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Indika im Test: Das schwierigste Spiel des Jahres – aber anders, als ihr denkt

Ein Dark Souls der Seele.

Bitter, aber eindringlich. Über diese Abrechnung mit organisierter Religion muss man lange nachdenken.

Markierte Spoiler werden folgen, sodass ihr die entsprechenden Absätze überspringen könnt, solltet ihr Indika noch nicht gespielt haben.

Mir war schon klar, dass Indika nicht streng genommen das wird, was man als Spaß bezeichnet. Das von den Exil-Russen bei Odd Meter entwickelte Adventure über eine Nonne, die überzeugt davon ist, sie sei des Teufels, ist ein Arthouse-Projekt durch und durch. Bildhübsch, aber verschroben und unbequem, wirkt Indika oft reichlich nihilistisch und hinterließ mich mit einer fast verzweifelten Leere.

Im Grunde ist es müßig, hier eine Sternewertung nach “normalen” Videospielgesichtspunkten drüberzuklatschen. Ich kann es allein an der Intensität messen, mit der ich es erlebte. An den vielen Szenen, die mir in Stil und Bildsprache lange nachhängen werden, selbst wenn ich an einigen Details immer noch zu knabbern habe, um ihre Bedeutung zu entschlüsseln. Das war ein Ritt, wie ich ihn selten erlebt habe – und dabei sowohl technisch als auch in dem bescheidenen spielerischen Rahmen, in dem es sich bewegt, überwiegend sehr überzeugend.

Obwohl Indika eindeutig ein Titel ist, der mit den Vibes und der Botschaft zuerst auf einen zugeht, war ich regelmäßig überrascht, wie gut die traditionell videospieligen Einlagen doch waren. Plattformen und Leitern verschieben, Aufzugrätsel und auch die 16-Bit-Einlagen, die Indikas Vergangenheit illustrieren, spielten sich (abzüglich einer gelegentlich etwas nervösen Steuerung) auf eine Weise solide, die mich überraschte. Immer wieder verspürte ich das große Verlangen, eine wunderbar finster gewählte Kameraeinstellung oder ein prächtig ausgestattetes Szenenbild auf einem Screenshot einzufangen. Selbst die englischen Sprecher machen alles richtig.

Indika Test-Galerie

Vor allem aber spielt Odd Meter geradezu kunstvoll mit eurer Wahrnehmung, wenn es euch durch ein bedeutungsschwangeres Zerrbild eines Russlands des frühen 20. Jahrhunderts schickt. Wie sehr diese in eine fiebrige Sinnesschräglage verrückte Welt auf Indikas Zustand zurückzuführen ist – sie hat ganz eindeutig schwerwiegende mentale Probleme –, finden wir nie ganz heraus. Aber das Bild einer Stadt, deren Horizont mehrmals von geradezu erdrückend gewaltigen Kirchenglocken fast komplett ausgefüllt wird, ist vor dem Hintergrund dieser Handlung ein Bild, das man nicht aus dem Kopf bekommt:

Odd Meter zeichnet die Kirche und den Glauben mehrmals als missbrauchtes Machtinstrument, das von oben zur Unterdrückung und Steuerung der Bevölkerung eingesetzt wird, insbesondere von Frauen. Diese Kritik an Kirche als Organ zieht sich durch das komplette Spiel, wenn wir Punkte für einen sinnfreien Skilltree sammeln, der unseren Frömmigkeits-Level steigert, was das Spiel in seinen Tutorial-Texten selbst als sinnlos bezeichnet. Mehrmals erleben wir, wie Indika ihre psychische Störung buchstäblich wegbetet, was das Spiel in einem seiner besten Ideen in eindringliche Plattformrätsel integriert. Das ist dann doppelt bitter, weil wir nicht ausschließen können, dass ihre psychische Störung nicht auch durch den Umgang der Kirche mit angeblich sündhaften Menschen erst herbeigeführt wurde. Wir sehen auch, wie Kirchenvertreter und Militär gemeinsame Sache machen, wie Religion als Waffe eingesetzt wird – und wie sehr wir uns bisweilen doch darauf stützen.


SPOILER ZUM FINALE VON INDIKA im folgenden Absatz. Wollt ihr es noch selbst erleben, springt direkt zum Fazit

Die letzte Szene zeigt, wie Indika und Ilia quasi parallel vom Glauben abfallen, mit drastisch unterschiedlichem Ausgang für beide. Während Ilia das so lange gesuchte Kleinod für wenig Geld verscherbelt und sich dem Alkohol hingibt, löst sich Indikas Selbstwahrnehmung als deformierter Dämon in dem Moment auf, in dem sie Religion in ihren Augen als Menschen gemachtes Konstrukt erkennt. Wir sehen nicht, was mit Ilia danach passiert. Aber die Freude über Indikas gesundetes Selbstbild klingt schnell ab und geht in eine formlose Leere über, als ihr Blick – im letzten Abschnitt eindringlich aus der Ego-Perspektive inszeniert – suchend über den achtlos herumstehenden Tand im Pfandhaus irrt. Über verstummte Instrumente, Teile eines Zuhauses und polierten Versprechen aus Messing oder Gold. Eine leise verzweifelnde Suche nach einem neuen Sinn im Leben. Es ist das Letzte, was wir erleben, bevor der Abspann läuft. Klirrende Kälte, die auf langen Fingern den Rücken runterkrabbelt.


Indika Fazit

Man kann sicher noch vieles aus Indika lesen, einiges sogar substanziell anders sehen. Insbesondere, wenn man kulturell einen näheren Bezug zu der Region hat, dürfte man Details aufschnappen, die mir durch die Lappen gingen. Aber mich hat diese kühle, unverblümte Abrechnung mit organisierter Religion als Kontrollmechanismus sehr gefesselt. Man kann nicht anders, als am Schluss großes Bedauern für und Mitgefühl mit Ilia und Indika zu spüren, die – verraten, getäuscht, missbraucht – eben jenen Halt verlieren, der augenscheinlich bisher ihr Überleben sicherte. Was danach kommt, darauf hat Odd Meter keine Antwort. Das ist bitter, aber wahr.

Indika
PROCONTRA
  • Starkes Minenspiel von Indika
  • Bedrückende Art-Direction
  • Handlung regt zum Nachdenken an
  • Überraschende Stilbrüche
  • Interessante Musikuntermalung
  • Teils nervöse Steuerung in 2D-Sequenzen
  • Einige Szenenübergänge ruppig geraten
  • Nicht an Spaß im eigentlichen Sinne interessiert

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