2014 - Das beste 1994 seit langem!
Hoch die Krüge, ihr Rollenspieler. Vor allem ihr alten Säcke.
Ab einem gewissen Alter fand man sich damit ab, dass es nicht mehr so wird wie früher, weil früher war alles besser und so. Aber 2014 als Rollenspieler an der Maus, das war noch mal wie früher. Ich glaube nicht, dass es noch mal so wird. Selbst wenn das Revival klappt, dann klappt es nicht jedes Jahr - sorry, Pillars of Eternity, du wirst ein klasse Spiel, aber zu der Party kommst du zu spät.
2014 war Rollenspielen wie 1994 und es war die Königsklasse. Ich fange mal an aufzuzählen, was meine Zeit fraß: Might & Magic X, Legend of Grimrock 2, Divinity: Original Sin, Wasteland 2, Blackguards. Dazu kommt noch ein Flashback der eigenen Art mit Pier Solar, einem verschollen geglaubten Mega-Drive-Projekt, das leider nicht so gut war und bei dem ich nach einem Drittel abstarb, daher kein Test. Aber es passt perfekt in das Rollenspielkonzeptjahr 2014. Dead State kommt noch, man muss sich ja auch was für später lassen. Sicher, da ist Dragon Age: Inquisition, ein großes, modernes Monster von einem Spiel, mit dem ich gern und mit Freuden die 80-Stunden-Marke passierte. Aber es saß dieses Jahr auf dem Rücksitz, das Steuer hatte eine junge alte Garde fest in der Hand.
Ich ging im Geiste durch, was so war, aber kein anderes Genre kann dermaßen in der Vergangenheit schwelgen und dabei gewinnen. Oder bin ich zu alt und meine Freude darüber ist völlig fehl am Platz? Sollte ich lieber sagen: Oh Gott, ich bin wieder da, wo ich 1994 für eine Weile den Rechner ausschaltete und dem seltsamen Gebilde Real-Life meine ganze Aufmerksamkeit schenkte? Gibt es Statistiken darüber, wie viele Spieler um die oder sogar unter 20 ein Wasteland 2 genießen? Egal! Party! Ich mach jetzt die Cranberries und H-Blockx Risin' High an, ich hab neue, alte Spiele, die richtig, richtig gut sind!
So oder so, es scheint hier einen Nerv zu geben, der keine tolle Grafik braucht, der dafür sorgt, dass im oberen Indie-Bereich Achtungserfolge erzielbar sind, der den Mut belohnt, etwas zu machen, was andere 20 Jahre zuvor schon taten. Ich meine das nicht mal wirklich zynisch - nur ein bisschen -, denn Jahre seines Lebens und oft genug auch mehr als nur die neugegründete Firmenkasse darauf zu verwetten, dass schon längst Dagewesenes immer noch funktioniert, ist Mut, den ich nicht hätte.
Was ist es also? Die guten Storys, die Kampfsysteme, die Spielwelten? Ja, all das. Aber vor allem ist es das Gefühl, in eine Spielwelt eintauchen zu können. Ein Call of Duty, so viel Spaß es auch macht, gibt mir seine Welt für fünf Stunden. Ein Uncharted lässt mich für zehn Stunden Indy sein und dank toller Figuren funktioniert das auch so gut, dass ich eigentlich noch länger bleiben möchte. Das darf ich aber vor allem in einem Rollenspiel. Es ist das Genre des ultimativen Eskapismus. 50, 100, 200 Stunden, alles möglich in diesen Naturgewalten von Spielen. Das hat sich seit Jahrzehnten nicht geändert. Die Action-Kracher der Saison waren großes Kino, was haben wir sie geliebt, aber was hängen bleib, waren oft die Rollenspiele, weil wir so lange in einer Welt lebten, die es nie gab, dass es wahrscheinlich irgendwie ungesund war. Aber egal, noch ein Level, noch eine Quest, einer muss ja die Welt retten. Selbst wenn sie nicht manchmal nicht die neueste Technik nutzt. Damit hatte ich mich schon in Stunde zehn arrangiert. Was kratzt mich das in Stunde 50?
2014 war endgültig der zweite Urknall eines zuvor bis in die totale Entropie expandierenden Universums und haute uns frische Kosmen um die Ohren, als gäbe es kein Morgen. Geschichte wiederholt sich, aber ich bin jetzt zuversichtlich, dass das Erbe der Ultimas, SSI Goldboxen und Baldur's Gates nie ganz verschwinden wird. Es wird sich verändern und über die sehr kurzen Äonen der Videospielzeitalter mutieren und eine Wells'sche Zeitreise würde dem Reisenden in 200 Jahren Seltsames offenbaren, aber er würde seine Rollenspiele in Kern dessen wiedererkennen, was mich jetzt das Erbe von 20 Jahren erkennen lässt.
Das Single-A-Segment hat sich für das Rollenspiel etabliert und mit Ausnahme der Strategie gibt es wohl kaum ein Genre, in dem das so gut, mit diesem Erfolg funktionieren konnte. Es koexistiert mit dem Triple-A-Rollenspiel, aber es hat beweisen, dass der Kraft-/Geldakt eines Inquisition/Skyrim/Witcher nicht nötig sein muss, um ein gutes Spiel mit den wichtigen Aspekten auf die Beine zu stellen. Diese "großen" Spiele werden die technischen Limits ausloten, sie werden die Evolution des Genres in alle möglichen Richtungen in den nächsten 20 Jahren austesten. Sie werden manche Sackgasse entdecken, machen Quantensprung hinlegen. Aber die ganze Zeit über werden wir immer wieder einmal ein "altes" Spiel genießen können. Das damit zufrieden ist, dass es sich ein wenig im Kleinklein seiner Menüs verlieren darf, dessen Figuren oft mehr reden, als gut für sie ist, dessen Kämpfe fünf Klicks mehr brauchen, als sein müssten, nach dessen nächster Quest man auch mal suchen darf, weil die Richtungsangaben nicht so klar waren.
Hier sitze ich nun und bin bei Magnums 1985er Storyteller's Night angekommen - Ultima 3 III Exodus wurde als bestes Computerspiel gewählt -, gieße einen 1993 abgefüllten Mortlach ein - Ultima VII: Serpent Isle räumte ab - und blicke auf ein fantastisches 2014 zurück, während ich für 2015 auf einem Pillars of Eternity, Torment: Tides of Numenera und Shroud of the Avatar anstoße. Also noch mal hoch die Tassen, ihr digitalen Würfelroller, auf das letzte Jahr und dass hier ein Genre eine wahrscheinlich einmalige Koexistenz zwischen gestern, heute und morgen gefunden hat.