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Fez - Test

Von der Kunst, ein halbes Jahrzehnt bis zur Veröffentlichung zu brauchen - und doch kein alter Hut zu sein.

"Ich bin so nah an ihm dran. Fez ist meine Identität. Ich bin 'der Typ, der Fez macht'. Sonst nichts."

So sagt es Phil Fish im Trailer der kommenden Spiele-Dokumentation Indie Game - The Movie, mit all der Bedeutungsschwere, die das so mit sich bringt, wenn man ein halbes Jahrzehnt wirklich alles in dieses eine, überlebensgroße Herzensprojekt gesteckt hat. Nachdem der Titel den überwiegenden Teil der aktuellen Konsolengeneration in der Entwicklung war, muss der Druck für den Kanadier und sein Mini-Studio Polytron mittlerweile unerträglich sein. Für ihn ist es freilich viel mehr als einfach nur ein Spiel, das er abhaken kann, um sich dem nächsten Ding zu widmen. Er ist Fez und er meint es auch so.

Die Ausgangslage hätte für den Hybriden aus Hüpfspiel und Knobler nicht besser sein können. Damals war der Ansatz neu und der Titel hat unverändert das Aussehen des typischen Lieblingsspiels von heute, kitzelt mit gekonntem Retro-Vibe das Nostalgie-Zentrum im Kopf. Trotzdem ist in der vergangenen halben Dekade natürlich einiges passiert. Indies und auch größere Studios haben das 8- und 16Bit-Zeitalter neu für sich entdeckt und bedienen mal mehr, mal weniger originell jegliche Geschmäcker. Folglich bildet Fez schon lange nicht mehr die Speerspitze dieser Bewegung, so einflussreich der Titel mit seinem schon früh preisgekrönten visuellen Design auch gewesen sein mag.

Wo allerdings die meisten anderen, ähnlich im Blick zurück schwelgenden Veröffentlichungen in Ehrerbietung an die Videospiel-Altvorderen erstarren, gelingt Fez ein besonderes Kunststück. Polytron und Fish verpassen es nämlich nicht, der auf den ersten Blick so vertrauten Formel einen buchstäblichen 'Twist' mitzugeben, mit dem sie nicht nur diese kubistische Welt ohne Unterlass verdrehen, sondern auch die Köpfe ihrer Gäste. Dadurch ist das Spiel auch heute noch genauso relevant, wie zu seiner so tosend beklatschten Ankündigung 2007 und reiht sich problemlos bei den Xbox-Live-Arcade-Klassikern Braid und Limbo ein - als ganz Großer unter den Kleinen.

Das Konzept, eine nur scheinbar zweidimensionale Spielumgebung in 90-Grad-Winkeln um den Protagonisten zu rotieren und so, alleine durch einen neuen Blickwinkel, einen anderen Weg durch den Level zu finden, ist nicht neu. Und doch fühlt es sich hier die komplette Spieldauer über immer wieder frisch an und stellt regelmäßig das Vermögen, sein räumliches Denken zeitweise auszusetzen oder zu beugen, auf die Probe. Die gestrichene Tiefe sorgt immer wieder für verblüffende Resultate, wenn sich nach einem Dreher vor euch eine andere Version der aktuellen Stage zusammensetzt. Ganz zu schweigen davon, dass die in großen, vollfarbenen Pixeln arrangierte Welt dabei immer umwerfend gut aussieht.

