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Alt+F40: 2021 - und warum wir überdenken sollten, was ein gutes Spielejahr ausmacht

Folge 35: Ein Hoch auf die Kakerlaken der Games-Branche! Alex resümiert das Jahr. Dabei kamen ihm überraschend warme Gedanken.

Hey! Ein hartes Jahr geht zu Ende. Auch hier, kurz vor unseren Booster-Terminen, wird schon reiflich überlegt, wie wir unsere Feiertage so organisieren, dass wir ohne schlechtes Gewissen oder unterschwellige Corona-Befürchtungen die engere Verwandtschaft sehen können. Unsere persönliche Lösung besteht darin, unsere Kinder nächste Woche aus der Kita zu nehmen. Das bedeutet, dass ich nächste Woche nur vereinzelt hier zu sehen sein werde - und vermutlich auch, dass das hier die letzte Ausgabe im ersten Jahr von Alt+F40 sein wird. 35 Episoden sind es geworden, was sicher nicht ganz der Wochentakt war, den ich mir vorgestellt hatte, aber wenn man nichts zu sagen hat (oder krank war, oder freihatte), kann man auch ruhig mal die Klappe halten.

Ich freue mich trotzdem schon darauf, auch im nächsten Jahr diese seltsame Spielkultur-Gamer-Dad-Kolumne für euch weiterzuführen und hoffe, euch geht es ähnlich. Alleine schon rückwärts durch die einzelnen Folgen zu scrollen, vermittelt mir ein schönes Bild davon, was mich dieses Jahr beschäftigte, freute oder ärgerte. "Wo" ich war, mit meinem Kopf und wie ich die Games sah, in diesem nicht immer, aber häufig hundsmiserablen Seuchenjahr 2021 - mir persönlich erscheint das irgendwie kostbar. Insofern: Auf die nächsten [35 x Jahre bis zum Ruhestand hier einfügen]. Schöne Weihnachten, sofern ihr sie feiert, und einen guten Rutsch!

Inhalt


Ein Hoch auf die Kakerlaken der Games-Branche und das Jahr der zweiten Chancen!

Wir tendieren allgemein dazu, ein Spielejahr an seinen Höhepunkten zu messen. Ach was, nicht nur Spielejahre. Wer in den Neunzigern groß geworden ist, kann mir aus dem Stegreif drei bis fünf Filme nennen, die das Jahr 1999 definiert haben und es werden für fast alle dieselben sein (also, ich hab' "Eine wie Keine", "Eiskalte Engel" und der, wo Catherine Zeta-Jones sich durch Laser twistert). So funktioniert einfach unser Gehirn. Werke wie Portal, The Last of Us und BioShock haben eine Qualität und vor allem popkulturelle Klebrigkeit, die nicht nur in An-, sondern vor allem auch in Abwesenheit auffällt.

Manche Spiele überragen alles. Sie blenden bisweilen aber auch für das, was sonst noch so passierte. Diese Spiele treten 2021 in den Vordergrund - und sie sind großartig.

Solche Spiele kommen nicht alle Tage, und in Jahren wie dem letzten, wo alles etwas langsamer läuft, sämtliche gewohnte Prozesse größerer Organisationen - zu denen ich Spielehersteller auch zähle - empfindlich gestört sind, kommen derartige Games seltener zustande. Und obwohl dieses Jahr kein Mass Effect 2, Modern Warfare oder Breath of the Wild, die nur in einer seltenen Kombination aus Marketingmillionen, überraschendem kreativem Mut und unbegrenzter technischer Beschlagenheit zustande kommen, den Rest der Spiele überstrahlte: 2021 war doch ein guter Jahrgang - wenn es um Spiele (und sonst nichts) geht.

