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Astronaut sucht die Sprache der Videospiele

Adrian Chmielarz darüber, wo aktuelle Spiele versagen, und warum Ethan Carter keine Zukunft hat.

The Astronauts' Adrian Chmielarz ist einer der interessantesten Typen der Branche. Als er vor einigen Jahren noch bei People Can Fly für Electronic Arts den derben Shooter Bulletstorm entwickelte, nahm die Welt schnell Notiz von ihm: als kreativer Hansdampf, der kein Blatt vor den Mund nahm. Nun, ein paar Jahre später, macht sich der Pole mit The Vanishing of Ethan Carter als Schöpfer ruhiger und stellenweise ausnehmend schöner Abenteuer von sich reden. Der durchaus auf die gute Art polarisierende Titel schien eine gewaltige Kehrtwende und ich war sehr überrascht, als mir Chmielarz im Gespräch in London verriet, dass er ursprünglich aus der Point-and-Click-Ecke kommt und Bulletstorm der eigentliche Ausreißer seines Schaffens war.

Doch das ist nun Vergangenheit, Bulletstorm und Ethan Carter sind, was sie sind, und sobald Letzteres auf Unreal Engine 4 auf der PlayStation 4 und später auf dem PC aufschlägt, werden sich die Astronauten auf die Suche nach dem perfekten Spiel machen. Es ist eindeutig, dass Chmielarz sein "Baby" liebt, trotzdem sind weitere Spiele nach Art Ethan Carters für ihn kein zukunftsfähiges Modell, obwohl man natürlich über Konvertierungen auf weitere Plattformen nachdenke, damit der Titel weiter Geld in die Kassen des jungen Studios spült. Tatsächlich hat Chmielarz eine eigene Auffassung davon, wie sich die Spiele seit 30 Jahren selbst limitieren: Sie leihen sich gewissermaßen die Stilmittel anderer Medien, anstatt sich auf ihre eigene Sprache zu verlassen. Hier will er in Zukunft ansetzen.

Ethan Carter hat sich binnen 6 Monaten 230.000 Mal verkauft und wird nach der PS4 vermutlich auch noch weitere Plattformen erreichen. Ein Strickmuster für die Zukunft sieht Chmielarz in dem Titel trotzdem nicht.

"Wenn Leute im Zusammenhang mit traditionellen Spielen von Gefühlen sprechen, meinen sie eigentlich Zwischensequenzen. Aerith starb in einer Zwischensequenz", so der charismatische Hüne auf Sonys PSN Digital Games Showcase in London vergangene Woche. "Was können wir also tun, um Emotionen durch das Gameplay zu erzeugen? Ich denke, es steckt ein großer Wert darin, etwas zu erschaffen, das in seiner eigenen Sprache spricht. Es gibt da einen Comic, den ich lese [Titel nicht zu verstehen], der als Film, Buch oder Videospiel nicht funktionieren würde. Er spricht die Sprache der Graphic Novels. Meine Idee für die Zukunft ist, ein Spiel zu machen, das tiefere Emotionen hervorruft, aber als Buch oder Film nicht funktionieren würde."

Er macht allerdings keinen Hehl daraus, dass dahinter nicht allein das Interesse an der Verfeinerung dieses Mediums steckt, sondern auch ein gewisser Handlungsbedarf angesichts einer großen Umwälzung unserer Zeit: "Als Spieleschaffender kämpfe ich auch gegen das Youtube-Zeitalter an. Wenn Gamer sich ein Youtube-Video eines Spiels anschauen, sagen sie sich entweder 'Ich liebe es, mir das hier anzuschauen' oder 'was würde ich in dieser Spielsituation tun?' Wenn sie zur ersten Kategorie gehören, hast du unter Umständen ein Spiel weniger verkauft. Ich meine, sie haben es gesehen und denken sich 'danke, das war sehr nett'. Aber wenn sie denken 'was würde ich tun?', bedeutet das vermutlich, dass sie es noch kaufen werden, weil sie aufregend fanden, was sie sahen, und es auch erleben wollten."

Hier sei die den Videospielen eigene Sprache der Interaktivität ein wichtiger, aber häufig zu wenig genutzter Faktor. "Wenn wir uns darauf besinnen, ausschließlich die Sprache der Videospiele zu verwenden, nehme ich mich auch des Youtube-Problems an, des Problems der Linearität und so weiter. Natürlich glaube ich, dass Videospiele ein sehr potentes Medium sind, eine Geschichte zu erzählen. Aber ich will die Sprache der Videospiele weiterentwickeln, anstatt die Werkzeuge zu nutzen, auf die wir uns in der Vergangenheit verließen, wie etwa Zwischensequenzen. Oder eben das Stilmittel, den Spieler in eine Welt zu werfen, in der man stets nur in die Vergangenheit blickt", sagt er gleichzeitig ein bisschen amüsiert und frustriert, und meint damit nicht nur Dear Esther, Everybody's Gone to the Rapture oder Gone Home, sondern auch sein eigenes Spiel, The Vanishing of Ethan Carter.

