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One Piece: World Seeker macht das Beste aus seiner überlebensgroßen Vorlage: etwas Eigenes

Klingt wie eine gute Idee, Oda?

Es ist wie so häufig mit Ruffy: Er ist ein bisschen spät dran - und darauf versessen, seinen Dickschädel wider besseres Wissen durchzudrücken. Während die anderen Shōnen-Posterboys drüben bei Naruto oder Dragonball längst durch weitestgehend offene virtuelle Abbilder ihrer so heimeligen Heimat staksen, springt die Piratencrew des Strohhuts erst jetzt auf den Open-World-Bummelzug auf, eine Linie also, die den Bahnhof längst verlassen hat. One Piece, ausgerechnet, dessen nunmehr 20 Jahre am offenen Herzen währender Weltenbau förmlich nach diesem kreativen Ventil verlangt und ihn zugleich mit seiner absurd angeschwollenen Größe negiert.

Spätestens seit Mangaka und - man kann es nicht anders sagen - Visionär Eiichirō Oda die ohnehin buchstäblich in alle Himmelsrichtungen hin überschwappenden Ausmaße seines Kosmos' um die "Neue Welt" erweiterte, gingen wohl auch die letzten Hoffnungen auf ein die gesamte Grandline abdeckendes One-Piece-Spiel über Bord. Unter kräftiger künstlerischer Zuarbeit von Oda selbst erhebt World Seeker diesen eigentlich betrüblichen Umstand nun aber zu seinem wohl pfiffigsten Einfall, indem es sich gar nicht erst an der Abbildung dieses so vielschichtigen Universum abarbeitet, sondern es vielmehr um eine neue "Kanon-taugliche" Insel erweitert: Prison Island.

Damit vermeidet Entwickler Ganbarion clevererweise mögliche Unzulänglichkeiten beim Nachpixeln bekannter Kulissen und erhält zugleich einen Freifahrtschein für das Hochziehen eines alleinig den Gesetzmäßigkeiten eines Videospiels verpflichteten Sandkastens. Dass Element der Interaktivität diktiert nun einmal deutlich enger gesteckte Grenzen als jene, denen Oda normalerweise folgt (lies: keine).

World Seeker baut vor euren Augen zwar eine einnehmende Welt auf, die für Oda-Verhältnisse aber stets vergleichsweise zahm bleibt.

Nur zieht World Seeker vor dieser Freiheit eher kleinlaut den Schwanz ein, anstatt sie mit offenen Gummiarmen willkommen zu heißen, denn: Prison Island ist nicht nur ein, sondern der prototypische Open-World-Schitzeljagdschauplatz überhaupt. Es ist die am Reißbrett geplante und mit Questmarkern, Loot-Sammelstellen und pflichtschuldig herumstehenden Bewohnern getarnte Kulisse einer tatsächlichen Welt, wie ihr sie eher vor zehn als vor zwei Jahren alle naselang zu sehen bekamt. Eine durchaus abwechslungsreich beschaffene Staffage zwar, an der man allerdings lieber behände vorbeisaust als davor zu verweilen.

Insofern ist das dank Ruffys Kaugummigliedmaßen sportliche Tempo hier durchaus begrüßenswert. Der Flip-Flops-Strahlemann weiß seine wabbeligen Extremitäten hervorragend zu nutzen, schwebt mit Helikopter-Beinen über die Visagen verdutzt dreinblickender Brummbären hinweg oder schwingt mit seinen meterweit ausfahrbaren Geleearmen durch Häuserschluchten der dichter besiedelten Teile der Insel. Der Reiz dieser Bewegung ist jedoch ein flüchtiger, weil ein nach initialem Albernheitsgekicher auf seine behelfsmäßigen Mechaniken reduzierter. Diese sind keinesfalls löchrig oder gar defekt, in einer Post-PS4-Spider-Man-Ära aber auch keinen Höflichkeitsapplaus mehr wert und lediglich funktional, was einem agilen Wirbelwind wie den dauergrinsenden Strohhut eben nur bedingt zur Ehre gereicht.

Der freundliche Spinner aus der Nachbarschaft.

Dergestalt nun also erkundet ihr eine bisweilen etwas leb- wie ereignislose Insel und klappert pflichtbewusst all die Ausrufezeichen auf eurer Karte ab. Viele davon tackern euch lediglich einen Einkaufszettel zu beschaffender Gegenstände an den Bildschirmrand oder verlangen, dass ihr eurem Kill-Counter zwei weitere Nullstellen hinzufügt. Ihr kommt diesen Gefälligkeiten nicht ausschließlich für die Erfahrungspunkte am Ende, sondern auch die netten Gespräche dazwischen nach, immerhin. Und trotzdem reicht das hier zumeist kaum als Filler-Material einer Anime-Episode, wenn wir schon dem selbstauferlegten "Es könnte offizieller Kanon sein"-Credo folgen.

