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Paper Mario: Die Legende vom Äonentor - Test

Rabenviecher, Spielsucht, Bomba Luigi, Liebe, Tod, Trauer und mickrige Käsekrähe - alles in einem Spiel.

Das letzte Paper Mario mit RPG-Einschlag, reizend überarbeitet und in Form gebracht für eine neue Generation, leider nur marginal gestrafft.

Ob Nintendo dieses Luigi-Spiel je auf dem Zettel hatte? In den zwanzig Jahren, seit Paper Mario: Die Legende vom Äonentor für den Gamecube erschien, hätte man längst auf die Idee kommen können. Luigi ist im zweiten Paper Mario nur eine Randfigur, ein Dampfplauderer mit eigenem Meta-Abenteuer und flexiblem Wahrheitsempfinden. In seinen haarsträubenden Reiseberichten zwischen den Kapiteln traumwandelt er durch eine Kuchenwelt auf der Suche nach einer Kuchenprinzessin. Er haut dermaßen auf die Kacke, ungeachtet wechselnder Begleiter, die seine vermeintlichen Heldentaten jedes Mal der Unfähigkeit überführen.

Prahlerei sichert ihm einen Buchvertrag und größere Bekanntheit als sein Bruder, inklusive ein paar der besten Luigi-Jokes in einem ohnehin nicht um blanken Unsinn verlegenen Spiel. Einem Spiel wie der Gamecube selbst, so kompakt und trotzdem stattlich, robust, schrill und wen juckt's, was die anderen denken? Es war die Zeit von Pikmin, Eternal Darkness, Sommerurlaub mit Mario und Melone. Das erste Mal Metroid in 3D und das letzte Mal F-Zero auf einer Nintendo-Plattform, bei der sich Dritthersteller nicht irgendwann den Finger in den Hals stecken wollten. Trotzdem gab es nie dieses Luigi-Spiel, in dem man "auch als Gras beliebt sein kann".

Nachdem Luigi im ersten Paper Mario (N64) zu Hause herumhockte, verfolgt er hier eigene Abenteuer. Und überschlägt sich fast in seinen Erlebnisberichten (nebenbei: Ja, die Röhre im Vordergrund ist neu).

Stattdessen gab es ein Mario-und-Freunde-JRPG mit Rundenkämpfen vor frenetischem Bühnenpublikum, Fetchquests aus der Hölle, einfache, motivierende Charakterentwicklung, Eselsohren im Einklang mit dem Bastelstil und ein Zugkapitel, in dem Mario stundenlang Mitreisende belästigt. Es spielt mit der zweidimensionalen Herkunft seiner Figuren und den traditionell eindimensionalen Mario-Geschichten mit einer Mischung aus hinreißend stilisierter, aufblühender Grafik und Selbstironie. Seine erzählte Geschichte ist umfang- und textreich, besonders mit Blick auf das im letzten Jahr erschienene Super Mario RPG. Und ihm war ein Entstehungsumfeld vergönnt, das eine Verfeinerung der beliebten Formel statt radikaler Umgestaltung priorisierte.

Ähnlich stabil präsentiert sich Paper Mario: Die Legende vom Äonentor in der Switch-Neuauflage. Eine HD-Version des alten Spiels wäre kein Weltuntergang gewesen, so standhaft trotzt es bis heute dem Zahn der Zeit. Dennoch, der betriebene Aufwand liegt ein Stück über Metroid Prime Remastered und Welten über Pikmin 1+2. Neue Oberflächenstrukturen, feiner aussehende Materialien, Randobjekte und Effekte rücken die Erscheinung näher in Richtung Color Splash, und das meine ich als großes Kompliment. Es sieht einfach schön aus, wie man es dreht und wendet, auch wenn mancher Lichteffekt in Kapitel sechs an das Wind-Waker-HD-Syndrom erinnern könnte.

Die auf 30 Bilder pro Sekunde gestutzte Framerate ist völlig in Ordnung, solange man das Original als Vergleich im Schrank lässt. Beides ist in sich schlüssig und tadellos spielbar. Konter im Kampf und aufladbare Spezialattacken geraten im Remake einfacher und gewähren gefühlt ein paar zusätzliche Frames für den perfekt getimten Tastendruck. Probleme entstehen nur, wenn man welche draus macht (alle Details zur Technik gibt es bei Digital Foundry).

Im Zentrum zwischen den acht Kapiteln steht die Stadt Rohlingen, eine mehrstöckige Hub-Welt, die man sich heute nur etwas größer und mit weniger Übergängen vorstellen müsste. Ihr gegeben sind ein Hintergrund mit eigener Volkssage über sieben Juwelen, ein versiegeltes Unheil hinter dem titelgebenden Äonentor, angedeutete soziale Strukturen zwischen Mafia und Gangs. In der ersten Szene werden zwei Lanzhäher übel von Palma-Mafiosi zusammengeschlagen (tun wir so, als wüssten mehr Leute als Patrick, was Lanzhäher sind), direkt neben einem Galgen.

