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Verschollenes vom Wonder-Boy-Erfinder: Wie Clockwork Aquario zu neuem Leben erweckt wird

Spiele-Fossil mit reichlich Pepp.

Der Wechsel von 2D zu 3D war nicht nur in der Konsolenwelt einer der entscheidenden Weichensteller, weil er Sony gleich mit seinem ersten Spielgerät an der Spitze der Hardware-Nahrungskette positionierte. In der Spielhalle merkten die Entwickler schon früher den Ruck, der durch die Branche fuhr. Allen voran Studios wie die Wonder-Boy-Schöpfer von Westone, die seit jeher auf prunkvolle Sprites setzten. Ihren Projekten wurde wegen der Dominanz von 3D-Prüglern der Marke Tekken und Virtua Fighter in den Arcades teils noch kurz vor der Veröffentlichung der Hahn abgedreht. Denn wo man heute dank digitalen Vertriebs seine Zielgruppe recht einfach finden und ansprechen kann, war in den Neunzigern jeder Quadratmeter Spielhalle teuer.

Dank Strictly Limited Games erblickt nun Westones verlorengegangener Koop-Hüpfer Clockwork Aquario nun mit nur 28 Jahren Verspätung doch noch das Licht der Welt, mithilfe seines einstigen Erfinders, Ryuichi Nishizawa. Was dafür nötig war und wie alle Beteiligten das Projekt erlebt haben, darüber sprach ich mit dem Wonder-Boy-Erfinder und den beiden Gründern von Strictly Limited Games Dennis Mendel und Benjamin Braitsch.

Von links nach rechts: Nishizawa, Mendel, Braitsch

Eurogamer: Beschreib' doch Clockwork Aquario für diejenigen, die nicht darüber im Bilde sind - oder damals noch nicht am Leben waren. An wen richtet sich dieses Spiel?

Ryuichi Nishizawa: Aquario ist ein seitwärts scrollendes Actionspiel, das 1993 von Westone für die Spielhallen entwickelt wurde. Das Spiel hatte zum Ziel, das Maximum an Grafikleistung aus dem Sega System 18 Arcade Board herauszuholen. Aber das Spiel wurde aufgrund geringer Verkäufe im Rahmen von Location Tests eingestellt. Es war ein Zwei-Spieler-Titel, in dem man Gegner greifen und werfen könnte und das mit lustigen Feind-Designs auf Basis von Meereswesen wie Korallen, Kugelfischen, Krabben und Seesternen aufwartete.

Zu der Zeit hatten Kampfspiele einen riesigen Boom in Japan, diese Prügelspiele wurden zum Mainstream und verdrängten andere Spiele in die Ecken der Spielhallen. Trotz der Marktsituation in den Spielhallen dachten wir, dass das Spiel bestimmt Kunden ansprechen würde, die etwas anderes als Prügler spielen wollen, also stiegen wir mutig mit ihnen in den Ring - diesen Kampf verloren wir. Die Spielhallenbetreiber wollten die Spiele, die die höchsten Einnahmen generierten. Und weil es in Prügelspielen nach einer bestimmten Zeit immer "Game Over" heißt, verdiente man damit auch viel Geld, wodurch sie in Arcades sehr willkommen waren. Konventionelle Spiele, in denen die Spielzeit pro Sitzung immer länger dauert, je besser der Spieler wird, wurden in diesem Segment einfach aussortiert. Das ist die traurige Geschichte hinter dem Prügelspiel-Boom.

Wir mussten die Einnahmen des Spiels erhöhen, um es in die Spielhallen zu bekommen. Wir verbesserten das Spiel basierend auf den Location Tests mal um mal, aber es erreichte nie einen Punkt, an dem es an die Einnahmen von Prügelspielen herankam. Das endete damit, dass wir die Entwicklung von Aquario einstellten, ohne es je zu veröffentlichen.

Eurogamer: Wenn ihr heute auf das Spiel blickt: Was macht Clockwork Aquario zu etwas Besonderem und warum wollt ihr es heute noch einmal angehen?

