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Bayonetta 2 - Test

Jetzt führt endgültig kein Weg mehr an der Wii U vorbei.

Platinum Games legt ihr Meisterstück vor. Nintendo hat einen großen Action-Hit, ihr habt das Glück, diesen durchgeknallten Traum zu spielen.

Ich bin sprachlos, absolut sprachlos. Bereits das vierte Mal sitze ich vor dem Abspann und kann trotzdem nicht fassen, was die vergangenen acht Stunden zum wiederholten Male auf meinem Bildschirm passierte. Ich habe auf dem Rücken eines Wassertornados gekämpft, bin auf Kettensägen unter meinen Füßen über die blutenden Gedärme einer gigantischen Höllenkreatur geschlittert und durfte in einem Mech die gesammelten Dämonenkräfte der Unterwelt vernichten.

Bayonetta 2 ist viel mehr als ein simpler Nachfolger. Es wäre sehr leicht gewesen die fast fehlerfrei Basis des Vorgängers zu übernehmen, an ihr ein wenig zu rütteln und die Neuanordnung auf den Markt zu werfen. Stattdessen untersuchte Platinum Games selbst das kleinste, unscheinbarste Element und polierte es bis zur Perfektion. Jederzeit spürt man die Liebe und Aufmerksamkeit des Teams um Director Yusuke Hashimoto. Eine grenzenlose Faszination, der man sich als Spieler unmöglich entziehen kann. Dabei ist es vollkommen egal, ob ihr die versteckten Feinheiten des Kampfsystems versteht oder bloß rhythmisch auf die Tasten hämmert. Die hohe Kunst von Bayonetta 2 liegt in der kompromisslosen Verschmelzung einfacher Bedienung mit unendlichem Tiefgang.

Das ist bloß die erste Phase des Bosskampfes. Ihr könnt euch gar nicht ausmalen, wie überdreht es weiter geht.

In den ersten Minuten merkt ihr im brutalen Tanz mit den teuflischen Engeln keine Unterschiede zur alten Steuerung. Doch der Schein trügt. Kombos gehen flüssiger ineinander über und jede Attacke fühlt sich wie die logische Fortführung eurer Fingerakrobatik an. Selbst wenn ihr euch keine einzige Tastenreihenfolge während der als Trainingseinheiten verkleideten Ladebildschirme merken könnt und blind euren Controller befummelt, vollzieht Bayonetta eine ekstatische, vor Energie fast platzende Choreografie.

Zwar sehen die optischen Umsetzungen eurer flapsigen Eingaben stets bezaubernd aus, nur garantiert es eben keinen Sieg. Zumindest nicht den Würdevollsten. Denn sein wahres Potenzial zeigt Bayonetta 2 erst, wenn ihr neben der Offensive auch die Defensive versteht. Weicht ihr kurz vor einem feindlichen Gegentreffer aus, beginnt die wertvolle Witch Time. Für ein paar Sekunden verlangsamt ihr so den Fluss der Zeit. Die Welt taucht in ein angenehmes Lila und das laute Ticken eines Uhrwerks erklingt, während ihr sorgenfrei auf eure Beute einprügelt. Es sind Momente der vollen Kontrolle. Eine kleine Verschnaufpause und spielerische Stärkung, bevor die reale Gefahr des Kampfes zurückkehrt.

Um die Dynamik des Systems weiter auszubauen, erhaltet ihr im Verlauf der Handlung zusätzliche Waffen, die Bayonetta mit Händen oder Füßen bedient. Bis auf die anfänglichen Pistolen findet ihr keine direkten Kopien vergangener Prügelwerkzeuge. Ständig verspürte ich dadurch den Drang zum Experimentieren. Flammenwerferkeulen in die Hände nehmen oder doch an den Füßen befestigen? Dazu dann eher Kettensägen oder lieber ein Paar Schwerter? Ihr habt die Qual der Wahl und jede Kombination eröffnet euch eine neue Flut an Möglichkeiten. Zudem dürft ihr nicht vergessen, dass nach weiteren Durchgängen zusätzliche Bonuswaffen auf eure Entdeckung warten. Ein Paradies für Kampfspielpuristen, die in Bayonetta 2 ihre neue Zufluchtsstätte finden werden.

Wer möchte, darf die japanische Sprachausgabe anwählen. Ich bevorzuge dennoch die britischen Akzente.

Die größte und offensichtlichste Neuerung der Prügeleinheiten ist der Umbran Climax. Füllt ihr eine komplette Magieleiste, dürft ihr eine der bekannten Foltersequenzen starten, die erneut Gewalt, Humor und Sex kombinieren. Leider konzentrieren sie sich nur auf ein Ziel. Wollt ihr dagegen mehrere Monster gleichzeitig pulverisieren, wählt ihr den Umbran Climax. Jeder Angriff ist nun eine Wicked-Weave-Attacke - das sind die Kombo-Finisher des Spiels. Für ein paar Momente zerstückelt ihr die größten Bosse und vernichtet komplette Gruppen mit einem Schlag. Durch den Umbran Climax gewinnt die Magieleiste in Bosskämpfen endlich an Bedeutung. Außerdem fügt es der Klopperei eine weitere Taktikebene hinzu.

