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The Callisto Protocol – Test: Falls ihr das Dead-Space-Remake nicht erwarten könnt

Große Stärken, kleine Schwächen.

Eurogamer.de - Empfehlenswert Badge
Trotz inhaltlicher und technischer Schwächen ein packender Science-Fiction-Thriller mit coolem Kampfsystem und filmreifer Inszenierung.

Sucht ihr schnörkellose Action in einem ebenso geradlinigen wie stimmungsvollen Science-Fiction-Abenteuer, das ausgesprochen stark Dead Space erinnert? Dann seid ihr hier genau richtig. Denn The Callisto Protocol schickt euch auf einen atmosphärisch dichten Horror-Trip, der zwar nie gruselig, aber immer aufregend ist – und sei es nur wegen der angenehm plastischen Kulissen, in denen sich grelles Gegenlicht durch dichten Rauch zwängt.

Als Jacob Lee schlägt man sich da durch, nachdem dessen Raumschiff auf dem titelgebenden Jupitermond crasht, er im Gefängnis eingesperrt wird und kurz darauf schon wieder freikommt, weil eine Reihe offenbar mutierter Insassen Amok läuft. Es geht natürlich auch um die Frage, warum das passiert und weshalb Terroristen gleich in der ersten Szene sein Raumschiff enterten. Im Vordergrund steht aber das Überleben in den überwiegend engen Gängen der Mondbasis, während ihm wütende Kreaturen an den Kragen wollen.

Szenario und Spielgefühl sind dem ebenfalls von Glen Schofield erschaffenen Dead Space sehr ähnlich. Falls ihr mehr dazu lesen wollt: In unserem Interview sprach der Regisseur über sein neues Studio, was ihn die Arbeit an The Callisto Protocol gekostet hat, und warum er den Schulterblick gegenüber der Egoperspektive bevorzugt.

Zwei Dinge finde ich dabei bemerkenswert: zum einen den intensiven Nahkampf und zum anderen die filmreife Inszenierung. Sämtliche Übergänge vom Spiel zu teils aufwändigen Zwischensequenzen geschehen nämlich komplett nahtlos, was nicht die cineastische Wucht des gewaltigen God of War: Ragnarök erreicht, mich aber auf eine ähnlich immersive Art in dem ohnehin packenden Geschehen versinken lässt.

Hervorheben will ich auch die virtuellen Schauspieler mit ihrer auffallend unauffälligen Mimik. Was ich damit meine? Dass die Gesichter ohne überlebensgroße Animationen auskommen und trotzdem erstaunlich lebendig aussehen. Das ist leider bis heute längst nicht normal. Und schaut Jacob oder anderen Charakteren mal in die Augen: Die wirken in manchen Nahaufnahmen verblüffend lebensnah, sogar über die Grenze des Uncanny Valley hinweg.

Gut, aber für den Film sind wohl die Wenigsten von euch hier. Den Meisten dürfte es um die Action gehen. Und die gelingt Striking Distance, dem neuen Studio von Dead-Space-Macher Glen Schofield, zum Glück sehr überzeugend – wofür vor allem der Nahkampf verantwortlich zeichnet, bei dem ungewöhnlich dicht an die Mutanten herankommt.

Nichts sagt "heimliches Beisammensein zur Weihnachtszeit" wie aufgehängte Süßigkeiten und rotes Gegenlicht.

Auch dieser Übergang ist fließend und tatsächlich bin ich überrascht, wie wenig ich ihn bewusst wahrgenommen habe. Auf jeden Fall bewegt man sich im direkten Duell nicht mehr wie sonst zur Seite, sondern lehnt Jacob nach links oder rechts, um ankommenden Attacken auszuweichen. So ist das normale Bewegen vom Ausweichen entkoppelt und man kann sich voll auf den Schlagabtausch konzentrieren. Denn zwischendurch schlägt man natürlich selbst zu. Mit verschiedenen Kalibern schießt man außerdem auf Feinde, nur dass Munition gerade in den ersten Stunden stark begrenzt ist.

Und dann gibt es da noch die Gravity Gun, Verzeihung: einen GRP, ausgesprochen also Grip, Englisch für Griff, mit dem man Gegner sowie Gegenstände anheben und zu sich ziehen kann, um sie anschließend fortzustoßen – entweder auf andere Kreaturen, tödliche Stacheln oder in drehende Maschinen hinein. Wobei es sich von selbst versteht, dass bei Letzterem literweise Blut durch die Arena geschleudert wird. Ohnehin zehrt The Callisto Protocol nicht unwesentlich von einer Gewaltdarstellung, die vor abgetrennten Körperteilen genauso wenig zurückschreckt wie vor zerschlagenen Köpfen. Ach, und um Getöteten Munition oder Geld abzunehmen, stampft Jacob sie kurzerhand entzwei. Dead Space lässt grüßen.