Wie das funktioniert, vermittelt ein kurzes Video sicherlich besser als es tausend Worte jemals könnten, dennoch hier ein Versuch. Durch das Betätigen der Schultertaste vollführt die Kamera einen schnellen 90-Grad-Schwenk in die jeweilige Richtung. Kurz seht ihr, dass die zweidimensionale Landschaft eigentlich aus Quadern und Würfeln besteht, bevor die Sicht wieder einrastet. Zwei Plattformen auf nebeneinander, aber nicht in Sprungweite liegenden Häusern werden in der Seitenansicht plötzlich eins und ermöglichen so die Überquerung der Kluft, die eigentlich zwischen beiden Gebäuden liegt. Andernorts erklimmt ihr ein Rankengewächs an der Flanke eines Turms, das zunächst in einer Sackgasse endet. Erst als sich nach einer weiteren Drehung eine zuvor unsichtbare, ebenfalls Efeu-bewachsene Plattform in den Vordergrund schiebt und an das von euch bestiegene Geflecht heftet, könnt ihr euren Weg fortzusetzen. In kleinen, geschlossenen Räumen würdet ihr ohne diese Blickwinkelkontrolle hingegen Türen, Hinweise oder andere Geheimnisse übersehen, die sich an der Wand gegenüber des Eingangs befinden.

Diese Sorte Feature läuft zunächst einmal immer Gefahr, zum Gimmick zu verkommen und das wäre es in den Händen geringerer Entwickler vermutlich auch. Aber wie Polytron hier geradezu meisterlich jeden einzelnen seiner Räume perfekt ganz auf das Spiel mit der Perspektive abstimmt, das verdient selbst den Respekt der Größten dieser Branche. Wunderte man sich anfangs vielleicht noch, warum die Entwicklung so lange gedauert hat, wo doch der Held nichts anderes machen muss, als springend, kletternd und ab und an mal ein Objekt aufhebend 32 Würfel zu finden, kommt einem das fertige Produkt vor wie ein hochpräzises Uhrwerk. Hier wurde nichts dem Zufall überlassen. Jeder Raum ist ein kleines Kunststück, voll von cleverer Symbolik und Bildsprache. Fish erdachte sogar ein eigenes Alphabet, das einem regelmäßig Hinweise auf die schwieriger versteckten Geheimnisse verrät (eine Übersetzungstabelle findet sich bereits im Netz).

Hier werden viele Dinge gezeigt, von denen sich besonders Nintendo wohl gerade Notizen für das nächste Super Paper Mario macht. Ab und an hat man zwar dieses Braid-Gefühl, das Spiel sei vielleicht ein wenig zu clever in der Gestaltung seiner härteren Rätsel. Und einige der perspektivischen Raumtransformationen wollten mir nicht in den Sinn, obwohl mich schon bis kurz vor das Ende durchgebissen hatte. Doch selbst in einer gefühlten Sackgasse hat man so oft noch die Chance, durch einen Glücksdreher oder Ausprobieren auf die Lösung zu kommen. Diese in der Spielmechanik begründete Rest-Beliebigkeit kann man Fez aber kaum übel nehmen. Letzten Endes sind ohnehin nur die wenigsten Rätsel gegen fleißige Ausprobierer gefeit und auf jeden Fall kommen so einige noch an Stellen weiter, an denen sonst wohl Schluss gewesen wäre.

"Hier werden viele Dinge gezeigt, von denen sich besonders Nintendo wohl gerade Notizen für das nächste Super Paper Mario macht."

Dass Polytron definitiv auch anders kann, zeigen die besonders schwierigen, aber immerhin auf der Karte gekennzeichneten Sonder-Rätsel und Anti-Cubes. Die überfordern nämlich selbst noch Leute, deren Ahnungslosigkeit nur von ihrer endlosen Geduld und Ausdauer übertroffen wird. Wenn man hier tatsächlich selbst auf die Lösung kommt, hält man sich für die Dauer des belohnenden Jingles, während ein neuer Schlüssel, ein Schatzkartenfragment oder eben Anti-Cube ins Inventar wandert, wirklich für unbesiegbar. Man spürt fast, wie einem das Spiel gratulierend auf die Schulter klopft.

