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Lone Survivor: The Director's Cut - Test

Der wahre Silent-Hill-Nachfolger, auf den wir gewartet haben.

Jasper Byrne ist ein Perfektionist. Nachdem er die Portierung von Lone Survivor eigentlich in sechs Wochen erledigen wollte, dauerte es über ein halbes Jahr, das er mit dem Erstellen neuer Inhalte füllte. Schon zu Beginn des Spiels merkt man sein Persönlichkeitsmerkmal. Bevor ihr einen neuen Durchgang des Spiels startet, erscheinen ein paar Hinweise von ihm, die er das Ritual nennt. Hockt euch in ein dunkles Zimmer, zieht euch gute Kopfhörer an und schaltet am besten noch die Trophäenbenachrichtigungen aus, um die beste Erfahrung zu erhalten. Solltet ihr die Notifikationen nicht ausstellen, erhaltet ihr neue Trophäen trotzdem nur während des Speichervorgangs, damit sie euch beim Spielen nicht stören.

Alleine stirbt es sich am besten

Seine Vorschläge für ein optimales Erlebnis solltet ihr dringend befolgen. Habe ich die PC-Version vergangenes Jahr nur in kleinen Schritten zwischendurch gespielt, sperrte ich mich dieses Mal für vier Stunden bis zum Abspann in mein Zimmer. Natürlich mit Kopfhörern und meiner PlayStation Vita als einziger Lichtquelle. Obwohl ich mich zu einem Großteil noch an Rätsel, Räume und Monster erinnern konnte, sorgte die beklemmende Atmosphäre erneut für verkrampfte, schweißnasse Hände.

Seine Stärke gewinnt Lone Survivor durch die größte Inspirationsquelle: Silent Hill 2. Kaum vergeht ein Moment, ohne dass ihr euch nicht an den Horrorklassiker erinnert fühlt. Beispielsweise besitzt euer namensloser Charakter - im Spiel nennt man ihn nur You - eine kleine Taschenlampe, die er in seine Hemdtasche steckt. Zwar führt er kein Radio mit sich, doch ertönt ein verzerrtes Geräusch, das in der Nähe von Gegnern immer lauter wird. Sogar der Ton beim Aufsammeln von Gegenständen klingt so, als hätte man ihn direkt aus dem PS2-Meisterwerk übernommen.

Bereits ab zwei Gegnern auf dem Bildschirm sinkt eure Überlebenschance gewaltig.

Der Einfluss von Silent Hill 2 ist keine Überraschung, zeichnet Byrne doch für das Demake Soundless Mountain II verantwortlich. Lone Survivor einfach nur als Klon oder entfernte Abwandlung zu bezeichnen, wäre ein fataler Fehler. Denn es besitzt eine eigene Persönlichkeit, die stark auf der audiovisuellen Erfahrung beruht. Der Stil mischt einen 2D-Pixelstil mit verzerrten Filtern oder Nebel, die sich darüber legen. Außerdem bietet es Lichteffekte, die man bei dieser Optik nicht erwartet hätte. Im Director's Cut nun noch einen Ticken schärfer als zuvor.

In der Welt, die fast ausschließlich aus dem Wohnkomplex besteht, in dem euer Protagonist lebt, seht ihr das Geschehen stets aus einer Seitenansicht. Eine von Silent Hill inspirierte Karte hilft euch bei der Wegfindung und markiert stets euer nächstes Ziel. Während der ersten Stunde kommt es häufiger zu Orientierungsproblemen, da ihr euch auf zweidimensionalen Schienen in einer 3D-Umgebung bewegt. Nach einer kurzen Eingewöhnungszeit sollte es aber kein Problem mehr darstellen, die Karte perfekt zu lesen. Schwieriger gestaltet sich dagegen der Experten-Modus, bei dem ihr auf visuelle Hilfen komplett verzichten müsst.

Der wahre Überlebenskampf

Da ich die PC-Version schon kannte, wählte ich diesen Schwierigkeitsgrad, der mich vollkommen überraschte. Ich empfehle niemandem auf seinem ersten Durchgang, sich ohne Karte zu bewegen. Sterben werdet ihr auch so oft genug. Aber wer nach dem Abspann zurückkehren will, erlebt hier das reinste Survival-Horror-Erlebnis, da ihr euch mentale Notizen an jeder Ecke machen müsst. Plötzlich fehlt selbst die kleinste Hilfe und ohne ständiges Öffnen der Karte, versinkt ihr tiefer in der Erfahrung.

Der Einfluss von Silent Hill 2 ist keine Überraschung, zeichnet Byrne doch für das Demake Soundless Mountain II verantwortlich.

Jump-Scares existieren übrigens nicht. Lone Survivor erzielt Angst alleine durch seine erdrückende Atmosphäre.

Dazu verhelfen Elemente, die Lone Survivor zu einem richtigen Survival-Horror-Titel machen. Neben den Monstern sorgen eure körperlichen Bedürfnisse für den meisten Ärger. Ihr könnt nie zu lange ohne Pause durch die dunklen Gänge des Gebäudes wandern. Zwischendurch müsst ihr in eurer Wohnung schlafen, was gleichzeitig den Spielstand speichert. Nahrung benötigt ihr natürlich ebenso, die neben einem leeren Magen auch Wunden heilt. Überall findet ihr kleine Snacks, Dosenfutter oder sogar einen Schinken. Einige davon lassen sich am heimischen Herd zubereiten und kombinieren, solange ihr die nötigen Utensilien dafür gefunden habt. Nein, Lone Survivor schenkt euch Nichts, wodurch aber selbst die kleinsten Erfolge für Euphorie sorgen. Ihr fühlt mit eurem Charakter mit, wenn ihr endlich einen Braten gekocht und mit leckeren Bohnen angereichert habt. In einer Welt, die durch einen Virus ins völlige Chaos gestürzt wurde, gehören solche Momente zu den letzten menschlichen Erfahrungen.

