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Wolfenstein II: The New Colossus - Wie sich der Mantel des Regimes über die Freiheit legt

Art Director Axel Torvenius über die Gestaltung des Shooters - und die Wichtigkeit, Stimmung über Authentizität zu stellen.

Vielleicht habt ihr das schon mal erlebt: Ein Spiel sieht auf technischer Ebene vollkommen in Ordnung aus, läuft gut und imponiert vielleicht sogar, aber so richtig hängen bleibt optisch nichts. Ist das der Fall, fehlte oft der zündende Einfall, der ihm einen Look verpasst hätte oder eine alles zu einem Ganzen zusammenzurrenden Vision. Manchmal war einfach kein Budget für jemanden übrig, der sich mit so etwas auskennt, und andernorts zielte man so sehr auf Realismus ab, bis auch der letzte Tropfen eigener Identität aus einem längst dröge, austauschbar und gesichtslos wirkenden Werk gepresst war.

Wolfenstein II kennt keines dieser Probleme. Selbst unter Dutzenden Spielen würde man es anhand nur eines Bildes herauspicken, ohne lange zu überlegen. Zu verdanken ist das nicht zuletzt Axel Torvenius, der bei Machine Games die Position des Art Directors bekleidet und damit im Grunde für alles verantwortlich ist, was das Aussehen des Spiels betrifft. Das Ziel: die Welt dieses Videospiels einer optisch einer fiktiven Diktatur zu unterwerfen. Obwohl bei alternativen Zeitlinien in der Regel die Fantasie recht schnell von selbst ins Galoppieren kommt, war das keine Aufgabe, die sich von selbst erledigt. Vor allem nicht, wenn am Ende etwas herauskommen soll, das zwar ernst und grimmig, aber auch sichtlich entrückt und ein bisschen augenzwinkernd mit dem Spieler in den Dialog tritt.

Hinter dem Look eines Spiels steckt mehr als nur 'gute Grafik'.

Laut Torvenius, der schon an The New Order und The Old Blood als Concept Artist und Art Director mitwirkte, wird der Grundstein für die für den letztendlichen Ton eines Spiels so wichtige Gestaltung schon in der Vorproduktion gelegt. "Auf visueller Ebene ist zunächst das Wichtigste, einen optischen Rahmen zu etablieren und auszuarbeiten, man legt sich auf einen Stil fest, entwickelt einige zentrale Komponenten und schafft so eine visuelle Basislinie für das Projekt - all das kommt zu dem zusammen, was man Art Direction nennt", erklärt der Schwede.

Obwohl man als Außenstehender die künstlerische Abteilung eines Videospiels durchaus im Verdacht haben könnte, an digitalen Leinwänden und in Modellierprogrammen verschwiegen ihr eigenes Süppchen zu kochen, gibt Torvenius zu bedenken, wie wichtig es in seinem Job ist, den Blick für das große Ganze nicht zu verlieren. Immerhin kommen in der Welt, die er und seine Leute bauen, all die anderen Faktoren zusammen: "Es ist wichtig, viele Zusammenhänge und Abhängigkeiten im Auge zu behalten. Charaktere und Ereignisse, die über die Story ins Spiel kommen, teils ausgearbeitete, teils nur als Prototypen implementierte Ideen in Sachen Gameplay und häufig auch technische Limitationen (um jetzt nur einige zu nennen), muss man miteinander vereinen", so Torvenius. "Letztere sollte man dabei natürlich nicht als Einschränkungen sehen, sondern sie eher wie Zahnräder in einer gigantischen Maschine betrachten, mit der die visuelle Richtung nicht nur klicken muss, sondern aus der sie auch Stärke ziehen sollte."

