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Wolfenstein 2: The New Colossus - Test

And I want my scalps!

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Wut, Witz und Wehklagen treffen auf frivol-gute Optik, aufregende Spielbarkeit und feine erzählerische Nuancen. Der beste Shooter 2017.

Steckt ihr im Spiel fest, habt ihr Fragen zu Upgrades, Enigma-Codes, Maschinenkommandanten oder seid ihr einfach nur auf der Suche nach all den Sammelsachen, dann werft einen Blick in unsere Wolfenstein 2: The New Colossus - Komplettlösung, Tipps und Tricks.


Ich will nicht sagen, ich hätte es kommen sehen. "Ich hatte es im Urin" ist wohl angemessen vage (wenngleich ein bisschen unappetitlich - woher kommt das überhaupt?). Aber bei einem Spiel, in dem man nur wenig wirklich kommen sehen konnte, gefällt mir diese Formulierung einfach besser. Ihr wisst ja sicher noch, wie das war. Vor drei Jahren, als Machine Games einem in The New Order nach einer Eröffnung der Marke "Jo, war ok, mal gucken, wann ich das weiterspiele" mit einem verflixt guten Zeitsprung und erstaunlich guter Charakterentwicklung den Teppich unterm Hintern wegzog. So etwas in der Art machen sie diesmal wieder. Gleich mehrmals.

Ich schrieb ja schon mehrfach ausführlich darüber, wie gut sich Machine Games' Auffassung eines kompromisslos bösen First Person Shooters anfühlt - und habe mir ein paar der notwendigen Handgriffe dafür zuletzt von Senior Game Designer Arcade Berg in einem Interview zum Waffen-Design erklären lassen. Ich will daher gar nicht so viel darauf herumreiten, warum sich dieser Eindruck mit der fertigen Version noch einmal bestätigte. Merkt euch einfach, dass ich in Sachen Handhabung, Waffengestaltung und -Animation sowie deren Interaktion mit der Umgebung wenige Spiele gespielt habe, die eine vergleichbare Dynamik versprühten. Ehrlich.

Frau Engel - eine Gegenspielerin an die man sich lange erinnern wird.

Doom und Titanfall 2 kommen mir schon in den Sinn, waren aber nicht so kompromisslos und dreckig, Destiny 2 ist auch super, aber anders, nicht so entfesselt oder im positiven Sinne bescheuert. In Wolfenstein 2 fegt Faschistenschlächter BJ Blaszkowicz, so ihr denn wollt, wie ein menschlicher Jagdbomber im Tieflug mit Doppelwummen durch die Heerscharen des Regimes, lässt Oberkörper platzen, Kopfe sich in roten, senkrechten Fontänen entladen und pellt Kampfroboter aus ihrer Panzerung, als zerpflückte er eine missglückte Legokreation. Wie sagte Arcade Berg es im Gespräch so schön? "Mindestens genauso wichtig wie die Waffe selbst sind die Dinge, die man damit trifft und was dann passiert." Oh Gott, was hier passiert. Es ist so schlimm. So großartig, erschreckend, zum Gesicht-in-den-Händen-vergraben schön-schlimm.

Auch BJ selbst fühlt sich einfach wunderbar unaufhaltsam an, ob der nun durch eine brüchige Wand rennt, ohne zu bremsen, oder durch einen Gegner hindurch. Allein das Rascheln seiner Klamotten, wenn er beim vollen Sprint, bei dem selbst der Doom Marine hyperventilierend nach ein paar Metern abwinken würde, eine 90 Grad Drehung hinlegt, vermittelt ein so tolles Körpergefühl, dass man sich einfach wohlfühlt in seiner Haut. Die neuen zusätzlichen Talente, die der neue Kampfanzug mitbringt, öffnen sogar das Level-Design ein wenig: Eben erwähnte brüchige Wände öffnen genauso unerwartete Wege, die die Pythongurte, mit denen man sich durch zwei Handbreit hohe Lüftungsrohre schlängeln kann, so weit der angehaltene Atem reicht - und wenn es eure Platzangst zulässt. Auch die Kampfstelzen eröffnen neue Perspektiven auf ein Gefecht und den Weg zu Goodies, die einem sonst verwehrt blieben.

Visuell ist das Spiel eine Wucht und läuft dank id Tech 6 butterweich.

