Skip to main content
Wenn du auf einen Link klickst und etwas kaufst, können wir eine kleine Provision erhalten. Zu unseren Richtlinien.

Sunset Overdrive - Test

Ich wusste gar nicht, dass meine Konsole so viele Farben darstellen kann.

Komplett durch den Wind, dieser wilde, ultrabunte und endlos spaßige Trip durch die granatenstärkste Apokalypse seit langem.

Offene Welten sind für mich immer ein heikles Thema. Oft werden sie eingesetzt, um einen Punkt der Was-jedes-moderne-Spiel-haben-muss-Checkliste abzuhaken, ohne ihre Implementierung ausgiebig zu überdenken. Leere Gebiete, nutzloser Sammelkram oder sich ständig wiederholende Nebenaufträge sind die Folge. Wenige Spiele setzen sich die offene Welt als zentralen Designansatz, sondern werfen sie wie einen netten Bonus in die Spielmixtur.

Sunset Overdrive ist anders. Insomniacs Xbox-One-Exklusivtitel schmeißt jeglichen Bezug zur Realität über Bord, um den Austragungsort Sunset City perfekt an die Fähigkeiten des Charakters anzupassen. Dieser kann sich besser bewegen als jede Videospielfigur zuvor. Kombiniert Prince of Persia, Mirror's Edge, Jet Set Radio und Tony Hawk's Pro Skater. Dann erahnt ihr ungefähr die Parkourfertigkeiten des namenlosen Protagonisten, dessen Aussehen man ganz euch überlässt.

Grindet über Telefonleitungen, lauft an Gebäudewänden entlang oder nutzt Autos als Trampolin. Fast jedes Objekt in Sunset City fügt sich euren simplen Eingaben. Und mein Gott, fühlt es sich gut an. Mehrfach verlor ich beim Spielen mein eigentliches Ziel aus den Augen, weil ich zu sehr damit beschäftigt wahr, cool aussehende Manöver aneinanderzuketten.

Optisch müsst ihr kleinere Schwächen wie Pop-ups oder schwammige Texturen in Kauf nehmen. Dafür läuft Sunset Overdrive selbst in hitzigen Gefechten stabil.

Das Leveldesign raubt mir die Sprache. Äußerst selten muss man einen Gedanken daran verschwenden, wie man sein Ziel erreicht. Es passiert fast automatisch. Und nicht, weil ausschließlich ein offensichtlicher Weg existiert, sondern weil jedes Element der Architektur perfekt ineinandergreift. Alles ergibt Sinn. Obwohl ihr Dutzende Möglichkeiten zur Fortbewegung erkennt, filtert euer Gehirn beim Spielen den für euch besten Pfad heraus. Und wenn ihr doch einmal den wichtigen Sprung auf das Hausdach verpasst? Keine Sorge, darunter wartet eine Stromleitung, von der aus ihr wieder zu einem höheren Punkt gelangt. Nie fühlt sich das Fallen wie eine Bestrafung an. Eher wie die Chance, einen neuen Weg zu erkunden. Besonders auf den vertikalen Ebenen der späteren Gebiete eine Meisterleistung. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie viele Playtests die Stadtgebiete über sich ergehen lassen mussten.

Ein weiterer Grund für den Spaß am ständigen Klettern ist die Steuerung. Sie ist definitiv einfach, reduziert den Spieler-Input allerdings niemals auf das Halten einer Taste. Vergleicht es am besten mit der Tony-Hawk-Serie. Betrachtet den X-Knopf als Magneten, durch dessen Einsatz sich eure Figur an die Umgebung heftet. Genau wie Sprünge müsst ihr diese Fähigkeit gekonnt einsetzen, um ein flüssiges Ergebnis zu erzielen. Eine gewisse Lernkurve bleibt daher erhalten, auch wenn niemand ein Problem mit dem generellen Klettern haben sollte.

Free-Roam-Multiplayer existiert nicht. Ihr könnt nur in den Koop-Missionen mit sieben weiteren Spielern zusammen kämpfen.

Doch nicht nur die Stadt richtet sich nach euren Bewegungsmöglichkeiten. Jeder Aspekt des Spiels orientiert sich an diesem zentralen Konzept und leitet die weitere Ausführung logisch ab. Kämpfe sind keine statischen Schützengräben, in denen ihr regungslos hinter einer Mauer hockt. Während der Gefechte gegen mutierte Monster, feindliche Fraktionen oder Roboter seid ihr ständig in Bewegung. Das müsst ihr auch, denn am Boden überlebt ihr keine zehn Sekunden. Feinde sind extrem aggressiv, springen euch in den Nacken und werfen konstant mit Projektilen um sich.

Ein weiterer Vorteil ist die Aktivierung von Amps, passiver Waffenfertigkeiten. Damit die Schallplattenkanone zusätzlichen Flammenschaden austeilt oder Blitze verschießt, müsst ihr zunächst einen bestimmten Stillevel erreichen. Das clevere Ausnutzen eurer Umgebung sowie das schnelle Töten von Feinden erhöht den Kombozähler. Wer rasante Tricks ausführt und dabei noch unterschiedliche Mordinstrumente einsetzt, wird aktiv für seine Mühen belohnt. Sunset Overdrive ist kein Spiel, in dem ihr euch an einen hohen Punkt stellen und von dort aus friedlich auf alles unter euch ballern könnt. Denn selbst wenn ihr Amps nicht benutzen wollt - Gegner erreichen euch überall und schnell. Die ständige Bewegung lässt die Auseinandersetzungen nicht nur unheimlich cool wirken, sie gestaltet eurer Überleben auch wesentlich interessanter.