'Die Wärme und Seele finden' - Operation gelungen, denke ich

Ebenfalls im Vorfeld der eigentlichen Produktion ist natürlich Recherche angesagt. Eine Menge davon. Dazu schaue er sich "alle möglichen Medien" an, aber auch klassische Künste, Cartoons, Comics, Architektur und fotografische Dokumentation spielten dabei eine Rolle. Und auch die Welt außerhalb der in Uppsala, Schweden aufgestellten vier Wände von Machine Games sei ihm ein Quell an Inspiration. Die wilde Mischung an Einflüssen ist für ihn dabei Pflichtprogramm. "Meiner Meinung nach ist es wichtig, seine Inspiration aus so vielen Dingen wie möglich zu ziehen, nicht nur aus Spielen, sondern aus dem Rest der Welt. Für ein Projekt wie Wolfenstein waren die Architektur der 50er Jahre, damals existierende Maschinen und frühes Industrie-Design für die Richtung maßgeblich", erinnert er sich.

"Weitere gute Beispiele sind echte Dinge aus dem Zweiten Weltkrieg, deutsche Waffen und Fahrzeuge zum Beispiel." Aber Torvenius weiß auch, dass es heute nicht mehr reicht, sich an die Rettung einer Welt zu machen, weil es eben das ist, was man als Videospieler so tut. Damit das Schicksal dieser alternativen Zeitlinie für den Spieler auch von Bedeutung ist, war auch eine andere besonders wichtig: "Wir wollten auch die organische, menschliche Seite der Dinge beleuchten. Die Wärme und die Seele in Widerständlern finden, im überwucherten Marschland und in den verlassenen Gebäuden. Und in den bewohnten, farbenfrohen und bohemehaften Verstecken." Wärme ist ein gutes Stichwort, denn tatsächlich beeindrucken schon die ersten Schritte durch die Hammerfaust, das Zuhause des Wiesenau-Kreises um BJ Blaszkowicz, durch den detailfreudig verlebte Kommunen-Vibe, der einem hier entgegenweht - anfassbar, unmittelbar und irgendwie echt wirkt das alles, auch wenn es sichtlich überhöht fiktionalen Ursprungs ist.

Wenn die Welt auch vor die Hunde geht: Hier kann man es aushalten.

Wenn ein solches Spiel dann seine Stimme fand und das Studio mit voller Fahrt in die Produktion geht, passieren in der Art-Abteilung von Torvenius meist diverse Dinge auf einmal. "Meist beginnt es damit, einige der wichtigen Umgebungen anzulegen und grobe visuelle Platzhalter für sie zu erstellen. Sie sollen die Essenz einer Location einfangen und ein grundlegendes Verständnis von der Architektur und den Orten vermitteln, die im Spiel von Bedeutung sein werden", erörtert er und lässt dann durchblicken, was für ein fließender Vorgang es wirklich sein muss, einer großen Spielproduktion ihr Gesicht zu schenken. Fast zeitgleich machen sich die Artists nämlich an den Entwurf des Avatars und der ersten Feld-, Wald- und Wiesen-Gegner. "BJ braucht immerhin etwas, worauf er schießen kann, nicht wahr?", was wiederum das nächste Stichwort ist: "Gleichzeitig, vielleicht sogar ein bisschen vorher, machen wir uns an die ersten Iterationsdurchgänge der Waffen. Gerade das ist ein sehr langwieriger Vorgang, weshalb wir hiermit immer ziemlich früh anfangen wollen."

Fast als würde ein Jongleur ständig neue Bälle zugeworfen bekommen, die er unterschiedlich lange in der Luft halten und dann wiederum anderen Leuten zuwerfen muss, ist hier extremes Multitasking angesagt. "Jede dieser Komponenten ist für sich genommen ein eher isolierter, aber wichtiger Aspekt", fährt Torvenius fort. "Auch übergeordnete Dinge, wie die allgemeine Stimmung einer Map, Tag oder Nachtzeit, Jahreszeit und allgemeine Farbpalette sind Dinge, die wir recht früh ausarbeiten." Es hilft, dass Machine Games sich für die Welt von Wolfenstein eine Design-Bibel angelegt hat. "So etwas haben wir tatsächlich", sagt Torvenius. "Oder zumindest eine ausformulierte Beschreibung, die sich diversen Details verschiedener Bereiche des visuellen Stils widmet."

Hier sind vor nicht zu langer Zeit noch Menschen ihrem Tagwerk nachgegangen. Die Umgebungen geben auch abseits der überall herumliegenden Briefe und Zeitungsausschnitte viel von der Welt preis.

