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Der Fall Kinect

Die Stärken, die Schwächen, die Fakten. Digital Foundry ermittelt.

Viele von Kinects Einschränkungen sind also softwareseitiger Natur und um sie kann „herum entwickelt" werden. Aber wie steht es mit der eigentlichen Hardware? Die vielleicht größte Überraschung – und Enttäuschung – ist, dass die Auflösung von Kinects so wichtiger Depth Map nur ein Viertel so hoch ist wie die der Referenz-Kamera von PrimeSense: 320 x 240 statt 640 x 480.

Dadurch kommt der Gedanke, einzelne Finger oder jegliche Art feiner Details auf zufällige Art und Weise zu erfassen, erst gar nicht auf. Interaktionen der fortschrittlicheren Sorte dürften also schwierig zu implementieren sein – so wird es etwa keine virtuellen Tastaturen zum Tippen geben. Die Präzision ist einfach nicht gegeben. Dies führt uns zu einer weiteren, einfachen Frage: Wenn man im Sitzen spielen kann, wie soll man dann mit dem Spiel interagieren, wenn das System mit den Fingern des Spielers nichts anfangen kann? Nur mit den Armen zu wedeln wird in den meisten Fällen nicht als voll ausgewachsenes Kontrollschema durchgehen.

Wenn man die großen Hoffnungen bedenkt, Kinect könnte den Weg zu den mythischen Minority-Report-artigen Interfaces ebnen, entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass die niedrig aufgelöste Depth Map scheinbar zu einem der frustrierendsten Aspekte der Kinect-Erfahrung beiträgt: Die Menü-Navigation und Button-Wahl ist weit weniger intuitiv als wir gehofft hatten und deutlich langsamer als mit dem Pad. Eine leuchtende Kugel oder ein Pointer wird mit dem Arm bewegt und muss für ein paar Sekunden still gehalten werden, um eine Auswahl zu bestätigen. Sonys Dr. Richard Marks – der Schöpfer von PlayStation Move – forschte ausgiebig in Richtung 3D-Kameras, bevor er sich für das Design mit der glühenden Kugel entschied. Wir fragten ihn, was Kinect kann, was mit seinem fingerlastigeren Move-Controller nicht möglich ist.

„Kinect bekommt andere Daten als wir. Ich bin wirklich vertraut mit diesen Daten, deshalb weiß ich genau, was man damit machen kann. Und ja, es kann einiges. Es ist wirklich gut für bestimmte Dinge wie Tanzen oder zum Trainieren. Es ist allerdings schwer, damit aus dieser Nische herauszukommen", so Marks.

„Keine Tasten zu haben und keine Möglichkeit, Informationen auf einfachem Wege zu übermitteln... das ist meiner Meinung nach das, was es limitiert. Ich finde die Technik immer noch sehr interessant und ich habe immer noch vor, mir anzusehen, welche Dinge wir mit 3D-Input dieser Art vollbringen könnten, aber ich finde, dass es nicht das ersetzt, was wir haben."

Kinects einzigartiges Setup und seine Hardware-Limitationen betteln förmlich nach Innovationen bei Gameplay- und Steuerungsdesign. Spieledesigner werden ihre Probleme haben, ihre vorhandenen Konzepte auf das System zu portieren. Auf lange Sicht könnte sich dies allerdings als gute Sache herausstellen, da Kinect sich womöglich deutlicher von anderen Systemen abgrenzen kann. Spiele wie Child of Eden sind ein gutes Beispiel dafür.

Seine Einschätzung ist natürlich fair, aber die Hardware-Limitationen zwingen die Entwickler auch, sich von gängigen Kontrollsystemen zu verabschieden – Innovationen bei der Steuerung ziehen fast immer Innovationen bei Gameplay-Konzepten nach sich. Es spricht viel dafür, dass Kinect sich eine eigene Identität erschaffen kann und eine Auswahl vollkommen neuartiger Spiele um sich versammelt. Wie Marks schon sagt, kann Kinect Move auf keinen Fall ersetzen, es ist allerdings gut, eine deutlich unterschiedliche Hardware geboten zu bekommen, die die Entwickler dazu bringt, etwas Neues zu versuchen. Schon von Child of Eden gehört?