Lediglich in den seinen großen Ereignissen begleitenden Zwischensequenzen kommt World Seeker diesem etwas überambitionierten Anspruch wirklich nahe. Nur in diesen dürfen die für alle anderen Gespräche auf der Ersatzbank versauernden japanischen Originalsprecher ein Skript vortragen, das trotz latenter Best-of-Gefahren tatsächlich Odas Stärken durchscheinen lässt. Allerdings nehmen sich solche Momente in der Gesamtheit von offenen Welten naturgemäß eher selten aus, weshalb ihr die meiste Zeit auf sich stoisch gegenüberstehende, stumm daherplappernde Bewohner starrt und nebenher im Duden den Begriff "Fallhöhe" nachschlagt. "Hier gibt es nichts mehr, das dich hält"? Wohl kaum.

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Wenn etwas das vorübergehende Einstellen eurer Autopilot-Spielweise erfordert, dann gelegentliche, unerwartete Schlenker auf dem längst planierten Open-World-Pfad. Trottet Ganbarion diesem sonst eine Spur zu bereitwillig hinterher, setzt das japanische Team hie und da zumindest interessante Akzente. Ich jedenfalls rechnete weder mit optionalen Schleichabschnitten noch mit einem Karmasystem, das euch Partei für die in unversöhnlichen Marine-Befürwortern und -Gegnern gegenüberstehende Inselbevölkerung ergreifen lässt.

Auch hier strebt die Wahrscheinlichkeit gegen Null, dass ihr diese Systeme nicht längst woanders und, Hand aufs Herz, in komplexerer Form erlebt hättet. Doch World Seeker ist ohnehin eines jener Spiele, dessen Einzelteile erst in Summe zueinanderfinden. Separat seziert ist weder der Fähigkeitenbaum noch das Zwei-Tasten-Kampfsystem oder irgendein anderer Aspekt dieser Reise wahnsinnig hervorhebenswert. In Kombination jedoch treten die einzelnen Schwachstellen in den Hintergrund und schaffen etwas, das zwar nicht ohne Makel, aber doch ein kohärentes Ganzes, ein Team bildet - ganz so wie bei Ruffy und seiner Bande.

Ha, zwölf Extremitäten bei gerade mal zwei Kämpfern? Keine Sorge, da kann One Piece noch ordentlich aufdrehen.

Auch One Piece: World Seeker wird das "Warum eine Adaption spielen, wenn man das Original verschlingen könnte?"-Dilemma trotz seiner gesteigerten Produktionswerte nicht vollends aufdröseln können. Immer wieder zwar taucht ihr durchaus tief in diese Welt ein-, nie jedoch völlig in ihr ab. Zu häufig sind die unweigerlich auftretenden Sollbruchstellen beim Abbilden einer bereits in einem anderen Medium existierenden Welt sichtbar. Mit viel gutem Willen mögt ihr euch während des stakkatoartigen Verdreschens unkender Piraten noch wie Ruffy höchstselbst fühlen. Diese reizvolle Wirklichkeitsflucht zerfällt aber bereits kurz darauf in ihre Einsen und Nullen, wenn die typische One-Piece-Vitalität beim nächstbesten Gespräch auf stocksteife und mucksmäuschenstille Polygonhaufen heruntergebrochen wird.

All das spielt sich in seiner berechenbaren Kompetenz eben so weg, ohne eure Erwartungshaltung in die ein oder andere Richtung mitzureißen. Im Open-World-Kontext mag diese Ausrechenbarkeit völlig ausreichend, bisweilen sogar wünschenswert sein - für ein One-Piece-Abenteuer ist es hingegen geradezu ein Frevel.


Entwickler/Publisher: Ganbarion/Bandai Namco - Erscheint für: PC, PS4, Xbox One - Preis: ca. 60 Euro - Erscheint am: 15. März - Gespielte Version: PS4 Pro - Sprache: Deutsch (Text), Japanisch (Sprecher)

In diesem artikel

One Piece: World Seeker

PS4, Xbox One, PC

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Gregor Thomanek Avatar

Gregor Thomanek

Freier Redakteur

Trinkt gern Kaffee und liebt Videospiele, im Idealfall beides auf einmal. Ist für alles zu haben, was aus Japan kommt. Hat nie Herr der Ringe gesehen und findet, das sollte auch so bleiben. Gründet irgendwann einen Ryan-Gosling-Fanclub. Hat seine Katze "Yoshi" genannt, bereut nichts. Konsolenkind.
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