Cultist Simulator - Test: Der Horror, der Horror!
Okkultismus und apokalyptischer Wahnsinn mit Spielkarten.
H. P. Lovecraft wurde nun schon in wirklich vielen Spielen zitiert und das nicht immer gut. Eines der Grundprobleme bei der Umsetzung des literarischen Stoffes dürfte die Tatsache sein, dass Lovecraft sehr viel von jenem schreibt, was für den menschlichen Geist so unvorstellbar ist, dass es ihn schlichtweg in den Wahnsinn treibt, wenn er damit konfrontiert wird.
Für Entwickler Weather Factory lag es daher nur nahe, typische Lovecraft-Themen anders umzusetzen: als digitales Solo-Kartenspiel! Mag sich seltsam lesen, funktioniert aber ziemlich gut, was nicht zuletzt an den toll geschriebenen Texten liegt. Und daran, dass ihr nie so recht wisst, was euch im Cultist Simulator als nächstes erwartet.
Weather Factory besteht aus früheren Entwicklern der Spiele Fallen London und Sunless Sea. Und das merkt man dem Spiel deutlich an. Wie bei den beiden anderen wisst ihr zunächst überhaupt nicht, was ihr eigentlich machen sollt und die Entwickler weisen euch sogar mit einer kleinen Texteinblendung darauf hin. Nein, wir werden euch nichts sagen, findet einfach selbst raus, wie das Spiel funktioniert, das gehört nämlich dazu! Insofern möchte auch ich hier nicht in die Details der Spielmechanik einsteigen, das haben diverse Foren und Wikis ohnehin schon getan. Grundsätzlich findet ihr euch im Spiel vor einem Kartentisch wieder, zu Beginn bekommt ihr je nach Figur, mit der ihr startet, einen kleinen Satz an Karten, die ihr dann auf bestimmte Boxen ziehen müsst, die ihrerseits wiederum Tätigkeiten symbolisieren. Dazu gehören beispielsweise Träumen, Arbeiten, Reden oder Erforschen.
Habt ihr also zu Beginn beispielsweise einen Job im lokalen Krankenhaus, lohnt es sich, diese Karte auf das Arbeiten-Icon zu schieben. Dann läuft ein Timer ab und am Ende habt ihr vermutlich ein bisschen Geld verdient. Diesen Countdown gibt es bei jeder Karten-Verb-Kombination. Um überhaupt zu überleben, müsst ihr dafür sorgen, dass ihr immer genug Gesundheit, Geld, Vernunft und Leidenschaft habt, ist das nicht der Fall, ist das Spiel ganz schnell zu Ende. Es kann nämlich immer passieren, dass etwa ein Krankheits-Icon auf dem Schreibtisch erscheint, dass dann ganz automatisch in regelmäßigen Abständen Gesundheitskarten fressen will. Und auch euer täglicher Unterhalt ist zumindest zu Beginn zu bestreiten, indem ihr immer wieder Geld abgebt.
Das sind aber nur die grundlegenden Überlebensmechanismen, denn wie der Name schon sagt, geht Cultist Simulator noch ein bisschen weiter. Ihr baut wirklich einen Kult auf, denn das Leben ist langweilig und irgendwie wusstet ihr schon immer, dass hinter dem langweiligen Horizont der Lovecraft'schen 20er-Jahre ein bisschen mehr wartet als euer blöder Job im Krankenhaus. Also fangt ihr an, okkulte Schriften aufzutreiben, studiert sie und verlest sie öffentlich, um die ersten paar Anhänger um euch zu scharen. Habt ihr die erstmal gefunden, kreiert ihr einen Kult mit eigener Ideologie und beginnt, verlassene Gebäude zu erkunden um dort das unsagbar Fremde zu entdecken, das ihr in den Weiten des Universums wähnt. Und all das funktioniert immer noch wie eine Art Solitär-Kartenspiel, bei dem ihr immer wieder die Leertaste betätigt, um die Zeit anzuhalten und so in Ruhe zu entscheiden, welche Karte ihr als nächstes wohin schiebt.
Gäbe es für all das irgendeine Erklärung oder ein festes Regelwerk, wäre Cultist Simulator leichter. Will es aber nicht sein. Ihr wisst überhaupt nicht, welche Karte sich wie und womit kombinieren lässt, ihr seid auf ein paar dürftige Hinweise auf den Karten angewiesen und darauf, immer wieder zu versagen. Und so sterbt ihr, ein ums andere Mal - mal verhungert ihr schlichtweg, dann werdet ihr Opfer eurer eigenen Depressionen. Gerade das hat aber dafür gesorgt, dass ich eine gewisse Faszination für das Spiel empfunden habe - das Fremde, das die okkulte Sekte sucht, die ihr im Spiel schließlich leitet, spiegelt sich herrlich in der Fremdartigkeit des Spielsystems selbst wieder. So etwas habe ich in dieser Form schlichtweg noch nicht gesehen und genau deshalb war ich immer wieder bereit, Risiken einzugehen, die mir letztlich meinen Spielstand versaut haben. Spielstände anlegen könnt ihr nämlich nicht, gespeichert wird automatisch oder wenn ihr das Spiel beendet. Ich kann aber nicht leugnen, dass ebendas teilweise auch sehr frustrierend sein kann. Wenn ihr nach einer Stunde Spielzeit sterbt, einfach weil ihr nicht wisst, wie eine bestimmte neue Karte funktioniert, dann fühlt sich das zwar an, als hättet ihr jetzt etwas gelernt. Aber dieser Wissenszuwachs ist eben nur sehr klein.
