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The Evil Within - Test

Homecoming.

Das große Horrorspiel 2014 kann sich nicht entscheiden, welcher Gruselschule es genau folgen möchte. Also folgt es allen. Gleichzeitig.

Was in The Evil Within steckt? Alles. Nervenanstalt. Experimente für höheres Ziel. Leatherface. Silent-Hill-Rollstuhl. Kuttenträger. Dinge, die aus Bildern kommen. Dinge, die in Bildern verschwinden. Große fleischige Dinge, die aus vielen kleineren Dingern bestehen. Dörfler mit Fackeln. In einem Brand sterbende Kinder. Herrenhaus. Mutanten, denen Tentakel aus dem Maul wachsen. Leuchtturm. Über die Wand krabbelnde Käferscharen. Starrende Mannequin-Figuren. Verrenkte Frauen mit Haaren vorm Gesicht. Kill it with fire. Schlafsaal. Geister der Vergangenheit. Keller voller Gedärm. Blut. Klischees. Und Spaß.

War das das Ziel, ein dicht gedrängtes, widerlich dröhnendes Best-of von Ju-On bis Resident Evil, Saw bis Project Zero? Dann Glückwunsch an das Entwicklerstudio Tango Gameworks. The Evil Within ist ein Riesendurcheinander aus, nun ja, Dingen, Erzählebenen und Kulissen, eben noch standfest in Raum und Zeit, kurz danach komplett aufgeweicht, beinahe willkürlich. In der einen Minute todernst und bestürzend, in der nächsten dermaßen cheesy und peinlich bis in die geschmackliche Schräglage hinein.

Alles beginnt, wie es immer beginnt: in einer Anstalt voller Leichen und Blut. Für Hauptcharakter Sebastian Castellanos startet hier ein Trip jenseits allen Vorstellungsvermögens.

Es ist verwirrend und faszinierend im Sinne einer Hausnummer über dem, was man gerade zu begreifen imstande ist. Eben noch sieht man einer Krankenschwester beim Nägelfeilen zu, schon im nächsten Moment wird man in ein Bild gesaugt, später kommt ein Kapuzenkerl und donnert euch durch den Boden einer Kirche. Spiegel verbinden die in keinster Weise einem konsistenten Muster folgende Welt mit einer Anstalt, wo man mit Schlüsseln Items aus Leichenfächern fischt, und wenn das Bild ins Schwarz hineinflackert, um euch auf einem Waldweg wieder auszuspucken - tja, dann ist das halt so. Dieser Hauptcharakter Sebastian Castellanos ist ein geistiges Wrack. Merkt man. Ob das in erster Linie clever gedacht ist oder optisch aufgeblasenes Gerammel, weil es eben geht, ich weiß es ehrlich gesagt nicht ganz. Selbst als die Handlung nach sechs Stunden eine Richtung mit erkennbarem Thema vorgibt und nach etwa vierzehn endet. Interessant in jedem Fall.

Man kann mit diesem Knäuel aus sleaziger Slasherei, Ekel-Splatter, Psychohorror und klassischer Monsterfilmästhetik natürlich eine ganze Menge machen und dem Wahn freien Lauf lassen. Doch das Spiel wirkt bisweilen ein bisschen richtungslos, wie ein wahnsinniger Clusterfuck aus allem, was irgendwo in den letzten dreißig Jahren Horrorfilm auftauchte, vom schnaubenden Kettensägenpsycho bis zur verrenkt Jagd machenden Krabbelfrau. Wie ein Ich-auch-Schrei von jemandem, der seit vielen Jahren kein Horrorspiel mehr entwickelte und nun gleich drei machen wollte, aber nur für eines Platz hatte.

Die ersten Abschnitte in dem Dorf gehören mit zum Besten, was das Spiel zu bieten hat. Man schleicht durch alte Ruinen, starrt in Drahtgesichter, wundert sich, was hier los ist. Eine moderne, sehr beklemmende Version von Resident Evil 4.

Damit einher geht ein... ich will es nicht Problem nennen, denn das war es bei Resident Evil 4 schon nicht. Es ist eher eine Einschränkung, für wen Survival und Horror unzertrennbar zusammengehören. The Evil Within ist nicht unbedingt gruselig. Oder sagen wir: nicht überall und so doll, wie es manch einer bei dem aufgeblähten Celebrity-Entwicklerfaktor sicher erwartet hätte. Wahnsinnig, ja, ekelig, das bisweilen auch, fantasievoll die meiste Zeit über. Aber ich kann nicht behaupten, mit dem aus der Rolle gefallenen Detective hier vor der größten Überwindung meines Lebens gestanden zu haben - es war eher auf sehr angenehme Art bedrückend.

