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Evolve: Einmal Endgegner sein

Wie Turtle Rock den Koop-Thron verteidigen will.

Mal ganz ehrlich und Hand aufs Herz: Wenn man darüber nachdenkt, ist Turtle Rock nicht unbedingt zu beneiden. Wie macht man das "Spiel nach Left 4 Dead", dem Titel, der allenthalben als "Patient Zero" der Zombie-Epidemie begriffen wird und vor etwas über fünf Jahren den Untotentrend im Alleingang lostrat? Ich möchte nicht in ihren Schuhen stecken. Dabei ist die Antwort eigentlich ganz einfach. Erst einmal macht man gar nichts, oder besser: Man sagt nichts. Stattdessen setzt man sich ins stille Kämmerlein, entwirft das, was nach dem nächsten großen Ding aussieht, und spielt es erst einmal zweieinhalb Jahre lang jeden einzelnen Tag. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem man sich sicher ist, die Welt ist bereit für das Spiel und das Spiel für die Welt.

Ende Januar war dieser Moment nun gekommen. 2K und das Studio aus dem Orange County präsentierten Evolve in London das erste Mal in spielbarer Form der Presse. So viel vorweg: Nach gut zwei Stunden Spielzeit ist man regelrecht froh, dass 2K den Titel nach dem Niedergang des einstigen Publishers THQ unter seine Fittiche nahm. Turtle Rock weiß einfach, wie Koop-Spiele ticken müssen. Doch was macht dieses Vier-gegen-einen auf Basis der CryEngine 3 so besonders?

Den Geruch der Jagd in der Nase

Das ist gleich die nächste Frage, die nicht so einfach zu beantworten ist. Spielt man Evolve eine Weile, ist man nämlich erst einmal fassungslos, dass nicht schon früher jemand auf diese ach so offensichtliche Idee gekommen ist: Vier Jäger haben den Auftrag, einen Planeten für die menschliche Kolonisierung von gefährlichen Wildtieren zu säubern, und treffen dabei auf ein Alien, das ebenso ein gewalttätiger Tourist ist wie sie. Das gilt es nun zu erledigen, bevor es sich zur Spitze der Nahrungskette dieser neuen Welt hinauffressen kann und den Kolonisten ernsthafte Konkurrenz macht. Auf Spielformel heruntergebrochen heißt das: Vier Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Werkzeugen jagen, während ein fünfter als Monster im Dickicht den Spieß umzudrehen versucht.

Das Monster-Gameplay relegiert die illustre Jägertruppe auf den Rang der Nebendarsteller.

Diese Asymmetrie ist die größte Stärke und zugleich der dickste potenzielle Fallstrick von Evolve. Im Team zu viert seine gut austarierten Fähigkeiten miteinander zu verzahnen, um ein übermächtiges und stets wachsendes Biest niederzuringen, ist eingängig und verdammt solide umgesetzt. Jeder Jäger hat ein Jetpack sowie leicht unterschiedliche Agilitätswerte, die Fortbewegung macht einfach Spaß. Man wähnt sich tatsächlich auf der Jagd, während man überlegt, ob man sich aufteilen oder zusammenbleiben soll, nach leuchtenden Fährten sucht oder darauf wartet, dass die Bestie unachtsamerweise einen Schwarm Vögel aufschreckt. Wenn es im Kampf dann "Klick" macht, alle fast wie von selbst wissen, was zu tun ist, und frenetisch Kommandos in ihre Headsets brüllen, fühlt man sich in diesem feindseligen Treibhaus gut aufgehoben. Und doch wollte ich die ganze Zeit nur das Monster geben und war traurig, als ich den Stuhl räumen musste, um wieder auf die Seite der Jäger zu wechseln.

