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Erstkontakt: Little Big Adventure

Das wird jetzt vielleicht ein bisschen wehtun…

Ich erinnere mich dunkel daran, dass Little Big Adventure nach seinem Erscheinen 1994 auf den Bildschirmen meiner Schulkameraden ziemlich prominent vertreten war. Gespielt habe ich es nie, denn einen PC hatte ich seinerzeit nicht. Dem aparten isometrischen Abenteuer, das französischer nicht sein könnte, genügte jedoch schon ein beiläufiger Blick über ein Glas Cola hinweg, um sich lange, lange auf meiner neidischen Netzhaut einzubrennen.

Schon damals hätte ich erkennen können, dass das Spiel auf das Konto von Frederick Raynal ging, der zwei Jährchen zuvor - eine halbe Ewigkeit damals - mit Alone in the Dark gehörig meine Erwartungshaltung an Videospiele auf den Kopf gestellt hatte. Doch wir dachten damals noch nicht in Designern und Persönlichkeiten - nicht, dass sich bis heute allzu viel daran geändert hätte. Wie dem auch sei, auch Little Big Adventure lebte von schattierten Polygonfiguren, die sich vollkommen fließend durch statische Umgebungen von schräg oben bewegten. Die vorgegaukelte Räumlichkeit war damals ein echter Knaller, ganz egal, dass es den Figuren an Definition fehlte.

Die Erinnerung trügt

Wie das so ist mit Dingen, die man lange nicht sah, aber von denen man vor seinem geistigen Auge noch immer ein sehr genaues Bild zu haben glaubt: Die Realität ist meistens hässlicher als erwartet, wie ich dank Good old Games mal wieder feststellen durfte. Das beginnt wundersamerweise nicht bei der veralteten Technik oder Steuerungseinfällen, so alt, dass das Handbuch vermutlich auf Steintafeln daherkam. Nein, in Little Big Adventure ist es vor allem das Design, das mich gegen den Strich bürstet. Und das ist verhältnismäßig lustig, denn ich kann mich noch gut daran erinnern, die anthropomorphen Hasen, Elefanten und die eierköpfigen Quetsche irgendwie niedlich gefunden zu haben.

Für ein Adventure ungewöhnlich: nach drei 'Leben' ist schluss!

Ich muss dumm oder blind oder beides gewesen sein. Heute gemahnt ihr gestalterischer Daumenabdruck besonders in den Zwischensequenzen an billig produzierte, computergenerierte Samstagmorgentrickfilme. Mit dem Unterschied, dass diese häufig besser animiert sind. Ich habe noch nie erlebt, dass bei einer nicht menschlichen Fantasiefigur das Uncanny Valley so einschlägt wie bei den Quetschen mit ihren deformierten Auberginenschädeln, leblosen Aufklebaugen und Gummipuppenlippen. In jeder animierten CG-Sequenz will man Twinsen und seine Freunde abwechselnd würgen oder schlagen, um ihrer traurigen Existenz in der sterilen und von Plastikbäumen verunzierten Welt ein Ende zu machen. Und dann findet man raus, dass die Hasenwesen "Rabbibunnies" heißen, knackt mit den Fingern und verteilt im Geiste gleich die nächste Reihe voll durchgezogener Backpfeifen.

Dazu passt die einfältige, falsch, geradezu debile Vertonung aller gesprochenen Texte. Den Ohren eines Mittdreißigers sind das tumbe Zeitlupengelaber der Grobos getauften Elefantenmenschen und das quietschige Überspielen der Karnickelmenschen nicht mehr zuzumuten. Trotzdem haben es damals fast eine halbe Million Spieler zu hören bekommen. Und doch musste das Spiel wohl so in der Art klingen, denn die eigentliche Geschichte ist recht düster angelegt, wenn der böse Dr. Funfrock den Planeten Twinsun mit Propaganda und Killerklonen unterjocht und unser Held Träume vom Ende der Welt in dieselbe hinausposaunt. Es gibt Spiele, die bekommen den Spagat zwischen nett und düster hin. LBA hat Polygone und Sprachausgabe.

Nächster Versuch: Nostalgiebrille auf!

OK. Schluss mit dem Rant, Alex, das Spiel ist zwanzig Jahre alt, wer wird denn noch auf längst beerdigte Greise einprügeln? Und siehe, sobald man in der angewinkelten Draufsicht erst mal richtig loslegt, geht's zumindest, denn vor allem die Animationen des Protagonisten versprühen doch einigen Charme. Wenn Twinsen übertrieben sportlich auf der Stelle joggt oder jeder Schritt beim Schleichen mit viel Stil per Mickey Mousing untermalt wird, ist die Welt kurz in bester Ordnung. Man fühlt sich mit dem plumpen Design und der nach nicht besonders einfallsreichem Spielzeug aussehenden Umgebung wieder versöhnt und beginnt zu begreifen, was die Leute damals in Little Big Adventure sahen: einen bemerkenswert offenen Hybriden aus Adventure und Action mit hohem Erkundungsanteil und origineller Steuerung.

