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Ein Leben lang Amiga - Alles Gute zum 30. Geburtstag

… wo immer (im Schrank oder auf dem Dachboden) Du auch bist.

War - war never changes. Vor allem nicht Fanboy-Kriege. Wenn ich an meine frühen Neunziger als Amiga-Jünger zurückdenke, fällt mir vor allem eines auf: die Grüppchenbildung, die Ikonografie und der Tonfall, mit dem man sich vom schäbigen Rest abzugrenzen und in einer wichtigen Heranwachsensphase zu definieren versuchte, sie würden wohl auch von den ungleich jüngeren Kombattanten auf beiden Seiten des Xbox/PlayStation-Konfliktes noch problemlos verstanden. Mit dem Unterschied, dass wir "Amiganer" zu der Zeit einen sehr einseitigen Krieg ausfochten, zu dem sonst niemand ging.

Der PC fing gerade an, uns technisch gründlich zu überholen, das war uns, die wir in der Mehrheit den größten Teil unseres Konfirmandengeldes in den Commodore-Computer gesteckt hatten, schon Affront genug. Aber der PC und seine User verstanden sich damals nie als Plattform an sich, nie als einige Front gegen den Amiga. Das waren wir aus den Atari-Kriegen, die wir natürlich triumphal gewonnen hatten, einfach anders gewohnt. Während die PCler am ersten Pentium wie hypnotisiert Dooms ultraflüssige 3D-Korridore hinunterwatzten, zeterten wir hinter ihnen wie Kleinkinder, denen die Type an der Tastatur gerade ihr Lieblingsspielzeug weggenommen hatte. Schossen ihnen Papierkügelchen von Argumenten für die Überlegenheit unserer "Freundin" in den Rücken, die nie so recht kleben bleiben wollten.

Mindestens genauso gut wie Doom: Alien Breed 3D. Aber im Ernst, war wirklich kein schlechtes Spiel. Quelle: www.lemonamiga.com

Einen Gegenschlag auf diesem Niveau gab es nie. Warum auch? Die hypermaskuline Gewaltorgie auf dem Bildschirm des Feindes war Vergeltung genug. Und doch muss ich sagen, im Gegensatz zu den "Console Wars" von heute fühlte sich unsere circa 1994 in Verbitterung umschlagende Zuneigung zum Amiga sehr viel verdienter an. Diese Maschine hatte uns bis kurz vor ihrem Niedergang in ihren zahlreichen Inkarnationen vom 1000er bis zum 4000er - oder 500er bis zum 1200er, wenn man von den realistischer bepreisten Consumer-Geräten sprechen will - so viele unvergessliche Momente geschenkt, deren Chronologie für die meisten von uns wohl erstaunlich deckungsgleich ausfiel.

Mein persönlicher Erstkontakt mit einem Amiga 500 war Ende der Achtziger haargenau der Moment, in dem der zuvor ach so glorreiche C64 jeglichen Zauber verlor. Wie Shadow of the Beast den Spieler durch mehrere Parallax-Ebenen förmlich in den Bildschirm hineinsaugte, Defender of the Crown fast fotorealistische Burgen und Ritter vor einem ausrollte und Stunt Car Racer in ultraflüssigen 15 Bildern pro Sekunde auf polygonale Rampen lockte, das läutete schlicht eine neue Ära ein. Bei endlosen Spielesessions (auf Selbsteinladung) bei Chips und Cola bei einem Early-Adopter-Freund lernte ich den charakteristischen Sound des Spielecomputers lieben. Nicht nur das unvergessliche Surren und Klackern des 3,5-Zoll-Laufwerks, sondern auch und vor allem die mehrkanalige, wundervoll dynamische Musik und die knarzigen Voice-Samples, die damals selbstverständlich glasklar für uns klangen.

Die Farbverläufe! Factor 5s Turrican 2 ist für viele das definitive Amiga-Spiel.

Zu meiner Konfirmation 1993 bekam ich dann fast 1500 D-Mark geschenkt, mehr Geld, als ich je gesehen hatte, und weit mehr, als ein Vierzehnjähriger zur freien Verfügung haben sollte. Keine drei Tage später trug ich diesen Batzen in den örtlichen Computerladen, um mit einem brandneuen Amiga 1200, einem 1084S (wie in "Stereo") Monitor und Wing Commander wieder nach Hause zu fahren - ein Zweitlaufwerk könnte ebenfalls dabei gewesen sein, aber was weiß ich, das ist mittlerweile 23 Jahre her. Dass schon damals nicht wenige Bekannte warnten, die Plattform entwickle sich an gängigen Trends und Standards vorbei, war mir egal. Und ein Teil der von weit her angereisten Verwandtschaft, der ich eine großzügige Portion des Geldgeschenkes zu verdanken hatte, fand die kurzentschlossen scheinende Investition nicht so sinnig. Das Argument "Den brauche ich zum Arbeiten" war aber schon damals außerordentlich zugkräftig und sollte noch heute dem einen oder anderen jüngeren Semester bekannt vorkommen.