'In Dear Esther steckt etwas von großem Wert, nur war es für mich leider sehr langweilig zu spielen, so wichtig dieses Spiel auch war.' - Adrian Chmielarz

Überhaupt gibt sich der vor Energie nur so sprühende Gesprächspartner Chmielarz sehr selbstkritisch. "Um ehrlich zu sein, der Grund dafür, dass alle gerade diese Explorer-Spiele machen, ist eigentlich, dass es sehr kosteneffektiv ist. Die Dinge sind bereits passiert, man inszeniert sie also nur als Vision, als ein paar Geister, die sich unterhalten." Man brauche keine KI, die die Aktionen des Spielers mit glaubwürdigen Reaktionen quittiert und dergleichen. "Das ist cool, denn es ist das Beste beider Welten. Einerseits sehr kosteneffektiv, andererseits sehr voyeuristisch. Man bekommt das Insider-Wissen aus dem Leben anderer, dringt gewissermaßen in ihre Privatsphäre ein, und die Leute mögen das." Und doch sieht er darin wenig mehr als eine Krücke.

Die Lösung des Problems gestaltet sich dabei alles andere als trivial. Auf der einen Seite sind Zwischensequenzen ein denkbar einfaches Mittel, um etwa den Niedergang einer Spielfigur spektakulär und mit Streichern unterlegt zu inszenieren, während auf der anderen Seite der direkteste Weg zur Interaktion über den Lauf einer Waffe direkt in den Kopf eines Feindes führt. Und auch die systemische Natur der Interaktion gestaltet sich für Chmielarz als Hindernis, schon rein psychologisch gesehen. "Sobald du in einem Spiel ein System implementierst, schaltet dein Gehirn von Emotionen auf Problemlösungsstrategien um", analysiert er. "Darüber gab es sogar schon Experimente. Man fand zum Beispiel heraus, dass Leute an Wochenenden für gewöhnlich sehr emotionale E-Mails schrieben, wie etwa 'Fuck you, ich will diesen Job nicht mehr' oder 'Ich trenne mich von dir'. Die Leute sind an Wochenenden schon mal betrunken oder sehr emotional."

"Was man im Rahmen dieser Experimente also tat, war, den Leuten vor Absenden dieser E-Mails eine simple Aufgabe vorzusetzen. Ein Pop-up erschien und bat die Teilnehmer, Dinge wie '3 + 4' oder '3 + 5' zu lösen. Nachdem man die Antworten eingab, erschien ein weiteres Fenster, das fragte, 'Willst du die E-Mail immer noch abschicken?' Der komplette Vorgang nach dem Schreiben der Mail lief im Grunde wie ein Captcha ab. Und das führte zu großen Erfolgen. Sobald der Geist sich von Emotionen dem rationalen Denken zuwandte, ging diese Karriere oder Beziehungen beendende E-Mail nicht mehr raus", Chmielarz muss bei dem Gedanken herzlich lachen. Aber das Beispiel leuchtet ein.

' Das Problem mit Shootern: Storytelling während der Kämpfe ist ein Ding der Unmöglichkeit, das haben wir bereits am eigenen Leib erfahren.' - Adrian Chmielarz

"Das ist das beste Beispiel, das ich über die Funktionsweise unseres Geistes in Bezug auf Videospiele geben kann. Das ist das Problem. Wir haben mit der Interaktivität ein mächtiges Werkzeug zur Verfügung. Aber es ist nicht gut, um Emotionen zu vermitteln." Doch nicht immer bekämpfe Interaktivität auch die Aufnahme und Verarbeitung von Emotionen, Chmielarz führt die Eröffnung von BioShock, die Giraffenszene in The Last of Us und den Mexiko-Ritt in Red Dead Redemption als positive Beispiele an. "Dies sind Momente aus dem Gameplay heraus, keine Zwischensequenzen. Es ist also möglich, aber man muss sehr diszipliniert und vorsichtig damit umgehen."

Ethan Carter beziehungsweise die Reaktionen der Spieler darauf hätten Chmielarz und seinen Astronauten bestätigt, dass sie auf einem guten Weg seien. "Ich weiß, dass ich Emotionen hervorrufen kann, ich weiß aber auch, dass es noch besser geht. Ich glaube immer noch, dass ich in Ethan Carter hier und da ein bisschen mogele. Deshalb glaube ich nicht, dass es die Schablone für die Zukunft ist. Es ist eine einmalige Angelegenheit. Aber genau danach suche ich, nach einer Schablone für die Zukunft. Das ist eine Richtung, die mich sehr interessiert. Ich will weiterhin Elemente der Interaktion und Mechaniken integrieren, ein wenig Black-Box-Design, während ich gleichzeitig versuche, die Dinge emotional zu halten."