Die Auswahl an Titeln, die bisher enthüllt wurden, wirft eine Reihe an Fragen auf, die noch nach einer Antwort verlangen. Diese haben aber weniger mit der Technik zu tun, sondern eher mit Microsofts Richtlinien dafür, wie Kinect benutzt werden sollte.

Erstens, wird Kinect in zukünftigen Core-Games als zusätzliche Eingabemethode genutzt werden, um den Input des Joypads zu ergänzen? Dieser Gedanke scheint vielleicht wie eine Selbstverständlichkeit, aber bisher haben wir nicht einen Titel gesehen, der die beiden Kontrollschemata in einem Spiel vereint. Tatsächlich ist das Einzige, was in dieser Hinsicht einer Ankündigung zumindest nahe kam, Fable III – und das scheint verwunderlicherweise seine Kinect-Funktionalität wieder eingebüßt zu haben. Zweitens gibt es keinen Zweifel daran, dass Kinect genutzt werden könnte, um vom Spieler getragene Gegenstände zu erfassen. Warum haben wir dann kein Spiel gesehen, dass diese nutzt? Wie viel cooler wäre zum Beispiel ein Baseball-Spiel, wenn man einen tatsächlichen Schläger schwingen würde? Gleiches gilt auch für PGA Tour.

Genau wie der Pad/Kinect-Hybrid gibt es absolut keinen Grund, warum es aus technischer Sicht nicht funktionieren sollte. Aber man bekommt ein wenig das Gefühl, dass Microsoft nicht möchte, dass es schon im Hier und Jetzt passiert. Vielleicht, weil es ein bisschen dem „Du-bist-der-Controller"-Marketing-Motto widerspräche. Das Scannen von Gegenständen via RGB-Kamera direkt in das Spiel hinein ist das, was der Idee der Integration vom Spieler getragener Items am nächsten kommt.

Titel wie Kinect Sports demonstrieren, dass Microsoft klar auf Spieler abzielt, die Wii-artiges Gameplay mögen. Die Gefahr ist, dass die Xbox 360 bislang wenige der von Nintendo 'Brückenspiele' getauften Titel bietet – Spiele, die Casual- und Core-Spieler gleichermaßen ansprechen.

Kinect hat derzeit einen gewissen Inselcharakter. Die Integration mit Core-Spielen scheint nicht besonders hoch auf Microsofts Agenda zu stehen: Alles dreht sich um (für die 360 jedenfalls) neue Spiele für eine neue Zielgruppe, deren Schnittmenge mit dem Hardcore-Markt sehr gering ist. Das sieht man sogar an der Preisgestaltung: 150 Euro für den Sensor scheinen nicht unbedingt attraktiv, aber ein Paket aus HD-Konsole und Sensor, der mehrere Spieler unterstützt, hat zum Preis von 299 Euro schon sehr viel mehr für sich. Insbesondere im Vergleich mit einem normalen Wii SKU mit nur einem Controller für 199 Euro.

Core Gamer mögen über den Großteil des Kinect-Portfolios die Nase rümpfen, man kann aber durchaus sagen, dass diese gleichermaßen über Wii Sports und Wii Fit denken – echte Megaseller, die Nintendo bisher mehr oder weniger monopolisiert. Microsoft denkt, die „SciFi"-Fähigkeiten von Kinect seien für diese Sorte Spiele besser geeignet und das ist ein Bereich, in dem Sony mit Move aus den von Richard Marks erwähnten Gründen einige Probleme haben wird, gleichzuziehen.

Am Ende kommt es darauf an, was man will. Unserer Meinung nach ist PlayStation Move der flexibelste, vielseitigste Motion Controller der HD-Konsolen. Er ist der Wii und dem MotionPlus-Upgrade sichtlich überlegen. Aber was wir von den Launch-Titeln bisher gesehen haben, kann mit den ausgezeichneten Konzepten, die sich Sony in seinen R&D-Laboren ausgedacht hat, nicht mithalten.

Kinect dagegen ist etwas vollkommen Anderes als Move und die Wii-Fernbedienung. Die Tatsache, dass es für Fitness- und Tanzspiele auf eine Art und Weise geeignet ist, die keines der anderen Systeme erreichen kann, könnte bereits ausreichen, um den Erfolg der Plattform zu garantieren. Auf lange Sicht könnte es jedoch gut sein, dass es der grundlegende Innovationszwang für die Entwickler ist, der das System von der Konkurrenz abhebt.

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