Dass ich später die zehnte Klasse in erster Linie wegen Videospielen zweimal machen durfte, war da noch nicht raus, aber in diesem Moment wohl bereits in Stein gemeißelt. Ich weiß beim besten Willen nicht mehr, wie ich nach einer Weile die 150 Mark für eine 120-Megabyte-Festplatte und die 350 Mark für das Turboboard - einen schnelleren 68030er-Prozessor inklusive 32-Megabyte-Speichererweiterung - zusammenkratzte, denn bei meiner Familie war seit jeher der Gürtel etwas enger geschnallt als bei anderen aus meinem Umfeld. Ich weiß jedoch noch, dass dies meine erste Zusammenkunft mit einer grafischen Benutzeroberfläche war, der "Workbench", die lange vor Windows 95 Multitasking und Fenster zum Ziehen und Verschieben hatte. Keine Ahnung, wie ich das fehlerfrei auf die Festplatte installiert bekam und wie es jahrelang meinem selbst antrainierten Viertelwissen trotzte.

Glorreich: die Workbench 1.3 auf einem Amiga 500. Quelle: wikipedia

Immerhin funktionierte es gut genug, dem Dasein als Disketten-DJ in Spielen wie Indiana Jones and the Fate of Atlantis - 12 Disks!! - zu entgehen. Natürlich gab es auch die Games, deren neunte Diskette auf einmal einen Lesefehler preisgab und die bis dahin eine gefühlte Stunde andauernde Installation abbrachen. Das gehörte in Zeiten, in denen Daten so flüchtig waren wie 25 Mark Taschengeld im Monat, einfach dazu. Doch die Hardware blieb. Und blieb. Und blieb. Selbst heute habe ich meinen 1200er immer noch. Die Festplatte ist längst abgeraucht, klar, und dem Netzteil traue ich nur so weit über den Weg, wie das Kabel kurz ist, aber eine Trennung von meinem Jugendschatz kommt nicht in Frage. Bis heute hausen irgendwo im elterlichen Eigenheim an die 50 Originalspiele in ihren Boxen und noch mehr wild mit Lackstift bekritzelte Disketten. Zweifellos mit mehr Viren als funktionierenden Spielen darauf, drehen die schon lange nicht mehr rund.

Ja, genau. So sollte es aussehen. Quelle: www.gamesdbase.com

Doch das ist egal, denn die Erinnerungen an die wundervollen Spiele einer echten Pionierzeit hallen auch ohne funktionierende Datenträger bis heute nach: It Came from the Desert mit seiner gänsehauterregenden Musik und seiner Mischung aus Open-World und Sixties-B-Movie-Horror-Adventure. Lionheart, das wunderschöne Jump-and-Run und das letzte Spiel der deutschen Talion-Studios. All die Adventures von LucasArts bis Sierra. Alien Breed, das ich heute immer noch lieber von vorn bis hinten durchspielen würde als fünf Minuten von Gearbox' Colonial Marines. X-Com, über das ich nicht genug gute Worte verlieren kann. Base Jumpers, ein "Wer-is-als-erster-dort"-Multiplayer-Hüpfer aus dem Ostblock, den keine Sau kennt und dessen Idee nun erst von Speed Runners sachte wieder aufgegriffen wird. Und nicht zuletzt Wing Commander, dessen Packung ich bis heute heilig halte - obwohl sie die Mutter aller PR-Bullshots auf der Brust spazieren trägt.

Klar: War never changes, besonders nicht Plattformkriege. Aber sie verlieren im Gegensatz zu den realen Tragödien der Weltgeschichte irgendwann an Relevanz und verblassen, als wären sie nie geschehen. 20 Jahre nachdem wir Amiganer unseren einseitigen Krieg verloren, ist es vor allem das Gedenken an die Spiele und den eigenwilligen Charakter des Computers, auf dem sie liefen, was die Jahrzehnte überdauert, um in Diskussionsrunden und Jubiläumsartikeln wohlige Nostalgiegefühle zu erzeugen. Keine einzige der 1400-und-ein-paar-zerquetschte D-Mark bereue ich, die ich 1993 im Computerladen ließ, um mir einen fast schon obsoleten Computer zu kaufen. Jeder Pfennig davon ist Teil des Grundes, warum ich heute hier sitze und über Videospiele schreibe - hatte ich nicht gesagt "Den brauche ich für die Arbeit"?

Kein Computer, keine Konsole ist mehr Teil von mir als der Amiga. Und deshalb sage ich heute nicht nur "Alles Gute zum Geburtstag, alter Knochen", sondern auch "Danke für alles!"

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