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Ganz ruhig, Mr. Holmes! Und warum es mehr Figuren wie in Life is Strange braucht - Nutze X mit Y

Ein Plädoyer für "halbstarke" Charaktere

Es ist wieder Adventure-Time! Nein, nicht die Zeichentrickserie mit dem gelben Hund, sondern Zeit für Rätselspiele, Point and Click und co., aber habt ihr schon verstanden, oder? Diese Folge wird so zu sagen eine "Reaction", wie das coole Influencer so machen. Die letzten Wochen gab es nämlich gleich zwei brandneue Adventure-Trailer, die dringend meine Aufmerksamkeit benötigen.

Ihr ahnt es schon: Nach dem neusten Gameplay-Trailer müssen wir mal wieder über Sherlock Holmes: Chapter One reden und vielleicht sogar diskutieren, ob der gute Meisterdetektiv überhaupt noch in mein Aufgabengebiet fällt! Der zweite Trailer hat im Internet ordentlich Wellen geschlagen und das ist gar nicht so häufig bei ruhigen Story-Titeln. Die Rede ist natürlich von Life is Strange - True Colors, dem dritten Teil der Reihe zwischen Thriller, Slice of Life und magischem Realismus. Ich plaudere aus dem Nähkästchen, warum es für mich eine große Herausforderung werden könnte, mich an das neue LiS heranzutrauen und warum uns die Figuren der Franchise so sehr ans Herz gehen.

Immer langsam mit den jungen Sherlocks!

Da war es also das von mir langersehnte Gameplay, das Frogwares vor einigen Wochen versprochen hatte und diesmal gab es ganze 2 1/2 Minuten zu erleben. In diesem neusten Trailer sieht man nun schon deutlich mehr von der Welt des Meisterdetektivs und ich kann jetzt schon mit gutem Gewissen sagen: Die Kombi aus Sherlock und seinem Begleiter Jon wird mir ziemlich sicher gefallen.

Man kennt den berühmten Neurotiker mit dem Superhirn ja eigentlich in Begleitung des schnauzbärtigen Doktor John Watson und dieses Duo hat eine klar eingespielte Dynamik irgendwo zwischen beste Kumpels und altem Ehepaar. Wer in dieser Beziehung am längeren Hebel sitzt, ist völlig klar: eindeutig der gute Sherlock.

Erste blicke auf Sherlocks altes Revier und man kriegt Urlaubssehnsucht

Dieses gewohnte Duo wird nun aber getrennt und ein neues Gesicht betritt die Bühne: Jon ohne h und schon im Trailer lässt sich eine neue Dynamik der beiden Ermittler erahnen. Holmes' Jugendfreund darf sich die Dreistigkeit erlauben, das Genie zu veralbern und ihn sogar liebevoll Sherry nennen, oh my! Das hätte es mit Doktor Watson nicht gegeben und gerade das macht das neue Duo so interessant.

Und was gibt es noch so im Trailer? Die Sprecher klingen solide und könnte die Geschichte gut in Szene setzen, solange Frogwares diesmal bitte auf fistelnde Erwachsene verzichtet, die versuchen, wie Kinder zu sprechen (ja, ich sehe dich an, The Devil's Daughter!). Auch dass die Figuren ein bisschen aussehen wie nach der Botox-Kur, kennt man ja mittlerweile aus anderen Sherlock-Titeln und ist vor der wunderschönen Inselkulisse schnell vergessen. Aber was ist denn nun mit dem Spielprinzip?

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Meine Gefühle dazu könnte kaum gemischter sein. Zum einen gibt es wieder das, was schon in anderen Sherlock-Teilen so überzeugen konnte: Echte Ermittlungsarbeit. Man sammelt eigene Indizien, nimm Verdächtige genau unter die Lupe und durchforstet den Tatort, um anschließend eigene Schlussfolgerungen zu ziehen. Ob man dann den Richtigen verhaftet? Das entscheidet man selbst und gerade das macht die Ermittlung so spannend.

Aber nun zu meinem mulmigen "ich weiß ja nicht"-Gefühl, das sich unter den Hype mischt: Schuld sind die zahlreichen Action-Szenen im Trailer, denn Young Sherlock muss darin Faustkämpfe und Schießereien meistern und die Action wirkt beinahe, als gäbe es diesmal vielleicht sogar ein Kampfsystem und eben nicht nur Quicktime-Events oder Minigames.

