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Ryse: Son of Rome - Test

Von den besten Handwerkern, denen es wieder nicht gelang ein Kunstwerk zu schaffen.

Als Technikdemo perfekt, aber spielerisch schwächelt das Spiel im Verlauf immer mehr. Das Kampfsystem ist schlicht zu simpel gestrickt.

Crytek ist ein faszinierendes Studio. Technisch haben sie derzeit nur das an Konkurrenz, was sich zusammen mit ihnen auf dem Olymp der Grafikkunst tummeln darf. Ihre CryEngine zeigt einmal mehr, dass sie mit allem mithalten kann, was da draußen noch unterwegs ist. Sie haben einen Blick für Licht, Farben, Effekte und Details. Sie können ein ganzes Szenario mit der gleichen Präzision entwerfen, mit der sie sich jedem einzelnen Aspekt einer Augenbraue widmen. Sie sind Meister des Entwurfs, Künstler in der Umsetzung und Götter der Technik dahinter. Könnte ihnen jetzt bitte endlich mal jemand zeigen, wie man Spielen eine Seele einhaucht?

Die Details der Spielwelten sind atemberaubend.

Es ist der Unterschied zwischen einem Michelangelo und einem Meister-Steinmetz. Letzterer kann eine herausragende Statue produzieren, die in jedem anatomischen Detail akkurat ist und an der niemand etwas auszusetzen hat. Sie wird eine schöne Dekoration für ein neues Haus abgeben, man bemerkt anerkennend und auch bewundernd, mit welch edlen Dingen der Hausherr sich umgibt und wird seinen Geschmack preisen. Der andere stellt David in die Weltgeschichte und Menschen werden dieses Kunstwerk auch in Hunderten von Jahren noch in den wichtigsten Museen bewundern. Es wird andere inspirieren und ein Teil des kulturellen Erbes der Welt werden.

Zeigt, wofür ihr 500 Euro ausgegeben habt.

Damit dürfte ich deutlich gemacht haben, wo Ryse: Son of Rome bei mir steht. Ich habe nichts als Bewunderung für dieses Spiel übrig, solange es um die Technik geht. Meine Güte, sieht das Ding fantastisch aus. Weit besser als es die im Nachhinein meiner Meinung nach ungeschickt gewählten Trailer und Demo-Ausschnitte gezeigt haben. Es ist ein römischer Road-Movie bis hoch nach Britannia mit jeder Menge Klischees und allen Extras. Von den wilden Stämmen des Nordens bis in die Arena des römischen Kolosseums hat hier eindeutig jemand mehr als einmal Gladiator geguckt und sah es als seine Bestimmung, der legendären Überhöhung des Stoffes gerecht zu werden. Mit Erfolg, durch solch plastische, greifbare Kulissen, die ein gutes Gefühl für die das Gewicht realer Umgebungen vermitteln, seid ihr noch nicht gelaufen. Es wirkt nicht mehr wie die Polygon-Attrappen der letzten Generation. Durch einen geschickten Einsatz von Farben, Texturen, Bewegungen und Effekten erschafft Crytek überlebensgroße und -echte Welten, die zumindest jetzt noch ihresgleichen suchen.

Ihr kämpft selten gegen nur einen Feind.

Die Handelnden in diesem Stück tragen ihren Teil dazu bei. Die Animationen wirken geschauspielert, aber auf eine gute Art. Man schaute sich an, wie sich jemand in einer Rüstung bewegen würde, mit einem Schild oder in der Fellkluft der Nordländer. Es gibt leider noch nicht die Masse an Individualität, schließlich würden 500 Leute sich mit 500 winzigen Unterschieden bewegen. Das fehlt noch, aber der Rest ist da. Es geht sogar so weit, dass die wichtigsten Darsteller eben genau diese Eigenheiten mitbringen und ihre Persönlichkeiten in solchen Details ausdrücken.

Dass sie das tun, ist auch ein echter Gewinn für sie, denn ich kann jetzt nicht behaupten, dass sie sonst viel davon hätten. Gut und Böse sind hier sehr klar sortiert, es gibt keinen einzigen Charakter im Zwiespalt. Für Rom und die Ehre auf der einen Seite, für mich und mein Vergnügen auf der anderen. Die dritte Seite ist dann „Romanes eunt domus", ups, ich meine natürlich „Romani, ite domum", bringt es sonst aber auch nur auf das Minimum der aus der Nebenrolle entstehenden Notwendigkeiten. Die eigentliche Handlung schließt sich dem an. Es macht Spaß, ihr zu folgen, da immer etwas passiert. Damit ist das Niveau eines soliden Actionfilms erreicht und auch der letzte, eigentliche Twist gefällt mir ausgesprochen gut. Er rückt das Geschehen noch mal ein wenig in ein stimmigeres Licht und sorgt dafür, dass ihr trotz nie zu hoher Substanzdichte das Spiel im Großen und Ganzen zufrieden verlassen werdet. Selbst wenn ihr euch bis zum Schluss wundern werdet, dass einige Römer britischer klingen als die Briten.

