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Ist das noch Call of Duty... oder schon längst Cyberpunk?

Black Ops III: Manche Schatten sind einfach nur schwerer bewaffnet.

Das Reinspielen auf Messen oder der ersten Stages zum Mitreden beim Test konnte mich nicht auf das vorbereiten, was ich an den letzten beiden Abenden erlebte. Hangelte ich mich zuvor selbst bei sehr ambitionierten Versuchen der Reihe wie Advanced Warfare so durch, weil die Action cool war, saß ich nun gebannt davor, ging mit der Stimmung mit und wollte wirklich wissen, wie es weitergeht. Das war nicht mal damals bei Modern Warfare der Fall, das jenseits seiner ein, zwei WTF-Momente insgesamt und nach heutigen Maßstäben sehr konservativ daherkommt. Nicht so Black Ops III.

Alles ist da: Die absurd hohen Archology-Türme...

Dass es futuristisch wird, war von vornherien klar. Aber es muss wohl mal wieder für die US-Zielgruppe gewesen sein, dass man im Vorfeld die Augmentierung von Gliedmaßen betonte. Viel spannender ist der Kopfchip, um den sich am Ende alles dreht und der euch durch eine Sci-Fi-Geschichte führt, die... die ich kannte. Oder zumindest: von der jeder schon flüchtig gehört hat, der mit dem Cyberpunk-Genre vertraut ist. Ihr spielt Operation Screaming Fist. Oder etwas, das den Erlebnissen eines gewissen Armitage nahe genug kommt. So nahe, dass man schon fast den Namen Gibson in den Credits suchen möchte.

Black Ops III ist gleichzeitig ein Prolog für eine neue Zeit, geht aber schon weiter, als es einige der selbst mutigeren Visionen mancher Cyberpunker tun. Die Weltordnung ist verwüstet, Waffentechnologie außer Kontrolle, Robotik fester Teil der Kriegsführung und Virtual Reality mit neuronalen Interfaces das beste Spielzeug, das die Welt derzeit zu bieten hat. All das ist Cyberpunk, sei es das Setting, die Technik oder die inhaltlich übergreifende Thematik. Das könnte alles kaum weiter vom üblichen Militär-Blah entfernt sein und es ist weit involvierender, stellenweise geradezu als Geniestreich umgesetzt, als es sich das von der Idee nicht mal schlechte Advanced Warfare je hätte erträumen können.

...mit ihrem außer Kontrolle geratenen Innenleben...

Gleichzeitig ist es natürlich ein Militär-Shooter. Warum auch nicht? Auch das kann Teil einer Cyberpunk-Welt sein. Es ist nur einer, der sonst nie zum Tragen kommt. Das liegt daran, dass dieses Subgenre aktuell etwas erstarrt ist. Klar, wir lieben die Neonschluchten, die Archology-Türme und die coolen Ledermäntel in den zwielichtigen Gassen zwischen Schatten und Konzern. Aber diese Welten haben oft eine Geschichte und ein wichtiger Teil davon sind verheerende Kriege. Sie sind aber so gut wie nie die Geschichte. Das ist auch okay, denn als Buch oder Film wäre das, was in Black Ops III passiert, nur schwer so umzusetzen, wie es hier gelungen ist. Es wäre ohne das interaktive Element und die direkte Immersion aus der Ego-Perspektive ziemlich öde. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Vielleicht muss es auch nur jemand hinbekommen.

...der Konzern mit dem verdächtigen Slogan ('Enhance yourself for a better tomorrow')...

Black Ops III jedoch erzählt eine dieser Geschichten und treibt sie durch alle Register einer ultramodernen Kriegsführung, in der Technik zum Einsatz kommt, die man auf den dunklen Straßen Seattles und Chibas eben doch nicht jeden Tag sieht. Ihr zerlegt mit einer Handbewegung Kampfmaschinen, übernehmt sie oder setzt die eigenen augmentierten Körper als Waffen ein, die einen, nun, sagen wir mal mit besonderen Befugnissen ausgestatteten Zivilisten wie Adam Jensen erzittern lassen würden. Es ist roh, schnell und dazu noch mit jeder Menge schwerstkalibriger Waffen bestückt. Auch diese unterstützten das Nah-Sci-Fi-Feel, das das Genre so liebt, hervorragend. Das Spiel verzichtet auf Energiewaffen, stattdessen ist es konventionell, aber optimiert bis zum Anschlag. Das passt, vor allem zu dem Stadium des Tech, in dem sich der Rest noch befindet.

Eine der vielen Inspirationen für Neuromancer war eine harmlose Zeile aus dem Anfang von Flucht aus New York. „You flew the Gulfire over Leningrad, didn't you?". Black Ops III könnte auf so einer Zeile basieren. Es ist diese Geschichte, nur dass sie mehr Auswirkungen auf die zukünftige Welt von Black Ops haben dürfte. Es ist eben doch weit näher an: "Nobody named Armitage took part in any Screaming Fist. I checked". Und das macht die Geschichte und die konsequente, geradezu irre Umsetzung so prädestiniert, in einem Atemzug mit den Großen des kleinen Sci-Fi-Genres im Spielbereich genannt zu werden.

...bis hin zu komplett irrsinnigen Wahn-Visionen, psychotische Mantras inklusive.

Sicher, wer jetzt sagt, dass es am Ende immer das Rennen durch den Schlauch und Ballern sei, dem habe ich nicht so viel entgegenzusetzen, siehe Björns Test zu Black Ops III. Nur weil es inhaltlich cyberpunkiger als selbst Deus Ex ist, heißt das nicht, dass es spielerisch auf einem so abwechslungsreichen Level arbeiten würde. Es ist sehr gutes Shootern, tadellos und routiniert umgesetzt, aber das darf man nach den Jahren auch erwarten. Die ganzen Gadgets und Waffen verändern den Fluss genug, um sich des Rehash-Vorwurfs erfolgreich zu erwehren, aber das wird niemanden bekehren, der von dieser Art Shooter nichts hält. Ich hatte meine zwei Abend spielerisch viel, sehr viel Freude mit dem Titel. Jetzt darf es auch wieder was anders sein.

Nein, das ist kein Call of Duty mehr. Das ist etwas anderes. Und es gefällt mir.

Inhaltlich jedoch hat es mich geradezu überrollt, vor allem, weil ich lediglich mehr vom CoD-üblichen Militärkrams erwartete. Sicher, Black Ops war immer etwas mutiger, aber dass eine solche Serie thematisch praktisch endgültig das Genre wechselt und sich dabei in Terrain vorwagt, das die Angestammten des Cyberpunk in der Regel nur flüchtig streifen, hätte ich nie gedacht. Und schon gar nicht, dass es das auf eine so reizvolle, spannende und das Leben eines Cyberpunk-Anhängers bereichernde Weise tut. Zählt ihr euch zu jener Schar, dann spielt Call of Duty: Black Ops III. Gönnt euch diese intelligente Variation von Screaming Fist.

In diesem artikel

Call of Duty: Black Ops III

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Martin Woger Avatar

Martin Woger

Chefredakteur

Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.
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