Tatsächlich regt 2021 schwer dazu an, derart antiquierte Vorstellungen von einem "guten Games-Jahr" zu hinterfragen. Wenn die Großen straucheln (Battlefield 2042), mit ihren Ideen auf Nummer sicher gehen (Call of Duty Vanguard) oder gleich nach hinten rauspurzeln (Elden Ring, Horizon, Dying Light 2) springen die Kleinen und mittelgroßen mit einem endlosen Quell inspirierender, überraschender Titel in die Bresche. An die erinnert man sich oft auch ohne kinoreife Produktionswerte noch lange, so man denn auf sie stößt und ihnen die Chancen einräumt, die sie eigentlich verdienen. Sie sind die glorreichen Kakerlaken dieser Branche, die auch dann noch ihr Ding machen, wenn es den Rest schon dahingerafft hat. Beispiele dieses Jahr? Keine Ahnung, wo ich anfangen (und noch weniger, wo ich aufhören) soll:

Ihr habt noch nicht fürs Spiel des Jahres abgestimmt? Inscryption wäre ein Spiel fürs Treppchen.

Das geheimnisvolle, unheimliche Entdecken nordischer Valheim-Welten; schiere Experimentierfreude in Loop Hero; knallharte Iso-Taktik für Pixel-Fans in Fae Tactics und The Last Spell; Kojima-artige Spielerverarsche in Inscryption; Retro-Liebesbriefe in Klassikerqualität wie Cyber Shadow, Death Trash oder Deedlit in Wonder Labyrinth; massentaugliche Eineinhalb- und Double-A-Rohdiamanten wie Death's Door, Chivalry 2; klassische und herzerwärmende Action-Adventure-Kost, die sich auf dem Gamecube wohlgefühlt hätte, wie Chicory und The Gunk; und nicht zuletzt all die neuen Arten spielerischer Entspannung in Dorfromantik und Townscaper oder die Introspektion durch die Seiten eines Umzugskartons in Unpacking.

Es spottet einfach jeder Beschreibung, was die kleinen Studios dieses Jahr geleistet haben, als die Großen nicht so recht konnten. Und ich kratze hier nur die Oberfläche an und werde mich nach Abgabe dieses Artikels vermutlich schlagen, was ich alles vergessen habe. Auch und vor allem war 2021 für mich ein Jahr zweiter Chancen: Ohne die großen, raumumfangenden "Tentpoles" hatte ich häufiger die Gelegenheit, einem aus der zweiten Reihe gestarteten Titel eine zweite Chance zu geben. Spielen wie Rider's Republic, oder das nur vordergründig abturnende Outriders. Auch in Back 4 Blood entdeckte ich mit etwas Durchbeißen viel spielerische Schönheit, nach der ich in einem geschäftigeren Jahr nicht gebuddelt hätte.

Fremd, wild, furchteinflößend, aber immer faszinierend: Valheim.

Also: 2021 konnten selbst Corona und die abschließende NFT-Schlangenöldusche nicht ruinieren. Diese und viele andere Games haben die letzten 12 Monate hindurch viel für uns getan. Erwidern wir den Gefallen und verkneifen es uns, von 2021 als einem schlechten Jahr zu sprechen.


Weitere Notizen - KW 50/21

Bei Alex in der Rotation: Wie ich erwartet hatte: Hawkeye wird immer besser und zieht ein paar schöne Querverweise in das weitere MCU, die mir ausnahmslos gut gefallen. Ein wenig schade, dass nächsten Mittwoch schon wieder alles rum ist. Ich hoffe auf eine Folge in Extralänge. Ansonsten wird dieses Wochenende Steve McQueens Widows auf Amazon Prime geschaut, wenn nichts dazwischenkommt. In das traumhaft schönen Metroidvania von Record of Lodoss of Wav: Deedlit in Wonder Labyrinth werde ich zweifelsohne über die Feiertage auch tiefer versinken.


Musiktipp der Woche: Vennart - Donkey Kong. Der Frontmann meiner einstigen Lieblingsband Postrock-Shoegaze-Band Oceansize (hatte ich hier schon mal angepriesen), Mike Vennart, macht weiter fleißig Musik. Den dritten Longplayer In The Dead, Dead Wood bekomme ich gerade nicht mehr aus den Ohren. Auch wenn es heute kein Lied von dieser Scheibe ist, das ich hier empfehle. Die neue Scheibe, von der jeder mal den Opener gehört haben sollte, hat mich dazu angeregt, seinem bisherigen Output noch einmal eine Chance zu geben. Von den alten Alben fand ich immer nur Einzelstücke spannend, das folgende aber richtig. Unfassbare Klimax mit Gänsehaut-Gesangspassage bei 3:00 Minuten! Die neue Scheibe ist düsterer und dicker produziert und fühlt sich allgemein mehr nach Album an, konsistenter. Bei Gefallen dieses Tracks direkt mit In the Dead, Dead Wood anfangen, bitte. Ihr werdet es nicht bereuen.

