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Warum Great Ace Attorney Chronicles nicht besser ist als Phoenix Wright

The Great Ace Attorney Chronicles wurde auf Englisch für PC, Switch und Playstation neu aufgelegt. Unser Ersteindruck ist sehr positiv - mit ein paar kleinen Einsprüchen.

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Ich habe vorher schon keinen Hehl daraus gemacht, wie sehr ich mich auf die Neuauflage der Great Ace Attorney Chronicles bei uns in Europa gefreut habe. Jetzt war es endlich so weit und ich durfte die ersten Fälle in meinem perfekten Sommerspiel lösen. Doch offenbar bin ich mit zu hohen Erwartungen an das Spiel herangegangen - vielleicht hätte ich ja Phoenix Wright und seine Zeitgenossen nicht direkt davor spielen sollen?

Dafür habe ich aber auch den direkten Vergleich und muss sagen: In den ersten Kapiteln macht The Great Ace Attorney Chronicles bereits extrem viel richtig und nutzt die visuellen und technischen Mittel einer Visual Novel fast perfekt - ganz an das Phoenix-Gefühl reichen die neuen Adventures aber nicht heran. Aber erst einmal Ruhe im Gerichtssaal: Hier kommen meine ersten Eindrücke zu einer bezaubernd bunten Steampunk-Story mit ein paar klitzekleinen Einsprüchen.

Die Geschichte führt Ryunosuke und Susato frisch nach London

Willkommen in England, Mr. Naruhodo!

Zuerst das Eröffnungsplädoyer: In den Ace Attorney Chronicles geht es natürlich wieder um hitzige Kämpfe vor Gericht, diesmal aber in einer fiktiven Version des 19. Jahrhunderts mit einem ordentlichen Klecks Steampunk. Darin begleitet ihr den japanischen Studenten Ryunosuke Naruhodo auf seinem Weg zum Top-Anwalt. Der junge Japaner begibt sich nämlich auf eine weite Reise in die Metropole London und muss sich dort vor Gericht beweisen.

Natürlich fängt er klein an, wird ins kalte Wasser geworfen und muss sich selbst vor Gericht verteidigen - natürlich noch etwas tapsig und unbeholfen, damit man schon am Anfang so richtig mit ihm und seinem Werdegang mitfiebert. Hinzu kommen natürlich die üblichen schicksalhaften Begegnungen: Der gutherzige Mentor, der unheimliche Staatsanwalt, die verschlagene Verbrecherin, der geheimnisvolle Kommissar und und und.

Die beiden wichtigsten Wegbegleiter von Ryunosuke sind aber wohl die rechtschaffene und belesene Assistentin Susato Mikotoba und der exzentrische Meisterdetektiv Sher... äääh Herlock Sholmes (wie ich schon bei meinem ersten Hype-Artikel zu den Chronicles dank der Kommentare gelernt habe, ist das wohl ein bekannter Scherzname für den berühmten englischen Ermittler, danke dafür!).

Der kauzige Kerl mit der Steampunk-Brille ist der berühmte Herlock Sholmes

Den erlebt man in Ace Attorney aber nicht ganz, wie man den englischen Meisterdetektiv Sherlock kennt, sondern eher eine charmante Parodie: Auf dem Papier ein genialer Ermittler, den die ganze Welt kennt, in echt aber eher ein ziemlicher Querkopf mit schrägen Schlussfolgerungen. Ich will nicht lügen, der Quatschkopf kann einem ordentlich den Nerv rauben, sorgt aber auch für einige Lacher und ein spannendes neues Gameplay-Element: Ryunosuke muss immer wieder die falschen Überlegungen des Detektivs nachträglich korrigieren, um zum richtigen Schluss zu kommen - keine schlechte neue Idee!

Eine Visual Novel in Perfektion...

Da wir schon bei den Figuren sind: Dem Charakterdesign könnte man nur ein Verbrechen vorwerfen: pure Dekadenz und das ist gut so! Bei den typisch verrückten Charakteren, die man sich bei Ace Attorney wünscht, übertrifft sich Capcom nämlich beinahe selbst. Jedes Kostüm ist voller liebevoller, lustiger, üppiger Details. Da kann es schon einmal vorkommen, dass eine Dame einen riesigen Schwan auf ihrem Hut trägt, der sogar wütend mit den Flügeln schlägt, wenn die Lady sich ärgert.