Dennis Mendel: Das beantworte ich gerne aus der Publisher-Perspektive, als Fan von Westone und als ehemaliger Videospielewissenschaftler: Um ganz ehrlich zu sein, als wir hiermit begannen, war es schwierig zu evaluieren, ob es Sinn ergibt, so viele Ressourcen in einen Titel zu investieren, den keiner von uns je gespielt oder gesehen hatte (abgesehen von ein paar verschwommenen Bildschirmfotos im Internet). Ich bin mit Wonder Boy aufgewachsen, diese Serie und ihre Schöpfer werden also für immer im meinem Herzen sein. Aber dahinter steckt so viel mehr als persönliche Gefühle. Die japanische Spieleindustrie war es, die die Branche nach dem Spiele-Crash der 1980er wiederbelebte. Die Leute, die all diese wundervollen japanischen Videospiele entwickelten, waren eine Inspiration für Spieler und Entwickler rund um den Globus, weshalb man das nicht genug betonen kann: Clockwork Aquario ist ein wichtiges Stück Videospielgeschichte. Sobald man es einmal gespielt hat, erkennt man direkt all die liebevollen Zutaten, die die Wonder-Boy-Serie so beliebt gemacht haben. Das Spiel bringt direkt all diese schönen Erinnerungen an die "guten alten Zeiten" zurück. Clockwork Aquario fühlt sich nicht an, als sei es stark von japanischen Entwicklern beeinflusst, es ist der "Real Deal" - ein Spiel, um die Augen der Fans von 2D Arcade-Spielen zum Leuchten zu bringen. Wäre es in den 1990ern herausgekommen, ich bin mir sicher, dass alle Konsolenbesitzer um eine Umsetzung für das Super Famicom oder Mega Drive gebettelt hätten (was aber auf der Hardware von damals so gut wie unmöglich gewesen wäre).

Eurogamer: Wie hat es sich damals angefühlt, als das Spiel eingestellt wurde. War es damals der richtige Zug?

Ryuichi Nishizawa: Nie zuvor hatten wir so schlechte Ergebnisse in den Location Tests erzielt, wir waren ziemlich bestürzt. Zu der Zeit barsten die Arcades vor Prügelspielen nur so aus allen Nähten, weshalb wir dachten, dass es eine gute Nachfrage nach anderen Spielen geben müsste. Aber das stimmte nicht. Und die Spielhallen wurden zu "Prügelspiel-Arcades". Ich glaube, die Kunden, die in Arcades gehen, haben sich komplett verändert. Weil PvP-Kampfspiele das Vier- bis Fünffache einfuhren, was anderen Spielen gelang, dachten wir ehrlich, dass es nichts gab, was wir tun konnten, wenn man von uns dieselben Einnahmen verlangte. Ich glaube wir haben das Spiel dahingehend mehr als ein halbes Jahr lang nach dem ersten Location Test verbessert, doch obwohl es sich eindeutig gebessert hatte, beeinflusste das nicht die Einnahmen. Ohne Gewinne konnten wir nicht weiter daran arbeiten und mussten die Entwicklung einstellen. Danach entwickelten wir nie wieder ein Arcade Spiel, das hier war Westones letztes.

Mit Ultracore, einem frühen, nie erschienenem Spiel von DICE betätigte sich Strictly Limited das erste Mal als Spiele-Restaurator.

Eurogamer: Dieses Projekt war seit beinahe drei Dekaden tot. Wo fängt man an, wenn man die Arbeiten daran wieder aufnehmen will? Und wie seit ihr an die Rechte gekommen?

Dennis Mendel: Wir waren mit den Rechteinhabern bereits in Kontakt, wegen einiger anderer Projekte und nachdem wir mit Ultracore fertig waren, unserem ersten Projekt in Sachen Videospielarchäologie, präsentierten wir unsere Idee, Clockwork Aquario fertigzustellen, allen involvierten Parteien, einschließlich Kurihara-san und Nishizawa-san. Als wir den Quellcode hatten, analysierte unser Lead Developer ihn umfassend (er ist ebenfalls ein riesiger Westone-Fan) und wir fanden heraus, dass mehr Daten fehlten als wir ursprünglich erwartet hatten und dass dieses Unterfangen eine ordentliche Herausforderung würde. Ich war fest davon überzeugt, dass es die Mühen wert sein würde, aber natürlich konnten wir das nicht wissen. Ein paar Wochen später, als wir eine sehr frühe spielbare Version hatten, schlug diese Hoffnung in Gewissheit um und jeder im Team verliebte sich sofort in das Spiel.

Mithilfe dieses frühen Builds waren wir in der Lage, die Lizenz für das Spiel zu erwerben und dank der vielen Hilfe von Kurihara-san, Ōzora-san, Nishizawa-san und Sakamoto-san konnten wir die fehlenden Daten und Sounds rekonstruieren oder neu entwerfen, um sicherzustellen, dass das Spiel exakt so wird, wie sich seine Schöpfer das vorgestellt hatten.