So sehr das Spiel in seinem Design damit auch nach vorne blickt, frisch, modern und mutig wirkt, so sehr ist Fez doch auch ein Tribut an damals und eine Safari durch Fishs Sozialisation als Videospieler. Ein angedeutetes Poster vom Startbildschirm von Legend of Zelda an der Wand im Haus des Helden Gomez ist da buchstäblich nur der Anfang. Immer wieder trifft man auf mal mehr, mal weniger offensichtliche Liebesbekundungen, während einem die fantastischen Sphärenklänge den Bauch streicheln und Gomez, weiß wie ein frisch gestärktes Laken, stellvertretend für all die Spielehelden Fishs Jugend die ultimative Projektionsfläche bietet.

An dieser Stelle ein warnendes Wort noch, nicht nach dem einen "schnellsten" Weg durch das Spiel zu suchen. Betretet ihr einen Raum, versucht besser, ihn soweit um seine Würfelfragmente und Cubes zu erleichtern, wie es nur irgend geht. Jeder einzelne Stage ist so wichtig wie die nächste, denn für die letzte Tür braucht ihr definitiv die 32 Würfel. Wer ohne System vorgeht, hat es wegen des verschachtelten Aufbaus der Welt - und der vielen Türen in jedem Raum - später trotz der eigentlich ganz hilfreichen Karte etwas schwer, gezielt zu einzelnen Sub-Räumen zurückzukehren.

Fez - Trailer

Aktuell überschatten die ansonsten ungetrübte Freude über dieses außergewöhnliche Spiel leider noch ein paar Glitches. Kleinere, etwa wenn Gomez von einer Tür nur die untere Hälfte öffnet, aber auch größere: An einer Stelle habe ich es fertiggebracht, wiederholt in einem Stück Level-Architektur zu spawnen, von dem ich immer wieder in den Tod stürzte und wohl noch heute stürzen würde, hätte ich nicht den Ausweg durchs Hauptmenü gewählt. Andernorts kam es zu unerklärlichen Stotterern in Ton und Bild, beinahe, als hätte ich die Welt zu schnell gedreht und der Spielcode käme nicht hinterher. Geradere letztere Zicken sollte Polytron dringend noch beheben. Sie schmälerten zwar nicht meine Freude mit dem Spiel, passen aber nicht so recht zu einem Titel, der in allen anderen Kerndisziplinen eine Meisterschaft an den Tag legt, wie man sie nur selten zu Gesicht bekommt.

Gut, dass das der Eindruck ist, der von Fez bleibt. Dass sich ein Spiel mit so komplexen Umgebungen so locker spielt, passiert nicht von alleine. Jeden neuen Raum dreht und wendet man wie ein kleines Kind ein Spielzeug, dem noch der frische Plastik-Geruch - der Duft von Weihnachten und Geburtstagen - anhaftet. Immer wieder vergisst man dabei, was für ein mühsamer Design-Prozess von Nöten war, um einen derart hypnotisierenden Effekt zu erzielen. Und dass das Spiel es gar nicht nötig hat, einen daran zu erinnern, ist vielleicht das Schönste daran.

Womit wir wieder beim Anfang wären: Wenn Fish seine Einswerdung mit Fez in geradezu bedenkliche Worte fasst, kommt man nicht umhin, ihm die Daumen zu drücken, schon bald eine neue "Identität" zu finden. Meine Fantasie reicht vermutlich nicht aus, mir vorzustellen, was dabei herauskommen mag.

Fez ist für 800 MS-Punkte auf dem Xbox LIVE Marktplatz erhältlich. Einen Download-Code habe ich noch hier - danke Polytron - und er geht im Zufallsverfahren an einen der zehn ersten Kommentarschreiber. Melden sich keine zehn User, fällt die Entscheidung um 17:00 Uhr.

9 / 10

In unserer Test-Philosophie findest du mehr darüber, wie wir testen.

In diesem artikel

Fez

iOS, PS4, PS3, Xbox 360, PlayStation Vita, PC, Nintendo Switch

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Über den Autor
Alexander Bohn-Elias Avatar

Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.
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