"Sind moderne Horrorspiele wie Amnesia oder Outlast ein Ohnmachtsanfall mit blanken Händen, ist Evil Within eine wilde Horror-Diashow"

Sind moderne Horrorspiele wie Amnesia oder Outlast ein Ohnmachtsanfall mit blanken Händen, ist Evil Within eine wilde Horror-Diashow, die zum Teil so schnell an einem vorbeirauscht, dass man sich kaum auf sie einstellen kann. Und das ist gleichzeitig auch ihre größte Stärke, dieses „Was kommt wohl als Nächstes?". Die oben genannten Spiele folgen einem klaren Ablauf, sind sich ihrer Grenzen bewusst und stemmen ihre famose Inszenierung mit wenigen Mitteln. The Evil Within weist diese Grenzen von sich.

Wenn ich es spielte, ärgerte ich mich immer wieder über Kleinigkeiten. Wenn ich nicht spielte, dachte ich daran, welche Haken das Ding wohl im nächsten Kapitel schlagen wird, weil keines dem vorhergehenden gleicht. Kurz: Es ging mir einfach nicht aus dem Kopf, und das ist bei genauerer Betrachtung ein gar nicht mal so unwichtiges Lob. Auch wenn es Leute geben wird, die es für seine Verfehlungen angesichts des Celebrity-Faktors in den Boden hauen und damit durchaus recht haben können.

Es ist ein höchst interessantes Spiel.

Munition ist Mangelware, Nahkampf nur etwas für den äußersten Notfall.

Sattelfest sitzt es auf dem von Resident Evil 4 gegossenen Fundament. Über-Schulter-Kamera, nervöses Zittern beim Zielen, Nahkampf nur als Notlösung und den Terror deformierter, langsam in bedrohlicher Anzahl aufmarschierender Mutanten vor sich. Sie haben Glasscherben im Körper oder Drähte im Gesicht. Im Gegensatz zum Capcom-Klassiker sind Laufen und Zielen keine Entweder-Oder-Angelegenheit, und den rettenden Sturz aus dem Fenster sowie das Umtreten von Leitern könnt ihr vergessen - auch wenn Letzteres das Spiel an einigen Stellen bereichert hätte.

"Es ist ein langsames, aber bestimmtes Tempo, das einen unbequem im Sitz hält"

Kurz nach Spielstart kommt man in ein Hinterwäldlerdorf, einen der besten Abschnitte. Wie im frühen Stand-off aus Resi 4 wird man wie eine Sau durchs Dorf gescheucht, hat einen relativ kleinen Bereich zum Bewegen und mehrere Dutzend Dörfler im Nacken. Der Kettensägenmutant hockt zu dem Zeitpunkt noch in der Scheune fest, und das ist ein Glücksfall. Auch ohne ihn sind die Bewohner eine Plage. Stetig und beharrlich, starrend und murmelnd, Zombies, ohne als solche geboren zu sein. Es ist ein langsames, aber bestimmtes Tempo, das einen unbequem im Sitz hält. Ich überlegte lange, wo der Vergleich am besten hängt, und komme immer wieder bei Resident Evil 4 an. Nur mit weniger Munition.

Denn auch wenn man den „Horror"-Anteil je nach eigenem Grad der Abstumpfung und Definition anders auslegen kann, ist The Evil Within eines mit Bravour: Survival. Überleben, wo Sterben an der Tagesordnung ist. Die Entwickler haben nicht gelogen, als sie einen Kampf auf des Game-overs Schneide auslobten. Sie geben euch eine Handvoll Munition - mehr werdet ihr selten haben -, dazu ein paar Zündhölzer und den normalen Schwierigkeitsgrad. Sollte für den Anfang reichen. Damit müsst ihr klarkommen. Aufrüsten kann man die mitführbare Menge auch. In der Anstalt auf dem elektrischen Stuhl. Immer wenn man einen Spiegel mit einem Grammophon davor findet. Was auch sonst. Nett, wie Mikami mit Musikeinspielung eine Brücke zu Resident Evil baut. Schon damals wusste man: Hörste diese eine Melodie, biste in Sicherheit. Wenn auch nur kurz.

Mit gesammeltem Gel (da fehlt kein Buchstabe, wirklich Gel) könnt ihr Lebensenergie, Sprintdauer, Wirkung von heilenden Spritzen, Munitionskapazität, Schaden, Nachladezeit und vieles mehr aufrüsten. Nicht dass dieses Bild etwas damit zu tun hätte.

Ganz verquer zwängt sich Splinter Cell hinein, wenn man Flaschen zur Ablenkung der grausig entstellten Kreaturen wirft. Dann Outlast und Amnesia, sobald man sich das erste Mal unter Betten oder in Schränken versteckt. Irgendwann auch ein ungeschliffenes The Last of Us beim Anschleichen und Abducken unter auf Brusthöhe gespannten Drähten.

Eine Mischung, der man anmerkt, dass vielleicht nicht alles von Beginn an so geplant war, die jedoch gut funktioniert. Wer zum Henker hat denn die Bomben da überall platziert? Wieso kann Sebastian nicht im Hocken schießen? All diese Dinge stellen die Entwickler in den Dienst der Spielmechanik. Es gibt da diesen einen Abschnitt im letzten Drittel. Ein riesiges Karussell dreht sich und mit ihm eine auf Schulterhöhe montierte Klinge. Bleibt man stehen - plotsch! Dann kommen Gegner angeschlichen, aber um sie angreifen zu können, muss man aufstehen. Wie gesagt: Es ergibt keinen Sinn, dient aber der Spannung.

