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gamescom 2019: Destiny lässt grüßen - Marvel's Avengers hat mehr Potenzial, als die schwache Demo vermuten lässt

Ein Tor ist, wer Thor spielt.

Ja, gut. Mit der ersten Präsentation von Marvel's Avengers auf der E3 hat sich Square Enix keinen Gefallen getan. Ich dachte eigentlich, das wäre klar gewesen. Und doch ließ man auf der gamescom noch einmal genau diesen Abschnitt spielen, der zwar toll aussieht, aber tatsächlich ein wenig langweilt und erst gegen Ende allmählich die Kurve zu einem "Ja, kann man als Fan der Filme vielleicht machen!"-Produkt wurde. Sicher nicht das, was Square Enix im Sinn hatte, als man mit den Arbeiten an diesem Spiel begann.

Trotzdem kam ich mit einem guten Gefühl aus der Präsentation, denn das, was Crystal Dynamics mir im Anschluss erzählte, warf vor allem die Frage auf, warum man ausgerechnet diesen Abschnitt präsentierte. Es ist klar, dass Crystal Dynamics noch nicht ganz dort ist, wo man mit diesem Spiel hinmuss, was sich vor allem daran zeigt, dass der Spielspaß antiproportional zum Machtlevel der Helden anstieg.

Cover image for YouTube videoMarvel's Avengers | A-Day Gameplay

Thor erinnerte in seinen anfänglichen Minuten an all die vergangenen Superhelden-Lizenzspiele, die es heute zu Recht nicht mehr gibt. Iron Man sorgte in den Flugsequenzen immerhin für gern gesehenen Eye-Candy, bevor ein in der Schwebe ausgetragener Shootout an Fadenkreuz-Stangenware der 16-Bit-Zeit erinnerte. Hulk lasse ich mal außen vor, denn tatsächlich war es kurz erfrischend, auf diese Proportionen aufgeblasen zu werden. Erste Andeutungen von echtem Spaß bot dann Cap, dessen Kampfstil Crystal Dynamics optimal einfing, wenngleich auch er sich vor lauter Kraft deutlich träger steuerte, als ich es mir gewünscht hätte. Am meisten Freude hatte ich dann in Black Widows Sequenz, die im Nahkampf mit dem Taskmaster wunderbar agil ist und ein durchaus aufregendes Set-Piece mit ihm durchmacht.

Was mir das sagt? Das Kampfsystem ist einfach noch nicht fertig und Crystal Dynamics ist wohl noch dabei, die Power-Level irgendwie in Einklang zu bringen. Das kann noch funktionieren! Viel spannender ist allerdings, dass sich der Entwickler sehr wohl der Nähe zu den Filmen bewusst ist, diese gewissermaßen als Absprungpunkt nimmt und vom zweiten Level an alles daransetzt, sich davon zu emanzipieren. Denn in Wirklichkeit ist das hier nicht Streets of Rage mit Superhelden, sondern eine Art "Avengers Destiny", in dem man die Helden nach eigenem Geschmack kleidet, ihre Charakterwerte steigert und sie mit Ausrüstung und Skills versieht. Es steckt also ein richtiges Rollenspiel dahinter. Mit Charakterwerten, Statusveränderungen, Seltenheitsgraden bei Loot, neuen Kombos und Aktionen zum Freischalten, etc. pp. Richtige Builds soll man sich basteln können, damit sich ein Hulk vom anderen drastisch unterscheidet.

Cover image for YouTube videoMarvel's Avengers: Pym Particles E3 2019 [EN ESRB]

Auch der Ablauf erinnert an laufende Service-Games der Division-/Destiny-Machart. Vom "War Table" eurer Einsatzbasis aus wählt ihr Hero-Missionen, in denen man solo die Kampagnen-Story vorantreibt, oder Warzones, die man mit bis zu drei anderen Avengers versucht. Auch hier will man weitere Story-Elemente unterbringen, um der Welt mehr Charakter und Tiefe zu verleihen. Nach und nach erschließt man neue Gegenden und frische Einsätze und für die Zukunft sollen nicht nur weitere Areale, sondern auch neue Helden folgen. Was der Crystal-Dynamics-Sprecher so erzählte, machte tatsächlich eine Menge Lust aufs Spiel, so sehr mich auch locker die Hälfte der Anspielsession dezent angeödet hatte.

Auch erzählerisch machen die Charaktere im Vergleich zum Film eine Wandlung durch. Tony Stark steckt Jahre nach dem Super-Gau des A-Day in der gegenteiligen Situation des ersten Endgame-Drittels. Und auch die anderen scheinen ihr Versagen auf diverse ungesunde Arten zu verarbeiten. Wenn es so weitergeht, dürfte die Eröffnung, die der eine oder andere als "Porno-Parodie der Avengers" bezeichnete, schnell in Vergessenheit geraten.

Dafür, dass man 'nicht Teil des MCU' sein will, sind einige Entwürfe zu nah dran. Nach dem Auftakt wird es aber besser, denn Individualisierung ist ein zentrales Element dieses Spiels.

Ach übrigens: Wer enttäuscht ist, dass Cap direkt im Tutorial hopps geht, sollte mit dem Nachruf vielleicht noch warten. Zum einen sprach Crystal Dynamics immer von fünf Avengers, zum anderen war in der Präsentation auch neue Ausrüstung für den Anführer der Truppe zu sehen. Auch für die Art, wie sein Abgang inszeniert war, gibt es nur zwei mögliche Erklärungen. Die eine ist Unfähigkeit, den dramatischen Tod einer Schlüsselfigur anständig zu inszenieren, die andere ... nun ja, die liegt deutlich näher und die muss ich hier wohl nicht extra ausschreiben.

Wie gesagt: Ich hatte nach der Präsentation deutlich mehr Lust aufs Spiel als vorher, was allerdings an die Voraussetzung geknüpft ist, dass Crystal Dynamics noch ein Bewegungsmodell, Kampfsystem und Encounter-Design bereitstellt, mit dem auch Thor und Iron Man mehr Spaß machen, bei dem Hulks Power-Level noch übertriebener rüberkommt und Cap ein wenig flinker ist als das hier. Wenn das gelingt, könnte Avengers ein großer Wurf werden, der aus der Popularität des MCU Profit zieht, anstatt unter dem Vergleich mit ihm zu leiden.

Entwickler/Publisher: Crystal Dynamics/Square Enix Erscheint für: PS4, Xbox One, PC - Geplante Veröffentlichung: 15. Mai 2020 - Angespielt auf Plattform: PC

In diesem artikel

Marvel's Avengers

PS4, PS5, Xbox One, Xbox Series X/S, PC

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Alexander Bohn-Elias Avatar

Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.

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