Schaute man sich die Karte eines Wolfenstein-2-Levels in 3D an, sie sähe sicher aus wie ein kleinerer, linearerer Abschnitt aus einem Deus Ex oder Prey. Es führen immer mehrere Wege zum Ziel und Stealth und wildes Um-sich-ballern sind immer gleichberechtigte Optionen - obwohl das Ballern und sich wie ein D-Zug zwischen Hindernissen hindurch zu ducken, um von anderer Seite erneut zuzuschlagen so viel Spaß macht, dass man niemals sauer ist, wenn der Alarm doch mal ertönt.

Ebenfalls auf der Liste der Dinge, über die ich nicht ausufernd sprechen möchte, ist, wie viel optionalen Sammelkram es gibt, der das Durchforsten der detailfreudig durchgestalteten Spielumgebungen zu einer Freude macht, wenn ihr sowas liebt, oder den ihr bestens ignorieren könnt, falls nicht. Die Szenarien haben es in jedem Fall verdient, dass ihr in ihnen jeden Stein umdreht. Nicht nur reagiert die Umgebung vielerorts wundervoll auf Beschuss, jeder Raum fühlt sich auch bewohnt und alt an. Um das festzustellen, muss man nicht mal den 150 Notizen nachjagen, die in Briefverkehr von Militärs und Zivilisten die Situation aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Die Szenarien ziehen viel Profit aus dem gestalterischen Kontrast zwischen Freiheit, Verfall und diktatorischer Monumentalarchitektur. Sie erzählen eine Menge von dem, was in dieser Trash-Kino-Version des Zweiten Weltkriegs geschah und es lässt einem zum Teil kalte Schauer aus der großen Brause den Rücken runterlaufen.

Aber am Ende ist das Wichtigste, der Star des Spiels, die Riege an Charakteren, die das hier durchmachen. Und das will in einem Medium, das sich so selten für seine Figuren interessiert (und in einem Titel, der so gut gemacht ist), schon etwas heißen. Wolfenstein 2 erzählt vor allem in seinem Hub-Bereich, dem Hammerfaust-Uboot, das euer Wiesenau-Kreis seine Basis nennt, bisweilen sehr einfühlsam. Wie ihr nach all der Action einer Mission immer wieder hierher zurückkehrt, mit euren Mitrevolutionären sprecht und wieder und wieder mal komische, mal tragische, mal herzerwärmende Alltagssituationen und -Konflikte miterlebt, verleiht den Akteuren eine unheimliche Schärfe und Ausdruck. Es ist natürlich auch dem guten charakterlichen Fundament des Vorgängers geschuldet, dass viele Figuren schon Geschichte miteinander haben und sich einige Handlungsstränge erzählerisch befriedigend fortsetzen lassen. Aber die Chance, so schön an ihren Erstling anzuschließen, verpassen viele andere Studios trotzdem regelmäßig, weil ihre Charaktere viel zu oft nur dazu da sind, den Spielverlauf von einem Level zum nächsten zu bekommen.

Geht dahin, wo es wehtut - vor allem, auch in Sachen Introspektive, was viele vielleicht nicht erwartet hätten.

Das passiert hier nicht, man bekommt im Verlauf der gut 15 Stunden für den Durchlauf allein durch die Hauptmissionen ein sehr konkretes Bild von diesen Figuren, erinnert sich immer wieder an Dinge, die sie gesagt (Rebellenführerin Grace' Schilderungen einer Szene nach dem Abwurf der Atombombe auf die USA sitzt mir immer noch in den Knochen), getan und erlebt haben - oder wird daran erinnert. Dazu kommt ein Fundus an neuen Leuten, die so gut wie alle nachvollziehbare Motivationen, Hintergründe und Ticks haben. Sie alle positionieren die Autoren von Machine Games dann in schöner Regelmäßigkeit nah beieinander, auf dass sich all ihre funkelnden Facetten ineinander spiegeln und dadurch umso mehr leuchten mögen. Manchmal fallen gar keine Worte, manchmal fängt man sich nur beiläufig einen Blick, den man fast nicht bemerkte, und der mehr über die Situation und die Figur erzählt, als alles andere.

