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Kingdom Come: Deliverance - So finster die Nacht

Back to Wald, back to Reality.

Stundenlang im Gras zu hocken kann faszinieren. Das war ich schon immer von der Darstellung uriger, ungezähmter Natur, wenn sie zum Beispiel den Zauber eines Waldes beschwört. Das erste große, sich landschaftlich-dekorativ weit genug aus dem Fenster lehnende Videospiel, damit man auch als fauler Naturbursche ohne viel Abstraktion "mittendrin" ist, es muss The Elder Scrolls: Oblivion gewesen sein. Über Bethesda als Landschaftsgestalter sagt es eine Menge aus, wenn man das fast zehn Jahre später noch ohne schlechtes Gewissen behaupten kann. Als wäre die Zeit nie oder nur schleppend vergangen.

Oblivion damals: Gar nicht mal so schlecht gehalten, oder?

The Witcher 3 zeigte kürzlich, dass sie dann doch einen Zahn mehr drauf hatte. Der Wald als Star seiner eigenen paar Quadratkilometer und als Tummelplatz für Geister, Fabelwesen und Orte der Macht. Wenn Kingdom Come: Deliverance im Laufe des kommenden Jahres erscheint, wird es keine Geister oder Orte der Macht haben - aber den Wald in Computerspielen weiter perfektionieren. Jedenfalls so weit, wie es heute möglich ist.

Es hat weder Stärketränke noch Fantasy-Rassen, vermutlich auch keinen Frostbonus oder Blitzschaden absorbierende Ringe. Das Mittelalter-Rollenspiel der Warhorse Studios umschließt einen Teil des historischen Böhmen im 15. Jahrhundert. Und damit einen Traum aus blättrigem Waldboden, plattgetretenen Tannenzapfen, astweise verdorrten Nadelbäumen, Stock und Stein, weil es das ist, was in einen Wald gehört. Man spürt beim Bewegen fast das Pieksen in den Fußsohlen. Auch wenn die mehrere Monate alte Early-Access-Alpha abseits erster Erkundungen wenige Inhalte und von den geplanten 16 Quadratkilometern nur einen Bruchteil zeigt, verirrt sich alle paar Wochen ein Klick auf das Desktop-Symbol. Danach entfaltet sich immer eine beinahe beruhigende Wirkung.

Ein Blick vom Wegesrand aus mit maximalen Details. Es gibt noch nicht so vieles, was eine solide GTX 960 ernsthaft ins Stottern bringt. Die Alpha von Kingdom Come sägt langsam daran.

Sorry, Witcher, dass du in der Hinsicht nicht viel Zeit hattest, dich zu beweisen, doch das ist eine Nummer drüber. Erdiger, gemäßigter und europäischer in der Farbgebung, statt für den amerikanischen Markt übersättigt. Wenn hier eine Windböe durch Gräser oder Bäume zischt, sehen die Animationen natürlich aus, nicht wie wilde Zuckungen.

Und die Nacht? So stockfinster, wie sie ein kleines Dorf mit einer glimmenden Schmiede und wenigen Feuerstellen zeichnen kann. Bewohner sind nur mit Laterne in der Hand unterwegs - ein sehr stimmiges Detail - und Diebe gut beraten, dass sie besser genau wissen, in welches Haus sie einsteigen wollen. Als gestern die Nachmittagssonne ins Zimmer knallte, konnte ich gerade mal anhand des schwachen Lichtscheins aus den Hütten erahnen, wohin ich muss, und verlief mich sogar kurz in einem Hühnerstall. Glaube ich jedenfalls.

So finster die Nacht. Und dabei ist es noch nicht mal 21 Uhr. Der Kerl dort schleppt sich übrigens nachts regelmäßig vom Klo, weil er glaubt, vergiftet worden zu sein.

Die Grafik, so Warhorse-Creative-Director Daniel Vávra auf der E3, ist nicht der größte Flaschenhals. Es ist die KI. "Wir simulieren praktisch jeden Charakter", erklärt er und führt einen Schmied als Beispiel an. Sehr nett ist übrigens, dass dieser so etwas sagt wie "Warte mal einen Moment", als man ihn in seiner Schmiede besucht und anspricht. Er beendet erst den aktuellen Arbeitsschritt, legt die glühende Klinge ab oder ähnliches, bevor er sich mit euch beschäftigt.

"Dieser Schmied fertigt also Schwerter, geht mittags zum Essen, sitzt abends in der Kneipe", erklärt Vávra. "Das geht so weit, dass die Kneipe voll sein kann und er keinen Sitzplatz mehr bekommt. Er begibt sich dann woanders hin, je nach seinen Vorlieben."

Man muss in regelmäßigen Abständen essen und schlafen, sonst kippt man vornüber. Die Nahrung wird sogar schlecht, wenn man sie nicht verbraucht.