Manche Gegner, nicht diesen hier, kann man auch umschleichen und lautlos meucheln - eine gelungene Abwechslung, die wegen der einfachen Grundrisse der Arenen und vorhersehbaren Laufwege der Mutanten mit guter Stealth-Action aber wenig zu tun hat und insgesamt sowieso keine große Rolle spielt.

Muss man nicht lieben. Ist nicht unbedingt mein Fall. Aber das gehört nun mal zum Stil, mit dem Glen Schofield Horror inszeniert. Der eigentliche Clou ist allerdings die Art und Weise, wie man all diese Fähigkeiten hauptsächlich im Nahkampf kombiniert. Da reiht man nämlich nicht nur leichte und harte Schläge aneinander, sondern erhält nach einer vollständigen Kombo auch die Möglichkeit sie mit einem schnellen Schuss zu beenden. Und alleine dieses kurzentschlossene Wegknallen fühlt sich unverschämt befriedigend an.

Und da ist noch mehr, denn man kann feindliche Attacken auch blocken, womit man gleichzeitig die Möglichkeit zu einem Konter öffnet, der den Mutanten zu Boden wirft. Oder man schnappt sich einen besonders starken Bösewicht und GRP-t ihn einfach über die Reling – das tut spätestens dann gut, wenn sich eine Kreatur gerade zu einer noch stärkeren Version ihrer selbst verwandelt hat, weil man nicht rechtzeitig die aus ihrem Körper sprießenden Tentakel zerschossen hat. Erwähnte ich zudem, dass an vielen Stellen entzündbare Kanister herumliegen?

Auch auf dem Steam Deck kann man spielen. Die Pausen zum Nachladen stören dort zwar noch mehr als auf anderen PCs, abgesehen davon und kleinen Einbrüchen der Bildrate kann man dem Handheld das Spiel aber zumuten.

Nun kann gerade das durchaus ein Kritikpunkt sein: Die meist schon im Voraus als solche erkennbaren Arenen beziehungsweise Gänge, in denen Kämpfe stattfinden, wirken oft wie Trainingsplätze, auf denen interaktive Elemente dermaßen stark herausgestellt werden, dass sie überdeutlich aus der normalen Kulisse herausstechen. Dass an etlichen Stellen etwa spezielle Gitter mit gelb markierten Spitzen herumhängen, bringt meine Immersionsfreude leider an ihre Grenzen. Abgesehen davon wartet man in längeren Gefechten teils „ewig“, bis die nächste Welle kommt. Das unterbricht nicht nur den Spielfluss, sondern raubt ebenfalls ein Stück der Illusion sich in einer dynamisch entwickelnden Situation zu befinden.

Überhaupt nimmt The Callisto Protocol ein paar „Abkürzungen“, durch die es seltsam mechanisch statt lebendig wirkt. So muss man Türen zwar manuell öffnen, wofür Jacob allerdings keine einzige Animation ausführt. Oder nehmt das LKW-ähnliche Fahrzeug, das im tiefen Schnee keine Spuren hinterlässt und zu allem Überfluss auf einem Weg verschwindet, der vor hohen Felsen endet.

Das für mich größte Ärgernis ist aber das viel zu kleine Inventar, wegen dem ich weder vorsichtiger noch taktischer spielen musste – aber mehrmals von einem Verkaufsautomaten aus mehrere Minuten lang zurückgelaufen bin, um liegengelassene Gegenstände aufzuheben und sie ebenfalls zu verhökern. Warum wird nicht einfach weniger Beute ausgeschüttet? Der Effekt wäre der gleiche, nur dass man weniger Zeit im sinnlosem Rückwärtsgang verschwenden würde.

Wofür man das gesammelte beziehungsweise aus dem Verkauf unnützer Gegenstände und überflüssiger Munition erhaltenen Geld benötigt? Um Waffen und Ausrüstung zu verbessern. Allzu viel bringt das nicht. Mitunter schaltet man damit aber neue Angriffsmöglichkeiten frei.

Blöd ist nicht zuletzt, dass man zum Anhören von Sprachaufzeichnungen das dafür gemachte Menü nicht verlassen darf. Sorry, Leute, aber dafür fehlt mir heutzutage schlicht der Nerv. Die Audiologs sind für das volle Verständnis der Geschichte ja durchaus wichtig und es ist doch längst gang und gäbe, dass man solchen Aufnahmen beim normalen Erkunden lauscht.

Und dann hat Striking Distance leider auch ein Stück weit geschludert. So wirkt es zumindest, wenn das Spiel auf PC häufig kurz ins Stottern gerät. Zudem darf man ausschließlich im Hauptmenü die Grafikoptionen ändern, was das Anpassen des durchaus anspruchsvollen Programms unangenehm mühsam macht. Mit Vorsicht ist außerdem das Spielen auf dem Steam Deck zu genießen, denn obwohl der Horror auch dort genießbar ist, fällt die Bildrate selbst mit niedrigsten Details gelegentlich unter 30.