Das ist auch schon das nächste Stichwort in meiner kleinen Beweiskette: Die Animationen! Im Vergleich zur Phoenix-Wright-Trilogie, die eher auf ein paar wenige, dafür besonders ikonische Bewegungen der Figuren setze, gibt es jetzt nahezu ein Animationsfeuerwerk, Kamerafahrten und Licht-Effekte inklusive. Das macht alles deutlich dynamischer und sieht richtig gut aus, obwohl die Entwickler es auch hier und da vielleicht ein wenig übertreiben. Ein Phoenix braucht auch nicht tausend rasante Bewegungen, um eine spannende Geschichte zu erzählen. Man könnte allerdings sagen: Das tut in dem Fall nichts zur Sache! Eine optische Wohltat sind die Chronicles trotzdem.

Die Schauplätze sind ähnlich detailreich und üppig wie ihre Figuren

Diese Animationen werden von einem Soundtrack untermalt, der seinesgleichen sucht. Dramatische Gänsehaut-Geigen und beschwingtes Geklimper reißen einen so richtig in das Steampunk-Zeitalter der Chronicles hinein. Die Playlist zum Spiel gibt es zum Beispiel auf Spotify - vertraut mir, sie ist richtig gut!

Das ist also alles ausgezeichnet gemacht, aber warum ist die Visual Novel damit nicht automatisch das beste Ace Attorney aller Zeiten? Auch dafür kann ich Beweise vorlegen, euer Ehren!

...leider mit ein paar Längen!

Die Technik, die Animationen, die Charaktere, die Kostüme, die Szenerien, all das ändert leider nichts an einem kleinen, aber markanten Indiz dafür, warum die alten Teile trotzdem meine Lieblinge bleiben werden. Das Stichwort lautet: Timing!

Während ich bei Phoenix fast jeden Dialog mit Begeisterung gelesen habe, ertappe ich mich bei den Chronicles plötzlich dabei, dass ich immer wieder Passagen überspringe. Die Texte sind einfach nicht ganz so auf dem Punkt wie in den früheren Spielen. Immer wieder hat man den Eindruck, es wird um den heißen Brei herumgeredet und das ist mal ganz witzig, aber wenn es dauernd vorkommt, wird es anstrengend.

Das ist besonders fies, wenn man längst weiß, worauf die nächste Schlussfolgerung abzielt, die Figuren aber lieber noch 10 Minuten darüber schwadronieren. Wenn es ganz fies kommt, wird die Lösung dann noch von einem anderen Charakter ausgeplaudert und man darf sie nicht einmal selbst präsentieren. Dadurch fühlt man sich manchmal sehr der Handlung ausgeliefert, statt sie selbst zu steuern.

In die berühmte englische Hauptstadt kommt der Protagonist überhaupt erst im dritten Kapitel!

Stattdessen gibt es zwischen den Zeugenaussagen oft richtig lange Story-Blöcke, Gerede, Drama und einen Höhepunkt nach dem anderen. Schon in den ersten Prozessminuten steht man mehrfach kurz vor der Niederlage und kann sie gerade noch abwenden. Das wäre ja durchaus spannend, aber nicht, wenn es 100 Mal passiert.

Dadurch sitzt man manchmal ungeduldig vor dem Gerät (in meinem Fall der Switch, auf der kommt das Spiel mit Touch-Funktion richtig gut!) und wartet auf das nächste Kreuzverhör für das echte Ace-Attorney-Gefühl. Dieses fehlt besonders in der zweiten Episode, denn diese ist eine reine Detektiv-Story und hat nichts mit Gerichtskämpfen zu tun, die ich darin schmerzlich vermisst habe.

Auf ein gelungenes Abenteuer!

Ein kleines Abschlussplädoyer: Gameplay, Animationen und Musik nutzt The Great Ace Attorney Chronicles fast virtuos - nur das Timing in den Dialogen und die Spannungsbögen sind manchmal aus dem Takt. Die Ace Attorney Chronicles wirken bisher also in vielen Punkten wie eine ausgezeichnete Visual Novel, aber im Vergleich vielleicht nicht wie ein perfektes Ace Attorney. Auf den Rest des Abenteuers und weitere aufregende Gerichtsschlachten freue ich mich trotzdem sehr - darauf ein "Prost" mit dem schicken Anwaltskelch!

The Great Ace Attorney Chronicles gibt es jetzt als Neuauflage für den PC, Nintendo Switch und Playstation.

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