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Guacamelee! Gold Edition - Test

Wo mexikanische Ringer ins Totenreich springen und von Ziegen den Frosch-Slam erlernen.

Mit Verlaub, Samus Aran ist 'ne Lusche. Mit ihrer schwer gepanzerten Ganzkörper-Rüstung würde ich mich auch furchtlos in jedes monsterverseuchte Loch stürzen. Die Lady soll das mal wie Juan und seine Partnerin Tostada ohne das ganze High-Tech-Gedöns versuchen - nur als mexikanische Ringerin verkleidet. Faustkampf und Würfe statt Arm-Kanone und Raketen. Ich gehe jede Wette ein: "Luchadora Samus" würde keine zwei Minuten in dieser Beat-em-up-Hölle überleben. Und was einem in Metroid als Sprungpassagen verkauft wird, ist im Vergleich zu Guacamelee! sowieso Pillepalle. Die paar Wandsprünge, Space-Jumps und Plattformen. Da kann ich nur noch lachen drüber!

Im Plattformer-Prügel-Mix der Drinkbox Studios gibt es all die coolen Manöver, die Metroid, Meat Boy, Mega Man, Zelda und Castlevania groß gemacht haben. Doppelsprünge, Wall-Jumps, Uppercuts und sogar Dimensionswechsel zwischen Diesseits und Jenseits wollen da koordiniert werden. Mit diesen Zutaten haben die Entwickler komplexe Sprungrätsel gebastelt, für die ihr sämtliche Buttons eures Gamepads beherrschen müsst, wie der virtuose Mozart sein Cembalo:

Shoryuken auf mexikanisch - hat auf Fiesewichte die gleiche Wirkung wie zuviel Tequilla.

Sprung an die Wand, abstoßen, Doppelsprung auf die gegenüberliegende Seite, in der Luft die Dimension wechseln, an der erschienenen Wand abstoßen, Doppelsprung, noch ein Dimensionswechsel, an der gegenüberliegenden Wand festhalten. Wand hochrennen bis zu den tödlichen Stacheln, abspringen und per Ziegen-Flug zur anderen Wand hinüber, Mauersprung, Doppelsprung, Dimensionswechsel, und zum Schluss ein Uppercut, um endlich die Plattform ganz oben zu erreichen. Heiliger Salto, Batman!

Dabei gehören derart akrobatische Einlagen noch zum Standard-Repertoire. Sobald bewegliche Plattformen, rutschige Wände, Säureseen, fliegende Drachen oder eine herabsinkende Stachelwand ins Spiel kommen, wird die Hüpferei richtig anspruchsvoll. Umso größer dann der Jubel, wenn man eine Passage nach zig Anläufen meistert. Dass die Motivation dabei nicht flöten geht, ist auf die vernünftig platzierten Speicher- und Respawnpunkte zurückzuführen. Trotz des knackigen Schwierigkeitsgrades ist Guacamelee! niemals unfair - die Steuerung mit Gamepad oder Tastatur wurde so präzise austariert, dass man bei jedem Fehltritt sofort weiß, wo es gehakt hat und was man verbessern muss.

Nicht ballern! Ringen!

Wenn ich an Metroid zurückdenke, standen freilich nicht die Sprungpassagen im Vordergrund, sondern die dicht-düstere Atmosphäre und die Suche nach neuer Ausrüstung. Letzteres gibt es auch bei Guacamelee. Doch statt Wave-Beam, Raketen und Superbomben müsst ihr hier Nahkampfmanöver erlernen, Kombos meistern und Würfe üben. Dadurch ergibt sich eine interessante Verschiebung in Richtung Gamepad-Beherrschung: Während ihr als Samus gegen Ende des Spiels dank perfekter Ausrüstung durch die Monsterhorden pflügen konntet, basiert eure Überlegenheit in Guacamelee! stets auf eurem eigenen Können. Ja, man lernt ein paar nette Tricks wie den 'Hahnen-Uppercut', 'Frosch-Slam' oder die Flammenfaust 'Dashing Derpderp', doch diese Moves dienen hauptsächlich dazu, neue Wege und Sprungpassagen zu eröffnen. Dass man damit Monster und Bosse flotter vermöbeln kann, ist eher ein praktischer Nebeneffekt - wobei manche Widersacher nur mit bestimmten Attacken klein zu kriegen sind, die man an der Farbe ihrer Aura erkennt.

Gemeinsam mit Metroid hat Guacamelee! die große verwinkelte Spielwelt, in der ihr diverse Aufgaben lösen könnt, sowie versteckte Schatzkisten zur Erweiterung eurer Ausdauer und Lebensenergie oder andere Schmankerl findet. Normalo-Spieler, die alle versteckten Extras aufspüren, dürften locker acht bis zwölf Stunden versenken. Um das mal ins Verhältnis zu setzen: Laut Bestenliste brauchen Cracks in den Top Ten für einen Speedrun mindestens eine Stunde und zehn Minuten. Wenn sie zusätzlich alle Gegenstände einsammeln, sehen solche Elitespieler den Abspann in knapp unter drei Stunden. Ähnliche Zahlen liest man bei Super Metroid und Konsorten. Also durchaus ordentlich. Trotzdem hätte ich mir eine längere Spielzeit gewünscht - mehr Gebiete, mehr Bosse, mehr von allem. Doch angesichts des günstigen Kaufpreises von 15 Euro meckere ich auf hohem Niveau.

