The Talos Principle 2: Das Puzzle-Rollenspiel fragt, wie ihr das Schicksal einer Gesellschaft lenken würdet
Wer braucht schon 4K?
Als der eintausendste Android in New Jerusalem ankommt, wird das von den anderen als das Erreichen des großen Ziels gefeiert. Eintausend künstliche Menschen sollten erschaffen werden – dann sei für immer Schluss damit. Denn die Androiden wollen aus den Fehlern der Menschen lernen; sich nicht wie ihre Vorfahren durch das Übermaß auslöschen, mit dem die den Planeten und sich selbst zugrunde gerichtet haben.
Und jetzt spielt man also 1K, den finalen Androiden, um New Jerusalem und seine Bewohner kennenzulernen – und gleich zu Beginn Zeuge einer geheimnisvollen Erscheinung zu werden. Als man die Stadt nämlich gerade erst betritt, taucht eine Art Hologramm auf, das sich selbst Prometheus nennt und die Androiden auf eine Insel einlädt. Sie erfahren nicht warum, schicken aber eine Expedition zu der Insel. Und selbstverständlich ist 1K Teil dieses Teams.
Warum ich mit der Geschichte anfange, um The Talos Principle 2 zu beschreiben? Weil es viel mehr ist als nur ein Puzzle-Spiel. Weil man New Jerusalem vor dem Flug auf die Insel ausführlich erkunden kann, um die Besonderheiten der Stadt und ihre Bewohner sowie die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur Zivilisation ihrer Vorfahren, also den Menschen, kennenzulernen. Ein Museum gibt es da mit Exponaten aus dem Vorgänger und einem Rückblick auf die Geschichte der futuristisch anmutenden Stadt.
Ich habe einen Androiden getroffen, der von Katzen fasziniert ist, und einen anderen, über dessen ulkige Sprüche ich mich köstlich amüsiert habe. Mit anderen habe ich über Prometheus und die Insel gesprochen. Und immer bestehen die Unterhaltungen aus zahlreichen Dialogen, in denen ich als 1K Stellung beziehen, meine Meinung kundtun konnte, oft genug zu philosophischen Themen, um die es in dieser Fortsetzung natürlich erneut gehen wird.
Denn The Talos Principle 2 ist auch deshalb mehr als ein einfaches Puzzle-Spiel, weil man die Zukunft von New Jerusalem aktiv beeinflussen wird. Wobei ich schon kurz nach der Ankunft auf der Insel die Entscheidung treffen musste, ob ich die Hilfe einer Gruppe annehmen wollte, die mich darum bat auf der Insel gesammelte Daten mit ihr zu teilen. Selbst unter gerade mal eintausend Bewohnern gibt es eben individuelle Befindlichkeiten beziehungsweise Interessen und wie ihr euch dort positionieren wollt, bleibt euch überlassen.
Die Interaktion hört bei den zahlreichen Gesprächen ja nicht auf. Ich mag auch das so genannte Interface: ein in 1K eingebautes Menü, das wichtige Informationen festhält – teils in Bildern, teils als Sprachaufzeichnung – und über das er Nachrichten erhält, denen er manchmal sogar antworten kann. Ich habe mich zum Beispiel in einen Chat eingeklinkt, dessen Teilnehmer darüber spekuliert haben, welche Rolle 1K in Zukunft unter den Androiden wohl einnehmen wird. Weiß er doch jetzt noch nicht!
Drehte sich der Vorgänger darum, was ein Individuum ausmacht, geht es diesmal um die Beziehung der Einzelnen zur Gesellschaft, um ihr Verhältnis zur Natur, um Themen wie Bestimmung und Kontrolle – so haben es die Entwickler in einer Präsentation auf der gamescom schon erklärt, als sie ihr Spiel zum ersten Mal ausführlich präsentierten. Dabei stellten sie schon die Frage, was man wohl tun soll, wenn sich die Stadt nicht selbst versorgen kann, auf der Insel aber große Mengen an Energie zur Verfügung stehen…
Das freie Erkunden, die Unterhaltungen und dieser Einfluss auf das große Ganze: The Talos Principle 2 mutet in vielerlei Hinsicht wie ein leichtes Rollenspiel an, ohne dass der Eindruck entsteht, die Entwickler hätten sich das explizit so vorgenommen. Ich habe eher das Gefühl, dass Croteam mehr noch als mit dem Vorgänger ein Abenteuer erschaffen will, das die grauen Zellen nicht nur durch Puzzles, sondern auch die Welt anregt, in der sie verortet sind.