Die sei zwar zu lang, um sie an dieser Stelle zu teilen, eine Kurzfassung gibt er aber doch zum Besten. Wolfensteins Ästhetik beschreibt Torvenius in erster Linie als "hart" und "abgegriffen". "Die Technologie borgt sich einiges vom Zweiten Weltkrieg und den 1960ern. Es ist eine alternative Zeitlinie in den 60ern, trotzdem ist es Sci-Fi, während das Regime regiert und der Spieler den Underdog gibt. Also Retro und Vintage. Science-Fiction, mechanisch funktional, grimmige, trostlose Stimmung - das sind Schlagwörter, die meine Artists das eine oder andere Mal von mir hörten, als sie an diesem Spiel arbeiteten."

Und dann beginnt sie, die gestalterische Unterwerfung eines Landes, das sich selbst als Inbegriff der Freiheit wähnt. Im fertigen Spiel sieht man das nirgends expliziter als im Roswell-Level, in New Mexico, durch den deutschen Assimilierer mit einer schwer bewaffneten Prachtparade marschieren. Es sind kurze, aber bedrückende Impressionen dieser Gesellschaft. In Teilen hat sie sich längst damit arrangiert, sich als letztes Stück ins Westerweiterungspuzzle des Regimes quetschen zu lassen. Das treffend und effektiv abzubilden sei laut Torvenius nicht von heute auf morgen passiert. "Wir errichten eine fiktionale Welt und versuchen nicht etwa, zum Beispiel Roswell so nachzubauen, wie es 1961 tatsächlich aussah. Wir versuchen stattdessen eher, dessen Stimmung zu verkaufen."

Auch die Kostümierung muss der fiktionalen Epoche entsprechen. Ganz nebenbei: Das Mimenspiel in dieser Szene ist einfach unfassbar gut.

Was das bedeutet? Im Grunde Reverse Engineering ausgehend vom prognostizierten Erwartungshorizont des Users. "Um damit Erfolg zu haben, setzen wir beim Spieler an", beschreibt er den Vorgang. "Viel unserer Arbeit dreht sich darum, herauszufinden, was der Spieler erwarten und empfinden würde, wenn er bestimmte Level spielt. Dann schauen wir uns viele Aufnahmen und Filme aus der Ära an. Wir versuchen, die Komponenten einzufangen, die uns am besten gefallen und von denen wir meinen, sie passen am besten zu den anderen verrückten Dingen, die wir implementieren wollen. Und obendrauf bauen wir dann die frei erfundene Welt des Wolfenstein-Regimes." Ihr seht schon, hier türmt sich einiges auf, weshalb Torvenius wohl nicht umsonst von einem Balanceakt spricht. Nicht zuletzt, weil es auch ein reges Vor und Zurück gab, um den Tonfall auf Kurs zu halten. "Wir iterierten vieles, was uns zu 'cheesy' beziehungsweise zu schlimm vorkam oder wenn sich etwas schlicht nicht nach Wolfenstein anfühlte."

Die scheinbare Unvereinbarkeit der Freiheitswerte der USA mit dem faschistischen Gedankengut des Regimes begriffen Torvenius und Team zwar als Herausforderung, aber die hatte am Ende etwas Gutes. "Jede Abteilung des Studios hat wahnsinnig viel Arbeit geleistet, das zusammenzubringen. Ein wichtiger Punkt war, wie wir die fiktionalen Amerikaner darstellen sollten, die unter diesem Regime leben. 'Recht und Ordnung' herrschen immerhin, die Reichen werden reicher, sind sie jetzt vielleicht sogar glücklicher? Oder brodelt hier der Wunsch, zu den Waffen zu greifen?", rekapituliert er die Gedankengänge im Studio. "Wir spielen viel mit solchen Gedanken und implementieren 'lustige' Dinge. Etwa, dass in der Zeitlinie des Spiels der Tag näher rückt, an dem Englisch unter Strafe gestellt wird und alle nur noch Deutsch reden dürfen. Die Fernsehsendung 'German or Else...' hakt da ja ein. Das ist nur ein Beispiel für die Dinge, die auf kreativer Seite in diesem Ideologie-Crossover entstehen und die oft ein ziemlich beunruhigendes Gefühl erzeugen. Ich denke, die Mixtur aus Freiheit und Unterdrückung hat dem Team viele kreative Ideen gegeben. Und die Energie, abgefahrene Einfälle umzusetzen.