An einigen Stellen erlaubt der sonst eher klaustrophobische Trip den Blick auf beeindruckende Aussichten.

Vor allem aber ist das kurze Innehalten beim Laden neuer Objekte und Animationen dort noch stärker ausgeprägt und ärgerlicherweise übernimmt das Programm über die Steam Cloud auch sämtliche Grafikeinstellungen, sodas man die beim Wechsel von PC zum Deck und zurück stets ändern muss. Abseits davon war ich aber auch auf dem Handheld durchaus gerne mit Jacob unterwegs.

Erwähnen muss ich schließlich noch eine Reihe kleiner Ärgernisse, die in ihrer Gesamtheit leider auffallen. Unter anderem verlor ich nach etwa zwei Stunden sämtliche Upgrades und hatte auch das dafür gezahlte Geld nicht mehr. Eine Figur verschwand plötzlich im Nichts, während sie eine Leiter herunterkletterte, zwei wichtige Türen öffneten sich erst nach dem vorübergehenden Verlassen des Programms und ein Gegner, den ich extra nicht bekämpft hatte, taucht plötzlich in einem weit entfernten Raum auf, in den er gar nicht hätte kommen können.

Hin und wieder muss man durch schnelles Dauertippen eingreifen. Weil man immer nur denselben Knopf drückt, entsteht dabei allerdings keine nennenswerte Spannung.

Da erst gestern Nacht ein großes Update kurz vor Release erschien, kann ich nicht sagen, ob damit sämtliche Fehler behoben wurden. So richtig sauber wirkte The Callisto Protocol bis dahin aber eben nicht. Ob Striking Distance womöglich sehr stark daran gelegen war, sein erstes Spiel vor dem inhaltlich und stilistisch verdammt ähnlichen Dead-Space-Remake zu veröffentlichen? Ist das Spiel womöglich deshalb ein aus Entwicklersicht relativ leicht zu kontrollierendes, geradliniges Ablaufen kleiner Arenen mit überschaubaren optionalen Abzweigungen rechts und links des Wegs?

Test zu The Callisto Protocol - Fazit

Versteht das nicht falsch! So einfach das Konzept auch sein mag, so sehr hatte ich meinem Spaß mit diesem aufwändig produziertem Ausflug auf Jupiters zweitgrößten Mond. Für den sprechen nämlich nicht nur eine filmreife Inszenierung sowie intensive Action, sondern auch ein stimmungsvoller Soundtrack sowie der fast vollständige Verzicht auf Bildschirmeinblendungen und Sammelgegenstände. Alleine die fast ohne Kameraschnitte auskommende Inszenierung ist klasse und unterstreicht mit verblüffend lebensechten Nahaufnahmen das cineastische Erlebnis. Dass am Ende auffallend viele Kleinigkeiten – teils technischer, teils inhaltlicher Natur – den Spaß spürbar dämpfen, ist natürlich ärgerlich. Aber wie gesagt: Falls ihr einfach nur ein neues Dead Space spielen wollt, bevor… nun… das neue Dead Space kommt, dann seid ihr hier tatsächlich richtig.

The Callisto Protocol - Wertung: 7/10

Pro und Contra

Pros:

  • Atmosphärisch durchgehend intensive Sci-Fi-Action mit stimmungsvollem Soundtrack
  • Cooles, intensives Kampfsystem, bei dem man Gegnern sehr nahekommt
  • Cineastisches Erlebnis durch fließende Übergänge zwischen Spiel und teils aufwändigen Filmszenen
  • Überzeugende Mimik in erstaunlich lebensnahen Gesichtern
  • Kommt fast komplett ohne über dem Spiel liegende Bildschirm-Einblendungen aus

Contras:

  • Anfangs stark eingeschränkter Inventarplatz zwingt zu häufigem Zurücklaufen, obwohl Gegenstände irgendwann verschwinden
  • Häufiges kurzes Absinken der Bildrate
  • Audiologs nicht beim Herumlaufen, sondern nur an einer Stelle im Inventar anhörbar
  • Kleine Logikfehler im Spieldesign und gelegentliche Programmfehler
  • Sämtliche Grafikeinstellungen nur im Hauptmenü einstellbar (PC)

Entwickler: Striking Distance Studios - Publisher: Krafton - Plattformen: PC, PlayStation 4, PlayStation 5, Xbox One, Xbox Series S/X - Release: 2.12.2022 - Genre: Survival-Horror - Preis (UVP): 60 Euro (PC, alte Konsolen) bis 70 Euro (aktuelle Konsolen)

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