Ob ihr übrigens wahrhaftig der einzige Überlebende seid, stellt das Spiel ständig infrage. Zwischendurch trefft ihr auf seltsame Figuren, bei denen sich selbst euer Charakter fragt, ob er nicht langsam den Verstand verliert. Byrne überlässt die gezeigten Szenen ganz der eigenen Interpretation und mit fünf Enden ist keines definitiv. Mehrere Entscheidungen im Spiel beeinflussen zudem eine nette Evaluierung, die euch nach dem Durchspielen erwartet. Dazu gehört beispielsweise der Einsatz von Pillen vor dem Einschlafen, die zu seltsamen Träumen führen. Twin Peaks lässt grüßen. Um euren Verstand dagegen aufrecht zu halten, könnt ihr später für eine Katze sorgen, ihr Futter bringen und einseitige Gespräche führen. Mehrere solcher optionalen Nebenaufgaben warten auf ihre Entdeckung.

Über die dadurch resultierenden Herausforderungen solltet ihr euch jedoch im Klaren sein. Wer in Lone Survivor nicht vorsichtig ist, landet schnell vor dem Game Over. Für eure Pistole findet ihr nur spärlich verteilte Munition und selbst die einfachsten Monster schlucken selbst bei perfekten Kopfschüssen drei Kugeln. An ihnen vorbeilaufen könnt ihr nur mit seltenen Fackeln, die jedes Biest in einem gewissen Radius blendet.

Byrne überlässt die gezeigten Szenen ganz der eigenen Interpretation und mit fünf Enden ist keines definitiv.

Die grüne Pille führt euch zu dieser seltsamen Gestalt.

Die letzte Alternative ist eine Schleichmechanik. An bestimmten Stellen könnt ihr euch im Hintergrund an die Wände drücken, um euch im Schatten zu verstecken. Legt ihr vorher verrottendes Fleisch neben euch, könnt ihr so mit Leichtigkeit viele Stellen überwinden. Leider unterliegt diese Mechanik einem schwerwiegenden Problem: Sie ist zu einfach! Deswegen findet ihr die zum Verstecken benötigten Einlassungen in den Wänden eher selten. Viel öfter müsst ihr zwischen Kampf oder dem Einsatz einer wertvollen Fackel wählen.

Ein Update, das es in sich hat

Allerdings ist das nur ein kleiner Schnitzer im restlichen Abenteuer. Einige mögen vielleicht die recht kurze Spielzeit von ungefähr vier bis fünf Stunden bemängeln. Jedoch eignet sich Lone Survivor perfekt für mehrere Durchgänge. Die Versionen für PS3 und Vita - übrigens mit Cross Buy und Cross Play Unterstützung - bieten eine Vielzahl an Trophäen, die verschiedene Spielweisen belohnen. Beendet das Abenteuer zum Beispiel ohne die Verwendung eurer Pistole oder lasst die Spiegel außer Acht, mit denen ihr euch normalerweise zurück zu eurer Wohnung teleportiert.

Zudem verpasst ihr so fast den gesamten Inhalt, den Byrne in den Director's Cut steckte. Um die erste Erfahrung beizubehalten, fügte er fast sämtliche Zusätze in den New Game+. Sechs neue Gebiete, zwei neue Nebenaufgaben sowie zwei zusätzliche Enden warten auf ihre Entdeckung. Sogar einen neuen Feind packte er ins Spiel. Freunde des unglaublich stimmungsvollen Soundtracks freuen sich darüber hinaus über drei neue Songs, die euch in der finsteren Welt begleiten. Ich möchte keine dieser Dinge im Detail spoilern, aber sogar Fans des Originals sollten ein weiteres Mal zugreifen. Erst recht, wenn euch die Handlung gefiel. Hier findet ihr genügend neuen Stoff für Diskussionen.

Hier haben wir einen Director's Cut, der es durch den Perfektionismus seines Künstlers wirklich schafft, die originale Erfahrung zu bereichern. Von Verschlimmbessern kann hier keinesfalls die Rede sein. Ich unterstütze die Entscheidung Byrnes, hauptsächliche technische Details und wenige Änderungen quasi im Original einzusetzen. Erst ein zweiter Durchgang offenbart euch die neuen Inhalte, die das Spiel noch einmal um ein gutes Drittel vergrößern. Dabei wirkt kein Zusatz überladen, sondern clever ausgewählt.

Ein paar Probleme mit der etwas undurchdachten Schleichmechanik bleiben weiterhin und auch die verbesserte Schusssteuerung hat noch immer ihre Macken. Einige Stellen können vielleicht für Frust sorgen - die verdammte Verfolgungsjagd -, doch verstärken sie letztendlich nur die Realität eurer Sterblichkeit. Eine Tatsache, die nur wenige Vertreter des Genres so gut hinbekommen. Ob ihr die inspirierten Ansätze aus Silent Hill 2 dabei als nette Hommage und Neuinterpretation empfindet oder eher als störend betrachtet, überlasse ich jedem selbst. Ich für meinen Teil wünsche mit mehr solcher Spiele, die ihre Liebe zur Quelle offen darlegen, ohne auf Qualität zu verzichten. Zusammen mit einem gewaltigen Haufen neuer Ereignisse sollte sich kein Horror-Fan dieses Spiel entgehen lassen. Egal, ob ihr es bereits auf dem PC besitzt oder euch noch nie in die neblige Welt des Terrors gewagt habt.

9 / 10

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