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Kingdom Hearts 2

Der Disney-Club

Das Schöne an diesem Beruf ist ja, dass es eigentlich gar kein Beruf ist. Selbst wenn morgens „Perlen“ des Kalibers Hugo Autobahnbleifuß oder Gabys Ponyhof aus dem Briefkasten purzeln und um ihren Testbericht betteln, fühle ich mich immer noch als Spieler. Und ich preise den großen Gambloo für die Möglichkeit, Euch meine Einschätzungen auf diesem Wege zur kontroversen Diskussion zur Verfügung stellen.

Als Spiele-Fan mit einem fast schon ungesunden Informationsbedürfnis habe ich natürlich schon vor Monaten die teils überschwänglichen US-Reviews zu Kingdom Hearts 2 aufgesogen wie ein Schwamm. Und wenn die Kollegen zahlreiche Verbesserungen im Vergleich zum Vorgänger, eine überarbeitete Kamera und das Wiedersehen mit lieb gewonnen Charakteren mit hohen Punktzahlen quittieren… dann bringt mir das zunächst gar nichts. Denn mein Kontakt mit dem ersten Kingdom Hearts kann man bestenfalls als peripher bezeichnen. Mir gefiel die Prämisse, letzten Endes bin ich aber nie über die Phase des Anspielens hinausgekommen.

Distanz wahren

Naja, ganz so schlimm ist es auch nicht.

Große Vergleiche zum ersten Teil könnt Ihr in diesem Schrieb also nicht erwarten. Halb so wild! Viel interessanter als die Frage, „wie sich das aktuelle Update im Vergleich zum Vorgänger schlägt“, ist doch ohnehin, welche Spielmechanismen ÜBERHAUPT Sinn ergeben und auch greifen. Und was noch viel wichtiger ist: Kann man für das Erlebnis guten Gewissens den Jahresbeitrag einer guten Haftpflichtversicherung locker machen?

Im Fall von Kingdom Hearts 2 nehme ich die Antwort auf die letzte Frage mal vorweg: Man kann durchaus! Zählt man sich zur Zielgruppe der Square-Die-Hards oder Disney-Verehrer muss man vermutlich sogar. Auch allen anderen werden die stellenweise bemerkenswerte Schönheit und die astronomischen Production Values kaum entgehen. Fühlt man sich diesen Figuren und ihrer Welten nicht so sehr verbunden, lässt es einen aber seltsam kalt und nervt in seinen schlimmsten Momenten einfach nur. Warum ist das so?

Im Zwielicht

Kingdom Hearts 2 beginnt mit einer atemberaubend schönen CG-Sequenz, die – so habe ich mir sagen lassen – die Geschehnisse der ersten beiden Teile (Kingdom Hearts für PS2 und KH:Chain of Memories für GBA) zusammenfasst. Musik, Schnitt und die Qualität der Renderings versetzen mich in einen beseelten Trancezustand und lassen ein unglaublich fantasievolles und stimmiges Spiel erwarten. Gleich der erste Spielabschnitt holt dann aber selbst ausgemachte Traumtänzer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück: Beginnt man einmal mit Lausebengel Roxas Twilight Town - eine Stadt ewigen Abendrots - zu erkunden, verfliegt das Luftschloss vom perfekten Spiel recht schnell.

Denn die Straßen von Twilight Town wirken seltsam leer und kulissenhaft. Roxas steuert sich abgehackt und digital. Bei Pro Evolution Soccer sehe ich die Vorteile der digitalen, acht Wege unterscheidenden Kontrollen durchaus. Sobald das Spiel mich aber zwingt, den Analogstick zur Bewegung zu nutzen, sollte sich meine Spielfigur auch entsprechend geschmeidiger und stufenloser manövrieren lassen. Schwamm drüber – immerhin gehorcht Roxas meinen Kommandos ansonsten erwartungsgemäß. Die Intuitivität und Leichtigkeit diverser Konkurrenztitel erreicht die Bedienung von Kingdom Hearts 2 aber nicht.

Die ersten gut fünf Stunden wähnt Ihr Euch in einer Mischung aus Tutorial und spielbarem Intro. Die unglücklich in die Länge gezogene Einleitung lässt das Spiel im Zwielicht dastehen: Stets auf dem Weg zur nächsten Zwischensequenz klappert Roxas allein und auf eigene Faust diverse Ortschaften ab und wird hin und wieder durch Mini-Jobs oder sporadische Kämpfe aufgehalten. Übernimmt man dann aber endlich die Rolle des etatmäßigen Serienhelden Sora, zieht das Spiel glücklicherweise doch noch deutlich an.

Gib Gumi

Wie Ihr seht, seht Ihr nichts.

Endlich sagt Ihr der tristen Twilight Town (fürs erste) ade, besteigt den Gumi-Jet und setzt zusammen mit Donald und Goofy Kurs auf die verschiedenen Disney-Welten. Die verpönten Flugeinlagen des Vorgängers sind, soweit ich das sagen kann, mittlerweile durchaus spaßig geraten. Ihr schlagt nicht nur vorwärts eine Schneise der Verwüstung in hundertfach heran sausende Gegner, sondern auch zu den Seiten und nach hinten. Wie eine automatisierte Version von Panzer Dragoon. Alles in allem tun die Ballereinlagen niemandem weh, vermögen es aber auch nicht, das Spiel zu tragen. Ist die jeweilige Sequenz bestanden, dürft Ihr schließlich Fuß auf Euren Zielplaneten setzen.