Kämpfen ist einfach zu einfach.

Kommen wir zum Spiel und den im Vorfeld heiß diskutierten Quick-Time-Events. Scheinbar hat man sich das System noch mal angeschaut und zu einem gewissen Grad angepasst. Die Grundidee ist ein Hack 'n' Slash wie God of War, nur dass es keine Kombos im eigentlichen Sinne gibt. Die vier Grundbewegungen sind ein Schwertangriff, eine Stoßattacke, in der Regel mit dem Schild ausgeführt, ein Schild-Konter und eine Rolle in eine beliebige Richtung. Diese werden jetzt nicht als Kombo verbunden, um Schlagserien auszuführen. Stattdessen stehen die Konter klar im Vordergrund, weil ihr es meistens mit drei oder mehr - bis zu zehn - Gegnern zu tun habt. Wildes Buttonmashing bringt euch dabei nicht weiter, am besten ist es, einen Angriff abzuwarten, zu kontern und dann nachzusetzen. Die anderen Gegner nutzen diesen Moment gerne aus, also geht so eine Attacke meist schnell in weitere Konter über.

Es ist absolut faszinierend, wie gut das System optisch funktioniert. Es wirkt nur bedingt wie die vorgezeichneten Bewegungen, die es sind. Diese jedoch werden so geschickt an die gegebenen Positionen und Entfernungen angepasst, dass es immer zu einer korrekten Bewegung, angemessenem Kontakt zwischen den beiden Kämpfern sowie ihren Waffen und Schilden kommt. Egal, wie der Angriff ausgeführt wird. Kein Clipping, kein in der Luft fuchteln, es ist absolut fantastisch.

Die wilden Stämme wussten, dass eine gute Show alles ist.

Da das allein etwas zu simpel wäre, beginnen die Gegner im Laufe des Spiels, ihre Taktiken zu verändern. Schildgegner müssen erst gekontert, dann geschubst und schließlich attackiert werden. Kämpfer mit zwei Schwertern brauchen drei Konter in schneller Folge, bevor ihr eure Chance bekommt. Bei Gegnern, die sich auf starke Angriffe verlassen, müsst ihr sehen, dass ihr wegrollt. Die finalen Feinde kombinieren all das und so müsst ihr für jede Attacke bereit sein. Es ist ein geschicktes, wenn auch sehr simpel gestricktes Papier-Schere-Stein-System, das den Vorteil hat, dass ihr keine Kombos lernen müsst und den Nachteil, dass es innerhalb von zwei Minuten vollständig durchschaubar ist. Bis zu einem gewissen Grad gleicht die Schönheit der Animationen dieses Manko aus, auch das Tempo der Kämpfe und die Masse der Gegner hält es für ein Weilchen am Laufen, aber für ein Spiel über einen Zeitraum von sieben bis neun Stunden ist das zu wenig Substanz. So leid es mir wirklich tut, denn diese Schönheit in Bewegung hätte Besseres verdient, es reicht einfach nicht.

Click and win!

Daran ändern auch die Finisher herzlich wenig. Habt ihr einen Feind so weit bearbeitet, dass über ihm ein kleines Totenkopf-Symbol erscheint, geht es in den Finisher-Modus, der aus den Demos als das „Quick-Time-Event" bekannt ist. Statt die Buttons einzublenden, entschied man sich für eine geschicktere und dezentere Version, indem nun die Umrisse des Gegners leicht, aber gut erkennbar, in der Farbe des entsprechenden Buttons aufleuchten. Da es nur zwei Farben gibt, ist das jetzt nicht sonderlich komplex. Noch seltsamer ist jedoch, dass ihr dieses Event nicht verlieren könnt. Nie. Nicht mal auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad. Sobald ihr in den Finisher geht, wird er immer ausgeführt, selbst wenn ihr gar keinen Knopf drückten solltet.

Zumindest sind einige der Staffagen in den sonst eher belanglosen Arena-Kämpfen hübsch anzuschauen.

Der einzige Unterschied dann ist, dass ihr weniger „Auflade"-Punkte bekommt. Mit dem Steuerkreuz wählt ihr aus, ob ein ausgeführter Finisher eure Lebensenergie oder euren Fokus - ein Zeitlupen-Modus für freie Attacken - aufladen soll, ob ihr ein paar Erfahrungspunkte extra bekommt oder in der Folge härter zuschlagt. Ein legendär ausgeführter Finisher bringt viele Punkte, ein schlampiger weniger, so simpel ist das. Wiederum, es ist beeindruckend, wie die definierten Abläufe dieser Todestänze auf die ja teilweise sehr unterschiedlichen Positionen der Feinde angewendet werden, sodass es nie unnatürlich wirkt - und Blut, Gehirn, Massaker ist es wie auch der Rest des Spiels eh -, aber spielerisch kann man das nur als Nullnummer bezeichnen.