Nun ist das natürlich nicht neu und erinnert von der Idee her etwa an Jonathan Blows The Witness. Es kommt allerdings weniger verkopft daher, weil es eben an eine natürliche, relativ weitläufige Welt erinnert, wie man sie unter anderem in Rollenspielen findet. Immerhin begegnet man auf der Insel immer wieder einzelnen Mitgliedern des Teams, die dort ihren Aufgaben nachgehen, viele Entwicklungen lebhaft kommentieren und mit denen man sich selbstverständlich unterhalten kann.
Und vielleicht kann man es ja so sehen: Was in den meisten Rollenspielen das Kampfsystem, das sind hier nun mal die Puzzles. Denn auch wenn es bisher vielleicht einen anderen Eindruck macht, so steht das Knobeln doch weiterhin klar im Zentrum. Immerhin thront im Mittelpunkt der Insel eine gigantische Pyramide, zu der sich die Androiden Zugang verschaffen, indem sie riesige Laser aktivieren – wofür sie zunächst aber eine Reihe an Kopfnüssen knacken müssen.
Jene Kopfnüsse, bei denen mal ein Schalter, mal ein Laser die nächste Tür öffnet oder einen Ventilator aktiviert, der 1K dann auf eine höhere Plattform pustet. Manchmal muss er auch einen der Laser in den Luftstrom stellen, damit dessen Strahl über eine Mauer hinweg ein digitales Türschloss erreicht. Später gilt es neuerdings sogar Löcher in Wände zu bohren und stillgelegte Roboter zu übernehmen.
Ein weitere Neuerung ist ein Umwandler, der Laserstrahlen nicht einfach nur weiterleitet, sondern aus zwei verschiedenfarbigen Strahlen eine dritte Farbe ausgibt. Schon das verleiht der vertrauten Struktur teilweise eine neue Ebene. Und dann wird teilweise sogar die Schwerkraft außer Kraft gesetzt.
Noch habe ich nicht allzu viele Rätsel gelöst, obwohl ich schon fünf Stunden in New Jerusalem und auf der Insel unterwegs war. Aber immer hat sich das Knobeln richtig gut an- und ich mich unverschämt clever gefühlt, nachdem ich manche Aufgabe endlich gelöst hatte. Zum Teil liegt das an den ausgesprochen gut designten Puzzles, die sich zudem nicht wiederholen, sondern immer etwas Neues hinzufügen.
Deshalb kann es durchaus ratsam sein, die nummerierten Räume in der angezeigten Reihenfolge zu betreten – ein sehr übersichtliches System aus Wegweisern führt zu allen Aufgaben, sodass man nicht umher irrt, sondern zielstrebig erkundet. Oder aber ihr sucht die etwas abseits liegenden, entweder zurückgelassenen oder noch nicht fertiggestellten Rätsel, die als optionale Herausforderungen dienen. Außerdem gibt es in allen Bereichen der Insel eine besonders knifflige Kopfnuss, für die man manchmal noch eine Ecke weiter als ohnehin schon denken muss.
Wobei mir eine Sache übrigens besonders gut gefällt: Die Entwickler haben sich auch um die Steuerung Gedanken gemacht und sie so auf das Knobeln eingestimmt, dass das Platzieren aller Gerätschaften verblüffend leicht von der Hand geht. Die „rasten“ nämlich über interaktiven Ventilatoren, Kisten oder anderen Objekten, auf denen man sie abstellen kann, kurz ein, sodass das manchmal notwendige Stapeln kein frickeliger Kampf mit dem Gamepad ist, sondern sich im Gegenteil sogar angenehm befriedigend anfühlt. Auch Sprünge muss man nicht pixelgenau abschätzen, da ein mögliches Ziel als Interaktionspunkt erkannt und der Sprung dorthin nach dem Auslösen automatisch ausgeführt wird.
Kein Wunder also, dass ich dieser Vorschau schon die Länge mancher Tests verpasst habe: Ich habe mich mit dieser Fortsetzung von der ersten Minute an wohlgefühlt und bin in den folgenden fünf Stunden in eine Welt eingetaucht, die mich unheimlich neugierig macht – neugierig darauf, ihre Geheimnisse zu erkunden und ihre Zukunft über zahlreiche Entscheidungen mitzugestalten. Denn dass man hier sogar interessante Charaktere kennenlernt und knifflige ethische Fragen beantworten muss, scheint zusammen mit den cleveren Rätseln eine große Stärke zu sein. Ich freue mich jedenfalls riesig auf den 2. November, wenn The Talos Principle 2 für PC, PlayStation 5 und Xbox Series erscheint.