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Wolfenstein: The New Order - Shotgun-Olga brachte mich an die Grenze

Wo ich sie alle tötete. Und danach bin ich nach Berlin gefahren.

Das Letzte, was ich in diesem Spiel wohl erwarte hätte, ist ein dramaturgisch wie emotional hervorragend inszenierte Szene, wie jemand in einem Wachkoma das Verfliegen der Jahre erlebt. Ich bezweifle, dass es sonderlich realistisch ist, schließlich befindet sich die Erforschung der Wahrnehmung von solchen Patienten noch immer in frühen Phasen. Aber es wurde ausgesprochen interessant in Szene gesetzt. Vor allem weit besser als eine simple „20 Jahre später"-Einblendung. Es wird sogar genutzt, um eine emotionale Bindung zum ersten Schwung der Nebendarsteller in dieser neuesten Rampage gegen das, von dem alle wissen, dass es Nazis sind, aufzubauen. Und das sogar mit einem gewissen Erfolg. Mehr jedenfalls, als es für das eigentliche Spiel wahrscheinlich nötig sein dürfte. Schließlich war es die andere Szene, an die ich mich gerne erinnerte, die weit besser den allergrößten Teil des Spiel repräsentiert: zehn Nazis - ich nenne sie einfach Nazis, hab vergessen, ob es das Imperium, das Konstrukt oder das Bärchiland war, welchen Namen sie auch immer als Ersatz wählen mussten, um nicht allesamt in den Bau zu wandern - auf der einen Seite, B.J. Blazkovicz mit einer frisch erbeuten Minigun auf der anderen. „Erschießt ihn!", "Da ist er!". Von wegen, zehn Sekunden Dauerfeuer und „Whatever you say, Jack. You are the master race." There can be only one, bitches.

Das heißt nicht, dass das immer möglich war und gerade in Zukunft sein wird. Zum einen war die KI noch nicht ganz auf der Höhe, sodass solche kurzen Momente der Glorie später eh schwieriger zu holen sein dürften, vor allem aber hält der altgediente Held nicht so wahnsinnig viel aus. Weder in der ersten Mission im letzten Kriegsjahr des normalerweise Zweiten Weltkriegs und auch nicht nach seinem mehrere Jahrzehnte andauernden Aussetzer. Automatisch und in Deckung wird in Wolfenstein nicht Call-of-Duty-gemäß vollständig geheilt, sondern nur bis zu den nächsten 20 Prozent, was zwar gerade reichen kann, um einen aus der Not und in Bedrängnis geborenen Plan mit einem letzten Prozent am Leib zu bewältigen, aber selten Übermut ausbrechen lässt. Medipacks sind oft euer bester Freund und ich ärgere mich ein wenig, dass ich nicht gleich auf Hart spielte, um sie noch mehr schätzen zu lernen. Andererseits wäre das mit der Minigun dann wohl nach hinten losgegangen.

Das ist NICHT die subtile Szene, die ich meinte.

Das ist ein fast klassischer Shooter, der sich in manchen Momenten seiner Level fast ein wenig zu alt für diese Welt anfühlt. Immer dann, wenn es in eine eigentlich eher dröge Ansammlung von Gängen und Räumen - standardisiertes Bunkerdesign Nummer 67 - geht, fühlt er sich richtig gut an. In den Momenten, in denen ich mich zurücklehnen und sagen wollte, wie generisch das hier alles aussieht, spürte ich, dass es sich einfach gut spielt. Dass es mal aus einem simplen Grund Spaß machte, über Stunden solch optisch belanglose Level zu spielen. Wenn das Tempo stimmt, das virtuelle Waffenfeedback sitzt, dann ist es für einen langen Moment sogar egal, dass die Wände in Bunkergrau gestrichen sind und der Aufbau des Abschnitts höchstens in 1995 clever genannt worden wäre.

Zum einen jedoch ist das Waffenfeedback - zumindest noch - nicht auf dem Niveau eines RAGE, zum anderen ist die Shooter-Welt doch ein wenig zu alt, um das ewig durchgehen zu lassen. Also gibt es einen stetigen Wechsel aus solchen Passagen, noch direkteren, kurzen und lauten Action-Einlagen, dann aber wieder erstaunlich viel Entscheidungsfreiheit im Vorgehen. Schleichen, vorbeikommen, ein paar Stealth-Kills von hinten und auch mal einem Kampf aus dem Weg gehen, das klappt erstaunlich gut. Ich würde damit keine Werbung machen, es gibt weit bessere Stealth-Games auf der Welt und mehr oder weniger gut geplant mit einem MG in den Raum zu stürmen macht viel zu viel Spaß, aber es ist schön, nicht nur die Option zu haben, sondern auch zu wissen, dass sie funktionieren könnte.

Man kann es so spielen...