Das Auswählen, welchen Bonus man jetzt braucht, ist dagegen ein positives strategisches Element. Brauche ich jetzt dringend Heilung oder versuche ich doch lieber noch ein wenig, den Fokus aufzuladen, um den Kampf schnell zu beenden? Versuche ich durch die stärkere Angriffskraft eine Kette aufzubauen, um der Masse Herr zu werden oder gehe ich es doch lieber ruhig, sicher und mit Heilung an? Das ist nicht sonderlich komplex, inmitten der gerade in der zweiten Hälfte ganz schön knackig werdenden Kämpfe ist es die kleine Ebene Extra, die das Spiel vor dem gänzlichen Versacken in die spielerische Bedeutungslosigkeit bewahrt.

Zumindest die Bosse können was.

Die Abfolge der Kämpfe wird durch diverse Dinge aufgelockert. In den Schlachten kommt es immer wieder vor, dass ihr euch die römische Schildkröte zu nutzen macht. Die Legionäre stehen dicht an dicht und schützen sich mit den Schilden nach vorn und oben, um Pfeile abzuwehren. Ihr müsst dann das Vorlaufen, Decken und Speerwerfen richtig timen, um die Bogenschützen zu erreichen. Ist ungefähr so komplex, wie es klingt. Ein paar Shooter-Einlagen an Ballisten dürfen auch nicht fehlen und alle paar Kämpfe dürft ihr auch so mal durch die Kulissen wandern, um ein paar Sammelobjekte zu erheischen und die generelle Schönheit des Spiel bewundern. Der letzte Punkt ist dann auch der spielerisch einzig relevante: die Bosskämpfe. Diese führen zwar keine neuen Mechaniken ein, aber kombinieren die vorhandenen sehr geschickt, um euch zum einen überlegen zu lassen, was die richtige Taktik sein könnte, und bringen euch zum anderen ins Schwitzen. Denn die Gegner schlagen schnell und hart zu. Spätestens auf den beiden oberen Härtegraden wisst ihr nach so einem Kampf, was ihr getan habt, und es sind mit Leichtigkeit die Höhepunkte, die es sein sollten.

Grob 70 oder 80 Finisher erfreuen das Splatter-Herz.

Nach dem Abspann werdet ihr euch wahrscheinlich noch einer Runde dem Multiplayer hingeben und feststellen, dass es wenig mehr als noch mehr vom Gleichen ist, nur halt gegen eine Horde von KI-Gladiatoren und -Barbaren in einer Arena voller Fallen. Einen direkten Vs-Modus gibt es nicht, dafür die Arena-Geschichte noch mal solo als Übung. Das ist schwerlich großes Kino, da die bescheidenen Mechaniken nun ohne die Schönheit und das erzählerisch hohe Tempo der Story auskommen müssen. Viel bleibt dann nicht und das zeigen diese Modi eindrucksvoll. Spaß für eine halbe Stunde, dann geht es zurück in das wirklich wunderschöne Hauptmenü, wo ihr feststellen werdet, dass ihr höchstens als Achievement-Sammler sofort noch mal eine weitere Runde starten werdet.

Bei dieser einen ersten Runde - das gilt sowohl in Bezug auf das erste Durchspielen als auch auf Ryse als Grafikmonster insgesamt - müsste ich aber lügen, würde ich sagen, dass ich nicht ziemlich viel Spaß hatte. Woher dieser kam, muss jedoch bedacht werden, wenn ihr überlegt, ob dieses Spiel etwas für euch sein könne. Ganz sicher ist Ryse der Titel schlechthin, um die grafischen Fertigkeiten der Xbox One anzupreisen und es erstaunt mich, dass scheinbar in einem interessanten Akt der Selbst-Sabotage die noch am wenigsten beeindruckenden Stages für die bisherigen Demonstrationen ausgewählt wurden. Dieses Spiel sieht absolut fantastisch aus, sowohl in der schieren Grafik- und Effekt-Pracht, als auch in dem Design seiner Welt. Wow, schlicht wow!

Was ich allerdings noch aufregender finde, ist die Vorstellung, dass es schon bald Titel geben wird, die nicht nur so aussehen, sondern auch ein Spielprinzip haben, dessen Tiefgang deutlich mehr zu bieten hat, als den Pfützenlevel von Ryse. Das, was da ist, macht Laune. Der Kampf hat Wucht, die Animation gehen ungekannt flüssig ineinander über, aber es ist schlicht zu wenig Substanz in den Mechaniken. Ein Hack 'n' Slash, das keine Kombos kennt? Dessen Finisher immer funktionieren? Das verliert schnell an Reiz, und das auch bevor dieses mit seinen acht bis neun Stunden nicht übertrieben lange Spiel durch ist. Ryse lebt aktuell gut von seiner brillanten Technik und rettet sich mit einem immer noch soliden Spielablauf über die Zeit. Es ist tadelloses Handwerk. Aber es ist meilenweit davon entfernt ein Kunstwerk zu sein.

7 / 10

In unserer Test-Philosophie findest du mehr darüber, wie wir testen.

In diesem artikel

Ryse: Son of Rome

Xbox One, PC

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Martin Woger

Chefredakteur

Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.

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