Dabei ist es ihm wichtig, auch die Bandbreite der erzeugten Emotionen zu erhöhen. Zu viele Spiele fühlten sich verpflichtet, den Spieler die Welt retten zu lassen, greifen auf Mord und Totschlag zurück, um ihn zu erreichen, wenngleich man berührende Geschichten im Allgemeinen auch im Kleinen inszenieren könnte. "Man muss ja nur mal an Straight Story von David Lynch denken. Das ist einfach eine berührende Story über Menschen, DAS ist der Twist und das eigentliche, was wir uns von Geschichten erhoffen: zu anderen menschlichen Wesen durchzudringen. In Spielen kann man definitiv sehr unterschiedliche Storys erzählen. Ich persönlich weiß in letzter Zeit insbesondere diese kleineren, intimeren Geschichten zu schätzen. Wenn Max Payne es mit halb New York aufnimmt, weil seine Frau starb, ist das für mich wichtiger, als wenn er kämpft, weil New York selbst angegriffen wird oder weil es seine Pflicht als Cop ist."

"Wenn Max Payne es mit halb New York aufnimmt, weil seine Frau starb, ist das für mich wichtiger, als wenn er kämpft, weil New York selbst angegriffen wird oder weil es seine Pflicht als Cop ist." - Adrian Chmielarz.

Verstand Timing und Emotionen wie kein Zweites: The Last of Us.

Und auch dem Timing, den Spieler emotional anzusprechen, müsse mehr Bedeutung zukommen. "In jedem einzelnen Spiel ist es doch so: Es gibt diese Phase zu Beginn, in der die Leute herumprobieren, dies und das tun. 'Kann ich springen?', 'Wie sind die Texturen, oh und ah'. Das ist es doch, was in den ersten Minuten los ist. Mit dem eigentlichen Spielen beginnen sie erst nach zehn oder 15 Minuten. Das ist der Zeitpunkt, in dem man beginnen kann, sie emotional anzusprechen. In The Last of Us ereignet sich der emotionale Moment 20 bis 25 Minuten nach Beginn des Spiels. Davor probierst du herum, bist noch nicht wirklich im Spiel", erinnert er sich. "Naughty Dog hat natürlich etwas getan, was sich nicht viele Indies leisten können, so eine Sidekick-KI und die hohen Produktionswerte. Aber wenn man die Story beginnt, herumprobiert, was man machen kann, lässt man sich irgendwann an diesen Ort, in diese Geschichte hineinversetzen. Die Geschehnisse beunruhigen dich, aber du willst wissen, wie es weitergeht. Das ist eine perfekte Replikation dieser Gefühle, die nur in Videospielen möglich ist, weil sie den Eindruck eines Ortes vermitteln, in dem man sich bewegt."

"Immersion ist das Teleportieren deines Geistes an diesen Ort, Präsenz ist das Teleportieren deines Körpers. Nicht deines wirklichen Körpers, aber du weißt, wie ich das meine. In The Last of Us hat das perfekt funktioniert. Das ist die Richtung, in die Spiele in der Zukunft gehen können. Aber natürlich steht uns noch viel Arbeit bevor", gibt er zu. "Wir wissen schon recht gut, wie man Emotionen über Gameplay erzeugt, indem man einen Charakter sterben lässt oder sich in großer Gefahr befindet. Das Ende von Bastion hatte etwas vergleichbares, wenn man das Mädchen trägt. Das ist schon wundervoll, aber sind wir in der Lage, in unseren Spielen etwas subtiler zu werden?"

"Telltale hat schon ein recht gutes Schnittmuster dafür geliefert. Ihre Spiele beherrschen das. Und ich liebe diese Spiele. Das Problem ist nur, dass es in diesen Titeln keinerlei Planung gibt. Aber das ist doch eigentlich das Wundervolle an Videospielen: Du hast diese Welt vor dir und schmiedest Pläne. 'Ich will dieses als Erstes tun, dann jenes'. In Telltales Spielen treibst du zum Beispiel auf einem Fluss auf einem Stück Holz und das Abenteuer beginnt, aber du planst nicht, wie du vorgehen willst".

Wenn derartige Welten in Zukunft mehr dem Plan des Spielers zu Füßen lägen - wie wundervoll wäre das?

Hier will Chmielarz in Zukunft ansetzen: "Die Frage ist also, können wir derartige Feinheiten in Sachen Geschichten und Emotionen erzeugen und den Spieler gleichzeitig sein Vorgehen planen lassen? Also in der Sprache sprechen, die Videospielen ganz zu eigen ist? Darauf konzentrieren wir uns für das nächste Spiel: die Sprache der Videospiele weiter zu pushen, dabei aber nicht über den emotionalen Höhen und Tiefen die subtilen Dinge zu vergessen. Weißt du, wenn ich ein Spiel hinbekäme, das man nicht ohne weiteres auch in einen Film verwandeln könnte, das aber trotzdem eine zutiefst emotionale Geschichte erzählt. Das wäre es!"

Diese speziellen Astronauten haben sich viel vorgenommen. Man kann kaum anders, als ihnen nur das Beste zu wünschen.


The Vanishing of Ethan Carter wurde für die PS4 von Grund auf in der Unreal Engine 4 neu entwickelt und kommt noch in diesem Jahr auf Sonys Konsole heraus. The Astronauts wird diese Version auch auf den PC umsetzen und Besitzern des Unreal-Engine-3-Originals kostenlos zugänglich machen. Nur wie genau, das weiß man noch nicht.

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