Das funktioniert fast jederzeit unfassbar gut, wirft Sorgen und Befürchtungen auf, die das Spiel nur dann zerstreut, wenn sie ihm zu trivial oder vorhersehbar erscheinen. Die wenigsten Figuren will man missen, sie wachsen einem wirklich ans Herz - und das stimmt sogar für einen Bösewicht wie Frau Engel, deren ideologischer Sadismus gleichzeitig anekelt und fasziniert. Auch, dass alles hier "larger than life" in Pulp-Manier ausgewalzt wird, tut dem Spiel gut und bricht viel von der Härte, die die Gewalt und das hoffnungslose Szenario mitbringen. Außer in den Momenten, wo das nicht so ganz klappt und aus einem sehr emotionalen Herumstochern in der Vergangenheit eines Hauptcharakters - und einem der besten Spielemomente in diesem Jahr - auf einmal eine sehr buchstäbliche Auseinandersetzung wird, die besser eine symbolische geblieben wäre.

Manchmal reibt all die Menschlichkeit, die das Spiel zur Schau stellt, schwer an der über die Stränge schlagende Pulp-Attitüde. Es ist eine explosive Mischung, aber ich bin nicht sicher, dass ich etwas ändern würde, wenn ich könnte - oder was.

Momente wie dieser, in denen der Wechsel im Tonfall des Spiels mir dann doch ein wenig zu drastisch war, sind in Wolfenstein 2 selten, aber sie hallen nach und machen das Spiel bisweilen ein wenig schwer zu schlucken. Ich bin fast sicher, dass ich das nur so empfand, weil das Spiel so häufig zwischen all seiner Cartoon-Gewalt und Tarantino-Boshaftigkeit immer wieder ehrlich berührende menschliche Züge zeigt. Aber welches Spiel sonst wagt überhaupt einen solchen Spagat zwischen Komik, Drama und borderline gewaltverherrlichender Action? Wenn ich das alles verdaut habe, denke ich sicher anders, vielleicht etwas gelassener und gesetzter darüber. Alleine, dass das Spiel überhaupt diese Regungen in mir erzeugte, sagt schon viel darüber aus, wie viel Diskussionsstoff es bietet. Wolfenstein 2 ist alles, nur nicht beliebig.

Und falls Preis-Leistungs-Aspekte bei eurer Kaufentscheidung das Zünglein an der Waage sein sollten: Das Uboot ist es auch, von dem aus ihr dank der wiederkehrenden Enigma-Rätsel in bereits geschaffte Abschnitte zur einer Kopfjagd auf Kommandanten zurückkehrt oder in dem ihr hier und da einen Nebenauftrag für einen eurer Rebellenkollegen erledigt. Hier steckt noch deutlich mehr Spiel drin, als nur die fantastische, abwechslungsreiche und überraschende Kampagne, die auch auf Konsole ohne nennenswerte Einbrüche butterweich läuft. Die von mir getestete PC-Version war in 1440p auf maximalen Einstellungen ein wahnsinniger Hingucker mit um die 100 FPS und mehr Bildern pro Sekunde mit wundervoller Kantenglättung und buchstäblich blendendem Licht- und Schatteneinsatz und Post-Process-Effekten, die die Action traumhaft überhöhten, selbst wenn es mit der Schärfe einiger Texturen nicht so weit her war.

Auf der Hammerfaust finden zwischen den Figuren viele kleine persönliche Momente statt. Man verbringt gerne Zeit hier.

Nein, ich habe wirklich so gut wie gar nichts Echtes an The New Colossus auszusetzen. Ich sitze hier seit einer halben Stunde und versuche mich zu erinnern, was mich störte, bringe aber nichts hervor. Das hier ist eine der ganz großen Shooter-Kampagnen. Umfangreich, reichhaltig in der errichteten Welt, kostbar in seinem Fundus an Charakteren. Man hat den Eindruck, ein Spiel dieser Zusammensetzung müsste jeden Moment auseinanderfliegen wie einer der Maschinensoldaten des Regimes unter Beschuss aus BJs doppelt geschwungenen Schrotflinten. Dass es in seinen schwierigsten Szenen nur manchmal kurz ein bisschen knarzt, spricht für das Talent dieses so ungebändigt wirkenden Studios.

Spielerisch aufregend und erzählerisch mutig - manchmal übermütig, aber okay - ist Wolfenstein 2 ein hinreißendes Plädoyer für das aktuell so gefährlich auf der Abschussliste stehende Solospieler-Erlebnis. Wenn EA Recht behält und die Tage für Titel wie diesen hier wirklich gezählt sein sollten, hänge ich mein Hobby an den Nagel.


Entwickler/Publisher: Machine Games/Bethesda - Erscheint für: PC, Xbox One, PS4 - Preis: 60 Euro - Erscheint am: erhältlich - Sprache: Deutsch - Mikrotransaktionen: Nein - Getestete Version: PC

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