Jeder Level setzt sich thematisch klar vom vorangegangenen ab.

Damit das finstere Szenario keine zu bittere Pille wird und auch die lustigeren und warmherzigeren Töne gut zur Geltung kommen, musste ein besonderer Look her. Einer, der den Ernst der Lage ein wenig bricht, dabei aber Dringlichkeit und Bedrohung nicht aus den Augen verliert. Auch das ist ein Eiertanz, der eine klare Richtung braucht, soll am Ende etwas Stimmiges herauskommen. "Nun, aus der Egosicht einer Regimepatrouille eine Axt in den Hinterkopf zu rammen oder das Gesicht von einem genetisch verbesserten Killer-Kampfhund abgekaut zu bekommen, ist definitiv hilfreich, wenn es um den Faktor Bedrohung und die Intimität der dargestellten Gewalt geht. Aber es stimmt, einiges von dem, was Wolfenstein zu Wolfenstein macht, ist in der leicht stilisierten Optik und der intensiven Nähe zu Welt und Spielgegenständen begründet", schildert Torvenius.

"Wir widmen den abgenutzten, schmuddeligen Details wahnsinnig viel Aufmerksamkeit. Wir gehen mehrfach über jedes Gebiet, jedes Modell und Fahrzeug, jede Waffe und jeden Charakter, um ihnen so viele Details zu geben, wie unsere Zeit es erlaubt", sagt er. Und dann ist da noch der Mittendrin-Faktor. "Außerdem geben wir uns viel Mühe, damit sich der Spieler in der Welt verankert fühlt, als wäre er selbst Mittelpunkt der Action. Wir haben ein sehr hingebungsvolles Team, das an der Spielerbewegung arbeitet, seinen Animationen, der Physik und wie BJ mit den Waffen interagiert. Auch in Sachen Sound ist es eine irrsinnige Menge Arbeit, alles auf realistische Art zusammenzubringen und miteinander zu verknüpfen. All diese Dinge helfen dabei, eine Stimmung und ein realistisches Empfinden zu vermitteln, auch wenn die reine Optik bisweilen ziemlich stilisiert und exotisch anmutet."

Hoffnung und Leichtigkeit in Szenarien wie diesem hier zu finden - das ist wohl die größte Errungenschaft von The New Colossus.

"Aus rein visueller Perspektive gesprochen, sind das ziemlich gute Rahmenbedingungen. Sobald man sich darin verliert, die Welt innerhalb eines fiktionalen Realismus zu rekreieren, anstatt die Stimmung und das Erlebnis einer realistischen, aber doch fantastischen Erfahrung umzusetzen, läuft man meiner Meinung nach Gefahr, sein eigentliches Thema zu verfehlen." Es ist diese Sorte kleiner, aber feiner Unterschied, der Wolfenstein II - ein nach allen objektiven Maßstäben sehr einfach gestricktes Spiel - bei aller frei drehender Derbheit noch zu einem erstaunlich nuancierten Erlebnis macht.

"Das Wichtigste für mich ist," schließt Torvenius, "eine visuell kohärente Welt zu erschaffen, die zu erkunden und in der zu spielen Spaß macht - und die hoffentlich viele interessante Designs beinhaltet, die den Leuten gefallen."


Machine Games' jüngstes Werk ist seit dem 27. Oktober erhältlich. Uns hat Wolfenstein II: The New Colossus im Test ausgezeichnet gefallen. Wer mehr Design-zentrische Artikel zu Wolfenstein II lesen möchte, der widmet sich, falls nicht schon geschehen, unserem Interview zum Waffendesign mit Senior Game Designer Arcade Berg - oder dem zur Handlung des Shooters mit Narrative Designer Tommy Tordsson Björk.

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