Aber das Kampfsystem ist natürlich bloß eine Seite des Schlachtfelds. Auf der anderen stehen eure tödlichen Widersacher. Nie mehr als 20 Minuten vergehen im Spiel, bevor sich ein neuer Feind in euren Weg stellt. Die Zahl unterschiedlicher Gegner beschämt jedes andere Spiel auf diesem Planeten. Besonders, da man sie hier innerhalb acht Stunden im Dauerfeuer präsentiert. In den ersten drei Vierteln des durchgeknallten Abenteuers erwartet euch keine einzige Wiederholung aus dem Vorgänger. Treffen die alten Engel irgendwann ein, erhaltet ihr nicht den Eindruck fauler Kopien, sondern erfreut euch an nostalgischen Gefühlen, die Bayonetta 2 noch einmal durch einen frischen Twist aufwirbelt.

Das Gegnerdesign erreicht neue Höhen kreativer Entfaltung.

Trotz des hohen Tempos lässt sich das Spiel Zeit für ruhigere Momente. Die Qualität der Zwischensequenzen und eingestreuten Dialoge hängt sicherlich von eurer Toleranz für B-Movies ab, doch das Tempo ist durch die clevere Struktur über jeden Zweifel erhaben. Deshalb kann es euch genauso wie mir ergehen. Auf einmal fällt auf, dass man seit dem Spielstart zwei Mahlzeiten verpasst hat. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt ein komplettes Spiel dieser Größenordnung in einem Rutsch beendet habe. Und das mehrfach.

Einfach alles stimmt in diesem Paket. Das Leveldesign überrascht euch in jedem Kapitel mit neuen Elementen, optisch treibt man die Wii U an ihre Grenzen und sogar die Musik geht mir nicht mehr aus den Ohren. Gehörte das Cover von Fly Me to the Moon zu den kontroverseren Bestandteilen von Bayonetta, dürfte der neue Soundtrack mehr Anhänger finden. Die seichtere, instrumentalere Behandlung des Klassikers Moon River übertreibt es nämlich nicht mit dem Japano-Pop. Für mich eindeutig das schönste Kampfthema, dessen anfängliche Noten mir selbst nach über 40 Stunden Spielzeit eine Gänsehaut verpassen.

Würdet ihr mir eine Pistole an den Kopf halten und die Auflistungen verschiedener Mängel verlangen, müsste ich tief schlucken. Tatsächlich existiert nur ein winziges Manko. Ich vermisse die Option eines Checkpoint-Neustarts. Hört sich ziemlich unwichtig an. Das ist es auch. Aber wenn ich versuche, in jedem Level eine Pure-Platinum-Bewertung zu erhalten, verdirbt es mir die Motivation. Ein Gegentreffer reicht aus, schon muss man in das Startmenü zurück und den Speicherstand neu anwählen. In Verbindung mit den Ladezeiten vergeht bis zum Neuversuch eine ganze Minute. So etwas ist dumm und wurde zuvor sowohl in Metal Gear Rising: Revengeance als auch The Wonderful 101 besser gelöst.

Insgesamt warten 52 Koop-Missionen auf eure Eroberung.

Daran merkt man, wie großartig Bayonetta 2 ist, wenn ich mich über solche Kleinigkeiten aufregen muss, weil mir sonst keinerlei Schwachstellen einfallen. Sogar der eingeworfene Online-Koop offeriert mir alles, wonach ich mich bei Ninja Gaiden 3 gesehnt hatte. Ein fast unerschöpflicher Topf vollgepackt mit fairen Herausforderungen, deren Schwierigkeitsgrade und Belohnungen ihr den eigenen Vorlieben anpassen dürft. Der Netzcode wäre vielleicht noch die letzte Bastion für Klagen gewesen, doch auch hier glänzt das Meisterwerk. Die vergangene Woche spielte ich mit Dutzenden Japanern und nie kam es dabei zu Einbrüchen.

Ich gebe auf. Ich habe wirklich versucht, einen echten Kritikpunkt zu finden. Doch bis auf die fehlende Neustartfunktion bin ich wunschlos glücklich. Es ist fast so, als wäre Yusuke Hashimoto in meinen Kopf eingetaucht, um das perfekte Spiel für mich zu entwickeln. Bayonetta 2 löste eine Euphorie und kindliche Freude aus, die ich verloren geglaubt hatte.

Kauft es euch, wenn ihr den Vorgänger mochtet. Kauft es euch, wenn ihr auf actiongeladene Bombastfeuerwerke steht. Kauft es euch, wenn ihr Videospiele liebt. Bayonetta 2 allein rechtfertigt die Anschaffung einer Wii U. Es ist ein Fest für die Sinne und ein Lobgesang an unser Hobby.

Es nicht zu spielen, wäre der größte Fehler überhaupt.

10 / 10

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