Die Hintergrundebene kommt beim Erkunden der Abschnitte öfter zum Einsatz.

Ich meine, das ist ein Mario-Spiel. Da wird in der Regel nicht geprügelt, sondern geknufft. Da werden keine Komplotte geschmiedet, sondern Streiche ausgeheckt. Das Bettlakengespenst mit dem Partyhütchen in Kapitel 4 plaudert bei der erstbesten Gelegenheit (wenn wir es beim Fernsehen stören) aus, was an seinem Plan der große Kracher sein soll. Alle und jeder andere lieben diesen Quatsch. Allein die Andeutung, im naiven Nintendo-Kosmos könne jemand am Galgen zu Tode gedrosselt werden, trifft ein paar schräge Töne.

Es ist nicht die einzige dunkle Seite in einem thematisch breit aufgestellten Spiel. Jedes Kapitel im Kleinen hat einen eigenen Mario-gesteuerten Handlungsbogen, im Großen zusammengehalten von sieben MacGuffins, den Crucionen und wechselnden Perspektiven. Dr. Robert Bowser, ein reicher und großzügiger Geschäftsmann, ist nicht unser primärer Gegenspieler und immer zwei Schritte hintendran. Sein dickschädeliges Hinterhertrampeln bei der Suche nach den Sternjuwelen und denen, die Peach ohne seine Erlaubnis entführt haben, wird nur von seiner köstlichen Inkompetenz getoppt.

Zwischen den Kapiteln spielen wir mehrfach Bowser und Peach, die sich unabhängig von Mario durchschlagen.

Daneben geht es um Machtmissbrauch, Identitätsdiebstahl, psychische Gewalt, Trauerbewältigung, Liebe, künstliche Intelligenz und oh, Mario kann von einem Geist ermordet werden. Was für ein massives Brett gegenüber einer Spanplatte wie Sticker Star, in der Bowser kein Wort sagen darf. Die Juwelensuche bedient sich der Komik eines stillen und in jeder Szene auf die beste Art deplatziert wirkenden Protagonisten. Mario ist wie Charlie Chaplin unter Charakteren, die je nach Szene von Agatha Christie oder aus 2001: Odyssee im Weltraum stammen könnten.

All die Dialoge können anstrengend sein. Manchmal anstrengend und brüllend komisch zugleich, weil das Spiel, wäre es empfindsam, genau wüsste, wann wir mit den Augen rollen. Ich liebe die Kampfeinweisung für Flapp in der Arena, dem dialoglastigsten und atmosphärisch stärksten Abschnitt. Die Verantwortlichen für diese kurze Szene sehe ich heute noch am Boden liegen vor Lachen und ihr solltet dasselbe tun. Paper Mario, das bedeutet traditionell Ulk und mit dem Holzhammer durch die vierte Wand, spätestens wenn sich ein dilettantisch verkleideter Bösewicht "Pssst"-mäßig direkt an uns vor dem Bildschirm wendet.

Neben der Oberfläche von Rohlingen sind die Katakomben nach jedem Kapitel mindestens einmal zu besuchen. Dort liegt das Äonentor und enthüllt den Fundort des nächsten Juwels.

Wo das Original seine elenden Hänger hatte, konnte Nintendo die bestehende Struktur nur begrenzt nachbessern. Immerhin freuen sich Remake-Gamer über a little more Quality Time. Neben einem Kreismenü zur Schnellauswahl der Begleiter gibt es nun einen zentralen Abkürzungsraum in den Katakomben, deren räumliche Aufteilung außerdem ein wenig gestrafft wurde. Das viele Hin und Her zwischen Äonentor und bekannten Schauplätzen gerät eine Spur erträglicher, ist aber nicht aus der Welt.

Das vierte Kapitel profitiert von einer zusätzlichen Röhre zwischen Dorf und Abtei, aber erst, nachdem wir schon zigmal den langen Weg nehmen mussten. Backtracking auf immerhin kompakter Fläche ist nach wie vor ein leidiges Thema, in jedem Kapitel auf seine Weise. Schlimmer noch in den Nebenmissionen, die komplett darin aufgehen und manchmal sogar ein "Haha" hinterherschicken.

Schon klar, Mario ist viel unterwegs. Durch sein Kommen und Gehen soll ein familiäres Mittendrin in den von Bomb-ombs, Koopas und Gumbas besiedelten Örtchen entstehen. Eine Welt mit einem Hauch von Bestand, die sich im Laufe sogar leicht verändert. Spielerisch sind die Nebengeschichten grauenhaft öde und bis auf eine Ausnahme zum Freischalten einer optionalen Begleiterin wenig lohnend. Münzen schön und gut, sonst gibt es nicht viel. Denkt bei der Hot-Dog-Quest daran, gleich zwei zu kaufen.

Das Kampfsystem ist einfach und gut greifbar, was Resistenzen, Buffs, Reaktionstests und Interaktion mit dem Publikum angeht.