"Jedes Mal, wenn das Anpirschen glückt, das Messer im Zombie-Kopf landet und er zu Boden geht, hört man sich ausatmen und halb entspannt ein Stück tiefer nach unten sacken"

Jedes Mal, wenn das Anpirschen glückt, das Messer saftig im Zombie-Kopf flatscht und er zu Boden geht, hört man sich ausatmen und halb entspannt ein Stück tiefer nach unten sacken. Es sind mit die besten Momente, eingefädelt von Leuten, denen der Rhythmus offenkundig am Herzen lag. Genau wie seine mit wahnhaften Augen Messer schwingenden Bewohner ist The Evil Within selbst ein Monstrum, das sich manchmal nicht ganz im Griff hat.

Eine Axt hält nur einem einzigen Angriff stand. Lasst ihr damit einen Kopf platzen, ist sie dahin. Wegrennen ist manchmal keine schlechte Idee.

Es ist immer dann am stärksten, wenn es die Erwartungshaltung langsam in einer Extremsituation versenkt. Das erste Kapitel mit dem Bach hörenden Schlächter gehört dazu, aber auch der Auftritt des tresorbekopften Wächters. In einem Wirrwarr aus schmierig-befleckten Gängen müsst ihr diesen Kerl Marke „Pyramid Head" erledigen. Ständig verfolgt euch eine andere baugleiche Inkarnation von ihm und die Gänge füllen sich mit giftigem Gas, während er Ventile zum Abdrehen zertrümmert. Seine physische Präsenz alleine eine Knochenquetsche.

Doch dann gibt es auch diesen einen Abschnitt im ersten Drittel. Und Joseph. Beide gehören leider zusammen. Joseph ist Sebastians Partner und zieht seine Axt wie ein Berserker durch Mutantenschädel. Von oben bis unten besudelt reißt er dann die dümmsten Sprüche. Überhaupt wirkt dieser eine Abschnitt merkwürdig aus dem Spiel gefallen. In der einen Sekunde noch verpasst man den beiden Kerlen, die Joseph zur Guillotine schleifen, einen dringlichen Headshot (Hallo, Ashley!). In der nächsten Sekunde hält er sich selbst den Revolver an die Schläfe und will abdrücken. Sebastian sagt so was wie „Nein" und danach will er sich nicht mehr erschießen. Dann ist alles wieder gut. Neue Gegner kommen, ohne einen erkennbaren Übergang oder eine Kamerafahrt oder so. Darum geht es schließlich in dem Spiel. Macht trotzdem Spaß.

Trotz der Sprüche, wie gesagt. Sie sind manchmal dermaßen bemüht, dass es wehtut. Irgendwer kommt im fünften Kapitel oder so tatsächlich auf die Idee, zu sagen „Hier geht etwas Merkwürdiges vor", und das, nachdem sich bereits Dutzende Gänge endlos in die Länge zogen, mit schwebenden Rollstühlen und all den übernatürlichen Dingen, die in solchen Situationen immer passieren.

Wichtig noch zu erwähnen: der aufgezwungene 21:9-Modus. Das heißt, ihr habt ständig schwarze Balken oben und unten. Das kann man in den Optionen leider nicht abschalten. Noch nicht.

Herrlich auch die Szene, als Sebastians Partnerin in einem gläsernen Wassertank gefangen ist, der sich langsam füllt. Irgendwann kann sie sich nur noch durch Schwimmen am Leben halten. Ist aber egal. Erst müssen die zwei Dutzend maskierten Psychos dran glauben, für die diese Situation entworfen wurde. Erst dann fällt Joseph auf: „Kidman braucht Hilfe!". Soap-Opera-Dramaturgie vom Feinsten. Alles, was man sieht, muss auch gesagt werden. „Der Fahrstuhl ist blockiert, wir sollten einen anderen Weg finden" - *zwinker, zwinker*. Keine Ahnung, ob es Evil Within gut zu Gesicht steht, das typische Kasten-Bier-Spiel zu sein, aber in seinen wenigen schlechten Momenten ist es genau das.

Und trotzdem: Abgesehen von diesen Verfehlungen ist das Spiel vielleicht nicht der große, alles aus den Fugen hauende Next-Gen-Horror, der das Genre beim Schopfe packt und aufrüttelt. Dafür gerät es zu sehr in eine wechselhafte Grätsche zwischen Slasher, Psycho und Hinterwäldlerterror. Aber in seinem zuweilen schrägen Gezwurbel stecken auch hundert wunderbare Ideen. Kein Abschnitt gleicht dem nächsten, keine Kugel ist umsonst, kaum eine Minute langweilig. Als diese riesige, bildgewaltige Collage aus Gedärmen, Häckselmaschinen und Mutanten dann nach etwa 15 Stunden zu Ende geht, bleibt ein Gefühl tiefer Zufriedenheit. Das muss man erst mal hinbekommen.

8 / 10

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