Was den Nazi-Geheimwaffenschatz angeht, gab es in den ersten zwei Stunden natürlich noch nicht viel zu sehen. Es beginnt eben mit dem Zweiten Weltkrieg und der durchaus in Super-Widescreen inszenierten Landung und Erstürmung der wichtigsten Nazifestung. Die Aufdeckung erster Experimente, Nazi-Mecha-Uniformen und einen eher unfreiwilligen Aussetzer später wacht der ewige Held der freien Welt mehr oder weniger in einem Hospital irgendwo in Polen auf. Er lernt von seiner Beobachterposition über die Jahre, die beeindruckend inszeniert vorbeifliegen, den Arzt und seine Familie kennen, die ihn pflegen, und sieht immer wieder mal am Rande, wie Offiziere des verhassten Regimes Patienten verschleppen und auch sonst nicht nett sind. Der traumatische Auslöser kommt dann schließlich, die erste Waffe ist nicht weit und einen soliden Shoot-out später versteckt ihr euch bei Bauern in Polen. Eine dezent geschnittene - im filmischen und nicht im USK-Sinne - Folterszene später wisst ihr auch, wo ihr hinmüsst und was los ist. Es war schon ein schöner Augenblick. Warum fällt es einem eigentlich immer so schwer, im Hinterkopf zu behalten, dass auch Nazis wahrscheinlich Menschenrechte genießen? Egal. Im Kofferraum von Shotgun-Olgas altem Pick-up-Truck geht es in Richtung Berlin.

... Aber so sollte man es spielen.

Natürlich ist die Grenze bewacht, als wäre es eine Trennlinie zwischen Kommunisten und Imperialisten, und so folgt eine gesunde Mischung aus ein wenig Stealth, viel Geballer und ein paar sehr dämlichen Schalterrätseln. Intelligente Rätsel sind aber auch nun wirklich kein Zeichen eines guten Shooters und so arbeitet ihr euch in erster Linie mit der Waffe im Anschlag vor. Wieder zeigt sich, dass das Spiel durchaus Wert auf halbwegs verschachtelte Level legt und auch technisch was kann. Es gibt immer wieder ein paar Texturen, die noch ein wenig mehr Retro wirken, als auf der „Next Gen" gut für sie sein kann - gespielt wurde eh auf PC, und da gilt das fast doppelt -, aber insgesamt ist das ein technisch sauber entworfenes Spiel, das einem durchdachten Art-Design folgt und schon durchaus nach 2014 aussieht.

Während diese Gedanken so kreisen, werden sie vom finalen Kampf dieser Anspielrunde kurz in den Hintergrund gedrückt, denn das Kleinhirn meldet, dass dafür noch Zeit sei, nachdem die beiden Nazis-in-Space-Riesenroboter im Schlamm vor der Oder liegen. Also in den Reflex-Modus gegangen, das Terrain genutzt, mit besagten gerade so wiederhergestellten 20 Prozent Lebensenergie einen verzweifelten Run zur letzten Minigun gestartet, das Ding vom Sockel gerissen - nicht gescriptet, ist halt die Balls-to-the-Wall-Option - und draufgehalten. Als der letzte Roboter explodierte, zeigte der Lebensenergiezähler eine einzelne, einsame „1". Tief durchatmen. Und höhnisch lachen. „Tja. Jetzt seid ihr alle tot und ich gehe nach Berlin." Diesem pointiert synchronisierten Satz hatte ich nichts hinzuzufügen und setzte mich in den Zug, der mich von den Bethesda-Büros nach Hause bringen würde.

Ich weiß nicht, was wir hier sehen, aber es ist bestimmt hochdramatisch.

Wolfenstein: The New Order rockt! Tschuldigung, das klingt billig, das ist zu einfach, aber es ist genau das, was ich aus diesen nicht unbedingt wider Erwarten, aber doch so nicht kommen gesehenen zwei Stunden ziehen kann. Das ist ein geradliniger Shooter, der manchmal sogar recht gelungen, manchmal eher drollig versucht, mehr als das zu sein. Letztlich ist es aber das, was er am besten kann. Es ist das, was hängen bleibt, das, wofür ich es spielen werde. Und meine Güte, war es kurzweilig. Die Schnitte interessieren mich dabei herzlich wenig. Das Spiel ist im Augenblick mehr als brutal genug, um es krachen zu lassen, die Symbolik denke ich mir dazu, ballere dann doppelt so gerne drauf und freue mich über jede eigentlich dumme, aber - wenn es mal klappte - coole Aktion. Sicher wäre es schlauer gewesen rumzuschleichen, die Wachen auszutricksen. Aber wenn ich das will, dann spiele ich Dishonored. Oder vielleicht Thief. Aber sicher nicht Wolfenstein. Hier will ich mit einer Minigun zehn Nazis umholzen und danach eine Kippe anzünden. Vielleicht noch am Bourbon nippen, mich dann mit einem politisch korrekten Bauchgefühl in den nächsten Raum stürzen und es alles noch mal machen. Wolfenstein ist dieses Spiel. Ich habe keine Ahnung, wie lange das hält, aber nach diesen zwei Stunden habe ich den Verdacht, dass es für mindestens ein Spiel mal wieder dringend nötig ist.

In diesem artikel

Wolfenstein: The New Order

PS4, Xbox One, PS3, Xbox 360, PC

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Martin Woger Avatar

Martin Woger

Chefredakteur

Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.

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