Die intelligente Verzahnung der Mechaniken hört damit nicht auf. Eines der größten Probleme vieler Open-World-Titel ist die sinnlose Füllung mithilfe von leeren Inhalten. Wie oft habt ihr ohne echte Motivation dieselben Nebenmissionstypen wiederholt oder nervige Sammelobjekte gesucht? In Sunset Overdrive wollte ich den gesamten Zusatzkram erledigen. Missionen sind abwechslungsreich oder unterhalten zumindest mit witzigen Dialogen. Herausforderungen sind kurze Ablenkungen, die jede Spielmechanik ausreichend behandeln. Sogar die Fundsachen habe ich gerne ergattert, weil man damit die besten Amps im Spiel herstellt. Außerdem gaben sie mir eine weitere Ausrede, frei die Landschaft zu erobern.

Jede Aktion im Spiel bringt euch Medaillen. Mit diesen kauft ihr passive Fertigkeiten für euren Charakter, sogenannte Overdrives.

Ich kann diesen Teil nicht oft genug loben. Lasst es mich am besten so ausdrücken: Sunset Overdrive ist das erste Spiel, in dem ich keine Schnellreise nutzen wollte. Denn ich brauchte nie nach einem Auto Ausschau zu halten oder den Straßenverkehr zu beachten. Auch musste ich mir niemals Sorgen um eine mögliche Polizeiverfolgung machen. Es gibt keine Einbahnstraßen oder unüberwindbare Stellen. Selbst bei kleinen Flüssen schlittert ihr einfach auf dem Wasser zum anderen Ufer. Ehrlich gesagt juckt es mir jetzt schon wieder in den Fingern, wenn ich darüber nachdenke. Dabei habe ich bereits alles im Spiel gefunden und jeden Auftrag erledigt. Egal, es fühlt sich einfach so unfassbar gut an.

Generell steckt euch Sunset Overdrive schnell mit seiner freundlichen Laune an. Die Welt ist bunt, alle Figuren witzeln ständig über seltsame Spielkonventionen und der rockige Soundtrack unterstützt die rebellische Attitüde. Es erinnert an ein Dreamcast-Spiel. Sorgenfrei bombardiert es euch mit wahnwitzigen Situationen. Ein mörderischer Roboterhund, den ihr mit einer Katzenkanone steuert? Ein Arenakampf gegen Hunderte Tauben? Kein Problem. Ihr könnt nie mit der nächsten Aufgabe rechnen.

Zwar wiederholen sich bestimmte Missionsstrukturen, doch erfreuen sie wenigstens mit frischen Ansätzen. Das Sammeln von Comicheften unterscheidet sich kaum vom Finden versteckter Daten. Differenzierungen entstehen anhand der Aufmacher und Dialoge. Während der Comicfanatiker euch mit seiner schrägen Obsession unterhält, verlangt der Protagonist beim Suchen der Daten nach einem persönlichen Agentensong. Sunset Overdrives Humor ist sicherlich stark subjektiv, doch wem die Trailer gefielen, der wird sich auch beim Spielen viele Lacher nicht verkneifen können. Zumal Insomniac sich nicht länger wegen einer Alterseinstufung zurückhalten musste. Wir sprechen hier immerhin über ein Team, das ihren früheren Titel "A Crack in Time" ursprünglich "Clock Blockers" nennen wollte.

Die Handlung ist nett erzählt, dient aber allein als Ausrede für herrlich bescheuerte Witze.

Fehler begeht das Spiel nur äußerst selten. Der Tower-Defense-Modus ist nett, funktioniert aber nur im kooperativen Multiplayer-Modus. Im Singleplayer-Teil müsst ihr öfter allein gegen Mutantenwellen ankämpfen, was für mich im Gegensatz zu allen anderen Aspekten anstrengender Arbeit ähnelte.

Über die grundsätzliche Bedienung kann ich nicht meckern, nur werdet ihr mehrfach auf dem falschen Objekt landen, weil es zu nahe am gewünschten Landepunkt war. Was ich dagegen überhaupt nicht verstehe, ist die späte Einführung mancher Fähigkeiten. Den Airdash erhaltet ihr beispielsweise erst nach ein paar Stunden, obwohl er der wichtigste Trick im gesamten Spiel ist. Er ist so integral für das Spielgefühl, dass seine anfängliche Ausschließung Fragezeichen aufwirft.

Machen wir es kurz. Ihr besitzt eine Xbox One, mögt Farben, steht auf flottes Parkourklettern und lacht gerne dabei? Anders gesagt: Ihr wünscht euch die Zeit der Dreamcast zurück? Holt euch Sunset Overdrive! Für mich existiert derzeit kein besseres Exklusivspiel auf der Konsole. Ich danke Microsoft, dass sie Vertrauen in Insomniac hatten und das Team ganz ohne aufgedrängte Markforschung sein Spiel entwickeln konnte.

Ein paar kleine Schwächen trüben den Gesamteindruck, doch sind mir die egal, wenn das Spielen an sich so viel Spaß macht. Missionen, Fundsachen, Herausforderungen und Multiplayer-Modus sorgen für eine abwechslungsreiche Erfahrung. Doch der wichtige Kern ist die Stadt und wie sie eure Bewegungsfreiheit komplimentiert. Sei es nun beim Erklimmen eines Hochhauses oder beim Kampf auf einer Achterbahn. Kein Aspekt fühlt sich verschwendet oder nachgeworfen an. Sunset Overdrive nutzt nicht einfach die Funktionen einer offenen Welt, es badet darin und lässt euch mit eintauchen.

9 / 10

Read this next