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The Callisto Protocol – Spieleregisseur Glen Schofield redet Klartext im Interview: „Es geht um Qualität.“

Die Galaxy Rangers, Call of Duty und fiese Todesanimationen.

Es ist schon eine Weile her, dass ich mich mit Glen Schofield unterhalten habe, der nicht nur für Dead Space, sondern auch das am Freitag erscheinende The Callisto Protocol verantwortlich zeichnet – als kreativer Kopf beziehungsweise Director, also Regisseur, wie das heute auch bei Videospielen heißt. Obwohl die Zeit in einem regulären Interview-Slot dabei immer stark begrenzt ist, haben wir eine ganze Reihe an Themen angerissen.

Wusstet ihr zum Beispiel, dass Schofield vor seiner Karriere als Spielemacher unter anderem die Galaxy Rangers gezeichnet hat? Wir haben außerdem über sein neues Studio Striking Distance gesprochen, was ihn die Arbeit daran und an The Callisto Protocol gekostet hat, und warum er eigentlich den klassischen Schulterblick gegenüber der Egoperspektive bevorzugt.

Ich habe mich aber vor allem gefragt, was ihn als Kreativkopf auszeichnet. Und auch wenn er damit sicherlich nicht alleine dasteht, so könnte es unter anderem ein Auge für Details sein, auf die er großen Wert legt. Immerhin stecken er und sein Team viel Arbeit in Kleinigkeiten, die im fertigen Spiel oft nur wenige Minuten zu sehen sind. Wenn überhaupt! Denn tatsächlich soll es ausgerechnet in dem Horror-Abenteuer sogar gruselige Momente, die man übersehen kann.

Ob Schofield mit Callisto Protocol an den Erfolg anschließen kann, den er mit Dead Space hatte?

So gab es schon in Dead Space eine Kreatur, die man nur wenige Male überhaupt zu Gesicht bekam, die aus technischen Gründen aber sehr aufwändig zu integrieren war: das Tentakel, das Isaac an den Beinen packt und durch die Gänge der Ishimura zerrt. Und auch in The Callisto Protocol soll man Kreaturen begegnen, die nicht zu den regulären Gegnern gehören, denen die Entwickler bei Striking Distance aber viel Zeit widmen.

So wird es beispielsweise einen Feind geben, der sich erst von der Wand abschält, bevor er die Spur des hiesigen Protagonisten Jacob Lee aufnimmt. Schon vorher verfolgt er ihn dabei ganz genau – nur nicht mit seinen Augen, wie es zunächst scheint, sondern mit seinen Ohren. Denn er ist zwar blind, kann aber verdammt gut hören, was natürlich einen besonders... leisen Umgang verlangt. Dieser Gegnertyp wurde jedenfalls nur für einen einzigen Level erschaffen.

Ein weiteres Detail, in das Striking Distance viel Arbeit investierte, sind Kreaturen, die sich unsichtbar machen, um Jacob heimlich zu umlaufen. Die verschwinden nämlich nicht einfach. Vielmehr sind es Chamäleons, die sich ihrer Umgebung anpassen, was aus technischer Sicht nicht ohne weiteres zu bewerkstelligen sei. Dabei waren es hier die dafür verantwortlichen Entwickler, die ihren Chef um einen Monat mehr Zeit baten, als Schofield selbst irgendwann meinte: „Macht sie doch einfach unsichtbar“, bevor er hinzufügt: „Ich bin froh, dass wir uns die Zeit genommen haben“.

In der Rolle von Jacob Lee soll man nicht nur spannenden Grusel, sondern auch eine interessante Geschichte erleben.

„Spielberg hat mich auf diese Idee gebracht. Es gibt eine Szene in Krieg der Welten, in der ein brennender Zug vorbeifährt. Die hat nichts mit der Handlung zu tun. Aber als ich sie gesehen habe, dachte ich mir: ‚So sieht Hoffnungslosigkeit aus.‘ Und ich liebe es, dass er Geld für eine Szene ausgegeben hat, die vielleicht zehn Sekunden lang zu sehen ist, die aber etwas in mir bewegt.“