Das Deduktionsmenü passt optisch perfekt ins Setting und sieht übersichtlicher aus, als in den letzten Teilen

Da frage ich mich dann schon: Warum braucht es das unbedingt? Darf Holmes nicht einfach mal ein Mann des Geistes bleiben? Es gibt doch so wenig größere Denk- und Puzzle-Spielen...warum lässt man uns Rätsel-Fans nicht diese kleine Freude? Versteht mich nicht falsch: Action ist super, aber nur in Spielen, in denen es auch passt und schon in Devil's Daughter hat es leider viel zu oft gar nicht gepasst.

Wer weiß, eventuell funktionieren die Knall-Passagen in Chapter One ja besser als im Vorgänger. Gebraucht hätte ich sie aber nicht und eine Handvoll gut gemachter Quicktime-Events hätte mir genügt, oder wie seht ihr das? Ich habe den Eindruck, Frogwares will oft etwas viel auf einmal, wie zum Beispiel in The Sinking City. Auch der Lovecraft-Krimi versuchte Detektivarbeit, Action, Open World, Rollenspielelemente und und und in ein Spiel zu klatschen, aber am Ende fanden es einige Kritiken nur mittelmäßig (Kollege Alex eingeschlossen).

Also bitte, Frogwares, tappt nicht noch einmal in die Fallen von Devil's Daugter oder Sinking City und zeigt lieber, dass ihr es noch so wie Crimes and Punishments drauf habt! Außerdem will ich ja nicht, dass Sherlock mit zu viel stumpfer Action und zu wenig Handlung schön langsam aus meinem Kolumnen-Zuständigkeitsbereich verschwindet, okay?

Schmerz lass nach, ein neues LiS...

Nun aber zu einer Franchise, bei der immer mehr die Story im Fokus stand: die emotionale Erzählreihe Life is Strange. Was war das bitte für ein starker Auftakt für LiS: True Colors? Wenn man bereits im Trailer Gänsehaut bekommt und Gefahr läuft, ein Tränchen zu verdrücken, dann muss es wohl Life is Strange sein und dieses Spiel ist mein größtes Kryptonit und Dilemma. Ich liebe das erste Spiel und doch habe ich kein anderes Game der Franchise mehr angerührt, mit einem einfachen Grund: Ich bin ein Weichei.

Das erste Spiel hat mich so gepackt, so berührt und mir so das Herz gebrochen, dass ich mich bisher nicht mehr rangetraut habe - vor allem nicht an das Prequel LiS: Before the Storm, den, wenn man schon weiß, was danach alles passiert... ich konnte mir das nicht noch einmal antun, Schmerz lass nach! Ist das verständlich oder bin ich da ein Jammerlappen? Vermutlich ein bisschen von beidem.

Ich wünsche mir mehr Maxes... 'everyday heroes' quasi - Anspielung beabsichtigt!

Life is Strange: True Colors könnte mich nun aber mit Schwung zurückholen sodass ich mir die krude verheilten LiS-Wunden lächelnden Auges doch noch einmal aufreiße. Das Konzept sieht schon jetzt richtig gut aus. Nicht nur, dass Landschaft und Musik im Trailer richtig ans Herz gehen, die Gabe der Empathie als neue Superkraft für Hauptfigur Alex Chen zu wählen passt zudem unendlich gut zu den LiS-Figuren. Die sind nicht nur selbst extrem menschlich und immer wieder mit tiefen Gefühlen konfrontiert, sondern holten beim Spielen auch das komplette Gefühlsspektrum aus mir heraus - offen gestanden: Ich habe geheult wie ein Schlosshund.

Aber was haben nur diese LiS-Figuren? Warum leiden wir bei ihren Schicksalen so viel mehr als bei vielen anderen Spielen? Die einfache Antwort: Sie trauen sich, menschlich zu sein. Sie fühlen, weinen, haben Angst, zweifeln. Sie sind keine 08/15-Helden auf dem weißen Ross oder abgebrühte Gangster-Bräute, sondern normale Jugendliche. Nehmen wir mal Max aus Life is Strange: Sie ist keines der "Cool Kids". Sie ist schüchtern und tut sich schwer, sich in Cliquen einzufinden und doch hat sie ihre besonderen Stärken und damit meine ich nicht ihre Superkraft. Sie ist auch celver, einfühlsam, lieb und verlässlich, eine echte Freundin eben.

