Loki Season 2 findet vor seinem Finale großen Spaß daran, mich zu quälen
Und ich bin ihm beinahe nicht böse dafür.
Es ist schon ein paar Tage her, dass ich die vorletzte Folge der zweiten Staffel Loki gesehen habe. Und obwohl sie letzten Endes an einem Ort ankommt, an dem es sich Geschichten mit Zeitreise-Elementen nur allzu gerne gemütlich machen – im Grunde kehrt sie am Schluss zur Ausgangssituation zurück –, lässt mich nicht los, was ich da gesehen habe. Für mich waren das nach langer, langer Zeit endlich mal wieder ein paar magische Marvel-Minuten.
“Magisch” nicht nur in Sachen Design und Stil, sondern auch im Hinblick darauf, was das alles für das MCU bedeutet. Oder besser: Bedeuten könnte. Klar ist, dass Lokis zweite Staffel das erste Mal ist, dass mir der Multiversum-Plot echte Gefühle abringt. Die Spaghettifizierung der unkontrolliert wuchernden Zeitlinien ist wahnsinnig bedrohlich (wenngleich wunderschön) inszeniert. Ich habe das erste Mal das Gefühl, dass eben doch etwas auf dem Spiel steht, das nicht mit einem Charaktertausch aus einer anderen Zeitlinie zu beheben wäre. Potenziell sieht man hier unendlich oft die Snap-artige Pulverisierung lieb gewonnener Charaktere und das ist in seiner Hoffnungslosigkeit sehr effektiv gemacht.
Gleichzeitig scheint die Lösung für die aktuelle Misere und das schwindende Interesse an diesem Film- und Fernsehuniversum zum Greifen nah: Loki wäre, Stand jetzt, eine Folge vor Schluss, in einer konkurrenzlos guten Position, das komplette MCU einem umfassenden Reset zu unterziehen. Die Rettung ist eigentlich zum Greifen nah. Und doch wissen wir, dass zeitgleich mit dem Ende von Loki The Marvels in den Kinos startet. Und der scheint allem Anschein nach nicht daran zu denken, etwas anderes als Post-Endgame MCU-Beliebigkeit aufzutischen (auch wenn Iman Vellanis Ms. Marvel eigentlich eine tolle Entdeckung ist).
Loki also lässt das, was ich mir als Lösung des aktuellen Marvel-Problems vorstelle, so nah vor meiner Nase herunterbaumeln, dass ich mir fast sicher bin, der Gott des Schabernacks nimmt seine Stellenausschreibung ein wenig zu ernst. Was könnte er, mit seiner neuen Gabe, “die Geschichte umzuschreiben” (schönen Gruß von Alan Wake!), nicht alles ausrichten, um ungeschehen zu machen, was den Fans die letzten zwei Jahre hindurch als neue Vision fürs MCU verkauft wurde. Es ist auf dieser Seite gut dokumentiert, dass ich immer wieder einzelne Episoden, Ideen oder Casting-Entscheidungen des neueren Marvel Cinematic Universe gut bis sehr gut fand. Der Eindruck, dass irgendjemand eine Vorstellung davon hatte, was für eine Geschichte die größte Kinoreihe aller Zeiten nach Thanos erzählen wollte, entstand aber zu keiner Sekunde.
Was für ein Durcheinander unklarer Motive, niemand weiß, worum es gerade überhaupt geht, irrsinniges Wettrüsten der Weltuntergangszenarios und dazu ein schwacher Oberbösewicht, den wir nach Victor Timelys Ableben in Episode vier mittlerweile dreimal haben sterben sehen. Und vom Fehlen einer neuen Galionsfigur vom Format eines Iron-Man oder Steve Rogers hätten wir noch gar nicht angefangen. Trotzdem: Maximalismus allenthalben – ich bin nicht einmal mehr sicher, wie viele Wissenschaftsgenies oder sonstige Ausnahmekönner mit Superrüstung aktuell in diesem Universum existieren.
Und jetzt eben Loki Season 2: In Effekten und Ausstattung wunderschön anzusehen, gesegnet mit einem tollen Cast und smartem Drehbuch und vor allem mit mittlerweile ungewohnter Bedeutsamkeit in seiner Handlung, hat der Asgardianer die Chance, alles noch einmal von vorn anfangen zu lassen und das MCU auf einen interessanteren Metahandlungsstrank umzulenken. Zu schade, wenn das Ende, das ab morgen auf Disney Plus zu sehen ist, nichts aus dieser Vhanve macht und nur den Weg für das weitere orientierungslose Elend ebnet, in dem sich selbst interessant angelegte Figuren rettungslos verlieren müssen.
Aber: Loki Season 2 ist für sich genommen in der Tat ziemlich unterhaltsam, das ist schon etwas wert. Ich wünschte nur, ich könnte sie vollauf genießen, anstatt mich krampfhaft an die Hoffnung zu klammern, dass Feige und Co. endlich den Mut finden, ein paar Löcher in diesem sinkenden Schiff zu stopfen. Um es mit Orouboros zu sagen: Es ist ein Fiktionsproblem. Wie schwer kann es sein?