Was man auf einem Dachboden lernen kann

Vielleicht hat es ja mit seiner Vergangenheit als Maler und Cartoonist zu tun, dass er Kleinigkeiten zu schätzen weiß, für die man genau hinschauen muss. Immerhin hat Schofield vor seiner Karriere als Spielemacher und Studioleiter Karikaturen gezeichnet und sich auch das Malen beigebracht. Schon als Kind zeichnete er Ararat, Gaddafi und andere, worüber seine Umwelt nur staunen konnte: „Du bist elf! Woher weißt du überhaupt, wer das ist?“

Schaut euch seine Werke ruhig mal an... ach, stimmt: Das habt ihr ja wahrscheinlich längst getan. Zumindest dann, falls ihr früher die Cartoon-Serie Galaxy Rangers geschaut habe, für die Schofield etliche Charaktere sowie Storyboards gezeichnet und später auch Regie geführt hat. Ich habe nicht schlecht gestaunt, als ich bei der Recherche im Vorfeld des Interviews darauf stieß und tatsächlich meint er, dass die Serie gerade in Europa erfolgreich war.

Grausige Kreaturen: Manchmal sind es die scheinbar unscheinbaren Details, die die Gegner erst interessant machen, deren Entwicklung aber auch viel Zeit kostet.

Auf jeden Fall lernte er damals schon, mit Mitte 20, in provisorisch eingerichteten Büros über den Restaurants in Chinatown, wie man Kameras platziert und 70 weitere Zeichner anleitet. Einen „riesigen, hässlichen Dachboden“ nennt er seinen damaligen Arbeitsplatz amüsiert, auf dem es nicht einmal Toiletten gab, bis notdürftige Wände eingezogen wurden – und wo er gemeinsam mit „einigen von New Yorks besten Künstlern“ viel mehr gelernt hat, als ihm ein College in derselben Zeit hätte beibringen können.

Sein beruflicher Weg führte ihn schließlich zu den Videospielen, aber in all den Jahren hat Schofield immer weiter gezeichnet, die Karikaturen irgendwann sogar beidhändig. Doch dann trifft ihn während der Produktion von The Callisto Protocol etwas, das er vorher nur vom Hörensagen kannte. „Weißt du, mein ganzes Leben habe ich gelesen, dass Künstler Künstlerblockaden bekommen“, fängt er an und winkt betont lässig ab, um zu sagen, dass das für ihn nie ein Thema war. Anschließend fügt er reumütig hinzu: „Jetzt versteh‘ ich’s.“

Neues Studio, neuer Stress

„Ich weiß nicht, warum“, bedauert er im Interview diesen Zustand und fügt hinzu, dass es vermutlich an dem Druck liegt, der auf seinen Schultern lastet. Immerhin sei es das erste Mal, dass er nicht nur die Entwicklung eines Spiels leitet, sondern auch ein Studio managt. Für Letzteres sei bei Sledgehammer Games sein Partner verantwortlich gewesen: Michael Condrey, mit dem er bei Visceral schon Dead Space entwarf. Jetzt müsse Schofield gleichzeitig Regisseur und Geschäftsführer sein.

Als Schofield das geplante The Callisto Protocol seiner neuen Mutterfirma Krafton vorstellte, einigte man sich übrigens darauf, dass es in der Zukunft des PUBG-Universums spielen würde. Im Verlauf der Entwicklung entfernten sich Handlung und Spieldesign aber so weit davon, dass es inzwischen auf eigenen Füßen steht.

„Es gibt so viel zu tun und das meiste davon dreht sich um die Menschen. Das beansprucht 80 Prozent deines Tuns. Und dann kommen wichtige Entscheidungen: bei der Zusammenarbeit mit Krafton (das südkoreanische Unternehmen, zu dem Striking Distance gehört; Anm. d. Red.), beim Budget – die Budgets sind gigantisch heutzutage. Dann kam Covid. Dann die Große Resignation (eine Kündigungswelle, bei der Viele ohne dringenden Grund ihren Arbeitsplatz aufgaben; Anm. d. Red.). Ich konnte einfach nichts anderes mehr machen. Ich musste ausschließlich an das Spiel denken.“ So ging die Inspiration zum Zeichnen vermutlich verloren.