Und damit beweist Dontnot, dass etwas funktionieren kann, was sich leider viel zu wenige trauen, nämlich Figuren mit Bandbreite. Seien wir doch einmal ehrlich: Coole Typen gibt es doch in Adventures wirklich mehr als genug, oder?

Ein Plädoyer für mehr "halbstarke" Charaktere!

Schauen wir uns doch einmal das Genre der ernsthaften Story-Adventures genauer an: Überall winken stylishe Motorrad-Bräute, knallharte Ermittler und brutale Super-Cops. Gerade spiele ich zum Beispiel den Noir-Tierkrimi Chicken Police von 2020: Atmosphärisches Setting und einzigartige Grafik, aber die Hauptfiguren? - Sprücheklopfer mit Machoallüren, die charakterlich so flach sind, als wären die Hühnchen versehentlich unter den Traktor geraten. Ihr werdet jetzt vielleicht sagen: Das muss doch so in einem klassischen Oldschool-Krimi! Na klar, aber es geht doch auch mit einem Hauch mehr Nuancen und Menschlichkeit - selbst wenn man ein Hühnchen ist, oder?

Die Ära des Point-and-Click-Thrillers begann ja so zu sagen mit genau so einem Kerl, nämlich dem guten alten Macho-Schönling Gabriel Knight in den 90ern (Martin: Einspruch! - Johnny Westland machte schon 1989 in Sierras Codename Iceman einen auf harter Bond-Klon). Wenn man sich heute so umguckt, trifft man aber auch heute noch permanent solche Exemplare: Bigby Wolf aus The Wolf Among Us (natürlich trotzdem ein sagenhaftes Spiel!), Kartzenermittler John aus Blacksad (vielleicht weniger sagenhaft), Erica Reed aus Cognition, Miles Fordham aus Lamplight City und und und es gibt sicher noch mehr Beispiele.

Diese Spiele müssen ja nicht schlecht sein, einige davon mag ich sogar sehr. Der beliebte "Lone Wolf"-Typus kann auch manchmal funktionieren, aber auf Dauer wird er doch ziemlich eintönig und vor allem unnötig: Rätsel- und Story-Abenteuer haben doch alle Möglichkeiten, interessante Geschichten zu erzählen, also warum schreibt man keine interessanten Hauptfiguren?

Ich kann mir vorstellen, das liegt an einem Missverständnis. Alle wünschen sich starke Figuren, Helden, an denen sie sich orientieren und zu denen sie aufsehen können. Aber wenn jemand einfach nur cool, übermächtig, gefühlskalt und nicht von dieser Welt ist... wie soll man sich da denn so richtig einfühlen? Es gibt sicher Leute, die gerne mit heroischen Streitern aus dem Alltag fliehen, mir persönlich geben echte Charaktere, aber ein viel besseres Gefühl, nämlich dass man mit vielen Ärgernissen, Emotionen usw. nicht alleine ist.

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Ich habe den Eindruck, der Begriff "starke Figur" wird einfach oft falsch verstanden. Denn was ist stärker und mutiger, als sich Ängsten zu stellen, Gefühle zuzugeben und ehrlich zu sagen, was einen bewegt? Deshalb, liebe Adventure-Studios: Traut euch mehr "halbstarke" Charaktere im Adventure. Und nein, damit meine ich jetzt nicht, dass wir unbedingt mehr Jugendliche brauchen, wir brauchen mehr Max Caulfields und vielleicht auch mehr Alex Chens.

Vielleicht hängt das aber auch zusammen: Jugendlichen verzeiht man es eher, wenn sie mit Sorgen und Ängste kämpfen. Dass Erwachsene aber nicht genauso zweifeln, grübeln und weinen dürfen, ist aber Quatsch und in unserer modernen Gesellschaft während einer Pandemie auch nicht so gesund, oder? Ich würde jedenfalls gerne ein paar mehr so menschliche Vorbilder à là LiS in Videospielen sehen - oder welche Adventure-Charaktere gehen euch so richtig nahe?

Bis Life is Strange: True Colors erscheint, hört euch doch einfach noch ein paar Mal den eingängigen, gefühlvollen Popsong "When you Call" von Cyrus Reynolds ft. BELLSAINT aus dem LiS-Trailer an und und schwelgt in Vorfreude auf den nächsten Herzbruch. Hab ich auch schon ca. drölf Mal.

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