Die Welten-Auswahl ist Square-Enix sehr gut gelungen: Goofy und Donald unterstützen Euch mit Schlag und Tat, während Ihr durch das Schloss des Biestes flaniert, Captain Sparrow in der Karibik aus der Patsche helft oder im schwarz-weißen Steamboat Willie-Szenario Kater Karlo einen Strich durch die Rechnung macht. Optisch zieht Square-Enix wie gewohnt alle Register. Leveleinrichtung und vor allem die liebevoll animierten Charaktermodelle versetzen Euch mitten in die kunterbunten, abwechslungsreichen Trickfilmwelten.

Weniger Vielfalt ist hingegen bei den Missionszielen zu verzeichnen. Eure Aufgaben in den übersichtlichen und recht linear gehaltenen Szenarien lauten meist „Besiege alle Herzlosen hier“, „Besiege alle Herzlosen dort“ oder etwa „Besiege alle Herzlosen innerhalb eines Zeitlimits“. Alle paar Meter schälen sich also niedliche bis finstere Schattenwesen vor Euch aus dem Boden, die Ihr durch fleißiges malträtieren der X-Taste ins Untergeschoss zurück prügelt. Je nach Gegner dürft Ihr auch ein bis zwei situationsabhängige Angriffe per Dreieck-Button auslösen – so ähnlich wie bei Nintendos Wind Waker. Habt Ihr Euer Etappenziel erreicht, wartet natürlich ein Gegner mit besonders dicker Hose, der eigentlich nur durch das richtige Timing dieser Spezialkommandos zu bezwingen ist.

Aus Erfahrung gut

Das mutige klassische Szenario verdient ein Extralob.

Für erlegte Gegner werden Euch Erfahrungspunkte gutgeschrieben mittels derer Ihr nach und nach im Level aufsteigt. Alle zwei bis drei Stufen erhält jeder Charakter Eurer Party zusätzliche Fertigkeiten, die beispielsweise das Schlag- bzw. Zauberrepertoire aufstocken oder wiederum die Anzahl an Erfahrungspunkten erhöhen, die Ihr Euch erprügelt. Die Fülle der Upgrades, Items und Zauber kann sich durchaus mit derer ausgewachsener Rollenspiele messen. Dummerweise setzt sich aber selbst bei ausgewiesenen RPG-Nerds wie mir nach einer Weile die „Immer-druff“-Taktik durch. Stumpfes Buttongehämmere ist Trumpf. Nicht zuletzt, weil sich die Anwendung der Rollenspiel-Leckerlis per Steuerkreuz zu fummelig gestaltet. Der kürzeste Weg zum Erfolg führt nun mal über die Visage des Gegners.

Der jüngeren Klientel wird der fehlende Tiefgang kaum Kopfschmerzen bereiten. Weniger jedenfalls als das regelmäßig überbordende Chaos in den Kämpfen, dass mir durchaus einen Guinessbuch-Eintrag wert wäre. Wenn die Hektik mal wieder ausartet, liegt das oft an der trägen Kamera, die aufgeschalteten Feinden nicht flugs genug folgt. Ebenso kann man die anstrengende Pixel-Anarchie den beiden Trick-Opas in Eurem Schlepptau anlasten. Wenn Goofy und Donald ein tödliches – aber harmlos buntes – Effektgewitter in einem Rudel von einem halben Dutzend Feinden entfesseln, gehen Herr Übersicht und Frau Geduld zusammen ins Wasser. Dem schönen Drumherum und der letzten Endes doch noch motivierenden Jagd nach Erfahrungspunkten ist es zu verdanken, dass man hier bei der Stange bleibt.

Wie kein zweiter Titel steht und fällt Kingdom Hearts 2 also mit Eurer Begeisterung für seine Figuren und Szenarios. Es ist nicht weniger als der ideale Square/Disney Merchandise-Artikel. Das ultimative Fan-Paket zweier Unterhaltungsriesen mit optisch wie akustisch kinoreifer Präsentation und allen Anlagen, um seine Jünger nicht zu langweilen. Dass in diesem Spiel unglaublich viel Geld und Arbeit stecken, merkt man nicht nur anhand der in Schrift und Wort perfekten deutschen Lokalisation. Auf der anderen Seite bleibt nach Abzug der Film- und Spielprominenz nicht viel mehr als ein sehr kindgerechter Buttonmasher mit starken Übersichtsproblemen und opulenter, aber quasi nutzloser Rollenspiel-Staffage. Dass man trotz allem qualitativ noch immer Welten über eingangs erwähnten Fantasie-Produkten liegt, steht außer Frage. Die einzige Frage, die Ihr Euch stellen solltet, lautet: Wie sehr zieht es Euch nach Disneyland?

"Aber Alex, macht das eine Endnote in diesem Fall nicht vollkommen überflüssig lol?" So ist es! Und während die Fans schon die Messer wetzen und den Hatern über der vergleichsweise hohen Note die Halsschlagader anschwillt, widme ich mich wieder Gabys Ponyhof...

Fans komplettieren ihre Kingdom Hearts-Sammlung durch das gelungene offizielle Lösungsbuch von Piggyback.

7 / 10

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