Eurogamer: Wie viel vom Spiel war den schon komplett? Welche Sachen waren nicht zu retten? Und wie stellt man Konsistenz der neuen Elemente mit den bereits vorhandenen sicher?

Ryuichi Nishizawa: Das Spiel war damals zu 100 Prozent komplett. Im Rahmen vieler Location Tests haben wir es nur noch verbessert, also war es gewissermaßen zu 120 Prozent komplett [lacht]. Für diese Entwicklung hatten wir den Quellquode, aber einige Grafikressourcen fehlten. Die neuen Grafiken mussten also erschaffen und repariert werden. Auch konnten wir keinerlei Sound-Ressourcen finden, mussten ihn also mithilfe eines Soundtracks, der 2007 erschien, rekreieren. Ah, ja. Das Spiel kam nie heraus, der Soundtrack aber schon. Schräg, oder? [lacht] Zunächst reproduzierten wir nur die Musik. Und jetzt kann man sie das erste Mal zusammen mit dem Video hören.

Es hat alle Farben!

Eurogamer: Welche Dinge am Spiel passt ihr für eine moderne Zielgruppe an?

Benedict Braitsch: Clockwork Aquario wurde für die Spielhalle entwickelt. Daraus ergibt sich ein Fokus auf einem höheren Schwierigkeitsgrad als in modernen Spielen. Diese Spiele mussten einfach das Engagement der Spieler und Spielerinnen maximieren. Natürlich wird der ursprüngliche Schwierigkeitsgrad noch enthalten sein, aber wir nehmen auch einige zusätzliche optionale Tweaks vor, um den Schwierigkeitsgrad für diejenigen anzupassen, die die unvergebende Härte der alten Arcade-Spiele nicht gewohnt sind. Außerdem gibt es einen geremixten Soundtrack, ein modernes Benutzer-Interface und diverse "Quality of Life"-Optionen, wie etwa die Tastenumbelegung und einen anpassbaren Shader. Und wir arbeiten aktuell noch daran, einen weiteren Spielmodus zu implementieren.


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Eurogamer: Wie fühlt es sich an, dass die Indie-Szene so viele traditionelle Spielkonzepte zurückbringt, nachdem die Branche Generationen lang von einem 3D-Wettrüsten bestimmt war?

Ryuichi Nishizawa: Ich bin sehr froh über die aktuelle Situation, in der die Spielentwicklung immer nur noch zugänglicher wird. In den frühen 1980ern, als meine Leidenschaft den Spielhallen galt und ich mich dort aufhielt, hatten Videospiele noch nicht die breite Popularität erlangt. Und Kinder, die diese Games spielten, galten als unartig. Als ich einen Job in der Spieleindustrie annahm, war mir das peinlich, in dieser Branche zu arbeiten, also erzählte ich allen, dass ich in der Computerbranche arbeitete. Aber heute ist Spieleentwickler ein Beruf, von dem jedes Kind träumt und viele Freelance-Entwickler erschaffen ein exzellentes Spiel nach dem anderen. Als jemand, der seit Anbeginn dieser Branche in ihr tätig ist, finde ich, dass wir es weit gebracht haben.

Wenn ich von dieser Warte aus darauf blicke, ist es schwer zu glauben, dass die Indie-Spiele heute so boomen. Wie ein junger Musiker mit seiner Gitarre und dem Traum, mal Sänger zu werden, gibt es auch hier so viele junge Leute mit einem Computer zuhause. Und einige von ihnen machen neue, innovative und attraktive Spiele... das kommt mir vor wie ein Traum. Ich glaube, der Begriff "Indie-Spiel" schließt auch die Bedeutung "Spiele machen, ohne an existierende Werte gebunden zu sein" mit ein. Es ist egal, ob andere 3D-Spiele machen oder Open-World-Titel. Du erschaffst, was du ausdrücken möchtest. Und wenn jemand sich deiner Arbeit zugetan fühlt, ist das schön. Das ist die Weltsicht von Indie-Spielen. Es ist außerdem eine wundervolle Welt, in der man das kultivieren kann, was für das Schreiben von Spielen am wichtigsten ist. Junge Leute sollten das dringend mal ausprobieren, bevor sie ans Geld denken [lacht]!


  • Entwickler / Publisher: Westone / Strictly Limited Games
  • Plattformen: PlayStation 4, Switch
  • Release-Datum: 2021
  • Sprache: Deutsch, Englisch und weitere
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Über den Autor
Alexander Bohn-Elias Avatar

Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.
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