Mario tritt beim Erkunden der Welten auf sonderbare Art in den Hintergrund, nicht nur, wenn er durch eine Röhre in einem Wandgemälde auftaucht. Nach einer 90-Grad-Drehung verschwindet sein Papierkörper fast buchstäblich vor unseren Augen, um sich durch Gitterstäbe zu quetschen, während er als Flieger Vorsprünge erreicht. Mario zu kennen bedeutet ein Verständnis unserer spielinternen Möglichkeiten: Jetzt kann ich als Papierboot die Abwasserkanäle erkunden. Jetzt kann ich mit Yoshis Fähigkeit über den Abgrund schweben oder mit Bart-omb die Mauer sprengen. Jetzt erreiche ich endlich die Truhe auf dem Marktplatz. Nach all der Zeit ist es immer noch klasse, Mario zu sein. Und vor allem ist es klasse, seine Werte zu verbessern, entweder Lebenskraft, Energie für Spezialattacken oder Ordenspunkte.

Die fast 100 Orden eröffnen eine sekundäre Ebene der Charakterentwicklung und erfordern einen Hang zum Jonglieren, welche davon zu welchem Zeitpunkt sinnvoll sind. Eine Armada passiver Abzeichen mit Boni für Gesundheit, Magie, Ausweichen und automatische Regeneration ist ebenso möglich wie eine dumpfe Hitpointmaschine, die lange auf den Beinen bleiben, sonst aber nicht viel mehr kann, als jeden Angriff zu durchleiden.

Der Rundenkampf beschränkt sich mit einstelligen Schadens- und Verteidigungswerten auf ein überschaubares Ausmaß. Selbst der supergeheime Geheimboss am Ende des 100-stöckigen Geheimdungeons, der schwerste von allen, hat weniger HP, als so mancher JRPG-Tutorial-Boss mit einem Zug regeneriert. Ich fand diese Bodenständigkeit immer erfrischend aufrichtig. Eine Steigerung von zwei auf drei Schadenspunkte ist unabhängig vom Hintergrund schneller begreifbar als eine von 847 auf 872.

Szenen mit hundert und mehr Objekten gleichzeitig sind keine Seltenheit. Das Spiel liebt diese Massen, etwa hier im zweiten Kapitel, in dem wir Pikmin-artige Wesen durch einen Baum führen müssen.

Daraus entsteht ein einfaches, kompetentes Kampfsystem auf einer je nach Umgebung anders hergerichteten Bühne. Man kennt das aus dem Mario-Kosmos: grüne Auen, Geisterhaus, Winterlandschaft, Tropeninsel, abgefuckter Kleinstadtbahnhof. Das Publikum jubelt stärker, je besser Mario und sein jederzeit wechselbarer Begleiter kämpfen. Mehr von den Zuschauerrängen zugewinkte Anerkennung bedeutet mehr Sternenenergie und mehr Sternenenergie wiederum mehr Spezialattacken.

Gelegentliche Zwischenrufer stören die Performance und drohen Mario mit Blechdosen zu bewerfen, während anderswo Bühnenbeleuchtung oder Kulissen auf den Gegner krachen. Das Verstärken eigener und das Abschwächen gegnerischer Angriffe mit getimten Eingaben und kurzen Reaktionstests ist ein Markenzeichen der Paper-Mario-Reihe und schleppt das an Finessen nicht gerade reiche System über die gut 30 Stunden entfernte Ziellinie. Am Ende hätten es nicht mehr sein dürfen. Das merkt man erst mit zwanzig Jahren Abstand so richtig.

Und dennoch, die theatralischen Aufführungen vor wechselndem Publikum aus Mario-Statisten treffen mit einfachen Reaktionstests und vielfältigen Orden einen Nerv abseits der schicken Beschaffenheit aus Bastelmaterialien. Neben Mario & Luigi: Abenteuer Bowser ist Die Legende vom Äonentor des Klempners bester Abstecher in die Welt der Angriffs- und Verteidigungswerte, der Buffs, Level-ups und Action-Kommandos. Zuweilen ein bisschen unnötig verquasselt (es gibt wirklich viel zu lesen), in keinem Kapitel vollends geschliffen, was unnötige Laufwege angeht, manchmal sogar bewusst schikanös, aber immer beherzt. Oh, und Mario dealt auf dem Hinterhof. Wenn das kein Grund ist, für die nächsten zwei Wochen sein Freund sein zu wollen, was dann?

Paper Mario: Die Legende vom Äonentor
PROCONTRA
  • Gemächlicher Rundenkampf mit Reaktionstests
  • Verschiedene Begleiter mit Fähigkeiten für Erkundung und Kampf
  • Erstmals abseits vom Gamecube spielbar
  • Schöne, neu aufgenommene Musikstücke
  • Motivierendes Ordensystem
  • Oft zu einfache Kämpfe
  • Einiges an Backtracking
  • Meist uninteressante Nebenaufgaben

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