses Mal ohne wirkliches Game Over, produzieren die Franzosen zumindest auf erzählerischer Ebene immer wieder zumindest interessante Ergebnisse. Und selbst wenn sie dabei auf hohem Niveau scheitern oder gar komplett die Nase fallen, so liefern ihre Experimente doch immer exzellentes Anschauungsmaterial und zugleich Nährboden für andere Erzähler interaktiver Geschichten und deren Ideen. Heavy Rain bescherte uns einige der spannendsten Momente dieser Generation. Wenn Quantic Dream aus dessen Verfehlungen die richtigen Lehren gezogen hat - nicht auszudenken, was jenseits des schweren Regens auf uns wartet.

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