Dabei haben die sehr viel für sich. Der Trapper beschwört eine für das Monster undurchdringliche Energiekuppel, um es kurz festzusetzen, fesselt es mit einer Harpune an sich und platziert Sensoren im Boden, die die Position der Beute melden, wenn sie sich diesen nähert. Der Support-Charakter richtet einen schützenden Schildstrahl auf den Kollegen, der gerade von meterhohen Pranken zerquetscht zu werden droht, macht sich und nahe Mitspieler unsichtbar oder bestellt ein Bombardement aus dem Orbit. Der Medic ähnelt unterdessen seinem Kollegen aus Team Fortress 2. Er heilt oder belebt euch aus der Distanz wieder, lähmt das Ungetüm mit seinem Tranquilizer oder erzeugt mit seinem großkalibrigen Scharfschützengewehr hell leuchtende Schwachpunkte in dessen ledernem Pelz. Als klassischer Damage-Dealer ist der Assault die Figur mit den vermutlich am wenigsten interessanten Talenten, aber auch seine Minen und seinen persönlichen Schild lernte ich schnell schätzen. Dass die vorgeführten Charaktere nicht die einzigen ihrer jeweiligen Klasse sein und sich einzelne Trapper, Medics, Supports und Assaults auch spielerisch unterscheiden werden, macht da durchaus Lust auf mehr.

Welcome to the Jungle

So weit, so gut, aber es war nun einmal eine kurze, innige Liebesaffäre zwischen mir und dem Goliath, der am ehesten an den Gorilla-Kaiju aus Guillermo Del Toros Pacific Rim erinnert. Später sollen sich zu ihm noch weitere Ungetüme gesellen - unter anderem wurden fliegende und schwimmende Bestien leise angedeutet -, doch für den Moment zeigte dieser Rabiator schon gut, woher der Wind weht. Während die Jäger wenig mehr versuchen, als das Alien zu lokalisieren, um schließlich seine mehrgliedrige Gesundheitsleiste zu dezimieren, spielt man als Goliath eine brutale Version von Mario Chase. Gegenüber dem grenzgenialen Fangspiel aus Nintendoland verfügt der Gejagte über all die Boni, die drei Tonnen Kampfgewicht und außerirdische Metamorphose-Skills so mit sich bringen. Regelmäßig setzt man so an taktisch klugen Stellen geplante oder spontane Nadelstiche und steht ständig vor der Frage, ob man nun zuschlagen oder doch lieber mit Siebenmeilensätzen aus der Reichweite der Jäger springen soll.

"Es war eine kurze, aber innige Liebesaffäre zwischen mir und dem Goliath, der am ehesten an den Gorilla-Kaiju aus Guillermo Del Toros Pacific Rim erinnert."

Das Scharfschützengewehr des Medics erzeugt Schwachpunkte in der Panzerung. Wer sie trifft, erhält einen Schadensbonus.

Dafür, zunächst die Beine in die Hand zu nehmen, spricht viel. Auf der ersten Evolutionsstufe verfügt das Monster über zwei von vier Skills, die man zu Beginn wählen darf, und überragt seine Häscher noch nicht allzu sehr. Erlegt man im Dickicht aber einige Mitglieder der dynamisch umherstreifenden und häufig auch recht wehrhaften Fauna und frisst deren Überbleibsel, heilt man nicht nur seine Verletzungen. Man darf und sollte sich schließlich auch verpuppen, um nach endlos wirkenden Sekunden als regungsloser Schleimklops mit einer zusätzlichen Fähigkeit als größere und wütendere Variante seines selbst weiterzuspielen. Der Ort für diese Transformation will gut gewählt sein, doch der angespielte Dschungelabschnitt mit seinen gewaltigen Höhenunterschieden und einer Industrieanlage in einem entlegenen Winkel bot reichlich ruhige Ecken dafür. Auch das clevere Stealth-System greift dem Monster dabei unter die Arme, denn wer leisen Fußes unterwegs ist, dessen Fährte ist nicht zu sehen. Mehrfach saß ich in einem Busch oder auf einem hohen Felsen und sah einen Jäger an mir vorbeieilen. Da juckt es schon sehr in den Fingern, mit einem gezielten Felsenwurf - schöne Grüße vom Tank aus L4D! - oder einer Sprungattacke ein unvorsichtiges Mitglied der Jagdgesellschaft niederzustrecken, um es ein wenig zu bearbeiten.