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Höhepunkt der Woche: Lustigerweise hatte ich kaum meine Sehnsuchtsbekundung Richtung Sifu losgeschickt, kam auch schon der Key für eine Preview-Version. Dummerweise handelte es sich dabei nur um einen Level, den ich mittlerweile aber schon sieben oder acht Mal durchgespielt habe. Es sieht aus, als wäre Sifu alles, was ich mir erhofft hatte: Wunderbar elegante Kampfanimationen, ein ebenso wuchtiges wie präzises Gefühl für die Treffer, die meine Gegner abbekommen und schön flexible Fights. Kein Durchlauf glich dem letzten und ich hatte viel Freude daran, meinen mit jedem Bildeschirmtod alternden Kung-Fu-Meister mit exakten Paraden und geschicktem Ausweichen gut aussehen zu lassen. Das Spiel gibt einem dazu alle Mittel an die Hand. Wundervoll ist es auch, dass das Spiel die Chuzpe hat, den Spieler mit nur eine Kombo auf die Matte zu schicken. Wer sich nicht am Riemen reißt, der verschenkt eben Zeit - hier durch immer tiefer eingefallene Wangen und ergrauende Haare symbolisiert. Da kommt was Gutes auf uns zu!

Gleich gibt's was!

Höhepunkt der Woche: Überraschung! Ich finde, ihr habt anlässlich letzten Ausgabe 2021 nur Höhepunkte verdient, deshalb der Hinweis, dringend mal einen Blick auf The Captain zu werfen, ein Adventure, das mich direkt feste gepackt hat: Im Grunde habt ihr es hier mit einem Mix aus Mass Effect und FTL zu tun, wenn ihn LucasArts Anno 1992 entwickelt hätte. Ein Point-and-click also, mit viel spielerischer Freiheit, verzweigte Wege zu gehen und in der mehrspurigen Narrative eure eigenen Abzweigungen zu gehen. Sogar taktische Elemente gibt es in Form rundenbasierten Raumkampfes. Als Captain Thomas Melwu findet euch allein in eurem Raumschiff an der anderen Seite der Milchstraße wieder und habt zwei Jahre Zeit, einen MacGuffin zur Erde zurückzutransportieren, der die Menschheit vor dem Untergang bewahrt. Wie ihr das macht, ist also eure Sache. Welche Sterne besucht ihr, welchen Einfluss nehmt ihr - im Groben gleicht jeder Planet einer Star-Trek-Episode, die drei unterschiedliche Verläufe nehmen kann - und was bedeutet das für euer Vorankommen.

Einfache, logische Puzzles und eine faszinierende Geschichte mit folgenschweren Entscheidungen: The Captain.

Die Dilemmata, vor denen ihr steht, sind stets spannender Sci-Fi-Kost und wirken sich immer auch auf den Rest des Spiels aus. Beispiel? Erzählt ihr dem gestrandeten auf dem Wüstenplaneten gestrandeten Ingenieur, den ihr gut gebrauchen könntet, dass er 1.000 Jahre eingefroren war und er Frau und Kind niemals wiedersehen wird? Oder wollt ihr keine Kurzschlusshandlung riskieren? Dann löscht ihr schnell die letzten E-Mails seiner Familie, die in ungelesen in seine Richtung gingen, bevor ihr den Computer auf sein altes Datum zurücksetzt. Solche Dinge eben. Das alles ist charmant, humorvoll und oft genug auch mit dem gebotenen Ernst erzählt und hält mich jetzt schon den dritten Abend bei bester Laune. Top!


Höhepunkt der Woche: Mein Viereinhalbjähriger beherrscht endlich das "sch", was ein echt seltsames Gefühl ist, nachdem seit über zwei Jahren "Sau" und "Schau" aus seinem Mund im Grunde dasselbe Wort waren. Plötzlich kann er es, praktisch über Nacht. Ich bin unfassbar stolz - und vermisse sein hilfloses Lispeln trotzdem jetzt schon.

Vielleicht liegt ja ein Blumentopf unterm Weihnachtsbaum.

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