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Die Eurogamer-Textwerkstatt: Anatomie eines Spieletests - Teil 4

Die Relativität von Objektivität und Subjektivität: Die Wertung

Um auf diese Zahlen zu kommen, wird der Tester nicht anders vorgehen, als er es bei der zuerst genannten Methode tun würde. Man denkt über den betreffenden Aspekt nach, wiegt das eigene Empfinden mit dem festgestellten Soll und Haben ab und kommt zu einer Wertung. Diese wird am Ende genauso objektiv oder subjektiv sein wie eine direkte Betrachtung des gesamten Spiels. Der einzige Unterschied ist der, dass kein Spiel jemals auf die Höchst oder Niedrigst-Note kommen wird. Im Gegenteil, angesichts der stetig wachsenden allgemeinen Qualität der Spiele wird ein Einpendeln zwischen oberem Mittelfeld bis hin zu den guten Noten in nahezu allen Fällen für praktisch jedes Spiels sehr wahrscheinlich.

Insoweit würde ich dem zuerst genannten, qualifiziert-subjektiven Ansatz den Vorzug geben, da er besser das Empfinden des Testers wiederspiegeln kann, ohne dass dieser Rücksicht auf im speziellen Fall irrelevante, aber möglicherweise in einer definierten Gewichtung hoch einsortierte Einzelaspekte nehmen muss. Der Vorteil der nach – ich würde immer noch sagen: scheinbar – objektiv aufgeschlüsselten Schemata ist eine bessere Nachvollziehbarkeit für den Leser, ohne dass dieser das Zustandekommen der Wertung im Text nachvollziehen muss. Die Summenbildung kann nachvollzogen werden und sogar in Grafiken verschiedenster Art abgebildet werden. All dies vermittelt den Eindruck eines praktisch wissenschaftlich gesicherten Fundaments, in dem dann durchaus viel Fachkompetenz stecken kann und oft auch tut. Aber das Ergebnis ist am Ende immer noch eine Meinungsabbildung, die nicht viel mit wissenschaftlich messbarer Objektivität zu tun hat.

Erst werten, dann nachdenken und dann richtig werten

So viel zu den Theorien möglicher Wertungsansätze. Wie bewertet man jetzt selbst? Erst einmal schaut man sich wie auch schon beim Fazit an, für wen man schreibt, damit man weiß, welche einzelnen Kriterien am Ende mit einer Zahl versehen werden müssen. Im Falle von Eurogamer ist das natürlich denkbar einfach, in Deutschland aber eher die Ausnahme.

Manche dieser Zahlen sind einfacher zu ermitteln als andere. Mit der Grafik sollte man sich selten länger herumschlagen müssen. Ein Fall wie Brink, dessen – meiner Meinung nach – hervorragendes Art-Design sich gegen jede Menge anderer optischer Probleme durchsetzen muss, ist selten. Spielspaß, Atmosphäre, ähnliche Dinge, die einen direkt auf einer nicht direkt greifbaren Metaebene zwischen Spiel und Spieler ansprechen, müssen wie oben beschrieben in Ruhe und am besten nach einer mehrstündigen Spielpause für sich selbst analysiert werden. War es gut oder schlecht? Wie gut und wie schlecht? Was störte markant, was waren die richtig guten Momente? Was überwiegt? Wie schlägt es sich gegenüber verwandten Erfahrungen, zum Beispiel einem anderen Shooter?

Jetzt kann man die Qualität bewusst einsortieren und gewichten. Daraus ergibt sich eine Wertung, die aber mit dem Bewertungsschema der entsprechenden Publikation abgeglichen werden sollte. Hier auf Eurogamer ist dies die Bewertungsphilosophie, andere Magazine haben ihre eigenen Versionen einer solchen. Die angedachte Note und persönliche Einschätzung muss damit einen kohärenten Gesamteindruck geben.

Wenn dies nicht der Fall ist, dann muss man die Wertung doch noch einmal überdenken, oder aber sich darüber Gedanken machen, warum man der Meinung ist, dass dieses Spiel beispielweise der Philosophie der 8 Punkte entspricht, man selbst aber eine 6 geben möchte und der Text auch in diese Richtung schlägt. Hier passt dann etwas nicht zusammen und erneutes Nachdenken ist gefragt. Entweder war das Spiel besser oder... wahrscheinlich war in diesem Falle das Spiel einfach besser und man muss noch einmal an den Text ran, nachdem man sich klar wurde, woher der eigene Konflikt kam.

Oops, ver-wertet...

Wurde eine Wertung gefunden und publiziert, dann muss man zu dieser stehen. Es gibt genug Leute in der weiten Welt des Internets, die die Weisheit ihres letzten Kaufs bestätigt sehen wollen und verdammen die viel zu niedrige Wertung, so wie es auch genug Leute gibt, die einfach die Serie noch nie leiden konnten, weil sie nicht für ihre Konsole erscheint. Man ignoriert sie am besten, wenn man sich sicher ist, dass es so banal ist. Und was, wenn man merkt, dass man nach erneutem Nachdenken wirklich ein wenig zu hoch oder niedrig lag? Schlimmstenfalls stimmt man vorsichtig zu, dass man einzelne Aspekte auch anders sehen könnte. Und beim nächsten Mal macht man es gefälligst besser!

Das Tröstende für den Redakteur daran ist, dass Fehlwertungen - zumindest in einem gewissen Rahmen - unvermeidlich sind. Jeder liegt irgendwann mal zu hoch oder tief, und sei es nur im Nachhinein gefühlt. Daran lässt sich nicht viel ändern. Behandelt man die Wertung jedoch nicht als schnellen Abschluss eines Textes, sondern geht man auf die oben beschriebene Findungsreise, dann wird sich die Zahl der eigenen Abweichler in Grenzen halten und auch die werden nie zu weit vom Weg abkommen. Jedenfalls nicht so weit, dass man sie mit einem zugekniffenen Auge nicht doch noch durchgehen lassen könnte.

Nur wenn man wirklich komplett daneben lag und einen echten Fehler machte, muss der saure Apfel herhalten. Einen solchen Fall erlebten unsere englischen Kollegen beim Test von EAs Tennisspiel für Wii MotionPlus. Aufgrund eines selbst verschuldeten Update-Fehlers vergaben sie eine sehr niedrige Wertung, deren Argumentation nichts mit der Realität zu tun hatte. In einem Nachtest bekam das Spiel wenige Tage später eine deutlich höhere Note. Wenn einem ein solcher Fehltritt unterläuft, muss dieser erklärt, der Test korrigiert und die Note angepasst werden. Es ist besser, eine Erklärung und Richtigstellung nach einem Fauxpas zu liefern, dazu eine kleine Entschuldigung, als den Fehler selbst im Raum stehen zu lassen.

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