Wird man dann doch einmal festgesetzt, speit man eben das unnachahmlich toll aussehende Feuer, rennt mit dem Kopf zuerst durch eng beieinanderstehende Feinde oder verwickelt unbeteiligte Aliens in den Kampf. Man macht im Grunde alles, damit die Jäger bereuen, dass sie sich freiwillig auf engem Raum mit euch einsperren ließen. Ist Evolutionsstufe drei erreicht, ist man stark genug, den Schildgenerator oben auf der Industrieanlage zu zerstören, der die wehrlosen Zivilisten schützte, an denen man sich dann laben könnte, so wurde mir gesagt. Lecker.

Wer ist hier der Boss?

"Im Geiste hatte ich das Menschenbuffet schon eröffnet, aber dann hatte ich auf einmal jeden meiner Jäger um sein drittes Leben erleichtert und die Partie auch so gewonnen."

Hier gehen die Jäger dann selbstverständlich in den Verteidigungsmodus und versuchen, den Bereich zu schützen. Je nach Monster dürfte diese Phase unterschiedlichste Taktiken ermöglichen. Zunächst warf ich gewaltige Steine auf die Plattform, um den Weg die Rampe hinauf zu ebnen. Als ich schließlich oben war, schleuderte ich den Assault meiner Gegner mit Prankenhieben von dem - wirklich sehr hohen - Komplex und nahm den trägen Waffennarr so für eine unermesslich wertvolle halbe Minute aus dem Spiel. Als Nächstes fiel der Support mit seinem Schildgenerator meinem brennenden Atem zum Opfer. Im Geiste hatte ich das Menschenbuffet schon eröffnet, aber dann hatte ich auf einmal jeden meiner Jäger um sein drittes Leben erleichtert und die Partie auch so gewonnen. Das war etwas schade, bis mir klar wurde, dass ich der einzige Spieler dieses Tisches war, dem das an diesem Tag gelungen war.

Showdown vorm Buffet: Die Jäger stoppen das Monster auf dem Weg zu den Zivilisten.

So viel Spaß die Jetpack-beflügelte Jägerei machte, so sehr war ich letzten Endes doch der Seite des Monsters zugetan. Es spielte sich ungemein spannend und variabel. Dass keine Partie der letzten ähnelte, lag weniger an den waffenstarrenden Söldnern mit ihren interessant umgesetzten Werkzeugen als daran, dass jeder das Ungetüm anders verkörperte. Wie der Titel schon vermuten lässt, was die ersten Infos aber nicht so ganz vermittelten, spielen Goliath und die Biester, die sich noch zu ihm gesellen, also eindeutig die Hauptrolle in Evolve. Daran ist nichts auszusetzen. Es sollte sich nur jeder darüber im Klaren sein, der der Meinung ist, sich hier in erster Linie einen Koop-Shooter ins Haus zu holen. Das ist zwar nicht unwahr, im Endeffekt dürfte aber einige überraschen, dass man Turtle Rocks Jüngstes eher startet, um sich wie der knackige Endgegner in einem Sci-Fi-Abenteuer zu fühlen.

Ob Turtle Rock mit Evolve für das Monstergenre das gelingt, was Left 4 Dead für Zombies war, steht zu bezweifeln. Dafür mangelt es dem Titel nach allem, was man bisher sah, am filmischen Charakter der Koproduktion mit Valve und der PvP-lastige Ansatz schränkt die Zielgruppe etwas ein. Aber es liegt direkt wieder dieses einzigartige Gefühl von Panik in der Luft, wenn das Spiel noch drastischer die Tonart wechselt als jenes, das dieses Team vor ihm ablieferte. Ich bin gespannt.

In diesem artikel

Evolve

PS4, Xbox One, PC

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Über den Autor
Alexander Bohn-Elias Avatar

Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.
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