"Man beginnt zu begreifen, was die Leute damals in Little Big Adventure sahen: einen bemerkenswert offenen Hybriden aus Adventure und Action mit hohem Erkundungsanteil und origineller Steuerung."

Diese Sprungstellen sind genau so spaßig, wie sie aussehen.

Heute funktioniert das freilich nicht mehr ganz so gut. Damals hatten sich gewisse universelle Bedienregeln einfach noch nicht etabliert. In Twinsens Fall fand Entwickler Adeline clever, ihm vier unterschiedliche "Modi" zu spendieren. Ich weiß noch, dass das alle damals ziemlich gut fanden. Im normalen Modus spricht er und interagiert mit der Umgebung. Im sportlichen rennt und springt er, während er im aggressiven Aggregatszustand Schläge und Tritte verteilt. Im diskreten Modus schleicht er unterdessen und macht sich auf Tastendruck klein. Das hat den Vorteil, dass man für alle Kernfunktionen im Grunde nur die Space-Taste im Zusammenspiel mit den Pfeilen unter der rechten Hand benötigt. In der Praxis aber nervt das Umschalten zwischen den Modi jedoch gehörig, da es nicht einmal aus dem Spiel heraus geschieht. Stattdessen haltet ihr die Shift-Taste, um ein Auswahlmenü aufzurufen, in dem ihr dann mit links/rechts die gewünschte Verhaltensweise wählt.

Rennt ihr beispielsweise schnell zu einem Schrank oder einer Vase, weil ihr dort ein energiespendendes Herz vermutet, könnt ihr bei Ankunft nicht einfach "E" drücken, um nachzuschauen. Nein, ihr müsst erst auf den normalen Modus umschalten. Das führt zu Situationen, in denen man weiß, dass Umschalten auf den angemessenen Zustand das richtige Vorgehen wäre, man aber selbst dafür zu faul ist und deshalb zum Beispiel für eines der einfachen Schieberätsel eine Viertelstunde braucht. Hier steht das Spiel sich selbst im Weg. Wieso nicht eine der gut 20 Tasten, die bequem erreichbar unter der linken Hand ruhen, mit diesen wenigen Funktionen belegen? Es war halt eine andere Zeit. Erinnert euch: Noch zwei Jahre später rollte sogar Lara Croft in Ermangelung von Analogsticks wie ein Panzer durch ihre Ruinen.

Gleich geschafft! Macht schon mal die Knüppel klar!

Es ist somit verständlich und verzeihbar. Spaß macht es trotzdem nur noch begrenzt, denn selbst die Bewegung geht aufgrund der Perspektive und des trägen Rangierens des Quetschkopfs nicht problemlos vonstatten. Versuche, der Steuerung in hitzigen Situationen lebensrettende Präzision abzugewinnen, sind häufig zum Scheitern verurteilt. Wer nah an einem Gegner mit Gewehr steht, wird von schnellen Schrotsalven schon mal in einen Loop aus nicht unterbrechbaren Verletzungsanimationen geschubst, der gehörig auf die Nerven geht und einen an seinem Ende zurück ins Gefängnis schickt, aus dem man schon zu Beginn ausbrach.

Nicht nur Spielfiguren sondern auch Fahrzeuge setzt die LBA-Engine als schattierte 3D-Objekte um.

Zudem ist Twinsen der einzige Spielcharakter - zumindest der einzige, von dem ich weiß -, der sich an einer Wand oder anderen Umgebungsobjekten buchstäblich den Schädel einrennen kann. Jeder schlecht abgeschätzte Spurt in ein Hindernis hinein kostet nicht nur Nerven, weil Twinsen erst durch eine träge "Autsch"-Animation geht, sondern auch Lebensenergie. Das ist nicht hardcore, sondern dämlich und zusammen mit der Perspektive, die Entfernungen und Höhenunterschiede oft nicht richtig abschätzbar macht, ein echter Spaßkiller.

Und so fällt das Erstkontakt-Urteil ziemlich eindeutig aus: Wer sich schon immer fragte, warum sich bis heute manche Leute einen dritten Teil von Little Big Adventure wünschen, der tut gut daran, eben diese zu fragen. Dieses rettungslos überholte Spiel selbst kann die Antworten nicht mehr liefern. Im Dialog mit denjenigen, die Little Big Adventure damals spielten, fallen ungezählte überzeugende Gründe für eine Fortsetzung und herzerwärmende Anekdoten aus der Welt von Twinsun. Allesamt sind sie echt empfundene, aufrichtig verdiente Zuneigungsbekundungen; ich würde nicht im Traum daran denken, dagegen Einspruch zu erheben. Trotzdem sind 1994 - und davor - sowohl in Handhabung und Technik als auch der Erzählung deutlich zeitlosere und Spiele erschienen. Ich glaube gern, dass dieses hier mal richtig, richtig gut war. Aber manche Dinge sind 20 Jahre später einfach nicht mehr wahr.

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