Inhaltlich versteht sich Kingdom Come als historisch an der langen Leine gehaltene Sandbox mit all den schönen Systemen: Man kann den leisen, verquatschten, gehässigen oder schlicht gewalttätigen Weg zum Lösen von Quests wählen, Leute verpfeifen oder ihnen beistehen, fremde Taschen leeren, Schlösser knacken und nahezu jeden Charakter töten. "Wenn man ein ganzes Dorf ausrottet, gibt es eine angemessene Reaktion", sagt der Creative-Director und meint damit nicht nur Gegenwehr. "Wenn du das zum Beispiel im Verborgenen durchziehst, weiß natürlich niemand, wer das Dorf getötet hat. Andere Leute können dagegen sehr misstrauisch gegenüber Fremden sein und Wachen dich sogar durchsuchen, ob man Waffen dabei hat."

Reaktivität innerhalb der Welt, eh? Das klingt alles stark nach dem berühmten, fallengelassenen Dolch in Skyrim, um den sich die Bewohner streiten. Keine Ahnung, ob das jemals irgendwo passiert ist, aber schön zu wissen, dass an dieser Front kein Stillstand herrscht - auch wenn es letztlich womöglich weniger aufregend wird, als man es sich jetzt ausmalt.

Trotzdem, der Detailblick zieht sich durchs komplette Spiel: Dass das Ausrüstungsfenster allein für den Oberkörper mehrere Slots besitzt, hat einen Grund. Statt euch mit einer vorgefertigten Rüstung zufriedenzugeben, bestückt ihr vier Schichten, je nach Gefahr und Waffe, der man sich ausgesetzt sieht. Ein robuster Helm schützt gegen Klingen, aber weniger gegen Hämmer, also muss etwas Weiches darunter. Je schwerer und lärmender die Rüstungsmaterialien, desto nachteiliger für Schleichcharaktere. Je teurer sie ist, "desto mehr Angst oder Respekt haben die Leute euch gegenüber".

Warhorse macht keinen Hehl daraus, dass der Schwertkampf das am schwersten in den Griff zu bekommende System ist. Sieht man sich das typische Elder Scrolls an, möchte man das sofort glauben.

Gebunden an eine Ausdauerleiste kommt man ohne Plan nicht allzu weit, und auch mit einem nicht, solange er lautet "Immer feste, dann klappt das schon". Wird es nicht. Jeder Schlag, egal ob Hieb oder Stich, unterliegt physikalischem Feedback, wenn etwa die Klingen aufeinandertreffen oder an Rüstungen entlangschrammen. Kingdom Come untersteht der natürlichen Trägheit beim Führen kiloschwerer Waffen. Es gibt mehrere Kombos für jede Waffengattung, Riposten, Stöße, Tritte und Schläge für in Bedrängnis Geratene.

Die Inszenierung der Dialoge ist sehr hölzern, aber es sind wohl alles noch Platzhalter. Von Skill-Checks (Stärke, Charisma etc.) bis hin zum Bestechen mit barer Münze gibt es nicht wenige Möglichkeiten, an Informationen zu gelangen, wenn der Gesprächspartner sie nicht herausrücken möchte.

Wer eingedost in eine schwere Rüstung aufs Schlachtfeld schlappt, schirmt sich damit effektiv gegen direkten Kampfschaden ab, ermüdet jedoch schneller, erkennbar an der Ausdauerleiste. "Einen ermüdeten Feind kann man zu Boden werfen, bevor man ihn mit einem feinen Dolch zwischen den Platten hindurch ersticht", sagt Vávra. Genau das kann euch aber auch passieren. Das Bogenschießen ist ebenfalls um Akkuratesse bemüht. Weder zeigt ein Fadenkreuz, was ein geschultes Augenmaß leisten muss, noch wird man eine Bogensehne locker aus der Hüfte spannen können. Die Hände geraten zittriger, je länger man mit dem Schuss wartet, und wohin ein Pfeil fliegt, dafür muss man ein Gefühl entwickeln.

Sehr cool klingt auch das Tränkebrauen. Statt im Menü irgendwas zusammenzuflicken, muss man Rezepte studieren, das Wasser kochen lassen und die Zutaten der Reihe nach beimischen, wie es die notierten Arbeitsschritte und Zeitfenster vorgeben. Andernfalls steht man schnell mit einem Kessel Plörre da.

Viele dieser Mechaniken sollen mit der Version 0.4 in Kürze Unterstützern zugänglich gemacht werden. Ob sie alle so funktionieren und gut ineinandergreifen, wie man es einzeln und für sich genommen wunderbar sehen kann, für diese Angelegenheit haben wir noch etwa ein Jahr Zeit. Bis dahin sind die Gebüsche und Wälder faszinierend genug.

In diesem artikel

Kingdom Come: Deliverance

PS4, Xbox One, PC, Mac, Nintendo Switch

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Sebastian Thor

Freier Redakteur - Eurogamer.de

Steht auf Bier und Bloodsport. Mag weiche Sofas und verliert sich gern in Gedanken an dies und das. Seit 2014 bei Eurogamer dabei, aktuell als freier Redakteur.
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