Wandsprünge mit Dimensionswechsel sind für Luchador Juan die leichteste Übung. Hier trägt der Ringer das Hühnerkostüm, kann aber noch andere Outfits freischalten.

Nach dem ersten Durchspielen könnt ihr einen neuen Anlauf im schweren Modus starten. Darüber hinaus haben die Macher noch ein paar zusätzliche Schmankerl eingebaut: Es gibt zum Beispiel die "Caverna del Pollo", in der euch beim Abstieg auf jeder Ebene stärkere Feinde entgegentreten - quasi eine umgedrehte Version von Bruce Lees "Game of Death". Habt ihr das gemeistert, könnt ihr für 5000 Pesos den Zugang ins "El Infierno" freischalten, wo ihr Räume mit unterschiedlichen Herausforderungen unter Zeitdruck bestehen müsst und dafür Bronze-, Silber oder Goldmedaillen ergattert.

Vier Fäuste für ein Ay Caramba!

Gemeinsam prügelt es sich nicht nur leichter, auch eure Überlebenschancen verdoppeln sich

Ein besonderer Clou von Guacamelee! ist der, jederzeit zuschaltbare, Koop-Modus, in dem ein Spieler die Rolle der toughen Ringerin Tostada übernimmt. Gemeinsam prügelt es sich nicht nur leichter, auch eure Überlebenschancen verdoppeln sich: Stirbt ein Spieler, schwebt er kurz darauf als Blase zurück ins Bild, die der Kollege zum Platzen bringen muss (New Super Mario Bros. lässt grüßen). Ebenfalls praktisch: Vor komplizierten Sprungpassagen kann man sich auf Knopfdruck in eine Blase verwandeln und dem fähigeren Spieler den Vortritt lassen. Obwohl die automatische Kameraverfolgung beim Koop manchmal etwas hakelt, wurde das Teamplay insgesamt vorbildlich umgesetzt und macht extrem Laune - da fragt man sich, warum Samus immer solo auf die Pirsch gehen muss?

Nicht nur spielerisch, auch optisch punktet Guacamelee! Sollte jemand von Cartoon Network das hier lesen: Sichert euch diese Marke! Die bunte Welt der mexikanischen Luchadores weckt nostalgische Erinnerungen an LucasArts' Grim Fandango, leiht sich ein paar aztekische Elemente aus Disneys "Ein Königreich für ein Lama" und könnte locker mit dem schrägen Zeichenstil von Serien wie "Foster's Home for Imaginary Friends" oder "Hero 108" mithalten. Zwar kommt der Titel in Sachen Atmosphäre nicht an die Metroid-Reihe heran, entwickelt aber einen eigenen, augenzwinkernden Charme.

Der Sound bewegt sich auf ebenbürtigem Niveau. Vor allem die mexikanischen Gitarren- und Trompetenklänge im Hintergrund können durch authentischen Rhythmus überzeugen. Auch nicht schlecht: Beim Dimensionswechsel ändert sich nicht nur der Look des Spiels in Richtung Totenreich, auch die Musik verschiebt die Stimmung von Dur nach Moll. Das nenne ich Liebe zum Detail.

Mexikanische Ringer fliegen heut wieder tief. Die Skelette sollten lieber ihren Schirm aufspannen.

Darüber hinaus haben die Macher nicht an Humor und Anspielungen gespart. In Dialogen werden immer wieder Filme zitiert oder Plakate nehmen Popkultur und Spielprominenz aufs Korn. Da werfen sich Mario und Luigi als Wrestler in Pose, Zeldas Held wird als Luchador "El Linko" angepriesen, ein Poster kündigt den Endkampf zwischen Batman und Bane an, oder das Logo der Firmenzentrale des Teufels ähnelt verdächtig dem "EA" von Electronic Arts. Natürlich fehlt es auch nicht an Spitzen gegen das große Vorbild Metroid. Neue Moves erlernt ihr zum Beispiel, indem ihr Choozo-Statuen zertrümmert (sehr zum Leidwesen eures Trainers in Ziegengestalt). Durch enge Passagen schlüpft ihr, indem ihr euch in ein Hühnchen verwandelt. Weil: in eine Kugel zusammenrollen kann sich schließlich jeder.

Ziehen wir Bilanz: Guacamelee! ist ein Plattformer, der die Highlights von Metroid und anderen Referenztiteln des Genres brillant zusammenführt. Ein Titel, der euch durch anspruchsvolle Sprungpassagen und schnelle Nahkämpfe fordert, auf den ersten Blick vielleicht etwas kurz erscheint, aber die Spielzeit dank diverser Bonusfeatures in ordentliche Gefilde drückt. Dazu der allzeit bereite Koop-Modus, ein einzigartiger Grafikstil, massig Meta-Humor und jede Menge Folklore-Charme. Als Komplettpaket für einen Spottpreis von unter 15 Euro. Neben der Version für PS3 und PlayStation Vita (draußen seit April) gibt es das Spiel nun auf Steam als "Gold Edition" zu kaufen. Wenn ihr auch nur entfernt etwas für Metroid und Konsorten übrig habt, eure Gamepad-Daumen mit einer respektablen Hornhaut überziehen wollt oder eure Wände mit mexikanischen Luchador-Masken schmückt (soll es ja geben), dann unbedingt zuschlagen! Ist gut angelegtes Geld.

9 / 10

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