Damit Cultist Simulator funktioniert, wie es soll, solltet ihr im Optimalfall ein gutes Gedächtnis haben. Oder, ganz altertümlich, Zettel und Stift bereithalten, denn irgendwie müsst ihr euch gewisse Standardmanöver merken. Wie ihr etwa im Krisenfall an neues Geld oder neue Gesundheit kommt oder wie ihr einen der neugierigen Polizisten abwehrt, die eurem Kult auf die Schliche zu kommen drohen. Warum die Polizei überhaupt etwas gegen euren Kult hat? Naja - im späteren Spielverlauf beschwört ihr durchaus schon mal Dämonen, schickt die auf Missionen gegen die Polizei oder werdet im rituellen Wahn zum Kannibalen. Ihr fresst eure eigenen Anhänger. Kann man alles machen, ist ja nur ein Kartenspiel, das die Visualisierung der Handlung eurem Kopf überlässt.
Wichtig zu wissen: Bis ihr erst mal jemanden fressen dürft, werden Stunden vergehen. Ihr werdet frustriert sein, weil ihr glaubt, die Logik des Spiels durchschaut zu haben, es aber dann doch nicht habt. Weil ihr in der Hatz auf ein neues Ziel, wie etwa einen neuen Forschungsdurchbruch im Bereich des Okkulten, vergessen werdet, dass ihr auch noch arbeiten müsst, um Geld zu verdienen.
Oder weil ihr zwar reich seid, aber schwer depressiv. Oder natürlich, weil ihr aus Versehen eine furchtbare jenseitige Gottheit beschwört, die mit einem Augenzwinkern verhindert, das ihr überhaupt jemals existiert habt. Das Schöne ist: Die Möglichkeiten1 zu scheitern sind in Cultist Simulator genauso nett wie die Erfolgserlebnisse. Das Spiel präsentiert sich als Kartenspiel-Sandbox, jedes Spiel erzählt eine neue, ganz eigene Geschichte. Und wenn euch letztlich ein Dämon den Kopf abreißt, habt ihr eben wieder was Neues erlebt.
Als sehr erstaunlich empfand ich es, wie das Spiel mit seinen paar Karten und einer netten, wenn auch nicht außergewöhnlichen Hintergrundmusik, eine schier apokalyptische Atmosphäre aufbaut. Ihr seht förmlich die Nebelschwaden eines London der 20er Jahre über den Bildschirm wabern, obwohl ihr nur auf einen Spieltisch starrt. Der Cultist Simulator ist eigentlich nur ein Set an verschiedenen Karten, die miteinander kombiniert etwas auslösen. Ernüchternd, wenn man sich das bewusst macht. Und frustrierend für all jene, die schlichtweg nicht die Geduld haben, stundenlang mit den Karten herumzuhantieren, womöglich ohne Erfolgserlebnis. Der Cultist Simulator will erobert werden, macht dieses Erobern aber schwer. Zu schwer vielleicht.
Der Cultist Simulator macht seinem Namen alle Ehre. Er ist nämlich, leicht übertrieben gesagt, so komplex wie ein Flugsimulator, vermittelt aber natürlich trotzdem nicht glaubhaft, wie es sich anfühlt, wirklich einen teufelsanbetenden Kannibalenkult anzuführen, auch wenn das Lovecraft-Szenario für ein Kartenspiel erstaunlich gut rüberkommt. Ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob das eine valide Kritik an einem Spiel ist, das sich so einzigartig anfühlt wie dieses, aber so habe ich es empfunden. Letzten Endes ist Cultist Simulator kein Spiel für Ungeduldige, sollte aber seine eigene, kleine, Kult-artige Anhängerschaft finden. Frustresistente Leute müssen das sein, beharrliche Lovecraft-Freunde mit dem Willen, sich Schritt um Schritt in komplexe Mechanismen einzuarbeiten, obwohl am Horizont noch Dutzende weitere darauf warten. Wer sich damit beschrieben fühlt, sollte sich den Cultist Simulator unbedingt ansehen.
Entwickler/Publisher: Weather Factory/Humble Bundle - Erscheint für: PC - Preis: 19,99 Euro - Erscheint am: erhätlich - Getestete Version: PC - Sprache: englisch - Mikrotransaktionen: Nein