Doch warum hatte er sein eigenes Studio Sledgehammer Games eigentlich verlassen, um Striking Distance aufzumachen? Dafür gab es wohl verschiedene Gründe. Zum einen sei der Arbeitsweg irgendwann zu lang geworden. Anderthalb Stunden pro Strecke sind bei langen Arbeitstagen nun mal kein Zuckerschlecken. Außerdem wollte er nach drei Teilen Call of Duty etwas Anderes machen.

Ihn reizte es aber auch, im Alleingang ein Unternehmen zu gründen. Wobei er zunächst Sorge um den Standort hatte, der sich nicht im Silicon Valley, sondern etwas abseits davon im kalifornischen East Bay befindet. Immerhin würden einige seiner Angestellten dadurch einen langen Arbeitsweg haben oder umziehen müssen – was Viele allerdings gerne getan hätten, auch wegen der guten Schulen und günstigeren Grundstückspreise. Striking Distance habe selbst zu Corona-Zeiten noch eingestellt und würde ständig Anrufe von Interessierten erhalten.

Während man übrigens auf geradem Weg vorankommt, soll man auf vielen Abzweigungen - der Director nennt sie Beta Paths - einen glaubwürden und sehr detaillierten Schauplatz kennenlernen.

Schofields Erfahrung nach sollte das sogar zunehmen, wenn das Spiel veröffentlicht ist – falls man ihm ansieht, dass es sich um einen hochwertigen Titel handelt. Und so ist sicher auch das ein Grund dafür, dass ihm scheinbar unscheinbare Kleinigkeiten so wichtig sind, und warum er so großen Wert darauf legt, dass The Callisto Protocol möglichst bugfrei herauskommt. Das hatte er gleich zu Beginn des Gesprächs erwähnt.

Ein Werkzeug, mit dem er diese hohe Qualität sicherstellen will, ist das Motion- beziehungsweise Performance-Capture-Studio, mit dessen Hilfe er und sein Team Animationen erstellen. Interessanterweise sind sie damit neben Lucasfilm die einzigen in ihrer Umgebung, die diesen Luxus genießen, und ich frage deshalb, ob sie das Studio auch vermieten: „Nope. Wir benutzen es täglich! Hätte nie gedacht, dass das der Fall sein würde.“

Denn wo es früher Wochen dauerte, einen Termin zu machen, der dann so vollgestopft war, dass für mögliche zusätzliche Arbeiten keine Zeit mehr war, könne man jetzt von einem Tag auf den nächsten eine neue Animation erstellen. „Es geht um Qualität“, sagt Schofield zu diesem nicht ganz so kleinen Detail seines neuen Arbeitsumfelds.

„Ich will sehen, wie meine Figur stirbt“

Unter diesen Bedingungen dürfte es nicht schwer gewesen sein, ein paar zusätzliche Animationen in den Season Pass zu packen – ein Thema, das gerade die Runde macht. Von dem war zur Zeit des Interviews aber noch keine Rede, von daher ist das Folgende nur Spekulation. Schon damals sagte der federführende Entwickler jedoch, dass vielen Spielern die Todesanimationen in Dead Space sehr gefallen hätten und er das aus diesem Grund weiterführen wollte. Womöglich gibt es deshalb also die aktuellen Downloadinhalte.

Laut Schofield mochten viele Spieler die Todesanimationen in Dead Space. Deshalb soll auch The Callisto Protocol in dieser Hinsicht überzeugen.

Und das passt schließlich auch zu seiner Antwort auf die Frage, warum er den Horror per klassischem Schulterblick eigentlich dem Grusel aus der Egoperspektive vorzieht: „Ich will sehen, wie sich meine Figur erschreckt. Ich will sehen, wie meine Figur reagiert. Ich will sehen, wie meine Figur stirbt. Je mehr ich meine Figur sehe, desto stärker fühle ich mich ihr verbunden.“ Immerhin würde der Horror-Trip dadurch noch intensiver werden.

Ich bin mir sicher, diese Vorliebe für das Ansehen des Alter Ego hat auch damit zu tun, dass Glen Schofield eben nicht nur Spieleregisseur, sondern in erster Instanz Grafiker beziehungsweise Maler ist, der das Visuelle in den Vordergrund stellt. Und der nach dem Erscheinen des ersten Spiels seines komplett eigenen Studios hoffentlich die Inspiration zum Erschaffen der Karikaturen und Gemälde zurückerlangt, die ihn seit seiner frühen Kindheit angetrieben hat.

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